Fünf Jahre nach der Willkommenskultur
Fünf Jahre nach dem rauschartigen Praktizieren von Willkommenskultur wird zumindest aus kalendarischen Gründen Bilanz gezogen. Meine Einschätzungen wurden unlängst veröffentlicht in der „Augsburger Allgemeinen“ (https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Diese-Menschen-haben-die-Krise-hautnah-erlebt-und-sprechen-darueber-id58009391.html) sowie auf ntv – Der Tag (https://www.n-tv.de/der_tag/Werner-Patzelt-Wir-haben-vieles-nicht-geschafft-article22004685.html). Ich dokumentiere sie auch hier.
Hier der Text für die „Augsburger Allgemeine“:
Der große Fehler der Bundesregierung war es, den Eindruck zu erwecken, dass künftig jeder auf der Welt zu uns kommen könne und willkommen sei. Stattdessen hätte die Regierung gegenüber dem Ausland und der eigenen Bevölkerung klarstellen müssen: Unter Nichtbeachtung geltender Regeln werden wir genau jene aufnehmen, die bislang in Ungarn gestrandet sind.
Mit einer solchen Politik hätte es keine erstarkende AfD gegeben, auch nicht die große Zahl von tatsächlich integrationsunwilligen Zuwanderern. Wir hätten ebenfalls die Spaltung Deutschlands, ja sogar der Europäischen Union angesichts der Migrationspolitik der deutschen Regierung vermieden, und dennoch – durch die Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn – unsere humanitäre Pflicht gutwillig erfüllt.
Als man die Bilder von den immer neuen Flüchtlingsbooten sah, wurde doch schnell klar, dass auf ihnen nur wenige Frauen und Kinder sind, sehr wohl aber viele junge Männer. Auch zeigte sich rasch, dass – anders als von so vielen behauptet – nur in vergleichsweise seltenen Fällen Ärzte oder Ingenieure oder wirklich gut Ausgebildete zu uns kamen, die rasch einen Arbeitsplatz finden und leicht Teil unserer Gesellschaft werden könnten. Im Übrigen war es damals schon ethisch fragwürdig, anderen Ländern gerade Ärzte oder Ingenieure oder gut ausgebildete Leute zum Nutzen der deutschen Gesellschaft und Wirtschaft abzuwerben. Solche Leute werden doch gerade in ihrem Heimatländern dringend gebraucht!
Unterm Strich hat unsere, damals auch ohne sonderliches Widerstreben der Bundestagsopposition durchgeführte, Flüchtlingspolitik zur Einwanderung in unsere Sozialsysteme geführt. Die finanziellen Folgen werden noch jahrzehntelang spürbar sein. Das Beste an alledem war noch, dass unsere Gesellschaft mehrheitlich bewundernswert guten Willen und vorbildliche Organisationskraft bewiesen hat. Mit einem abgewandelten Dichterwort könnte man das Geschehene so zusammenfassen: Kurz war der Rausch, lang ist die Reue“ – oder immerhin der Kater.
Und hier der Text für ntv – Der Tag:
Nie hat die Kanzlerin Merkel gesagt, was genau „wir schaffen“ würden. Das war geschickt, denn so lässt sich im Nachhinein auch nicht feststellen, was wirklich vom damals selbstgewiss Verheißenen geschafft wäre. Also kann jetzt jeder genau den Tunnelblick pflegen, dessen Blickfeld ihm behagt.
Geschafft haben wir erst die Aufnahme und Versorgung von vielen Hunderttausenden an Migranten, darunter viel weniger als die Hälfte weiblich, alt oder schwach, dann die Drosselung der Zuwanderung; und gelungen ist die Hervorbringung eines kollektiven Hochgefühls ethischer Überlegenheit – teils gegenüber anderen Ländern, teils gegenüber Andersdenkenden im eigenen Land.
Nicht geschafft haben wir die Integration der meisten Zugewanderten, die Ausreise der Nichtbleibeberechtigten, den Übergang zu einer stimmigen bzw. nachhaltigen Zuwanderungs- und Integrationspolitik sowie einen tatsachenorientierten öffentlichen Diskurs über wünschenswerte und weniger wünschenswerte Wandlungsprozesse unserer multikulturellen Gesellschaft.
Zu den von vornherein absehbaren und wirklich „geschafften“ Kollateralschäden gehören die unversöhnliche Spaltung unseres Landes in – je nach Selbst- oder Fremdsicht – „Anständige“ und „Rassisten“, der unser Parteisystem umgestaltende Rechtspopulismus sowie die dauerhafte Belastung unseres Sozialstaates durch eine neue, schwer in den Arbeitsmarkt integrierbare Unterschicht.