CDU – wie weiter?

CDU – wie weiter?

Der nachstehende Text erschien am 19. Januar 2022 in der „Preußischen Allgemeinen“.

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Schon manches Unternehmen trieb auf die Pleite zu, während leitende Angestellte wähnten, es wäre es auf gutem Weg. Viele Warnungen vor einem solchen Schicksal hat die CDU-Führung während der letzten Jahre ignoriert. Unheilankündigende „Zeichen an der Wand“ hat sie für unbeachtlich erklärt: das innerparteiliche Grummeln, den Aufstieg der AfD, die Arroganz der Verwalter links-grüner Hegemonie, die immer geringere parteipolitische Rendite von Politikvorhaben, die der Kanzlerin am Herzen lagen. Und innerparteiliche Debatten, soweit überhaupt geführt, verbanden nicht mehr, sondern spalteten. Gefordert war, die Politik der Parteivorsitzenden – worin auch immer sie nach wiederholten Kehren bestand – stets für richtig, da eben alternativlos zu halten; und unwürdig weiterer Parteimitgliedschaft sei, wer Gegenteiliges öffentlich verträte. Zweimal verhinderte das Funktionärskorps der Partei auch die Wahl eines Vorsitzenden, der eine Korrektur jenes Kurses zumindest nicht ablehnte.

Erst die Niederlage bei der Bundestagswahl zerriss jenen Verblendungszusammenhang, in den das CDU-Establishment sich eingesponnen hatte. Seit nicht mehr das oft fremdgesteuerte Alltagsgeschäft des Regierens zu verwalten ist, sondern es eigenständige Opposition zu betreiben gilt, keimt jedenfalls die Einsicht, dass die Union kaum mehr orientierungsstiftende Inhalte besitzt. Eigentlich müsste sie der neuen Bundesregierung nur applaudieren, denn die führt die Politik Angela Merkels weiter – nur eben mit der Behauptung, fortan werde wirksamer regiert. Umfragen zeigen übrigens, dass dies einer Mehrheit der Deutschen gefällt, die zwar Angela Merkel mochte, nicht aber die CDU. 

Wie kann man sich da als Union aufstellen? Soll man beklagen, dass die neue Regierung den Merkel-Kurs vielleicht doch nicht so wirkungsvoll fortsetzt, wie das verheißen wurde? Soll man hinweisen auf die Widersprüche zwischen den verfolgten politischen Vorhaben, etwa zwischen Energie- und Klimapolitik, oder zwischen der Sicherung unseres Sozialstaates und der Duldung selbstermächtigter Zuwanderung? Auf die zunehmende Isolation eines Landes im Kreis seiner Nachbarn, das bei alledem vieles sehr anders machen will, als es jenen als vernünftig erscheint? 

Was aber, wenn diese Widersprüche bereits für die Politik Angela Merkels typisch waren? Soll sich die CDU jetzt von ihrer – einst auf Parteitagen minutenlang gefeierten – Übermutter abwenden? Doch mit welchen Begleitschäden für den innerparteilichen Zusammenhalt? Und von woher könnte die CDU überhaupt neue Orientierung gewinnen, falls sie das denn wirklich wollte?

Vermutlich werden Diskussionen darüber wenig bringen, ob die CDU „in der Mitte bleiben“ oder „nach rechts rücken“ sollte. Die Rede von der Mitte, in welcher sich inzwischen auch Grüne, SPD und FDP zu tummeln behaupten, ist ja eine Leerformel, solange nicht klar ist, was genau denn „links“ oder „rechts“ wäre. Dass aber die Inhalte von „links“ derzeit unbestimmt sind, zeigen die mitleiderregend abwertenden Stellungnahmen der Linkspartei zu entsprechenden Klärungsversuchen, die ihre kluge, frühere Vorzeigekommunistin Wagenknecht unternimmt. Und „rechts“ ist seit langem nur noch eine Abfallhalde für nicht nur in sich schlechte, sondern für letztlich alle abgelehnten politischen Positionen, die man nicht als „zu links“ zu kritisieren vermag. Natürlich kann sich die Union auf einen solchen Müllplatz nicht begeben, ohne als „AfD light“ fertiggemacht zu werden.

Wie wäre es mit dem „christlichen Menschenbild“? Dieses wird immer wieder als Alleinstellungsmerkmal der Union angeführt. Doch erstens gibt ein „Menschenbild“ noch lange keine Orientierung bei wichtigen Fragen wie danach, ob man sich von russischem Erdgas abhängig machen oder bewaffnete Drohnen beschaffen sollte. Zweitens kommen jene CDU-Politiker, die man nach den Inhalten eines „christlichen“ Menschenbildes fragt, erfahrungsgemäß nicht über solche Sprechblasen und Gemeinplätze hinaus, die für gewinnbare politische Debatten nicht ausreichen. Drittens legt eine weitgehend säkularisierte Kultur, in der Deutschlands Christen demnächst auch eine Minderheit sein werden, ohnehin auf Christliches kaum Wert – sofern Pfarrer nicht Windräder so segnen wie einst die Kanonen.

Und der Konservatismus? CDU-interne Debatten um ihn sind meist ein intellektuelles Trauerspiel. Die einen wissen gar nicht, dass der CDU am Herzen liegende Inhalte wie Republik, soziale Marktwirtschaft und gleiches Recht für alle den Konservativen des 19. Jh. als Übel galten, gegen die man das Land schützen müsse. Doch so naiver Konservatismus verfehlt die Siegerstraße. Andere wissen das wohl, können aber nicht sagen, worin sich ein Konservativer von solchen Leuten unterscheide, die einfach zu vorurteilsbeladen sind, als dass sie den Wert von Neuem rechtzeitig erkennen würden. Bei denen riecht Konservatismus ranzig. Die nächsten setzen Konservatismus gleich mit „Bewahrung der Schöpfung“ und glauben deshalb, ein Konservativer müsse an die Seite von natur- und klimaschützenden Grünen. Manche meinen sogar, „christlich“ und „konservativ“ gehörten zusammen – gerade so, als wäre nicht der Religionsstifter selbst von den Konservativen seiner Zeit ums Leben gebracht worden, weil er unter anderem lehrte, das Bestehende sei meist nicht das Bestmögliche und oft auch gar nicht das Richtige!

Sollte man unter solchen Umständen nicht besser auf den Begriff und die zu klärende Sache des Konservatismus verzichten, wenn es um die Selbstverständigung der CDU geht? Das hat die Partei nun lange versucht. Trotzdem hat man ihr das K-Wort immer wieder aufgeklebt. Verständlicherweise, denn kaum etwas schändet einen Gegner in Deutschland wirkungsvoller als das Beiwort „konservativ“! Getoppt wird das nur von der – inzwischen wie selbstverständlich gehandhabten – Wortkombination „rechtskonservativ“. Also wäre der CDU anzuraten, den von ihr ohnehin nicht loszuwerdenden Begriff des Konservatismus nun neu mit überzeugenden und anziehenden Inhalten auszustatten. Natürlich ist dabei auch deren Verhältnis zu jener Tradition zu klären, in welcher – entstanden als ablehnende Reaktion auf die Französische Revolution – der europäische Konservatismus nun einmal wurzelt.

Es wird dabei nicht reichen, Konservatismus vor allem als Methode anzusehen, mit der auf neue Herausforderungen reagiert wird, mit bewährten Ordnungsstrukturen, funktionierenden Hierarchien und bereitwilligem Lernen im Sinn. Oder ihn auszuweisen als Liebe zu guten Traditionen, als Respekt vor den sie tragenden Werten, als Haltung, bei der sich das als besser behauptete Neue rechtfertigen muss, nicht aber vorrangig das bewährte Alte. Man muss schon auch jene Inhalte benennen, für die eine sich als auch – nicht nur – konservativ begreifende CDU stünde.

Das gelingt am besten mit dem folgenden Begriffsdreieck. An der linken Spitze steht „gerechte Ordnung“. Hier geht es zunächst einmal um Recht und Ordnung, also um die zentralen Elemente jenes stabilen Zustands gesellschaftlicher Verhältnisse, die man in der italienischen Renaissance „lo stato“ nannte. Doch es geht nicht um irgendeine machtgestützte Ordnung. Recht und Ordnung werden nämlich nur dann auf Dauer bestehen, wenn sie als gerecht empfunden werden. Dazu trägt am verlässlichsten bei, dass Recht und Ordnung so, wie in einem konkreten Staat verwirklicht, auch tatsächlich gerecht sind. Deshalb gerät Konservatismus nur mitsamt angestrebter Gerechtigkeit zu einer wirklich stimmigen Haltung. Also ist das Verlangen nach Gerechtigkeit kein nur linkes Anliegen oder eine utopistische fixe Idee, über die sich ein Konservativer mokieren dürfte.

An der Spitze oder Basis jenes Dreiecks steht „Nachhaltigkeit“, bzw. – in leicht anderer Betrachtungsweise – „aufrechterhaltbare Entwicklung“. Das ist gleichsam der konservativste aller Wünsche eines Konservativen. Es sollen nämlich dem, was besteht und bewährt ist und sich gleichwohl weiterentwickelt, gerade im Lauf seiner Weiterentwicklung nicht die es tragenden Grundlagen zerstört werden. Konkret geht es hier um demographische Nachhaltigkeit, um fiskalische, energetische, ökologische und auch kulturelle Nachhaltigkeit. Das alles wird konkret auf sämtlichen Politikfeldern, die ein moderner Staat zu bestellen hat. Konservatismus darf deshalb nie einer bloß aufgesetzten Maske gleichen, sondern muss alles Entwerfen, Aushandeln und Umsetzen von politischen Konzepten prägen.

An der rechten Spitze jenes Dreiecks steht „Patriotismus“. Der bezieht sich auf das Vaterland, auf die Heimat. Dort wuchs man auf und fühlt sich zugehörig – oder dort zog man einst hin, schlug dann Wurzeln und empfindet sich seither dort zu Hause. Wer eine solche Heimat oder ein solches Vaterland besitzt, der möchte dort meist auch ein gutes Gemeinwesen bestehen sehen. Nicht selten will man selbst zu dessen Gedeihen beitragen. Genau diese Bereitschaft sowie die aus ihr folgende, gemeinsinnige Tätigkeit ist gemeint, wenn vom Patriotismus die Rede ist. Der ist somit genau das, was eine Gesellschaft wirklich zusammenhalten kann. Natürlich kann auch jeder Einwanderer zum Patrioten seines neuen Landes werden, denn beim Patriotismus kommt es nie auf die Herkunft an, sondern allein auf das bereitwillige Zusammenwirken im Dienst einer gemeinsamen Zukunft.

Leicht ist zu erkennen, dass sich von diesem Politikdreieck her eine neue, systematische, in sich stimmige, auch plakatierbare Programmatik der CDU entfalten ließe. Mit der könnte sie nicht nur ihre Oppositionsrolle sachgerecht ausüben, sondern erneut eine weit ausgreifende Anziehungskraft entwickeln. Doch fraglich ist, ob der neue Vorsitzende eine gründliche, programmatische Debatte wirklich zulässt. Und ganz unklar ist zudem, ob die CDU denn überhaupt die Leute dafür hat, diese politisch-intellektuelle Aufgabe anzugehen. Karrieristen werden sie jedenfalls nicht meistern. Doch vielleicht zieht die kommende, wohl mehrjährige Oppositionszeit der Union wieder solche Leute an, denen es nicht nur um ihr Ego, sondern auch um die wichtige Sache der CDU geht.

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