Patzelt: „Geheimgutachten“ für die AfD

Patzelt: „Geheimgutachten“ für die AfD

Groß war vor gut einem Jahr die Aufregung. Die ZEIT etwa titelte: „Vom Auftraggeber zum Hauptgegner“ (https://www.zeit.de/2019/04/werner-patzelt-politologe-beratung-afd-fraktion). Es ging darum, dass ich – kurz zuvor zum Ko-Vorsitzender der Wahlprogramm-Kommission der sächsischen CDU bestellt – in den Jahren vorher Vorträge bei AfD-Veranstaltungen gehalten und für die AfD Gutachten geschrieben hatte.

Was die ganz normale Aufgabe eines Politikwissenschaftlers ist, nämlich sein Fachwissen an Interessierte weiterzugeben, wurde skandalisiert. Hintergrundannahme war nämlich, dass doch nur AfD-nah sein kann, wer zu AfDlern spricht oder für die AfD Gutachten schreibt. Ein solcher CDU-Berater wird dann aber wohl ein AfD-Wolf im CDU-Pelz sein – und vor ihm muss man warnen.

Solches zu vermuten wäre aber nur dann plausibel, wenn der Zweck eines Gutachtens darin bestünde, akademisches Sprachrohr des Auftraggebers zu sein. Doch ein wissenschaftlicher Gutachter ist natürlich selbst dann allein den Tatsachen, real bestehenden Zusammenhängen sowie der Logik verpflichtet, wenn er als Politikwissenschaftler über Politik, Politiker und politische Positionen gutachtet. Dass ich es genau so halte, hätte allerdings damals schon jedem bekannt sein können, denn es waren – mit einer einzigen Ausnahme – meine Gutachten für die AfD sowie die Texte meiner Vorträge vor AfDlern längst veröffentlicht.

Aus gegebenem Anlass hatte ich das alles im Januar 2019 noch einmal auf meinem Blog zusammengestellt : https://wjpatzelt.de/2019/01/15/patzelt-und-die-afd-gutachten-vortraege-publikationen/. Die dortige Liste umfasste alle Gutachten und Vorträge zwischen 2015 und 2018. In ihnen warnte ich die AfD vor Extremismus, Rassismus und Antisemitismus; versuchte, ihr eine angemessenes Haltung zu Populismus sowie direkter Demokratie nahezubringen; und zeigt auf, wie die AfD als Oppositionspartei in einer parlamentarischen Demokratie ihre Rolle ordnungsgemäß auszuüben hat. Bis heute lässt sich für Skandalisierungsversuche solcher Ratschläge kein anderer Grund erkennen als Unwissen, Übelwollen oder opportunistische Mitläuferei.

Nur als Inhaltsverzeichnis publizieren, noch nicht aber als vollen Text, konnte ich damals ein für die sächsische Landtagsfraktion der AfD erstelltes Gutachten vom Januar 2015. Dort ging es um eine sinnvolle oppositionelle Auseinandersetzung dieser – erst wenige Monate zuvor neu in den Landtag gelangten – Fraktion mit der regierenden Großen Koalition und deren Koalitionsvertrag. Zwar lag das Copyright des Textes bei mir, und es hatte mir auch der das Gutachten in Auftrag gebende damalige Fraktionsgeschäftsführer Dr. Muster zugesichert, dass ich diesen Text zu gegebener Zeit veröffentlichen könne. Doch solange die damalige CDU/SPD-Regierung im Amt und der damalige Koalitionsvertrag in Geltung war, hätte ich es für unfair gegenüber der AfD-Landtagsfraktion gehalten, meinen Text allgemein zugänglich zu machen.

Nun aber gibt es eine neue Landesregierung, einen neuen Koalitionsvertrag und eine neue AfD-Landtagsfraktion. Mein damaliger Text hat also keinen politischen Gebrauchswert mehr. Doch er gibt über mindestens dreierlei Aufschluss:

  • Wie handhabe ich ganz konkret eine professionelle, also gerade nicht von persönlichen parteipolitischen Präferenzen geprägte Politikberatung?
  • War es zum Vorteil oder zum Nachteil der AfD, dass sie sich an die meisten meiner damaligen Ratschläge gerade nicht gehalten hat?
  • Gab es an meiner – nunmehr vollständig publizierten – Beratungstätigkeit für die AfD überhaupt etwas, das mit plausiblen normativen Gründen kritisiert werden kann?

Mir selbst scheint hinsichtlich des nachstehend veröffentlichten Gutachtens Folgendes der Fall zu sein:

  • Meine parteipolitischen Lagebeurteilungen und die aus ihr abgeleiteten Empfehlungen für die AfD haben sich als völlig sachgerecht herausgestellt.
  • Meine Hinweise auf sinnvolle Oppositionsstrategien sind schlicht jener Stand der Parlamentarismusforschung, der weiterhin von jeder Oppositionsfraktion zum eigenen Nutzen beherzigt werden kann.
  • Meine Analyse des Koalitionsvertrags im Licht des AfD-Wahlprogramms ist ein Beispiel handwerklich korrekter politikwissenschaftlicher Arbeit. Es wäre wünschenswert, wenn jede Oppositionsfraktion entlang eines solchen, auf sie abgestimmten Leitfadens arbeiten würde.
  • So gut wie keinen meiner Ratschläge hat die AfD merklich befolgt. Gerade auch deshalb hat diese Partei seit 2015 schwere Einbußen ihres öffentlichen Ansehens erlitten. Entsprechender Schaden am Wahltag blieb für die AfD allein deshalb aus, weil sich die CDU weiterhin kolossale Politikfehler leistete, die sich zugunsten der AfD auswirkten. (Zu den letzteren findet sich Näheres in meinem Buch „CDU, AfD und die politisch Torheit“, Dresden 2019, Weltbuch-Verlag).

Vermutlich wird keiner meiner journalistischen oder akademischen Kritiker sich dazu aufraffen, seine – oder ihre – Rolle beim damals schlagzeilenträchtigen Verleumdungsraunen öffentlich vernehmbar zu bedauern. Das allerdings besagt mehr über diese Leute als über mich.

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Und hier folgt nun das „Geheimgutachten“ vom Januar 2015 für die sächsische AfD-Landtagsfraktion. Deren Vorsitzende war damals noch Frauke Petry.

Der Sächsische Koalitionsvertrag von 2014 im Licht des AfD-Wahlprogramms.
Ansatzpunkte parlamentarischer Oppositionsarbeit.

Teil A: Grundlegende parteistrategische Überlegungen

I. Die parteipolitische Ausgangslage der sächsischen CDU/SPD-Koalition
 
Koalitionsverträge haben eine doppelte Rolle. Auf der einen Seite legen sie fest, was gemeinsam wie und wann unternommen werden soll. Auf der anderen Seite sichern sie – durch Geben und Nehmen – innerparteiliche Unterstützung für einen politischen Handlungsverbund, der oft gar nicht den erstrangigen Präferenzen der Koalitionspartner entspricht. Das kann Koalitionen angreifbar und fragil machen.

In Sachsen ist freilich die Ausgangslage der CDU/SPD-Koalition nicht schlecht, denn beide Parteien wollten wirklich gemeinsam regieren. Motiv der sächsischen SPD war, dass – angesichts des zu erwartenden Wahlergebnisses – sie nur in dieser Konstellation erneut regieren konnte. Motiv der CDU war der absehbare Wegfall des bisherigen Koalitionspartners FDP sowie der erkennbare Unwille der Grünen, zum nächsten Unionspartner zu werden.

Tatsächlich ist für die CDU die SPD inzwischen ein „natürlicher Koalitionspartner“. Möglich wurde das dadurch, dass die CDU inzwischen viele – zumal als „konservativ“ geltende – Positionen aufgegeben hat, die sie einst mit der SPD entzweiten. Diese „Sozialdemokratisierung“ unternahm die Union einesteils, weil manche CDU-Positionen tatsächlich wenig populär geworden waren, etwa die Beibehaltung der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Andernteils wollte sich die CDU von links her weniger leicht angreifbar machen, etwa hinsichtlich ihres Ehe- und Familienbildes. Solche „Neuprofilierung links“ erschien der CDU auch als wenig risikolos. Es gab nämlich keine seriöse Partei rechts von ihr, an die Wählerstimmen zu verlieren sie ernsthaft befürchten musste. Im Übrigen schätzen viele Deutsche eine „Große Koalition“, weil sie von ihr das Ausbleiben der vielen als überflüssig erscheinenden Polarisierung zwischen links und rechts erhoffen, ja sogar eine konstruktive „Politik der Mitte“ erwarten.

Solange eine CDU/SPD-Koalition solche Wünsche erfüllt, ist sie im Grunde nicht angreifbar. Allerdings haben CDU und SPD unterschiedliche Möglichkeiten, diese Wünsche zu erfüllen:

  • Da sich die CDU als „geborene Regierungspartei“ empfindet, war und ist ihr Pragmatik stets wichtiger als Programmatik. Am liebsten mag sie tatsächlich eine pragmatische Politik. Deshalb fühlt sie sich in Koalitionen mit der SPD solange gut, wie die SPD eine „Politik der Mitte“ mitgeht und den Versuch unterlässt, diese Mitte anderswo als im Überlappungsbereich von linkem CDU-Flügel und rechtem SPD-Flügel auszuflaggen. Wann immer die SPD nach links rückt, sucht die CDU nach einem anderen Partner.
  • Hingegen sind „Große Koalitionen“ für die SPD von vornherein ein gemischter Segen – zumal dann, wenn ihnen die SPD als kleinerer Partner angehört. Die SPD versteht sich nämlich als eine Programmpartei auf der linken Seite des politischen Spektrums. Als solche akzeptiert und betreibt sie zwar pragmatische Politik. Doch sie empfindet einen mit der CDU zu fahrenden Kurs oft wie ein aufgezwungenes Abweichen von dem, was Linke zu sollen und Sozialdemokraten wenigstens zu wollen haben. Deshalb entstehen zu Zeiten Großer Koalitionen innerhalb der SPD regelmäßig Spannungen zwischen ihrem „pragmatischen“ und ihrem „programmatischen“ Flügel, im Grunde: zwischen ihrem „rechten“ und „linken“ Flügel. Eine Auflösung solcher Spannungen erhofft die SPD dann, je nach politischer Großwetterlage, entweder durch ein Überflügeln der CDU bei der nächsten Wahl oder durch das Erringen einer linken Koalitionsmehrheit. Folglich ist die SPD in Koalitionen mit der CDU zwar loyal, doch innerlich meist absprungbereit.

Das führt zu vielerlei untergründigen Spannungen in Großen Koalitionen. Solange grundsätzlicher Wille zum Zusammenhalt besteht und die Führungspersonen ein ordentliches persönliches Verhältnis pflegen, werden diese Spannungen verdeckt. Unterschwellig wirken sie aber trotzdem weiter, und zwar umso mehr, als in weiten Teilen der Öffentlichkeit linke Regierungsbündnisse als viel freiheitlicher, rationaler, wirkungsvoller, kurz: als besser gelten denn solche, in denen die Union den Ton angibt.

Deshalb unterscheidet sich die innerparteiliche bzw. koalitionspolitische Lage der CDU sehr von jener der SPD. Diese Unterschiede zu verstehen, ist vonnöten für jede Partei, die sich kooperierend als Koalitionspartner bzw. konkurrierend als Oppositionspartei mit Union oder SPD einlassen und dabei Erfolg haben will. Für die AfD ist dabei eine korrekte Einschätzung der CDU besonders wichtig, weil sie als neue Partei im Wesentlichen aufgrund von politischen Fehlern der Union entstand, in die Parlamente gelangte und womöglich sich weiterhin festigen kann.

II. CDU und AfD

Leitlinie der CDU-Politik war lange Zeit eine Mischung aus christlich-sozialen Leitgedanken, liberal-paternalistischem Wirtschaftsverständnis, grundsätzlicher Bereitschaft zu immer tieferer europäischer Integration und überzeugtem Festhalten am schon Bewährten. Manche CDU-Positionen gerieten durch reale Entwicklungen ins Wanken: Wirtschaftsliberalismus beeinträchtigt nun einmal Sozialstaatlichkeit; gerade die gemeinsame Währung spaltet offenkundig die EU; christliche Profilierung bringt wenig in einer sich entchristlichenden Gesellschaft; Festhalten am bislang Bewährten wird unplausibel, wenn die Umstände nach Um- und Neuorientierung verlangen. Doch vor allem hat sich unsere politische Kultur dahin entwickelt, dass in öffentlicher Meinung und politischer Klasse nur noch mittige und linke politische Positionen als akzeptabel gelten, während es breiter Konsens ist, politisch rechte Positionen als verwerflich und gefährlich zu bekämpfen. Vor allem unter dem Einfluss dieses solchen Meinungsklimas hat die CDU im Lauf der letzten Jahre immer mehr Positionen geräumt, die als „rechts“ zumindest etikettierbar sind. Derlei reicht vom Wirtschaftsliberalismus über das Ehe- und Familienbild bis hin zur Rede von nationalen Interessen in und an der EU.

Solcher Schutz gegen Angriffe von links hat die CDU allerdings auch einige als „zu konservativ“ auffällig gewordene Mandatsträger, etliche Parteimitglieder und obendrein nicht wenige Wähler gekostet, desgleichen die diffuse Unterstützung jenes Teils der Bevölkerung, der sich nicht als links oder mittig, sondern als rechts empfindet. Auf diese Weise hat die Bindekraft der CDU hin zum rechten Rand des politischen Einstellungsspektrums abgenommen. Weil sich die meisten deutschen Parteien, und darunter alle etablierten, aber zwischen der rechten Mitte und dem linken Rand positionieren, hat dadurch auch die Integrationsfähigkeit des deutschen Parteiensystems insgesamt abgenommen. Obendrein greift es zu kurz, diese Thematik nur entlang der links/rechts-Dimension zu bedenken. Im Grunde geht es nämlich darum, dass der – in öffentlicher Meinung und politischer Klasse dominant vertretene – bundesdeutsche Elitenkonsens sich von dem entfernt hat, was breite Schichten „einfacher Bürger“ empfinden und obendrein in recht anderen Begriffen bedenken, als sie im „politisch korrekten“ Diskurs willkommen sind. 

Solcher Verzicht auf „Integration bis nach rechts“ bzw. auf „politische Integration durch Stammtischdeutsch“ war für die CDU eher risikolos, solange es rechts von ihr keine hinsichtlich ihres Programms und Führungspersonal vorzeigbare Partei gab. Tatsächlich war unter solchen Umständen die Stimmvergabe an die CDU für einen politisch rechts eingestellten, doch vernünftig seine Interessen abwägenden Bürger so gut wie alternativlos, falls er denn überhaupt zur Wahl gehen wollte. Doch die Öffnung der Union nach links ohne gleichzeitiges Werben um das rechte, sich oft durchaus politisch inkorrekt artikulierende Segment der Bürgerschaft empörte viele bisherige oder potentielle Wähler der CDU und lockerte deren Parteibindung. Um das frei gewordene Feld zwischen CDU und rechtem Rand des politischen Meinungsspektrums zu besetzen, brauchte sich dann im Grunde nur noch ein Thema aufzutun, das ausreichend zugkräftig für die Neubildung einer nicht-linken Partei war, und mussten sich obendrein Führungspersonen finden, die man nicht mit plausiblen Gründen als Rechtspopulisten oder gar Rechtsradikale ausgrenzen konnte.

Die behauptete Alternativlosigkeit der deutschen Euro-Rettungspolitik lieferte ein solches Thema. Um es herum ließ sich vielerlei nicht-linke Unzufriedenheit mit dem Konsens und der Politik der etablierten Parteien bündeln. Obendrein fanden sich einige Führungspersönlichkeiten, bei denen die bewährten, als „rechtspopulistisch“ stigmatisierenden und als „rechtsradikal“ ausgrenzenden Praktiken nicht so richtig wirkten. Auf diese Weise wurde die AfD, begünstigt obendrein vom Takt rasch einander folgender Wahlen, zu einer erstaunlich schnell erfolgreichen Partei. Im Übrigen zeigen die Wählerstromanalysen, dass zu den Stimmenanteilen der AfD auch viel Unterstützung von früheren Wählern zweifelsfrei demokratischer, ja auch linker Parteien führte. Doch alles in allem liegt, bei einiger politischer Streuung, der tatsächliche Ort der AfD im Parteiensystem rechts von der CDU.

III. Parteitaktische Kalküle hinsichtlich der AfD

Aus Analytikerperspektive ist anzuraten, sinnvolle parteipolitische Spielzüge in Sachsen wie im Bund anhand der folgenden Kalküle zu durchdenken.

1. Aus der Perspektive der CDU

Viele in der CDU möchten keine demokratisch legitimierte Partei rechts neben sich haben. Zur Begründung verweisen sie richtigerweise auf das Beispiel der SPD, deren Machtposition dadurch erheblich gemindert wurde, dass links von ihr zunächst die – inzwischen in die Mitte gerückte – Partei der Grünen entstand, später – dank der Wiedervereinigung – auch noch die heutige Linkspartei. Um die AfD als inzwischen rechts von der CDU befindliche Partei kleinzuhalten oder zurückzudrängen, bieten sich für die CDU zwei Strategien an:

  • Die CDU kann versuchen, die AfD ebenso auszugrenzen wie einst die NPD oder derzeit die Pegida-Bewegung. Das schlösse die Vermeidung gemeinsamer Diskussionsrunden ebenso aus wie parlamentarische Zusammenarbeit. Falls die AfD sich zu einer „NPD light“ entwickeln sollte, wird diese Strategie funktionieren. Sie wird aber der CDU schaden, falls es der AfD gelingt, sich als eine ganz normale Partei aufzustellen, die dann allerdings genau jenes nicht-linke Segment der Bürgerschaft repräsentiert, das sich von den etablierten Parteien nicht ernstgenommen fühlt.
  • Die CDU kann versuchen, ihrerseits wieder jenes Segment der Bürgerschaft zu vertreten, das sie im Zug ihrer „Sozialdemokratisierung“ vernachlässigt, ja vielfach auch verletzt hat. Zu diesem Zweck müsste sie selbst jene Anliegen aufgreifen bzw. jene Themen besetzen, die der AfD Zulauf bescheren. Diese Strategie kann eigentlich gar nicht scheitern. Allerdings würde sie die CDU aufs Neue von links her angreifbar machen und birgt das Risiko, in der politischen Mitte Wähler zu verlieren. Dieses Risiko wäre freilich beherrschbar, wenn die CDU ein glaubwürdiges Vertreten der Anliegen von AfD-Wählern in ein stimmiges Gesamtkonzept einer Politik einfügte, die in patriotischer Grundhaltung auf eine umfassend gerechte Ordnung in Deutschland samt Nachhaltigkeit allenthalben ausginge. Für die Entwicklung eines solchen Konzepts braucht es allerdings analytische Kraft – und für seine Vertretung in Öffentlichkeit und politischer Klasse einigen Führungsmut.

2. Aus der Perspektive der SPD

Die SPD sähe einerseits die AfD gerne wieder verschwinden, ist andererseits aber an einer strukturellen Schwächung der CDU interessiert. Es ist unklar, ob die SPD wirklich nicht erkennt, dass beide Ziele einander widersprechen, oder ob sie besonders raffiniert handelt. Letzteres erwiese sich im Fall der SPD darin, dass sie die Union am wirkungsvollen Bekämpfen der AfD genau dadurch hinderte, dass sie die Übernahme von deren Erfolgsthemen seitens der CDU unterbände.

  • Die CDU wird nämlich, zum Nutzen der SPD, strukturell genau dann geschwächt, wenn sich die AfD als normale Partei rechts von der Union etabliert. Der Union dürften dann nämlich bei den Parlamentswahlen jene Stimmenanteile fehlen, die darüber entscheiden, ob eine Koalition gegen sie Union zustande kommen kann oder nicht. Zwar könnte es vorkommen, dass CDU und AfD gemeinsam eine Regierungsmehrheit aufbrächten. Doch es ließe sich von der SPD – ganz nach bisherigen Mustern – eine solche Koalition in Wahlkämpfen als ein wenig wünschenswertes „Rechtsbündnis“ etikettieren; und anschließend könnte man der CDU mit der Forderung schaden, sie solle ein Regierungsbündnis mit der AfD bereits während des Wahlkampfes ausschließen. Jede Reaktion der CDU hierauf wäre eigenen Interessen und Machtperspektiven abträglich. Denn der Ausschluss einer Koalition mit der AfD zwänge die CDU entweder in die Opposition oder zum Bruch eines Wahlkampfversprechens; das Bekenntnis zur Möglichkeit einer solchen Koalition erlaubte die allgemeine Mobilisierung zum „Kampf gegen rechts“; und das Verweigern einer klaren Aussage ließe sich als „CDU-typische Mischung aus Opportunismus und inhaltlicher Führungsschwäche“ hinstellen.
  • Die AfD würde hingegen genau dadurch in ihrer Existenz bedroht, dass gerade die CDU zentrale Anliegen von AfD-Wähler aufgriffe und auf diese Weise der neuen Partei ihre Mobilisierungsthemen nähme. Solche Neuakzentuierung von CDU-Positionen ließe sich seitens der SPD aber unschwer als „Rechtsruck“ hinstellen, ebenso als – behauptetermaßen illegitimes – „Fischen am rechten Rand“. Tatsächlich könnte der AfD auf diese Weise ein nennenswerter Teil ihrer Wählerschaft entzogen werden, also die AfD wirkungsvoll bekämpft werden – gerade so, wie das die SPD doch als ihren Wunsch ausgibt. Nur müsste für diesen Zweck die SPD zugeben, dass auch AfD-Wähler legitime Anliegen haben und es politisch nicht vorwerfbar ist, diese politisch und parlamentarisch zu vertreten. Das kommt dann freilich der in der SPD weithin geteilten Grundannahme in die Quere, eigentlich seien nur linke – und allenfalls mittige – politische Positionen erträglich und vertretbar.
  • Eine höchst rationale Strategie der SPD würde somit darauf hinauslaufen, die Ziele der AfD zu diskreditieren, der CDU Distanzierung von AfD-nahen Politikinhalten abzuverlangen, eben dergestalt die AfD zu einer dauerhaften Konkurrenz der CDU zu machen, und angesichts fortan zweier demokratisch legitimierter nicht-linker Parteien erst recht zum „Kampf gegen rechts“ zu mobilisieren – in der Hoffnung, dass derlei der SPD und nicht der Linkspartei zugute kommt.

3. Aus der Perspektive der AfD

Die AfD hat Interesse daran, von einer – in manchen Bereichen allzu schnell und wild gewachsenen – Protestpartei zu einer professionellen, seriöse politische Arbeit leistenden Partei zu werden. Das verlangt nicht nur nach Herstellung einer gerade in Konfliktlagen leistungsfähigen Führungsstruktur, sondern auch nach Trennung von Parteimitgliedern, die durch Worte oder Taten den Seriositäts- und Professionalitätsanspruch der AfD diskreditieren. Sondern obendrein muss die AfD, ihrer zu erreichenden bzw. zu sichernden Machtstellung wegen, weiterhin folgendes Wählerpotential anziehen: im Besonderen die von der CDU in den letzten Jahren vernachlässigten Bürger zwischen rechter Mitte und rechtem Rand, im Allgemeinen jene Leute, denen der sozialliberal-grün-liberalkonservative Politikkonsens in politischer Klasse und Öffentlichkeit insgesamt zu links und zu „gutmenschenartig abgehoben“ vorkommt. Dabei muss die AfD sowohl eine Vereinnahmung durch die CDU als auch Versuche seitens der SPD unterlaufen, als rechtspopulistisch, ja rechtsradikal ins politische Abseits gedrängt zu werden. Dafür bietet sich eine Verbindung dreier Strategien an:

  • Gegenüber der CDU muss immer wieder betont werden, dass man vielfach klassische Unionspositionen vertritt, welche die CDU aber aufgegeben hat, um nach links rücken zu können. Dergestalt bietet sich die AfD als Alternative für frühere oder potentielle CDU-Wähler an und lässt die CDU gerade bei Abgrenzungsversuchen blass aussehen.
  • Gegenüber der SPD muss in plausibler Weise gezeigt werden, dass man vielfach traditionell sozialdemokratische, ja überhaupt linke Positionen vertritt. Auf diese Weise unterläuft man Versuche, als rechtsradikal ausgegrenzt zu werden.
  • Gegenüber der – ihrerseits so vielfältigen und spannungsdurchzogenen – eigenen Partei und (möglichen) Wählerschaft muss in nachvollziehbarer Weise zum Ausdruck gebracht werden, dass man sehr wohl vielerlei Unbehagen mit den etablierten Parteien, mit lange Zeit unhinterfragt konsentierter Politik und überhaupt mit der Funktionsweise unserer politischen Institutionen im Mehr-Ebenen-Verbund des europäischen Politiksystems teilt. Doch zugleich muss in einladender Weise vor Augen geführt werden, dass auch gute und nicht ohne weiteres beseitigbare Gründe zu fragwürdigen Zuständen führen können; dass einfaches Denken zwar meist Klarheit schafft, den zu bewältigenden Problemen aber oft nicht gerecht wird; und dass eine Alternative zum Bestehenden sich auf die realen Gegebenheiten erst einmal einlassen muss, wenn man diese wirklich verändern will.

Weil sowohl die tatsächlich verfolgten Gegenstrategien von CDU und SPD noch unklar sind als auch Ungewissheit darüber besteht, welche Wähler die AfD tatsächlich gewinnen oder verlieren kann, falls sie sich entschlossen als „staatstragende Partei rechts von der CDU“ aufstellt, kann der Kurs der AfD in den nächsten Jahren schwerlich ein anderer sein als ein „Lernen aus Versuch und Irrtum“. Ihn zu steuern, verlangt besonders viel an Führungskraft und Führungskunst. Er kann besonders leicht scheitern, wenn in Parlamentsfraktionen und Parteigliederungen keine Einigkeit über jene taktischen Kalküle zu schaffen ist, denen ein solcher Kurs zu folgen hat, wenn er überhaupt einer des Lernens sein soll.

IV. Konkrete Folgerungen für die AfD aus ihrer Rolle als Opposition

Zwar ist die AfD als Partei mit europapolitischer Thematik entstanden und erhielt ihre ersten Mandate im Europaparlament. Doch ihre öffentliche Wahrnehmung wird während der nächsten Jahre sehr stark von ihren Landtagsfraktionen geprägt werden. Durch Bewährung oder Versagen bei der Landtagsarbeit, durch Aufsteigen oder Ausbleiben angesehener Politiker auf Landesebene wird das Schicksal der AfD entschieden werden – zumindest soweit, wie derlei in den Händen der Partei selbst liegt. Das zu setzende Ziel muss für die sächsische AfD jedenfalls sein, nach der laufenden Wahlperiode wieder in den Landtag gewählt zu werden – und zuvor allen anderen Landesverbänden ein gutes Beispiel seriöser AfD-Politik zu geben.

Die Rolle, welche den AfD-Fraktionen in den Landtagen zukommt, ist derzeit überall die der Opposition. Also wird sich die AfD in der Rolle der parlamentarischen Oppositionen entweder zu einer professionellen und respektierten Partei entwickeln – oder genau daran scheitern. Vier Oppositionsaufgaben muss sie möglichst gut zu erfüllen versuchen.

1. Vier Oppositionsaufgaben

a. Die Kontrollfunktion

Hier geht es um parlamentarische und außerparlamentarische Kontrolle der Regierung sowie der sie tragenden Parteien, geleistet durch – vor allem öffentliche – Kritik. Diese Kritik muss jederzeit kenntnisreich, sachlich fundiert, auf nachvollziehbaren Bewertungsmaßstäben beruhend und hinsichtlich von Begriffsgebrauch und Sprachniveau unangreifbar sein. Das setzt Fleiß der Abgeordneten, ein gutes Beraterteam sowie konstruktiv-kritischen Umgang untereinander voraus.

Oppositionelle Regierungskontrolle ist „Aufsicht über fremde Amtsführung“. Sie besteht darin, das Verhalten der Regierung und ihrer Parlamentsmehrheit sowohl an deren eigenen Maßstäben als auch an eigenen Maßstäben zu messen, anhand dieser Maßstäbe Kritik zu üben sowie auf Korrekturen zu drängen. Mitunter wird man, gleichsam als „Bestrafung“ für politisches Fehlverhalten, Rücktritte von Amtsträgern oder deren Entlassung zu verlangen. Derlei Kontrolle wird umso weniger leicht abweisbar sein, auf je präziseren Fach- und Rechtskenntnissen sie beruht und je stimmiger die im Lauf der Zeit vorgebrachten oppositionellen Kritikpunkte ihrerseits zusammenpassen. Im Übrigen entfaltet sich solche Kontrolle in drei Dimensionen:

  • Bei der Richtungskontrolle  geht es um die politische Gesamtlinie der Regierung, die sowohl nach innerer Schlüssigkeit als auch anhand alternativer eigener Vorstellungen beurteilt werden kann. Sie ist umso wirksamer, je plausibler die eigenen Politikvorstellungen der Medienöffentlichkeit und den Bürgern zu vermitteln sind.
  • Leistungskontrolle bezieht sich auf die konkreten Auswirkungen der Regierungstätigkeit. Hier geht es darum, ob die Regierung ihre Ziele wirklich erreicht und ob die von ihr geführte Exekutive in der Praxis so zuverlässig und fehlerfrei arbeitet, wie eine Gesellschaft das von ihren politischen Institutionen erwarten darf. Oppositionelle Leistungskontrolle bezieht sich also auf alles, was am Regierungshandeln objektiv vorwerfbar oder medial skandalisierbar sein mag. Voraussetzung ihrer Wirksamkeit sind Sachkenntnis und Sorgfalt beim oppositionellen Versuch, der Regierung Fehler nachzuweisen.
  • Rechtliche Regierungskontrolle ist einerseits von sehr begrenztem Nutzen, weil sich die Anklage ja auf Rechtsbrüchevon Regierungsmitgliedern beziehen muss, nicht aber damit begründet werden kann, die Regierungspolitik sei inhaltlichfalsch oder einfach anders, als man sie haben möchte. Andererseits gibt es dank der Verfassungsgerichtsbarkeit sehr wohl eine überaus wirksame Form rechtlicher Kontrolle wenn schon nicht der Regierung, so doch der regierungstragenden Parlamentsmehrheit, nämlich das Instrument der abstrakten Normenkontrolle. Mit ihm können Parlamentsfraktionen vom Verfassungsgericht überprüfen lassen, ob ein von der regierungstragenden Mehrheit beschlossenes Gesetz als vereinbar mit den – vom Gericht auszulegenden – höherrangigen Verfassungsnormen gelten kann. In der Praxis kann man hieraus eine Fortsetzung des verlorenen parlamentarischen Kampfes mit anderen, nämlich verfassungsjuri­stischen Mitteln machen. Will man diese Waffe scharf halten, darf man sie aber nicht zu oft einsetzen.

b. Die Alternativfunktion

Gemeint ist damit, dass der Öffentlichkeit und den Wählern Sach‑, Programm- und Personalalternativen zur Regierungspolitik angeboten werden. Überzeugende Alternativen dieser Art sind der einzige Weg zum Status einer respektablen Partei. Dabei darf die Suche oder das Aufzeigen von Alternativen nie etwas Selbstzweckartiges haben, sondern muss stets in plausibler Weise begründet werden. Dazu gehört das Geltendmachen komplexerer Problemerkenntnis und angemessenerer Lösungsvorschläge sowie der Rekurs entweder auf das Gemeinwohl oder auf legitime Gruppeninteressen.

Im Einzelnen ist hinsichtlich der drei Formen von anzubietenden Alternativen auf folgende Bringschulden von Oppositionsparteien hinzuweisen:

  • Sachalternativen zu erarbeiten, verlangt genau jene sorgfältige und fleißige Fraktionsarbeit, die ihrerseits die Grundlage nachhaltig überzeugender Regierungskontrolle ist.
  • Programmalternativen zu erarbeiten, verlangt innerparteiliche Programmarbeit, welche die Einzelpositionen einer Partei zu einem stimmigen Ganzen verbindet, dabei einen plausiblen Ausgleich zwischen den – oft untereinander konkurrierenden – Einzelinteressen der Parteiklientel sowie dem Gemeinwohl leistet und obendrein das Wünschenswerte in den Rahmen des – auch finanziell – Machbaren stellt. An der Fähigkeit zur Erarbeitung überzeugender Programmalternativen erweist sich über bloßes taktisches Geschick hinaus die politische Seriosität einer Partei.
  • Personalalternativen anzubieten verlangt, dass sachkundige, kommunikationsfähige, seriöse, integrierende und durchsetzungsfähige Führungspersönlichkeiten heranwachsen und innerparteiliche Unterstützung finden. Nichts belastet eine Partei mehr als unzulängliche Abgeordnete, die ins Licht der Öffentlichkeit geraten. Ganz zu Recht beurteilt man Parteien nach der Qualität jenes Spitzenpersonals, das sie aufzubieten haben – denn entweder hat eine Partei keine besseren Politiker, oder es kommen diese in ihr nicht hoch. Beides mindert, zu Recht, das in eine Partei zu setzende Vertrauen.

c. Die Thematisierungsfunktion

Es ist Aufgabe der Opposition, der Regierung und den sie tragenden Parteien durch wirkungsvolle Einflussnahme auf die öffentliche Diskussion solche Themen aufzuzwingen, die ansonsten vernachlässigt würden („Initiativfunktion“). Dabei kann es sich um Themen folgender Art handeln:

  • Probleme, welche die Regierung bzw. die regierungstragende Koalition nicht als „wirkliche“ Probleme ansieht – entweder weil bei ihnen noch kein Handlungsdruck entstand, oder weil sie nicht ins Wirklichkeitsbild der Regierung passen. Bei solchen Problemen ist die Opposition gleichsam Sachwalter einer noch schweigenden Mehrheit oder von bislang übergangenen Gruppen.
  • Probleme, für welche die Regierung (noch) keine Lösungsvorschläge vorlegen kann und die sie deshalb lieber meidet.
  • Probleme, zu deren Struktur und Lösungsmöglichkeiten es im Regierungslager keinen Konsens gibt. Dann bieten sie der Opposition gute Möglichkeiten, sowohl der Öffentlichkeit die Zerrissenheit des Regierungslagers vorzuführen als auch dessen Zerstrittenheit zu fördern.
  • Im Übrigen wird jede Oppositionspartei sich um die Thematisierung solcher Fragen bemühen, bei denen sie selbst mit attraktiven Antworten aufwarten kann. Chancen auf Thematisierungserfolg hat die Opposition insbesondere dann, wenn sie an echte – oder als solche öffentlich eingeschätzte – Fehlleistungen der Regierung und der sie tragenden Parteien anknüpfen kann.

Ein vorzügliches Mittel, um solche Thematisierung zu erreichen, sind plebiszitäre und quasi-plebiszitäre Instrumente, etwa Unterschriftensammlungen und Initiativen für Referenden oder Volksgesetzgebungsverfahren. Aus diesem Grund setzen sich in der Regel nur Oppositionsparteien für die Einführung oder leichtere Nutzbarkeit plebiszitärer Instrumente ein, während selbst langjährige Oppositionsparteien das Interesse an ihnen zu verlieren pflegen, sobald sie (mit-) regieren. Wirkungsvolle Erfüllung der Thematisierungsfunktion ist eine vorrangige Aufgabe von Parteien, die vor allem aus Protest gegen etablierte politische Positionen ins Parlament gewählt wurden. Thematisieren sie nicht länger, was ihnen einst Stimmen brachte, so riskieren sie bei der nächsten Wahl das Sinken unter die 5%-Hürde; und thematisieren sie anderes, als einem Großteil der Bürger auf den Nägeln brennt, so droht ihnen das gleiche Schicksal.

c. Die Integrationsfunktion

Indem die Opposition die Regierung öffentlich auf die Weise kontrolliert, dass sie Dinge, die der Regierung unangenehm sind, in öffentliche Diskussionen einbringt und obendrein Sach-, Programm- und Personalalternativen anbietet, erbringt sie eine weitere wichtige Leistung für ein politisches System. Sie kann nämlich auf diese Weise sogar jene Gruppen und Bevölkerungsschichten ins politische System einbinden, welche die jeweilige Regierung ablehnen sowie sich als ganz und gar ausgeschlossen empfänden, wenn sie keinerlei Perspektive hätten, eines Tages auch (wieder) mit ihren eigenen Vorstellungen auf die Politik einwirken zu können. Aus der Warte des politischen Systems ist diese Integrationsfunktion sogar die legitimatorisch wichtigste Aufgabe von systemloyalen Protestparteien.

Damit sich diese Integrationsaufgabe gut erfüllen lässt, muss aber stets außer Zweifel stehen, dass es einer Protestpartei wirklich um Opposition, nicht aber um Extremismus geht. Damit ist Folgendes gemeint:

Opposition sind jene Parteien, die zwar eine Regierung und die sie tragenden Parteien politisch bekämpfen, die aber jenes politische System und seine Spielregeln fraglos unterstützen, in dem nun – in der Oppositionsperspektive: leider – eine andere, nämlich die gegnerische politische Gruppierung an der Macht ist. Opposition in genau diesem Sinn zu haben, macht ein politisches System viel leistungsfähiger, als es ohne die Kontrolleurs- und Antreiberrolle der Opposition wäre. Extremisten sind hingegen solche Parteien und Personen, die innerhalb einer freiheitlichen Ordnung, in der offene Opposition möglich ist, eben diese freiheitliche Ordnung bekämpfen – etwa mit dem Argument, man könne ein System nicht akzeptieren, in dem es zu (aus eigener Sicht) „falscher Politik“ komme. Extremisten muss man um der Freiheit willen ausgrenzen und bekämpfen – Opposition hingegen wertschätzen und mit wirksamen Handlungsmöglichkeiten ausstatten. Gerade für eine Protestpartei folgt daraus: Sie muss um jeden Preis dafür sorgen, dass sich keine Extremisten in ihren Reihen befinden, denn nur dann gibt es keinen plausiblen Grund dafür, sie ihrerseits auszugrenzen und zu bekämpfen.

2. Drei Oppositionsstrategien

Diese vier Funktionen können Oppositionsparteien gemäß sehr verschiedenen Leitgedanken erfüllen.

Zentrale Idee kann sein, eine Regierung hart und immer wieder mit Alternativen zu konfrontieren und sie sowohl heftig als auch umfassend zu kritisieren. Derlei nennt man eine „konfrontative“ oder „konfliktorientierte“ Oppositionsstrategie. Sie eignet sich gut im Verhältnis zu Regierungsparteien, die man entweder wirklich nicht mag oder in der Regel nicht so sehr braucht, dass man es sich mit ihnen besser nicht verderben sollte.

Leitidee einer Oppositionsfraktion kann es aber auch sein, möglichst eng sowie ohne Reibungsverluste durch viel Streit mit der Regierung bzw. den regierungstragenden Fraktionen zusammenzuarbeiten, ja sich gerade informell so gut miteinander zu verstehen, dass Warnungen oder Anregungen der Opposition eine Chance haben, von der Regierungsmehrheit mit Verständnisbereitschaft aufgegriffen zu werden. Das ist eine „kooperative Oppositionsstrategie“. Zu ihr greifen Parteien vor allem dann, wenn sie sich als künftige Koalitionspartner anbieten wollen.

Natürlich kann man auch versuchen, beide Oppositionsstrategien miteinander kombinieren. Dann wird man auf solchen Politikfeldern die Konfrontation suchen, auf denen es entweder ums eigene Profil geht oder auf welchen man den zu gewinnenden Teil der Wählerschaft besonders gut für die eigene Sache mobilisieren kann. Hingegen wird man dort, wo ohnehin keine sonderlichen sachlichen Unterschiede zwischen der eigenen Position und jenen von Regierungsparteien bestehen, auf Kooperation und Vertrauensbildung setzen – einesteils, um dem verbreiteten Bürgerwunsch nach Vermeidung selbstzweckartigen Politikerstreits zu entsprechen, und andernteils, um genau jene wechselseitige Vertrauensbasis zu pflegen, die ihrerseits die Voraussetzung für faire Konfliktaustragung auf anderen Politikfeldern darstellt. Das nennt man dann eine fallbezogene bzw. „issue-orientierte“ Oppositionsstrategie.

Welche dieser Strategien zu befolgen ist, hängt einesteils von den Erwartungen der eigenen Wählerschaft, andernteils von der Art realer Schnittmengen zwischen dem eigenen Politikprofil und jenem der regierungstragenden Parteien ab. Welche Lagebeurteilung für die AfD hinsichtlich des ersten Bedingungsfaktors angemessen sein mag, wurde oben gezeigt. Im Folgenden wird dargestellt, wie es um die Schnittmengen zwischen AfD-Wahlprogramm und dem Koalitionsvertrag von CDU und SPD bestellt ist. Beides im Blick, wird die AfD-Fraktion eine zielführende Oppositionsstrategie entwickeln können.

Teil B: Der Sächsische Koalitionsvertrag von 2014
            im Licht des AfD-Wahlprogramms

Die folgende Analyse geht von der Gliederung des AfD-Wahlprogramms von 2014 aus.[1] Den dortigen Forderungen werden sodann entweder unmittelbar in Kursivsatz bzw. nachstehend die dazu passenden Aussagen des Koalitionsvertrags von 2014 gegenübergestellt.[2] Anschließend wird erörtert, wo es gleiche, anders akzentuierte oder gegenläufige Festlegungen gibt. Am Ende stehen Überlegungen zu inhaltlichen Grundzüge oppositioneller Parlamentsarbeit auf den jeweiligen Politikfeldern.

I. Familie (WP, 3-5)

1. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Zweieinhalb Seiten ihres gut 23 Seiten umfassenden Wahlprogramms widmet die AfD der Familienpolitik. Das zeigt an, dass es sich hier um ein für diese Partei wirklich zentrales Politikfeld handelt. Dabei sind die Ausgangsfeststellungen der AfD die folgenden (WP, 3):

  • Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft, um die herum sich alle anderen Gesellschaftsbereiche entwickeln.
  • Familienpolitische Entscheidungen wirken deshalb in alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens hinein. Also muss eine gestaltende Politik ihr Zentrum in der Familienpolitik haben. Dabei stellt die AfD die Kernfamilie in den Mittelpunkt ihrer Familienpolitik.

Lediglich in einer zusätzlichen Akzentsetzung unterscheidet sich davon der KV, 52: „Wir wollen bessere Rahmenbedingungen für Familien in ihrer Vielfalt schaffen und Familien mit Kindern stärken und fördern. Wir haben die Bedürfnisse von Alleinerziehenden im Blick, denen wir gezielt Rechnung tragen wollen“.

  • In Familien wird Verantwortung füreinander übernommen, werden Werte gestiftet bzw. weitergegeben und findet die Erziehung der Kinder zu selbstbestimmten, verantwortungsbewussten Menschen statt. Familienpolitik hat die Aufgabe, gute Rahmenbedingungen für die Ausübung dieses Rechts, doch auch dieser Pflicht, von Eltern zu schaffen. Staatliche Überwachung der elterlichen Erziehungspflicht muss Eltern bei ihr unterstützen, hat ihnen diese Pflicht aber nicht abzunehmen oder bei deren Erfüllung „unzumutbare“ Vorschriften zu machen.

Im Grunde ähnlich sieht das der KV, 17: „Die Eltern tragen für das gelingende Aufwachsen eine besondere Verantwortung, und die Koalition will sie bei der Umsetzung dieser Verantwortung unterstützen.“ Dabei soll die Rolle des Staates eine wirklich aktive sein: „Wir wollen die Erziehungskompetenz der Eltern stärken und fördern die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Kindertageseinrichtungen bzw. Schulen“ (KV, 17).

Generell wird mehr auf die unterstützende Rolle des Staates geblickt als darauf, dass er die Familien zum eigenständigen Handeln befähigen soll. Typisch ist diesbezüglich KV, 52: „Frühe Hilfen unterstützen werdende Eltern und Familien bei der Erziehung und bei der Gestaltung einer stabilen Eltern-Kind-Bindung. Sie tragen so zum Schutz und zum gesunden Aufwachsen von Säuglingen und Kleinkindern bei. … Die bereits geschaffenen regionalen Netzwerke für Kinderschutz und Frühe Hilfen sowie die präventive Arbeit der Jugendämter sollen evaluiert und weiterentwickelt werden“. Derlei baut der KV, 52, wie folgt weiter aus: „Wir werden die Eltern in ihrer erzieherischen Verantwortung stärken und unterstützen. Wir werden das Netz von Angeboten der Familienbildung und Familienberatung ausbauen“ – auch durch Vernetzung und Aufbau von Datenbanken.

  • Familienpolitik muss vor allem die Familie – und dabei vor allem die Mehrheit der funktionierenden Familien – im  Blick haben und darf nicht über Wirtschafts- oder Gleichstellungspolitik definiert werden. Es muss möglich sein, das Familienmodell frei auszugestalten.

Im Grunde teilt der KV das gleiche Ziel, stellt Familienpolitik aber immer in den größeren Zusammenhang allgemeiner Staatshilfe bei der Lebensführung und hat seinen Fokus weniger auf den „Normalfällen“ als vielmehr auf jenen, bei denen der Staat – zumal in Bildungsfragen – subsidiär einspringen muss. Markant ist hier KV, 52: „Die wichtige Arbeit der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen werden wir durch eine angemessene finanzielle Ausstattung sicherstellen. Insbesondere Familien mit Unterstützungsbedarf sollen motiviert werden, Familienbildungsangebote für sich und ihre Kinder wahrzunehmen“.

Diese Feststellungen vor Augen, vertritt die AfD die folgenden inhaltlichen Positionen:

  • Junge Leute sollen ermutigt werden, Familien zu gründen und Familienbindungen zu pflegen.
  • Ziel der Familienpolitik ist auch, die Geburtenrate zu erhöhen.[3]

Der KV, 52, besagt hierzu: „Wir stehen zu den Angeboten der Schwangerschaftsberatung und werden diese entsprechend der  Bedarfsentwicklung ausbauen. Die Unterstützung von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch wird es auch in Zukunft geben“. Auffällig ist hier die Privatisierung des Kinderwunsches, während die Kindererziehung klar als Staatsaufgabe gesehen wird. Ob also Kinder kommen, hat den Staat nicht wesentlich zu interessieren; sind sie aber da, so ist er für sie zuständig – so könnte man die Hintergrundposition des Koalitionsvertrages zuspitzen.

  • Es braucht eine Schwangerenkonfliktberatung, die sich vor allem dem Lebensschutz verpflichtet fühlt.
  • Es braucht Politik, die den Familien wirtschaftliche Sicherheit und gesellschaftliche Anerkennung gibt, sie unterstützt und ihnen Freiräume zur Entfaltung eröffnet.
  • Familien, die ihrer Pflege- und Erziehungspflicht nicht nachkommen, müssen in besonderem Maße unterstützt werden.
  • Eingetragene homosexuelle Lebenspartnerschaften sind schon gesellschaftliche und verfassungsrechtliche Realität. Eine weitergehende Gleichstellung mit Ehen sowie die Adoption von Kindern durch Homosexuelle werden nicht befürwortet.

Vor diesem Hintergrund fordert die AfD (WP, 3f):

  • Einführung eines Familienwahlrechts dahingehend, dass die Stimme eines Kindes bis zu dessen eigener Wahlberechtigung von den Erziehungsberechtigten abgegeben wird.

Der Leitgedanke des „Familienwahlrechts“ ist die Stärkung der Interessenvertretung von Familien. Der KV, 53, sieht dafür nur die etablierten Instrumente vor: „Es wird ein Beirat für die Belange von Familien eingerichtet. Die sächsischen Familienverbände stellen für die Familien in Sachsen eine starke Interessenvertretung dar. Die Familienverbände und die Landesstiftung ‚Hilfen für Familien, Mutter und Kind‘ werden wir verstärkt unterstützen“.

  • Erweiterung des Ehegattensplittings auf ein Familiensplitting, ohne dabei das Ehegattensplitting als Besteuerung einer Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft anzutasten.

Der Koalitionsvertrag stellt in Aussicht: „Um gerade die Leistungen von Familien gerechter im Steuer- und Abgabensystem anzuerkennen, werden wir uns für eine familienfreundliche Reform des Systems stark machen“ (KV, 109).

  • Tatsächliche Beitragsfreiheit für Kinder in den Sozialversicherungskassen, indem Unterhaltsansprüche von Kindern vom Bruttoeinkommen der Familie abgezogen werden und Sozialversicherungsbeiträge nur auf das entsprechend verminderte Einkommen bezahlt werden müssen.
  • Berücksichtigung der Erziehung von Kindern auf Rentenanwartschaften bzw. in Form von unterschiedlich ausgestaltbaren Boni, insbesondere durch das Modell der Kinder- bzw. Jugendrente.
  • Anrechnung nicht nur von Erwerbsarbeit, sondern auch gemeinschaftsdienlicher Arbeitsleistungen auf die Rentenberechnung, etwa – neben der Kindererziehung – auch von Hausarbeit, Alten- und Krankenpflege, Tätigkeiten auf dem zweiten Arbeitsmarkt, Ausübung von Ehrenämtern.
  • Keine staatliche Bevormundung bei der Wahl der Form der Betreuung von Kindern, etwa durch gesetzliche Regelungen oder finanzielle Lenkungsmittel. Vielmehr muss der Staat Rahmenbedingungen schaffen, die den Eltern unabhängig von arbeitsmarktpolitischen Erwägungen die Freiheit der Wahl bei der Betreuungsform lassen. Eben das sollte den Eltern helfen, die optimale Pflege- und Erziehungsform zu finden. Der Staat hat diese dann gleichwertig und ideologiefrei zu unterstützen.

Im Grunde sagt der KV, 17, nichts anderes: „Wir erkennen die Kindertagespflege als alternatives Angebot für die Betreuung der Kinder zwischen null und drei Jahren an“ – und führen die Informations- und Koordinierungsstelle Kindertagespflege in Sachsen fort. Ferner wird in KV, 18, zugesagt, die Koalitionspartner würden in Zusammenarbeit mit Kommunen und Trägern „die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Eltern-Kind- bzw. Familienzentren anregen“. Motiv: „Damit kann die soziale Unterstützungsstruktur vor Ort für Kinder und Eltern gebündelt und u.a. die Kooperation von Kitas und Einrichtungen der Familienbildung befördert werden“, desgleichen die Integration von Kindern und Eltern mit Migrationshintergrund. Im Abschnitt „Familie“ wird der KV (52) diesbezüglich sehr konkret: „In Kindergärten und in den Schulen sollen mehr Erziehungspartnerschaften entstehen. Wir wollen Verbände und Institutionen unterstützen, die vor Ort Elternkurse durchführen.“

  • Das derzeitige Modell der finanziellen Förderung von Kindern unter drei Jahren (Elterngeld, Betreuungsgeld, Zuschüsse zu den Betriebskosten von Kinderkrippen) zeitigt Steuerungseffekte, die dem verfassungsrechtlichen Auftrag an den Staat zuwiderlaufen, den Eltern freie Wahl der Betreuungsform zu ermöglichen und gleichmäßige Rahmenbedingungen für alle zu schaffen. Um das zu korrigieren, sollten alle diese Gelder in einen Fonds überführt werden, aus dem ein Betreuungshonorar in gleicher Höhe für jedes Kind bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres an die Eltern ausgezahlt wird. Eltern können dieses Geld entweder als Vergütung ihrer eigenen Erziehungsarbeit auffassen oder zum Einkauf von Fremdbetreuung nutzen.

Der Koalitionsvertrag (KV 52f) setzt hier hingegen auf den Ausbau bestehender Leistungen: „In Ergänzung zu den Leistungen des Bundes unterstützt der Freistaat Sachsen durch eigene Maßnahmen wie das Landeserziehungsgeld und die Stiftung ‚Hilfen für Familien, Mutter und Kind auch weiterhin Familien bei der Stabilisierung ihrer wirtschaftlichen Situation. Das sächsische Landeserziehungsgeld soll neuen Erfordernissen angepasst werden. Wir werden mit dem Haushaltsbegleitgesetz zum Doppelhaushalt 2015/2016 die Einkommensprüfung für jene Familien entfallen lassen, die für ihr drittes Kind und für weitere Kinder das Landeserziehungsgeld beantragen“.

  • Die Familiengründung [d.h.: Kinder zu bekommen]  während der Ausbildung (etwa hin zum Fach- oder Hochschulabschluss) muss stärker gefördert werden, weil sie spätere Wiedereinstiegsprogramme vermeidet. Die Entstehung von Familien – und auch Mehrkindfamilien – vor dem vollendeten 35. Lebensjahr der Mutter ist im Übrigen auch medizinisch indiziert. Mögliche Förderinstrumente wären:
    • Wohnraumförderung in Uni-Nähe
    • Rücksicht bei Leistungsfristen zum Zweck der Kindererziehung
    • Kinderbetreuung nahe der Ausbildungsstätte
    • Kinderzuschuss beim Bafög.

Der Koalitionsvertrag strebt ebenfalls „eine bessere Vereinbarkeit von Studium und Familie an“. Zu diesem Zweck sollen familienfreundliche Strukturen an den Hochschulen und Studentenwerken gefördert werden. Auch soll ein Netzwerk für Dual-Career-Angebote aufgebaut werden (KV, 25).

  • Unternehmen sollen motiviert werden, Wiedereingliederungsmöglichkeiten nach Berufspausen wegen familiärer Betreuungsaufgaben zu schaffen. Möglichkeiten wären:
    • Bürokratieabbau
    • Steuererleichterung
    • finanziell Förderung der Arbeitgeber.
  • Unternehmen müssen überhaupt zu einem familienfreundlichen Arbeitsalltag motiviert werden. Sie müssen sich den Familien, nicht die Familien den Unternehmen  anpassen. Entsprechende unternehmerische Möglichkeiten zur familienfreundlichen Gestaltung der Arbeitsplätze sollten in den Vordergrund öffentlichen Bewusstseins gerückt werden. Auch sollten Unternehmen ihre Familienfreundlichkeit stärker als bislang als Möglichkeit im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte auffassen. Mögliche Instrumente wären:
    • Schaffung betriebseigener Kinderbetreuungseinrichtungen
    • gemeinschaftliches Betreiben solcher Einrichtungen durch mehrere Unternehmen.

      Der KV setzt hier anders an: Nicht die Unternehmen sollen aus Eigeninteresse für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sorgen, sondern das ist Staatsaufgabe: … wir werden „das Angebot der Kindertagesstätten bedarfsgerecht gestalten“ und die Qualität von Bildung, Erziehung und Betreuung dort erhöhen (KV, 17).

  • Im öffentlichen Dienst sollten befristete Arbeitsverhältnisse von Eltern auf ein Jahr beschränkt und nach Ablauf des Jahres vorrangig entfristet werden. Überhaupt sollten die einschlägigen gesetzlichen Rahmenbedingungen überarbeitet werden.
  • Eltern sollen beim Schaffen von Wohnraum unterstützt werden – auch, um das Abwandern von Familien aus dem ländlichen Raum zu beenden. Möglichkeiten wären:
    • Wiedereinführung des Baukindergeldes
    • Übernahme von Kreditbürgschaften
    • Kommunale Förderung von Wohneigentum durch langjährige Erbpacht.
  • Aktuelle neurowissenschaftliche Erkenntnisse [zur Erziehung und Betreuung von Kindern] sollten der breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht und in Debatten wesentlich berücksichtigt werden.
  • Mehr Sport für Kinder und Jugendliche – und zwar an jedem Wochentag unter qualifizierter Anleitung. Das muss durch Planstellen sichergestellt werden.
  • Stärkung des Berufsstands der Hebamme, v.a. durch Verbesserung des Systems der Haftpflichtversicherung von Hebammen – und zwar unter Abbau überflüssiger Bürokratie.

Der KV, 52, besagt dazu: „Gemeinsam mit den Kommunen soll eine Finanzierungsgrundlage geschaffen werden, damit die Familienhebamme flächendeckend zum Einsatz kommen können“.

2. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Auch der Koalitionsvertrag hat einen knapp eineinhalbseitigen Abschnitt „Familie“  (KV, 52f). Er behandelt unter einerseits Teile dessen, was das AfD-Wahlprogramm unter „Familie“ abhandelt (nämlich dort, wo es um die Erziehung von Kindern geht), umfast aber andererseits auch weitere, gesonderte Abschnitte, nämlich  „Frühkindliche Bildung“ (KV17f), „Kinder und Jugend“ (KV, 54f) sowie „Seniorinnen und Senioren“ (KV, 56). Im Grunde wird der Themenkomplex „Familie“ im KV nicht ausgehend von der Familie abgehandelt, sondern mit Blick auf unterschiedliche Lebensalter, die je besondere, vom Staat zu schaffende Regelungen bzw. Bedingungen brauchen. Weil die Lebensalter natürlich mit „Familie“ im Zusammenhang stehen, ist das ein gangbarer Weg. Ganz stimmig ist er aber nur dann, wenn die Hauptrolle der Familie – wie tatsächlich im KV – in der wechselseitigen Unterstützung der Generationen gesehen wird, nicht aber – wie im AfD-Wahlprogramm – in der biologischen und kulturellen Reproduktion einer Gesellschaft.

Ausgangsfeststellungen des Koalitionsvertrags sind die folgenden: „Ein wichtiger Grundsatz unserer Politik ist eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft“; und: „Familie ist der Ort, wo dauerhaft und generationenübergreifend Verantwortung und Fürsorge füreinander übernommen werden“ (KV, 52). Das betont viel stärker die sozialstaatliche Entlastungsfunktion der Familie als – wie im AfD-Wahlprogramm – deren Rolle als „natürliche Grundeinheit der Gesellschaft“. Die Schlussfolgerung ist allerdings ziemlich die gleiche: „Wir bekennen uns zum besonderen Schutz von Ehe und Familie“ – und streben passende Verbesserungen an. Zu diesen zählen (soweit nicht, wie oben angemerkt, direkt auf AfD-Forderungen zu beziehen) die folgenden:

  • Es soll die gemeinnützige Familienerholung als präventives Angebot nach § 16 SGB VIII gestärkt und weiterentwickelt werden, nämlich als „Baustein einer nachhaltigen Familienpolitik“ (KV, 52)
  • Man „bekennt sich“ zur Angebotsform der Mehrgenerationenhäuser und hält „diese für einen Weg, um zunehmend Angebote der Familienbildung und andere Leistungen für Familien vor Ort zu bündeln“, wobei man für die weitere Förderung den Bund in der Verantwortung sieht (KV, 53; siehe hierzu auch KV 56 „Seniorinnen und Senioren“).

Im Rahmen des im Koalitionsvertrag anders akzentuierten Familienbildes wird gerade die Kindererziehung dann auch in einen ganz anderen Zusammenhang gestellt: nicht in den der elterlichen Erziehungspflicht, sondern in den der Staatsaufgabe, für ein bestimmtes allgemeines Bildungsniveau zu sorgen. Dennoch wird vieles ähnlich gesehen und gefordert.

Der Leitgedanke ist, „dass jedem Kind in Sachsen beste Chancen für ein gelingendes Aufwachsen gegeben werden sollen, denn jedes Kind ist einzigartig“ (KV, 17). Der Akzent wird allerdings anders gesetzt (KV, 17): „Die individuelle Förderung eines jeden Kindes verlangt besondere gesellschaftliche Aufmerksamkeit“, die eben vom Staat aufzubringen ist. Und weil gilt: „Ein Schlüssel für Chancengleichheit liegt in der frühkindlichen Bildung“ (KV, 17), muss sich um diese eben ein für- und vorsorgend auf Gerechtigkeit ausgehender Staat auch gründlich kümmern, konkret durch den Sächsischen Bildungsplan, welcher die Grundlage der Bildungsarbeit mit Kindern bis zehn Jahren bildet. Ihm liegt „ein demokratisches und ganzheitliches Bildungsverständnis zugrunde“ (KV 17).

Weitere Einzelaussagen, soweit nicht in direktem Bezug zu den oben dargestellten Positionen im AfD-Programm, sind die folgenden:

  • Der Betreuungsschlüssel in Kindergärten und Kinderkrippen soll gesenkt werden, wobei die Kosten vom Staat getragen werden (KV, 17).

Die gleiche Forderung beinhaltet – allerdings im Abschnitt „Bildung – Hochschule – Wissenschaft“ das AfD-Wahlprogramm (WP, 6) und macht dazu im dortigen Punkt II.1.3. konkrete Angaben

  • Die Qualität der Aus-, Fort- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften für die die frühkindliche Bildung (u.a. zur Inklusion) soll entsprechend den gestiegenen Anforderungen weiter ausgebaut werden (KV, 17).[4]
  • In Zusammenarbeit mit den Universitäten soll frühkindliche Bildungsforschung angeregt werden (KV, 17).
  • Auch im frühkindlichen Bildungsbereich soll die UN-Behindertenrechtekonvention vorangebracht werden, nämlich gemeinsam mit den Trägern der Kitas (KV, 18)
  • Weitere Festlegungen im KV, 18, betreffen den Übergang vom Kindergarten in die Schule, die Dokumentation der Entwicklungsfortschritte der Kinder sowie die Verbesserung der sprachlichen Bildung durch frühe Sprachförderung.
  • Die vielfältigen Initiativen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sollen weitergeführt werden (KV, 54), darunter das sächsische Handlungskonzept für den präventiven Kinderschutz. Die entsprechenden, vielfältigen „kommunalen Bestrebungen“ sollen weiter gestärkt werden (KV, 54). Vor allem sollen Fälle von Vernachlässigung des Kindeswohls früh erkannt werden, wofür Initiativen vor Ort unterstützt werden sollen, etwa die Kinderschutzgruppen an sächsischen Kliniken.
  • Weil die Jugend eine eigenständige Lebensphase sei, soll die „eigenständige Jugendpolitik für Sachsen“ weiterentwickelt werden, unter Einbeziehung von Vereinen, Verbänden und Kommunen, auch unter Aufbringung entsprechender Mittel (KV 54f).

3. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Der Abschnitt über die Familie ist im AfD-Wahlprogramm zentral. Nicht nur steht er ganz am Anfang, während er sich im Koalitionsvertrag im Anschluss an „Soziales“ findet und ihm Abschnitte über lebenszyklisch angeordnete Politikfelder folgen. Sondern es ist dieser Abschnitt, anders als manch andere im Wahlprogramm, auch inhaltlich klar durchgearbeitet. Um ihn herum lässt sich ein Großteil einer innenpolitischen Agenda der AfD-Fraktion entwickeln, zumal sich formuliert findet, es sei die Familie „die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft, um die herum sich alle weiteren Gesellschaftsbereiche entwickeln“ (WP, 3).

Das hat einen doppelten Vorteil. Einesteils kann die AfD-Fraktion um ihre familienpolitischen Positionen herum eine in sich stimmige, auf eine reale gesellschaftliche Problemlage bezogene parlamentarische Arbeit samt medialer Präsentation entwickeln. Gelingt ihr das, so hat sie Chancen, bei einem beträchtlichen Teil der Bürger und künftigen Wähler auf Verständnis, Zustimmung und Unterstützung zu treffen. Andernteils kann sie, weil der eigene Zugriff auf die Familienpolitik ein durchaus anderer ist als jener der Koalition, hieraus sowohl konsistente als auch durchhaltbare Kriterien für eine Richtungskontrolle der Regierungspolitik entwickeln. Das Wahlprogramm beinhaltet nämlich einen klaren Maßstab, an dem die AfD das Handeln der Regierung messen kann.

Typisch am familienpolitischen AfD-Profil ist, dass von einer traditionellen, überwiegend auch (immer noch) gelebten „Normalform“ der Familie ausgegangen wird, nämlich von der Kernfamilie.[5] In dieser vollziehen sich – so die teils explizite, teils implizite Argumentation des Wahlprogramms – die biologische sowie die soziokulturelle Reproduktion einer Gesellschaft. Ausdrückliches, wenngleich nicht alleiniges Ziel der Familienpolitik ist die Erhöhung der gegenwärtigen Geburtenrate, gerade auch durch staatlich bereitgestellte Erleichterungen in jenen für die Familiengründung gut geeigneten Lebensjahren, die inzwischen vor allem durch eigene Bildung und Ausbildung geprägten werden. Die Verantwortung für das Gelingen der an die Familiengründung anschließenden Erziehungsprozesse liegt bei den Eltern. Der Staat soll sie dabei zwar dabei unterstützen, dabei aber nicht bevormunden. Außerdem soll er in Berufsalltag, Sozial- und Steuerwesen solche Umstände schaffen, welche die Schaffung und das Leben einer Familie erleichtern. Dabei ist Familienpolitik um der Familie willen zu betreiben, nicht anderer Ziele wegen. Und um politische Druck darauf hin zu entwickeln, soll ein „Familienwahlrecht“ eingeführt werden.[6]

Die wesentlichen Unterschiede des – in vielen Einzelpunkten auf Ähnliches ausgehenden – Koalitionsvertrags zum AfD-Wahlprogramm sind die folgenden:

  • Familien werden nicht als Angelpunkt der Gesellschaft angesehen, sondern als eines von vielen Sozialgebilden, die staatlicher Umsorgung bedürfen, wenngleich als ein besonders wichtiges und deshalb in besonderer Weise zu schützendes.
  • Familie wird obendrein nicht von einer „Normalform“ her gedacht, sondern allgemein als sozialer Ort dauerhafter, generationenübergreifender wechselseitiger Fürsorge und Verantwortung. Sie soll gerade auch dort gestärkt werden, wo Alleinerziehende mit ihren Kindern Familie sind.
  • Die Geburtenzahl zu steigern wird nirgendwo als mögliches Ziel der Familienpolitik sichtbar. Der Staat soll sich diesbezüglich – ganz anders als bei der Kindererziehung – auf eine begleitend-unterstützende Rolle zurücknehmen.[7]
  • Ansonsten wird Familienpolitik im Grunde als Sozialpolitik verstanden. Die soll durch Gründung eines Beirats für die Belange von Familien zwar entsprechend fokussiert werden, doch nicht durch darüber hinausgehende Instrumente (wie etwa ein „Elternwahlrecht“) wuchtvoll auf Familieninteressen ausgerichtet werden.
  • Kindererziehung wird nicht nur als Elternrecht, sondern sehr stark auch als – auf Chancen- und Teilhabegerechtigkeit hinwirkende – staatliche Gestaltungsaufgabe verstanden. Deswegen soll der Staat nicht nur die elterliche Erziehungskompetenz mannigfaltig stärken, sondern sich auf vielfältige Weise um bessere Voraussetzungen und Umstände der gerade auch außerhalb der Familien ablaufenden Erziehungsaufgaben bemühen.
  • Durchaus soll das Steuer- und Abgabensystem familiengerechter gemacht werden, ohne aber irgendwie so etwas wie ein Familiensplitting ins Spiel zu bringen. Überhaupt will der Koalitionsvertrag lieber bestehende Leitgedanken und Strukturen der Familien- und Erziehungsförderung ausbauen als ganz neue Akzente setzen.
  • Der Koalitionsvertrag macht es zur Staatsaufgabe, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen, während die AfD dies zur Unternehmensaufgabe machen will.

Die unterschiedlichen Familienbilder, die hinter beiden politischen Handlungsprogrammen stehen, lassen sich markant einander gegenüberstellen und zur Grundlage eines ins Grundsätzliche gehenden politischen Streits machen. Hier kann die AfD-Landtagsfraktion vorzüglich mittels Sachpolitik die oppositionelle Alternativ- und Thematisierungsfunktion erfüllen. Obendrein können die sehr vielen sehr konkreten Aussagen des AfD-Wahlprogramms eine systematische Leistungskontrolle der familienpolitischen Koalitionsarbeit anleiten. Bei alledem sollte aber nie verdunkelt werden, dass hinsichtlich konkreter Politik die Gemeinsamkeiten bzw. Vereinbarkeiten von Koalitionsvertrag und AfD-Wahlprogramm überwiegen.

II. Bildung – Hochschule – Wissenschaft

0. Grundsätzliches

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Die Grundaussage des AfD-Wahlprogramms lautet: „Familiäre und institutionelle Bildung stehen für uns gleichberechtigt nebeneinander“ (WP, 5). Im Übrigen listet das WP die folgenden Bildungsinhalte ausdrücklich auf (WP, 5):

  • solide Kenntnisse der Muttersprache und deren souveräne Anwendung
  • Grundkenntnisse in Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und Kultur
  • handwerklich-technische Bildung
  • Ausbildung zwischenmenschlicher Beziehungsmöglichkeiten
  • ästhetische Wahrnehmungs-, Gestaltungs- und Urteilsfähigkeit
  • ethische und politische Handlungsfähigkeit .

Ausdrücklich zurückgewiesen wird ein „wirtschaftspragmatischer Bildungsbegriff …, der primär nach der unternehmerischen Verwertbarkeit bestimmter Bildungszustände fragt: keine Bildungsinstitution darf als reiner Zulieferbetrieb für die Industrie umfunktioniert werden“. Allerdings soll jene Bildungsoffensive, zu der aufgerufen wird, „sowohl den Bedürfnissen des Einzelnen als auch denen der Unternehmen“ dienen (WP, 5).

Der Koalitionsvertrag setzt hier, bei recht ähnlichem Ziel, die Akzente ein wenig anders (KV, 11):

  • „Unser Ziel ist eine der Individualität des Kindes entsprechende Bildung.“
  • Zu vermitteln sind in diesem Sinn als „Teile einer ganzheitlichen schulischen Erziehung“:
    • Wissen und Kompetenzen
    • Werte
    • Denk- und Urteilsfähigkeit
    • Eigenverantwortung
    • Selbstreflexion
    • Gemeinschafts- und Konfliktfähigkeit

b. Zentrale Befunde und politische Folgerungen                

Die Auflistung der Bildungsinhalte ist im AfD-Wahlprogramm feinkörniger bei der konkreten Darlegung von „Wissen und Kompetenzen“ (so die zusammenfassende Formulierung des Koalitionsvertrags), der Koalitionsvertrag hingegen feinkörniger bei der Auflistung dessen, was an „zwischenmenschlichen Beziehungsmöglichkeiten“ und an ethischer und politischer Handlungsfähigkeit“ (so die Begriffe aus dem AfD-Wahlprogramm) vermittelt werden soll. Das zeigt unterschiedliche Akzentsetzungen bei im Grunde gleicher Zielrichtung ebenso an wie die Tatsache, dass der Koalitionsvertrag die Bildung vor allem auf die Individualität des Kindes beziehen will, während das AfD-Wahlprogramm sich gegen einen „wirtschaftspragmatischen Bildungsbegriff“ wendet.

Insgesamt kann der bildungspolitische Streit zwischen AfD-Fraktion und Koalition ausgehend vom Rekurs auf im Wesentlichen gemeinsame Zielsetzungen geführt werden, sich also vor allem durch Erfüllung der oppositionellen Thematisierungsfunktion vollziehen.

1. Ministerielle Zuständigkeit

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Der AfD geht es unter diesem Punkt um Folgendes:

  • Verschmelzung von Wissenschafts- und Kultusministerium zu einem Landesbildungsministerium, in dem alle bildungspolitischen Entscheidungen  zusammengeführt und inhaltlich abgestimmt werden (WP, 5).[8]
  • Auch die bildungspolitischen Entscheidungen in der Krippen-, Kindergarten- und Horterziehung gehören in den Zuständigkeitsbereich eines solchen Landesbildungsministeriums und sollen aus dem Sozialministerium herausgelöst werden (WP, 6).
  • Ein solches Ministerium kann auch ein qualifiziertes Innovationsprogramm für die Sanierung und den Neubau von Kindertagesstätten, Schul- und Hochschulgebäuden erarbeiten, das auch regionalen Belangen (zumal des Hochschulstandorts Reichenbach) Rechnung trägt (WP, 6).
  • Ferner kann ein solches Ministerium durch seine Infrastrukturplanung für die Erreichbarkeit von Schulen im ländlichen Raum binnen höchstens einer Stunde sorgen (WP, 6)

Andernteils werden in diesem Programmpunkt konkrete finanzielle Forderungen formuliert:

  • Dem Landesbildungsministerium gegenüber soll sich das Finanzministerium als „Dienstleister“ verhalten, und es soll nicht umgekehrt das Landesbildungsministerium „Erfüllungsgehilfe des Finanzministeriums“ sein (WP, 5).
  • Weil die zu erbringenden pädagogischen Leistungen von Lehrkräften an den verschiedenen Schulformen als gleichwertig anerkannt werden, müssen die Lehrkräfte unabhängig von der Schulform gleichwertig vergütet werden. Es darf auch ein Wechsel zwischen den Schulformen nicht zu einer finanziellen Benachteiligung der Lehrkräfte führen (WP, 6)
  • Die Vergütung sächsischer Pädagogen ist ans obere Drittel der Bundesländer mit den höchsten Tarifen anzupassen, um die Abwanderung von qualifizierten (angehenden) Pädagogen zu verhindern (WP, 6)
  • Es sollen Wege gefunden werden, [in Sachsen] promovierte Hochschulabsolventen zu beschäftigen – damit der Staat „aus der Investition Gewinn zu schöpfen“ vermag (WP, 6). Allerdings wird nur in der Überschrift dieses Punktes II.1.5. gesagt, wie das im Prinzip gehen soll: „Ein auf Entfristung gerichteter Wissenschaftstarifvertrag mit Mindesthonoraren“. Was aber soll das im Einzelnen meinen?

Einen anderen, breiteren Akzent setzt hier der Koalitionsvertrag: „Wir wollen nicht nur, dass viele junge Menschen bei uns studieren, sondern auch, dass sie dauerhaft eine berufliche Perspektive in Sachsen finden“ (KV, 22) – nicht nur an Hochschulen, sondern auch in Wirtschaft und Verwaltung.

  • Die Bildungsfinanzierung soll wie folgt neu ausgerichtet werden: Ausbau staatlich geförderter zinsgünstiger Studiendarlehen zur Wahrung der Chancengerechtigkeit von Studenten; Erhöhung der Bemessungsgrenzen eines existenzsichernden elternunabhängigen BAföG; Verpflichtung sächsischer BAföG-Stellen, binnen dreier Monate nach Antragstellung einen endgültigen Bescheid zu erlassen (WP, 6).

b. Zentrale Befunde und politische Folgerungen       

In der Forderung nach einer Wiederzusammenlegung von Kultus- und Wissenschaftsministerium und in der Errichtung eines „Landesbildungsministeriums“ für sämtliche, auch bislang etwa im Zuständigkeitsbereich des Sozialministeriums befindlichen Bildungsaufgaben unterscheidet sich das AfD-Wahlprogramm tiefgreifend von jahrzehntelangen bundesdeutschen Selbstverständlichkeiten. Also ist nicht verwunderlich, dass sich im Koalitionsvertrag hierzu keinerlei programmatisches Seitenstück findet.

Eine so große institutionelle Innovation, die freilich faktisch eine Rückkehr zu bis hin in die 1970er Jahre bekannten Strukturmustern von Landesregierungen wäre, kann man zwar inhaltlich begründen. Man sollte aber gegenrechnen, wie komplex, schwer steuerbar und einen gigantischen landespolitischen Machtblock bildend ein solches Ministerium wäre, und zu wie großen Schwierigkeiten bei der „Ausbalancierung“ von Koalitionsregierungen es führte. Also ist fraglich, ob die AfD-Fraktion sich gerade hier um die Erfüllung ihrer Alternativfunktion bemühen sollte.

In seiner Frontstellung gegen die Prägewirkung des Finanzministeriums auf die Schulpolitik (bis hin zur Einstellung und Besoldung von Lehrern) setzt das AfD-Wahlprogramm einen deutlichen Kontrapunkt zur bisherigen sächsischen Politik – und zwar dort, wo die – in der Bevölkerung weitgehend Konsens findende – Sparpolitik zu faktischen Fehlern bei der Schul- und Lehrerpolitik führte, die ihrerseits viel Unmut in der Bevölkerung ausgelöst und ohnehin schon zu einem (kleinen) Politikwechsel in der Lehrerpolitik geführt haben.

Man kann die Vor-Ordnung der Bildungspolitik vor der Finanzpolitik wohl weiterhin vertreten, muss aber dann anderweitig Möglichkeiten finden, dennoch an der weithin konsequenten sächsischen Konsolidierungspolitik der Staatsfinanzen festzuhalten. Denn die Bevölkerung will allem Anschein nach sowohl das eine wie das andere und beurteilt Parteien danach, wie glaubwürdig sie eine solche „Politiksynthese“ in Aussicht stellen bzw. praktisch bewältigen.

2. Schulische / gymnasiale Bildung

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Im AfD-Wahlprogramm werden grundsätzlich „bundeseinheitliche Standards“ zumal für die Schulen gefordert, damit das Recht auf freie Wahl des Wohnorts nicht durch Anschlussprobleme von Kindern im Schulsystem eines je anderen Bundeslandes unterlaufen wird (WP, 5). Insbesondere die Prüfungsleistungen sind bundesweit zu vereinheitlichen, um eine bessere Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse zu ermöglichen (WP, 7).

Im KV, 16, wird zugesagt, dass der Weg gemeinsamer Abiturprüfungen mit (bislang fünf) anderen Bundesländern weiter beschritten werden soll – und dass sich Sachsen insgesamt für länderübergreifende Abiturprüfungen in ganz Deutschland einsetzt.

Ansonsten werden folgende Forderungen erhoben:

  • Erhaltung des mehrgliedrigen Schulsystems samt besserer Durchlässigkeit zwischen den Schulformen (WP, 6)

Auch der Koalitionsvertrag – am achtjährigen Gymnasium ausdrücklich festhaltend (KV, 12) – fordert Durchlässigkeit und wechselseitige Anschlussfähigkeit der Bildungswege (KV, 11), zumal zwischen Oberschulen und Gymnasien. Er geht sogar bis zu folgender Absichtsbekundung: „Wir werden dazu den Schulen vor Ort die Möglichkeit eröffnen, eigenverantwortlich von der Bildungsgangsdifferenzierung abzuweichen. Voraussetzung dafür ist ein im Konsens von Schulkonferenz und Schulträger erstelltes pädagogisches Konzept“ (KV, 12).

  • Verbindung der schulischen Ausbildungszeit mit berufsnahen Praktika wie im DDR-Schulsystem, damit Schulabgänger einesteils auch als Praktiker die Schule verlassen und andernteils deren soziale Kompetenz gefördert wird (WP,  6)
  • Verbesserung der Disziplin in den Schulklassen und an den Schulen durch effiziente pädagogische und hausrechtliche Maßnahmen. Ziel ist, lernwillige Schüler vor Störern zu schützen (WP, 6f).

Auch in diesen Zusammenhang lässt sich folgende Aussage des Koalitionsvertrages rücken: „… durch eine gute Berufs- und Studienorientierung schaffen wir auch die besten Voraussetzungen für das Gelingen des Berufs- und Studienlebens junger Menschen und für einen starken sächsischen Wirtschaftsstandort“ (KV, 11).

  • Finanzielle Gleichbehandlung von staatlichen und freien Schulen, mit umfangreicher Gestaltungsfreiheit privater Schulen im Rahmen des Grundgesetzes. Dabei müssen private und kirchliche Schulen gemeinnützig sein, dürfen also keine Gewinnerzielungsabsicht haben (WP, 7).

Auch der Koalitionsvertrag (KV, 16) bekennt sich zu Schulen in freier Trägerschaft, die er als eine Bereicherung des Angebots bezeichnet. Gemäß Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom 15.11.2013 soll das Gesetz für Schulen in freier Trägerschaft verändert werden, und zwar in folgenden Punkten:

  • Personalkostenerstattung, orientiert an einem modifizierten Sollkostenmodell
    • Begrenzung des finanziellen Ausgleichs bei fehlender Schulgelderhebung
    • Rückführung der Wartefrist auf drei Jahre
  • Eigenanteil der freien Träger.
  • Um die Erfüllung des verfassungsmäßigen Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schulen zu überprüfen, müssen die Bildungsagenturen verstärkt von einem kurzfristigen und kontinuierlichen Visitationsrecht Gebrauch machen (WP, 7).
  • Es wird „ein qualitativ gutes Förderschulsystem“ befürwortet, „das der individuellen Förderung des einzelnen Kindes besser gerecht werden kann als ein Unterrichten in der Regelschule“. Dabei sollen Kinder mit erhöhtem Förderbedarf mittels differenzierter Angebote genauso individuell unterstützt werden wie Begabte und Hochbegabte (WP, 7).

In diesen Zusammenhang hinein formuliert der Koalitionsvertrag:

  • „Wir sind uns einig, dass kein Kind in unserer Gesellschaft zurückgelassen werden darf und jeder junge Mensch eine ‚Zweite Chance‘ erhalten soll. Durch eine Verringerung der Anzahl der Schüler ohne Abschluss stärken wir die Zukunftschancen unserer sächsischen Schüler“ (KV, 11).
  • „Die individuelle Förderung eines jeden jungen Menschen steht für uns im Mittelpunkt. Das Bildungsangebot muss so gestaltet sein, dass jedem Schüler ein differenziertes Angebot zur Verfügung steht, welches seinen individuellen Fähigkeiten, Begabungen, Neigungen und Leistungspotenzialen entspricht“ (KV, 11f).
  • Es sollen geeignete Maßnahmen auf den Weg gebracht werden „von der Verstetigung des produktiven Lernens bis hin zur Qualifizierung des für Förderschüler bestmöglichen Abschlusses“ (KV, 12).
  • Kinder mit einer Rechenschwäche werden an den Grundschulen gefördert, die  Lehrkräfte entsprechend fortgebildet (KV, 13).
  • „Die Begabtenförderung werden wir fortführen“ (KV, 12)
  • Speziell zur Inklusion wird festgelegt:
    • So viel gemeinsamer Unterricht an Regelschulen wie möglich, so viel Unterricht an der Förderschule wie nötig! (KV, 12)
    • Die zu vermehrter Inklusion in Regelschulen nötigen Maßnahmen sollen schrittweise, mit Augenmaß und auch mit Blick auf die Empfehlungen entsprechender Expertenkommissionen eingeführt werden. Das alles soll obendrein im Dialog mit Eltern, Lehrkräften und Schulträgern fortentwickelt werden (KV, 13)
    • Am eigenständigen Lehramt „Sonderpädagogik“ wird festgehalten; ansonsten wird es in den nächsten Jahren Fortbildung der Lehrkräfte „zum Umgang mit Behinderung und Verschiedenheit“ geben (KV, 13).
    • Eine grundsätzliche Abschaffung der Förderschule, die sich als Schultyp doch bewährt habe, wird ausgeschlossen (KV, 13).
  • Um Schulstandorte erhalten zu können, soll auf starre Vorgaben von Schul- und Klassengrößen verzichtet werden. Allerdings ist die Klassenstärke auf maximal 25 zu verkleinern. Zweizügige Schulformen sind dort zuzulassen oder wieder zu eröffnen, wo Bedarf besteht (WP, 7)

Ähnliches sieht der Koalitionsvertrag vor:

  • Damit Schüler im ländlichen Raum auch in Zukunft die gleichen Bildungschancen haben wie Schüler in Ballungsgebieten, sollen in den Klassen Abweichungen von den Mindestschülerzahlen zugelassen werden; entsprechende Regeln für Grund- und Oberschulen sollen im Schulgesetz verankert werden (KV, 12)
  • An Grundschulen soll – außerhalb der Mittel- und Oberzentren – die Möglichkeit jahrgangsübergreifenden Unterrichts eingeführt werden. Dafür wird ein entsprechendes Fortbildungsangebot für Lehrkräfte vorgesehen (KV, 12f).
  • Zur Sicherung der Unterrichtsversorgung im ländlichen Raum wird die Zusammenarbeit in Schulverbünden ermöglicht (KV, 13).
  • Für deutsche Orthographie, Grammatik und guten Ausdruck ist ebenso viel Zeit vorzusehen wie für die erste Fremdsprache oder Mathematik; der Literaturunterricht kommt als Extra hinzu (WP, 7).

Der KV, 15, ist da weniger ehrgeizig: „Wir werden dafür sorgen, dass Schüler in der Grundschule die Schreibschrift in Form der Schulausgangsschrift erlernen“.

  • Hinsichtlich des Sexualkundeunterrichts wird gefordert (WP, 7):
    • Sexualkundeunterricht gehört nicht in den Kindergarten, sondern in die Zeit der Pubertät, da er mit der körperlichen und seelischen Entwicklung der Kinder Schritt halten soll.
    • „Lehr- und Lehrbuchinhalte haben sich am Leben von Mehrheiten zu orientieren, nicht an der von Minderheiten“.
  • Zum „Gender Mainstreaming“: „Gesellschaftspolitische Umerziehungsmaßnahmen wie „Gender Mainstreaming“ lehnen wir ebenso ab wie scheinbar geschlechterneutrale Bezeichnungen … Damit wird – ideologisch motiviert – das grammatische Geschlecht mit dem biologischen gleichgestellt“ (WP, 7).

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag widmet der schulischen Bildung einen eigenen und vergleichsweise langen Abschnitt (KV, 11-16), wie das auch dieser erstrangigen Zuständigkeit von Landespolitik entspricht. Insgesamt geht er von folgendem Grundsatz aus: „Alle Kinder haben Anspruch auf erstklassige Schulbildung“, bzw.: „Jedes Kind und jeder junge Mensch soll zu jeder Zeit unabhängig von seiner Herkunft in seiner Entwicklung gefördert werden“ (KV, 11). Im Übrigen erachtet der Koalitionsvertrag das sächsische Bildungssystem jetzt schon als „erfolgreich und verlässlich“.

Zu den Grundsätzen der künftigen Schulpolitik sollen gehören:

  • Es soll Bewährtes beibehalten und mit sinnvollen Neuerungen unter Wahrung von Augenmaß verbunden werden, beides entlang der Maxime: „Wir werden diese Entwicklung eng mit den Eltern und Schülern, mit den Lehrerinnen und Lehrern sowie den Schulträgern abstimmen“ (KV, 11).
  • „Schulen sollen eigenverantwortlich und demokratisch gestaltet werden“ (KV, 11) – was immer das im konkreten Fall dann heißen mag.
    • KV, 14, gibt einen ersten Hinweis: Schulischer Qualität wegen soll die organisatorische und personelle Eigenverantwortung der Schulen weiter gestärkt werden.
    • KLV, 15, gibt einen weiteren Hinweis: Es soll die Entwicklung einer „demokratischen Schulkultur“ gefördert werden durch …
      • Stimmrecht der Schulträger in der Schulkonferenz
      • Anhörungsrecht der Schulen beim Schulträger
      • Weiterentwicklung der „demokratischen Mitwirkungsrechte“ von Eltern, Schülerinnen und Schülern sowie der Lehrkräfte
      • Stärkung der politischen Bildung, auch in Kooperation mit geeigneten Parteien
  • Bei der Förderung von Kindern ist „der Elternwille eine maßgebliche Richtschnur“ (KV, 11).

Im Einzelnen wird in Aussicht gestellt:

  • Novellierung des Schulgesetzes auf der Basis des Koalitionsvertrages, mit Gesetzentwurf im Jahr 2015 (KV, 15).
  • Weitere Teilnahme Sachsens an internationalen Vergleichstests zur Leistungsfähigkeit von Bildungssystemen, desgleichen für Deutschland ländergenaue Durchführung und Auswertung entsprechender Vergleiche (KV, 16).
  • Unterstützung der Schulträger beim Bau, der Sanierung und Ausstattung der Schulen auf hohem Niveau (KV, 11).
  • Erhaltung der Schulen im ländlichen Raum (KV, 11).
  • Schaffung der Voraussetzungen dafür, dass die Schulen weiterhin eigenverantwortlich ein flächendeckendes hochwertiges Angebot an Ganztagsangeboten vorhalten können, wodurch dem Kindern und Jugendlichen der Erwerb von Fähigkeiten und Erfahrungen außerhalb des Unterrichts ermöglicht werden soll (KV, 12).
  • Die als Ergänzung zum Unterricht in der Schule bewährten Schülercamps sollen weiterhin mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds abgesichert werden (KV, 12).
  • Hort und ganztagsschulische Angebote von Grundschulen sollen noch besser aufeinander abgestimmt werden (KV, 12).
  • Schulsozialarbeit ist ein wichtiges Hilfs- und Unterstützungsinstrument an Schulen, das den Schulalltag für alle Beteiligten unterstützt und hilft, Benachteiligungen abzubauen. Deshalb sollen die Träger der Kinder- und Jugendhilfe bei der Einrichtung von Schulsozialarbeit stärker unterstützt werden. Entsprechende Gesetzgebungsarbeit auf Bundesebene soll vorangebracht werden (KV, 12).
  • Die Quote der Schüler ohne Abschluss soll gesenkt werden (KV, 12).
  • Es wird 2015 ein „Lehrerpersonalentwicklungskonzept 2010“ vorgelegt, für welches die genauen Bedarfe ermittelt werden, und das für einen reibungslosen Generationswechsel in den Schulen sorgen soll (KV, 13).
  • Ausscheidende Lehrer werden 1:1 ersetzt; dem Anstieg der Schülerzahl, den deutlich gestiegenen Ausbildungsverpflichtungen der Schulen sowie dem erhöhten Bedarf für die schulische Inklusion wird angemessen Rechnung getragen. Mindestens 6100 neue Lehrerinnen und Lehrer werden in dieser Legislaturperiode unbefristet eingestellt (KV, 13).
  • Das Einstellungsverfahren wird transparenter und zügiger gestaltet (KV, 13).
  • Der Vertretungslehrerpool wird fortgeführt; bewährten Vertretungslehrern wird eine berufliche Perspektive geboten (KV, 13).
  • Zur Lehrerausbildung wird festgelegt (KV 13f, 24):
    • Die Studienkapazitäten für Lehramtsstudien an den sächsischen Hochschulen werden auf dem gegenwärtigen Niveau gehalten.
    • Die Lehrerbildung an den Universitäten Leipzig, Dresden und Chemnitz wird gestärkt.
    • Es wird ein qualitativ hochwertiges Studium gesichert und sein Rang an den Hochschulen gestärkt.
    • Die Lehrerbildung wird schrittweise evaluiert; gleiches gilt für die mit den Universitäten abgeschlossenen Zielvereinbarungen.
    • Am Staatsexamen wird festgehalten.
  • Rund 2000 „Plätze im Vorbereitungsdienst“ (Referendarstellen) werden weiterhin zur Verfügung stehen. Obendrein wird ein Teilzeit-Vorbereitungsdienst erprobt (KV, 13).
  • Es werden weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität des Lehrerberufs in allen Regionen Sachsens ergriffen, einschließlich Erleichterung des Wechsels aus anderen Bundesländern und einer Aufhebung der bisherigen Begrenzung von Teilzeitverträgen auf ein Jahr (KV, 14).
  • Digitale Bildung und Kompetenz zum Umgang mit neuen Medien soll gestärkt werden (KV, 14).
  • Um die Schüler für die MINT-Fächer zu begeistern, soll u.a. die Nutzung außerschulischer Lernorte und die Kooperation der Schulen mit Hochschulen, Unternehmen und Vereinen verbessert werden (KV, 14).
  • Zweisprachiger Unterricht und Austauschprogramme mit anderen Ländern sollen ausgebaut werden (KV 14f).

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Es ist der Koalitionsvertrag mit seinen fünfeinhalb eng bedruckten Seiten zur „Schulischen Bildung“ viel detaillierter als das AfD-Wahlprogramm mit seiner einzigen Seite zu dieser Thematik. Hierin spiegeln sich die Unterschiede langjährig erfahrener Regierungsparteien zu einer ganz neuen Partei, für welche die Bildungspolitik auch gar nicht das Hauptmotiv ihrer Gründung abgab und somit auch nicht Mitglieder mit gerade hierauf gerichteten Kompetenzen anzog. Im Grunde ist das AfD-Wahlprogramm auf diesem Politikfeld viel eher eine Widerspiegelung bildungspolitischer Allgemeinüberlegungen und grundsätzlicher Präferenzen als das Resultat einer konzeptuellen Durchdringung des zu bestellenden Politikfeldes. Das unterscheidet diesen Abschnitt stark etwa von jenem zur Familienpolitik. Markant fehlen etwa im AfD-Wahlprogramm Aussagen zur „eigenverantwortlichen und demokratischen Ausgestaltung“ von Schulen, die dem Koalitionsvertrag sehr wichtig ist, sowie zu vielerlei praktischen Instandhaltungs- bzw. Verbesserungsmöglichkeiten des sächsischen Schulsystems.

Insofern kann – und sollte – im Bereich der Bildung eher der Koalitionsvertrag als „Aufgabenliste nacheilender Arbeit der AfD-Fraktion“ denn das AfD-Wahlprogramm als Richtschnur oppositioneller Richtungs- und Leistungskontrolle dienen.

Dazu kann insbesondere motivieren, dass wichtige Ziele von AfD-Wahlprogramm und Koalitionsvertrag ziemlich die gleichen sind. Das betrifft die Wünsche nach vorzüglicher schulischer Bildung; nach einer Beibehaltung des gegliederten Schulsystems bei besserer wechselseitiger Durchlässigkeit; nach einer finanziellen Gleichbehandlung von staatlichen und freien Schulen; nach die Erhaltung bürgernaher Schulstandorte durch die Möglichkeit kleinerer Klassen, zweizügiger Schulformen oder klassenübergreifenden Unterrichts; sowie nach mehr bundeseinheitlichen Standards bei schulischen Abschlussprüfungen.

Dissens im Konsens wird sichtbar beim Verlangen nach umfangreicher und individueller Förderung von Schülern. Das AfD-Wahlprogramm setzt hier klar auf Förderschulen, während der Koalitionsvertrag – neben vielerlei Einzelmaßnahmen – gerade die Inklusion von zu fördernden Schülern in Regelschulklassen als Ziel setzt und ansonsten auf mancherlei (dilatorische) Kompromisslösungen baut.

Besondere Akzente bringt das AfD-Wahlprogramm beim Verlangen nach einer Verbindung von schulischer Ausbildung mit berufsnahen Praktika; nach ausdrücklicher (und nicht nur, wie im Koalitionsvertrag, impliziter) Verbesserung der Disziplin an den Schulen, und zwar sowohl seitens der Schüler als auch – zu gewährleisten durch ein verbessertes Visitationsrecht der Bildungsagenturen – seitens der Lehrerschaft; nach Verbesserung des Deutschunterrichts in Sachen Rechtschreibung, Grammatik und guter Ausdruck; sowie nach Ausrichtung von Sexualkundeunterricht und sprachlichen Genderisierungsbemühungen an Mehrheitsüberzeugungen in der Bevölkerung.

Diese besonderen Akzente, ihrerseits Kristallisationspunkte der sachpolitischen Thematisierungs- und Alternativaufgabe von Opposition, lassen sich unschwer – und gewiss mit beträchtlichem öffentlichen Rückhalt – in eine Richtungs- und Leistungskontrolle sächsischer Schulpolitik einbringen. Diese dürfte auch deshalb wirksam sein, weil sie doch von vielen gemeinsamen Überzeugungen und Zielen zwischen Staatsregierung und AfD-Opposition getragen wird. Allerdings wird unverzichtbar sein, dass die für Bildungsfragen zuständigen Fachpolitiker der AfD-Fraktion sich rasch auf den Wissens- und Erfahrungsstand ihrer Gegenüber von den regierungstragenden Fraktionen bringen. Andernfalls droht das Risiko nur gut gemeinter, doch nicht ebenso gut fundierter Politikvorschläge, die ihrerseits ansehensschädigend auf die AfD zurückfallen dürften.

3. Hochschulbildung / Wissenschaft

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Das AfD-Wahlprogramm widmet der Hochschulbindung und Wissenschaft eine knappe Seite. Im Wesentlichen steht dort:

  • Hochschulen sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu erhalten; ihre Autonomie ist zu erweitern (WP, 7).

Der Koalitionsvertrag (KV, 23) will den Hochschulen mehr Freiräume bei der Gestaltung ihrer Grundordnung einräumen und auf eine ausgewogene Kompetenzverteilung zwischen den Organen achten. Partizipation und Mitbestimmung – auch der Studierenden – sollen dafür wichtige Prinzipien sein (KV, 23).

  • Das Bologna-Modell soll rückabgewickelt werden, denn Universitäten sollen Stätten freier Lehre und keine „Fachhochschulen erster Klasse“ sein. Deshalb sind Fehlentwicklungen bei den BA- und MA-Studiengängen zu korrigieren sowie die bewährten Magister- und Diplomstudiengänge wieder einzuführen. Generell sind verschulte, eng reglementierte Studiengänge zu ersetzen durch „hochwertige, die einem wissenschaftlichen Anspruch genügen und Raum für Eigenverantwortung lassen“ (WP, 7).

Der Koalitionsvertrag (KV, 22) sieht das in viel breiterer, teils auch anderer  Perspektive:

  • Die Hochschulen sollen „ihr Studienangebot qualitativ und quantitativ überprüfen und effizient strukturieren“, was im fortzuschreibenden „Sächsischen Hochschulentwicklungsplan“ im Dialog mit den Hochschulen bis zum Jahr 2025 zu Ergebnissen zu bringen ist.
  • Das aufzulegende „Programm für Gute Lehre“ soll die Hochschulen weiter in der Umsetzung der Bologna-Ziele unterstützen (KV, 24).
  • Die „neuen Studiengänge“ sollen gerade nicht abgeschafft werden, sondern es soll – über Zielvereinbarungen – die Zahl der Masterstudienplätze erhöht werden. Die Steuerungsprozesse sollen evaluiert, der Zielvereinbarungsprozess soll optimiert werden (KV, 23).
  • Die Hochschulen sollen beim Aufbau und der Evaluation von Qualitätssicherungssystemen unterstützt werden (KV, 24).
  • Die Akkreditierungsagenturen sind ersatzlos abzuschaffen (WP, 7).

Der Koalitionsvertrag sagt ganz im Gegenteil: „Wir legen Wert auf eine zeitnahe Akkreditierung eines Studiengangs nach Aufnahme des Lehrbetriebs“ (KV, 24).

  • Ein Promotionsrecht für Fachhochschulen soll es nicht geben (WP, 7).

Der Koalitionsvertrag stellt das auch nicht in Aussicht, will aber durch den Aufbau von Kooperationsplattformen die Möglichkeit kooperativer Promotionen verbessern, nicht zuletzt zur Nachwuchsgewinnung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (KV, 25).

  • Inflationäres Betreuen von Doktoranden, begünstigt durch Mittelvergabe, ist abzulehnen (WP, 8)

Anders geht der Koalitionsvertrag – neben anderem – auch diese Sache an: Um den Status der Promovierenden zu verbessern, soll eine verbindliche Datenbank („Doktorandenliste“) als Mindeststandard eingeführt werden (KV, 25).

  • Plagiate müssen besser unterbunden werden – durch bessere Zusammenarbeit  zwischen Student und Professor sowie durch disziplinarische Maßnahmen gegenüber pflichtvergessenen Hochschullehrern. Es soll auch keine Verjährungsfrist für Plagiate geben (WP, 8).
  • Bei Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen sollen Hochschulabschlussprüfungen vor Ablauf der in den Prüfungsordnungen festgelegten Prüfungsfristen abgelegt werden können. Auch soll wieder der „Freiversuch“ für Prüfungen vor dem regulären Prüfungstermin eingeführt werden (WP, 8).
  • Juniorprofessuren sind wieder abzuschaffen; die klassische Habilitation ist zu fördern (WP, 7).

Der Koalitionsvertrag will, ganz im Gegenteil, im Hochschulrecht eine mit verlässlich ausgestaltetem Tenure-Track aufgewertete Juniorprofessur verankern, um verlässliche Karriereperspektiven in der Wissenschaft zu eröffnen (KV, 25).

  • Hochschulen und Universitäten sollen ideologiefrei sein. „Deshalb ist die Förderung der sogenannten Gender Studies sofort einzustellen“ (WP, 8).[9]
  • Exzellenzinitiativen sind nicht über staatliche Mittel zu finanzieren. Überhaupt ist das „Leuchtturmprinzip“ auch in der Forschung zugunsten einer stetigen und „vernunftorientierten“ Förderung von Standorten und Studiengängen zurückzufahren (WP, 8).
  • Pharmazie, Romanistik oder Theaterwissenschaften in Leipzig sollen erhalten bleiben (WP, 8).
  • Meister ohne Abitur oder Techniker und Absolventen von Fachschulbildungsgängen sollen nur studieren dürfen, wenn die Aufnahmeprüfungen mindestens Abiturniveau haben (WP, 8).
  • Mittelfristig ist die Berufsakademie Sachsen in eine duale Hochschule umzuwandeln (WP, 8).

Weitgehend Gleiches sagt der Koalitionsvertrag: die Berufsakademie gehört zur sächsischen Bildungslandschaft; das „duale Studium“ soll als Alleinstellungsmerkmal gefestigt werden (KV, 24)

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag widmet „Hochschule und Wissenschaft ebenfalls einen eigenen, im Vergleich zum AfD-Wahlprogramm viel längeren Abschnitt (KV, 22-25). Er nennt Hochschulbildung, Wissenschaft und Forschung „von herausragender Bedeutung für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung“ (KV, 22). Hochschulen sollen sein „Orte geistiger Begegnung, kritische Impulsgeber für unser Land und Anziehungsmagnet für motivierte Menschen“. Über sie soll Chancengleichheit hergestellt und internationale Wettbewerbsfähigkeit ausgebaut werden. Von einem vielfältigen, breit aufgestellten und erfolgreichen Hochschulsystem ausgehend, sollen die folgenden Dinge angegangen werden:

  • Weitere Verbesserung der Qualität in Forschung und Lehre (KV, 22).
  • Gewährleistung des dazu nötigen Ausstattungsniveaus auch durch zur Verfügung stehende Bundesmittel (KV, 22).
  • Entwicklung der Studierendenzahlen bis 2015 zu einer (oberen) Zielgröße von 95.000 Studierenden (einschließlich Humanmedizin) (KV, 22).
  • Verzicht auf den geplanten Stellenabbau von 754 Stellen ab 2017, falls es bis Ende 2016 zwischen Hochschulen und Freistaat zu einer entsprechenden Fortschreibung des „Sächsischen Hochschulentwicklungsplans“ kommt (KV, 22f).
  • Fortschreibung des „Sächsischen Hochschulentwicklungsplans“ mit den Zielen,
    • Studienangebot und Forschungsfelder innerhalb der Wissenschaftsregionen noch besser zu verzahnen und landesweit aufeinander zu beziehen (KV, 22).
    • Schwerpunktsetzung für jeden Hochschulstandort, wobei auch der gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedarf an bestdimmten Studiengängen sowie die Anforderung an die Sicherung der Exzellenz der Hochschulen berücksichtigt werden soll (KV, 22).
    • Angestrebt werden ein breites Fächerspektrum von den Geisteswissenschaften bis zu den MINT-Fächern sowie ein überregionales Konzept für die „Kleinen Fächer“ (KV, 23).
    • Unterstützung der Hochschulen bei länderübergreifenden Kooperationen.
  • Abschluss von Zielvereinbarungen mit den Hochschulen zur Umsetzung all dessen (KV, 22)
  • Verbesserung der Hochschullehre durch ….
    • eine transparente, systematisierte und koordinierte Berufs- und Studienorientierung, auch um die Quote der Studienabbrüche zu reduzieren (KV, 24);
    • Auflegung eines „Programms für Gute Lehre“ (KV, 24);
    • Stärkung der Arbeit des Hochschuldidaktischen Zentrums, damit neue Lehr- und Lernformen etabliert und didaktische Weiterbildungsmöglichkeiten ausgebaut werden können (KV, 24).
  • Unterstützung des Erhalts der Programmkostenpauschale für die Forschungsprogramme der DFG (KV, 23).
  • Sicherung einer „verlässlichen Perspektive“ für Hochschulbauten und Investitionen in Großgeräte (KV, 23).
  • Bekenntnis zu den beiden Standorten der Hochschulmedizin und Zusage von Bemühungen, beim Bund einen Systemzuschlag für Universitätsklinika einzuführen (KV, 23).
  • Studentische Interessen wie das Semesterticket oder ihre hochschulpolitischen, sozialen, kulturellen und sportlichen Belange sollen gesichert werden (KV, 23).
  • Die Gleichstellungsbeauftragten sollen gestärkt werden (KV, 23). Ferner sollen Maßnahmen  ergriffen werden, damit Frauen auf allen Ebenen – vor allem aber in Führungspositionen – im Wissenschaftssystem besser repräsentiert sind. Zu diesen Maßnahmen gehört die Festsetzung von Zielquoten über ein Kaskadenmodell. Zur Unterstützung der Hochschulen bei alledem soll die Koordinierungsstelle zur Förderung der Chancengleichheit an sächsischen Hochschulen gestärkt werden (KV, 25).
  • Durch mehrerlei Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass Studierende und Mitarbeiter mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen an Lehre und Forschung ebenso wie Menschen ohne derlei Einschränkungen teilnehmen können.
  • Ein weiterhin gebührenfreies Studium wird zugesagt (KV, 23)
  • Es sollen mehr Bundesmittel ins sächsische Wissenschaftssystem geleitet werden können (KV, 24):
    • Beseitigung des „Kooperationsverbots“.
    • Novellierung des BAföG (u.a. zur Schließung der Förderungslücke zwischen BA- und MA-Studium, Ermöglichung der Förderfähigkeit von Teilzeitstudium).
  • Es sollen die frei werdenden BAföG-Mittel auch künftig im Verhältnis Studierenden- und Schüler-BAföG im Haushalt veranschlagt werden (KV, 24).
  • Etwaige Landesstipendien werden besser auf das BAföG abgestimmt, um Anrechnungen zu vermeiden (KV, 24).
  • Die Landesgraduiertenförderung soll eine stärkere Rolle bekommen (KV, 25).
  • Studentenwerke als Rückgrat der sozialen Infrastruktur an den Hochschulstandorten sollen durch Investitionen und Planungssicherheit gebende mehrjährige Vereinbarungen gestärkt werden (KV, 24).
  • Es soll transparente Berufungsverfahren geben (KV, 23).
  • Es sollen – im Dialog mit den Hochschulen – verbindliche Mindeststandards füpr befristete Arbeitsverhältnisse festgelegt werden, auch durch Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes des Bundes (KV, 25).
  • Gemeinsam mit den Hochschulen wird ein Konzept zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses erarbeitet (KV, 25).

Im Übrigen umfasst der Koalitionsvertrag auch noch einen Abschnitt über „Innovation, Forschung und Technologieförderung“ (KV, 26-28), in dem sich einiges hochschulpolitisch Einschlägige findet, das ohne Entsprechung im AfD-Wahlprogramm ist.

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Zunächst einmal gilt hier das Gleiche wie für den Abschnitt über schulische und gymnasiale Bildung: Es ist der Koalitionsvertrag viel detaillierter als das AfD-Wahlprogramm, worin sich erneut die Unterschiede zwischen langjährig erfahrenen Regierungsparteien und einer neuen Partei spiegeln, für welche das hier durchzugehende Politikfeld kein wesentliches Motiv ihrer Gründung war und somit auch nicht Neumitglieder mit gerade hierauf gerichteten Kompetenzen anzog. Auch bei Hochschul- und Wissenschaftspolitik ist das AfD-Wahlprogramm eher eine Widerspiegelung von Allgemeinüberlegungen und grundsätzlichen Präferenzen als das Resultat einer empirischen und konzeptuellen Durchdringung des hier einschlägigen Politikfeldes.

Insofern kann auch hier eher der Koalitionsvertrag als „Aufgabenliste nacheilender Arbeit der AfD-Fraktion“ denn das AfD-Wahlprogramm als Richtschnur oppositioneller Richtungs- und Leistungskontrolle dienen.

Gewiss gibt es auch hier einige Übereinstimmungen. Sie betreffen das übergeordnete Ziel, wirklich gute und wettbewerbsfähige Hochschulen zu haben, konkret aber im Grunde aber nur die Erweiterung der Autonomie der Hochschulen sowie die Sicherung der Qualität von Promotionen. Schon dabei unterscheiden sich die übergreifenden Zielsetzungen sowie die in Aussicht genommenen Mittel. Desgleichen gibt es zwar Einigkeit in der grundsätzlichen Aufwertung der Berufsakademie Sachsen, nicht aber in den dahin führenden Wegen.

Besondere Akzente setzt das AfD-Wahlprogramm an folgenden Stellen: Exzellenzinitiativen sind nicht über staatliche Mittel zu finanzieren; die finanzielle Förderung von Gender Studies ist einzustellen; das Prüfungssystem soll studentenfreundlicher gemacht, das Plagiatsunwesen wirkungsvoller bekämpft werden. Obendrein sollen Meister ohne Abitur und Absolventen von Fachschulbildungsstätten nur dann studieren dürfen, wenn die entsprechenden Aufnahmeprüfungen mindestens Abiturniveau haben. Die ersten beiden Forderungen stoßen bekanntlich auf einer gesonderten Erwähnung im Koalitionsvertrag gar nicht für nötig befundenen Widerstand der Koalitionspartner, während sich über die letzteren gewiss zwischen Opposition und Mehrheit diskutieren lässt.

Klare Gegensätze zwischen AfD-Wahlprogramm und Koalitionsvertrag gibt es gerade im Zentralbereich der Hochschulpolitik. Das AfD-Wahlprogramm hält das Bologna-Modell für gescheitert und will es zugunsten der früheren Magister- und Diplomstudiengänge rückabwickeln, während der Koalitionsvertrag es durch eine Reihe von Einzelmaßnahmen verbessern will. Und das AfD-Wahlprogramm will die Juniorprofessuren abschaffen, der Koalitionsvertrag sie hingegen mit einem verlässlich ausgestalteten Tenure Track aufwerten.

Im Übrigen fällt auf, wie viel an konkreter Hochschul- und Wissenschaftspolitik vom AfD-Wahlprogramm überhaupt nicht berücksichtigt wird, nämlich all jene Dinge, die der Koalitionsvertrag ausführlich auflistet.

Im Grunde liegt dem hochschul- und wissenschaftspolitischem Teil des AfD-Wahlprogramms vor allem Unzufriedenheit mit derzeitigen Zu- oder (wahrgenommenen) Missständen unseres Hochschulwesens zugrunde, nicht aber ein klarer konzeptueller bzw. programmatischer Ansatz, wie das etwa in den viel besser gelungenen Abschnitten der Familien– und Integrationspolitik der Fall ist. Also eignet sich dieser Teil des Wahlprogramms durchaus noch nicht für eine Richtungs- und Leistungskontrolle der Regierungstätigkeit, mit der die AfD-Opposition punkten könnte. Also ist hier von den zuständigen Fachpolitikern der AfD noch besonders viel auf- und nachzuarbeiten, zumal dann, wenn der Ehrgeiz sich auch noch auf die Erfüllung der oppositionellen Alternativfunktion erstrecken sollte.

4. Berufliche Bildung und Weiterbildung

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Die grundsätzliche Position der AfD lässt sich so zusammenfassen: „Die duale Ausbildung in Unternehmen und staatlichen Berufsschulen ist ein deutsches Erfolgsmodell“. Es soll nicht gefährdet werden durch das Streben nach immer höheren Abiturienten- und Akademikerquoten. Auch soll der Nachwuchs in den Ausbildungsberufen nicht verringert werden durch unzureichende Kenntnisse bei Haupt- und Realschulabsolventen (WP, 8).

Der Koalitionsvertrag sagt dazu:

  • „Jeder Jugendliche in Sachsen soll die Chance haben, eine qualitativ gute Ausbildung in einem anerkannten Beruf zu erhalten.“ Deshalb werden geeignete Maßnahmen ergreifen, damit immer mehr junge Menschen die Schule mit einem qualifizierten Abschluss verlassen können (KV, 15). Im Einzelnen meint das:
    • Verbesserung der individuellen Förderung und des Übergangsmanagements Schule-Ausbildung-Beruf;
    •  qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Berufsberatung;
    • früherer Beginn der Berufs- und Studienorientierung sowohl an den Gymnasien als auch an den Oberschulen, samt Erhöhung von deren Qualität und der Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern.
  • Wir werden „die schulische Berufsausbildung noch stärker auf die sich wandelnden Erfordernisse der Arbeitswelt ausrichten, um den Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften für die sächsische Wirtschaft zu decken und Sachsens internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken“ (KV, 11).
  • „Wir setzen uns für die Sicherung der Qualität der beruflichen Bildung ein und entwickeln die vorhandenen Angebote den Anforderungen der Arbeitswelt entsprechend weiter“. Zu diesem Zweck wird in Aussicht gestellt (KV 15):
    • ausreichende Zahl qualifizierter Lehrkräfte an Berufsbildenden Schulen (zu welchem Ziel „auch neue Wege“ gegangen werden sollen);
    • Qualifikation der Lehrkräfte auch für eine Ausbildung „von Jugendlichen mit Behinderungen“;
    • Die Schulnetzplanung im berufsbildenden Bereich wird vom SMK in Abstimmung mit den Schulträgern und den Partnern der dualen Ausbildung konzipiert.
  • „Den Fachkräftebedarf wollen wir durch die Stärkung der dualen Ausbildung und eine verbesserte Anpassung des Schulunterrichts an die Bedürfnisse des Handwerks sicherstellen“ (KV, 36).

Vor dem Hintergrund ihrer grundsätzlichen Position fordert die AfD:

  • Haupt- und Realschulen müssen als tragende Säulen der beruflichen Bildung gestärkt werden (WP, 8).
  • Berufsschulzentren sollen zu eigenverantwortlichen regionalen Kompetenzzentren ausgebaut werden (WP, 8).

Gleiches sagt der KV, 15: „Die Berufsschulzentren werden wir zu eigenverantwortlichen Kompetenzzentren weiterentwickeln“

  • Die „Rotstiftpolitik bei den Fachschulen“ ist zu beenden, damit Fachschulinteressenten nicht in andere Bundesländer abwandern, woraufhin sie oft nicht mehr nach Sachsen zurückkehren (WP, 8).
  • An den bewährten Lehrplänen der Fachschulen, insbesondere der Erzieherausbildung, soll festgehalten werden (WP, 8).
  • Volkshochschulen sollen erhalten und ausgebaut werden, weil sie ein vielfältiges und hochwertiges Bildungsangebot für lebenslanges Lernen aller Bürger zu sozialverträglichen Konditionen anbieten (WP, 8).
  • Die Landeszentrale für politische Bildung soll abgeschafft werden, wie ihre politisch neutralen Aufgaben von Volkshochschulen, die sonstigen Aufgaben von parteinahen Stiftungen übernommen werden können. Das eingesparte Geld wird den Volkshochschulen zugeführt (WP, 8).

Der KV, 15, sieht hingegen „die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung als einen wichtigen Akteur zur überparteilichen politischen Bildungsarbeit an“.

b. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

„Berufliche Bildung und Weiterbildung“ sind ein halbseitiger Abschnitt im Wahlprogramm der AfD, der wie ein „Kübel für auch noch bildungsmäßig Einschlägiges“ wirkt und auf den alle jene Einschätzungen zutreffen, die oben zum Ausarbeitungsstand der bildungs- und wissenschaftspolitischen AfD-Positionen getroffen wurden.

Sehr klar wird allerdings die besondere Wertschätzung der dualen beruflichen Ausbildung und die Kritik daran, den – ohnehin schon durch den demographischen Wandel bewirkten – Mangel an Auszubildenden und Facharbeitern durch weiteres Streben nach immer höheren Abiturienten- und Akademikerquoten zu verstärken. Im Hintergrund wird – ausformuliert bei den grundsätzlichen Aussagen – ein Unterschied gemacht zwischen einer – abgelehnten – „wirtschaftspragmatischen“ Bildung als „Zulieferbetrieb der Industrie“ und einer – geforderten – integrierten praktisch-beruflichen und allgemeinen, ästhetischen, ethischen und politischen Bildung.

Eine Verbesserung der beruflichen Bildung strebt auch der Koalitionsvertrag an, und zwar einesteils durch mannigfaltige Verbesserungen im Bereich der berufsbildenden Schulen, andernteils durch verbesserte Anpassung des Schulunterrichts an die Erfordernisse der Arbeitswelt. Dabei bleibt allerdings offen, ob derlei durch Erhöhung der Abiturientenquoten oder durch Erhöhung der Absolventen des dualen Bildungssystems gelingen soll. Das AfD-Wahlprogramm hingegen streicht hier heraus, dass die Haupt- und Realschulen, also die Oberschulen, „als tragende Säulen der beruflichen Bildung“ gestärkt werden müssten, desgleichen die Fachschulen. Einig sind sich AfD-Wahlprogramm und Koalitionsvertrag hingegen darin, dass die Berufsschulzentren ausgebaut werden müssten.

Einen klaren Gegensatz gibt es hinsichtlich der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung: Der Koalitionsvertrag will sie als „wichtigen Akteur zur überparteilichen politischen Bildungsarbeit“ beibehalten, das AfD-Wahlprogramm hingegen abschaffen, da ihre politischen Aufgaben von den parteinahen Stiftungen, ihre politisch neutralen Aufgaben hingegen von den – ohnehin weiter zu stärkenden – Volkshochschulen übernommen werden könnten.

Bei dieser Forderung zeigt sich, wie wenig die Autoren des AfD-Wahlprogramms die Aufgaben und strukturellen Notwendigkeiten überparteilicher Bildung durchdrungen haben, obwohl sie unter den im Wahlprogramm aufgelisteten Bildungsinhalten ausdrücklich die „ethische und politische Handlungsfähigkeit“ anführen. Die aber besteht in wesentlich mehr als in verbesserten parteipolitischen oder „politisch neutralen“ anderweitigen Fähigkeiten. Insofern ist diese Passage ein weiterer Hinweis auf seitens der AfD-Fraktion noch zu leistende inhaltliche und konzeptuelle Arbeit.

Gleiches lässt sich sagen von der – in großer Gemeinsamkeit mit dem Koalitionsvertrag erfolgenden – Betonung der Wichtigkeit beruflicher Bildung. Es ließe sich nämlich von der Analyse des künftigen Fachkräftebedarfs auf unterschiedlichen Bildungsebenen – gerade unter den Bedingungen demographischen Wandels – eine konzeptuell gut integrierte Bildungs- und Zuwanderungs-/Integrationspolitik entwickeln, die dem bislang recht additiven Charakter diesbezüglicher AfD-Programmaussagen eine ähnliche argumentative Stringenz gäbe, wie sie sich im Bereich der Familienpolitik findet.

So, wie derzeit entwickelt, ist jedenfalls die AfD-Programmatik nicht auf der Höhe dessen, was sich im Koalitionsvertrag findet, und eignet sich deshalb noch nicht für eine überzeugende Richtungs- und Leistungskontrolle. Eine auf Erfolg ausgehende Oppositionsarbeit muss deshalb zunächst einmal auf die Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit ausgehen.

III. Finanzen und Wirtschaft

1. Finanzpolitik

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Grundsätzlich ist die AfD „für eine Finanzpolitik, die auf eine Vermeidung von Neuverschuldung zielt“, und lobt, dass Sachsen sowohl das Bundesland mit der niedrigsten Pro-Kopf-Verschuldung ist als auch eine Schuldenbremse eingeführt hat (WP, 9).

Auf das Gleiche ist auch der Koalitionsvertrag stolz und betont, dass obendrein seit 2006 auch Schulden getilgt werden (KV, 107).

Über die Fortsetzung solcher Politik hinaus fordert die AfD:

  • Regionale Förderung sollte keinen „Umweg über Brüssel“ nehmen, zumal die Verwaltung der EU-Fördertöpfe große Kosten machen. Auch widerspreche die „regionale Förderung über Brüssel“ dem Subsidiaritätsprinzip (WP, 9).

Tatsächlich bekennt sich auch der Koalitionsvertrag klar zum Subsidiaritätsprinzip und verlangt, die EU solle sich auf Themen von grenzüberschreitender und globaler Bedeutung konzentrieren. Gleichwohl vermerkt er, dass gerade regional für den Freistaat Sachsen viel von der EU zu profitieren war. Die Folgen:

  • „Das intensive Einwerben und die nachhaltige Nutzung von EU-Mitteln werden wir zum Wohle des Freistaates Sachsen fortführen. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt werden wir alles daran setzen, dass auch nach 2020 EU-Fördermittel für alle sächsischen Regionen auf höchstmöglichem Niveau zur Verfügung stehen“ (KV, 87).
  • „Nach Möglichkeit nehmen wir die von der EU und vom Bund angebotenen Fördermittel ab und sichern die Kofinanzierung“.

„Wir werden bereits jetzt alles daran setzen, dass auch nach 2020 EU-Fördermittel für alle sächsischen Regionen auf höchstmöglichem Niveau zur Verfügung stehen und bemühen uns darum, etwaige Disparitäten zwischen den Regionen in Folge der Nutzung von Strukturfondsmitteln der EÄU in begründeten Fällen auszugleichen“ (KV, 37).

  • Implizit stellt das AfD-Wahlprogramm eine Verbindung her zwischen den Verwaltungskosten der EU und der Tatsache, dass deutsche Kommunen „an einer dramatisch schlechten Finanzausstattung und hohen Schulden“ leiden (WP, 9).

Der Koalitionsvertrag greift die Finanzknappheit der Kommunen wie folgt auf: „Finanzielle Mittel, welche der Bund für verschiedene kommunale Aufgaben zur Verfügung stellt, sollen ohne Abschläge an die kommunale Ebene weitergeleitet werden“ (KV, 107).[10]

  • Weil 2019 die Mittel aus dem Solidarpakt auslaufen, müssen sämtliche Ausgaben – außer für Bildung und Innere Sicherheit – überprüft und entsprechend reduziert werden (WP, 9).

Im Grunde besagt der Koalitionsvertrag Ähnliches und betont die Bedeutung der Steuereinnahmen als Hauptfinanzierungsquelle für den Haushalt. Allerdings wird im Konkreten nicht mehr gesagt, als dass man bei diesen veränderten Rahmenbedingungen weiterhin dafür sorgen wolle, „dass der Haushalt solide bleibt“ (KV, 107).

  • Global wird „Strafbarkeit für Steuerverschwendung und Missmanagement“ gefordert; konkretisiert wird dies nur dahingehend, dass der Landesrechnungshof ermächtigt werden müsse, Sanktionen zu verhängen (WP, 9).
  • Im Einzelnen wird auf Schärfung des Bewusstseins gedrungen, dass Entscheidungsträger mit der Übernahme ihrer Funktion auch eine persönliche Verantwortung übernehmen (WP, 9).

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag hat ebenfalls einen eigenen, längeren Abschnitt über „Solide Finanzen“ (KV, 107-109). Dieser betont, dass sich die Haushaltspolitik weiterhin „am Dreiklang von Stabilität, Solidität und Nachhaltigkeit“ orientieren und weiterhin auf hohem Niveau in Neues und die Erhaltung von Bestehendem investieren will (KV, 107). Ferner wird – auf Grundzüge beschränkt – Folgendes in Aussicht gestellt:

  • Verbleib Sachsens in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (KV, 107)
  • Rücklagen für die Versorgungslasten werden gebildet (KV, 108)
  • Sachsen setzt sich für eine solche Neuregelung des Länderfinanzausgleichs ein, die Länder mit soliden Finanzen nicht benachteiligt (KV, 108)
  • Die Haushaltsklarheit soll weiter gestärkt werden (KV, 108)
  • Fonds- und Unternehmensbeteiligungen des Freistaats sollen auf ihre Zukunftsfähigkeit überprüft werden. Auch wird durch jährliche Beteiligungsberichte die Transparenz verstärkt. Die Gesellschafterrolle wird in enger Abstimmung mit den Fachressorts wahrgenommen (KV, 108f)
  • Die Planungen zur Erhaltung des Kulturerbes werden fortgesetzt, neue Möglichkeiten werden erschlossen (KV, 109)
  • Liegenschaftsverwaltung und Flächenmanagement sollen verbessert werden (KV, 109)
  • Es soll auf mehr Steuergerechtigkeit und mehr Effizienz des Steuerverfahrens hingewirkt werden (KV, 109).
  • Förderverfahren sollen durch Übertragung von Förderprogrammen auf die Sächsische Aufbaubank effizienter gemacht werden (KV, 109).

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Bei der Finanzpolitik stehen AfD und Koalition zunächst einmal auf gemeinsamem Grund: Es soll ohne Neuverschuldung ausgekommen und Vorsorge dafür nach dem Auslaufen der Solidarpaktmittel geschaffen werden; die Finanzkraft der Kommunen soll gestärkt werden; im europäischen Finanzierungs- und Förderungssystem ist auf Subsidiarität zu setzen.

Doch je konkreter die von der Finanzpolitik zu schulternden Aufgaben werden, umso schematischer und für praktische Politik unergiebiger werden die – ohnehin nur auf einer halben Seite – aufgeschriebenen Festlegungen des AfD-Wahlprogramms. Dass regionale Förderung keinen „Umweg über Brüssel nehmen“ soll, mag zwar zunächst einmal einleuchten, blendet aber aus, dass eine Menge von Fördergeldern allein  „über Brüssel“ solange eingehen muss, wie es eine gemeinsame europäische Regional- und Strukturpolitik gibt, die zu beseitigen weder im Vermögen Sachsens noch im Gesamtinteresse Deutschlands liegt. Auch ist die Verbindung zwischen der Finanznot deutscher Kommunen und den – sich sogar im Vergleich mit deutschen Großstädten durchaus im Rahmen haltenden – Verwaltungskosten der EU nicht sehr überzeugend. Folglich kommt man mit den entsprechenden allgemeinen Forderungen im AfD-Wahlprogramm nicht wirklich weiter. Hingegen eröffnet der Koalitionsvertrag hier vielerlei pragmatische und auch systematisch stimmige Perspektiven.

Einen besonderen Akzent setzt das AfD-Wahlprogramm mit der Betonung dessen, dass politische Entscheidungsträger mit der Übernahme ihrer Funktion auch persönliche Verantwortung übernehmen – und sie bei Steuerverschwendung und Missmanagement strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollten. Doch konkret wird das Wahlprogramm nur dahingehend, dass der Landesrechnungshof ermächtigt werden solle, Sanktionen zu verhängen – wobei ganz offen bleibt, an welche Tatbestandsmerkmale diese geknüpft werden, wie sie ausgestaltet sein und welche Rechtsbehelfe gegen sie vorgesehen werden sollten. Auf diese Weise gelangt das Wahlprogramm über Allerweltsforderungen nicht hinaus.

Dem Koalitionsvertrag merkt man hingegen langjährige praktische Regierungserfahrungen der Koalitionspartner an. In seinem dreiseitigen Abschnitt über „Solide Finanzen“ wird denn auch ziemlich ins Detail gegangen – und an sehr vielen Stellen dort, wo das AfD-Wahlprogramm gar nichts sagt.

Auch hier gilt, dass die AfD-Fraktion ihre eigene Position erst einmal über schlichte Ausgangsüberlegungen hinaus zu entwickeln hat. Zwar hat man mit der Koalition Konsens in Sachen „schwarze Null“, Subsidiarität und „kommunale Finanzen“. Hieraus lässt sich eine überzeugende Leitlinie oppositioneller Richtungskontrolle im Rahmen einer im Wesentlichen kooperativen Oppositionsstrategie gewinnen. Doch für eine plausible Leistungskontrolle der Regierungsarbeit muss sich die AfD-Fraktion erst einmal ihre eigenen Zielvorstellungen und Maßstäbe erarbeiten.

2. Mittelstandspolitik

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Der Mittelstandspolitik widmet die AfD etwas mehr als eine Seite ihres gut 23 Seiten umfassenden Wahlprogramms. Grundsätzlich meint das AfD-Wahlprogramm (WP, 9):

  • Ein gesunder Mittelstand ist die Grundlage einer leistungsfähigen und erfolgreichen Wirtschaft.
  • Deshalb ist Wirtschaftspolitik in erster Linie gute Mittelstandspolitik – und wird deshalb die Subventionierung von „Leuchtturmprojekten“ abgelehnt.

Der Koalitionsvertrag sieht im Kapitel über „Starke Wirtschaft“ die Mittelstandspolitik naturgemäß nur als Teil einer vom Leitgedanken „Sozialer Marktwirtschaft“ geprägten Politik: „Wir setzen bei der Wirtschaftspolitik auf eine innovative, branchen- und technologieoffene Mittelstandsförderung, auf die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, eine qualitative Wachstumsstrategie und eine bedarfsgerechte Bildungs- und Weiterbildungsoffensive, eingebettet in eine Fachkräftestrategie im Freistaat Sachsen“ (KV, 35).

Dabei wird die Bedeutung des Mittelstandes aber ausdrücklich hervorgehoben: „Der Mittelstand ist eine tragende Säule der regionalen Entwicklung. Er hat sich positiv entwickelt, deshalb muss das Wachstum der mittelständischen Unternehmen weiter gestärkt werden“ (KV, 35).

Im Übrigen kündigt die Koalition an (KV 36):

  • „Größenbedingte Nachteile mittelständischer Unternehmen sollen auch zukünftig über eine gezielte Mittelstandsförderung ausgeglichen werden“.
  • „Darüber hinaus müssen Förderprogramme gebündelt und klare, überprüfbare Zielvorgaben gesetzt werden.“
  • „Wir erarbeiten ein Konzept, wie soziale und tarifliche Standards bei dafür geeigneten Förderprogrammen berücksichtigt werden“.

Im Einzelnen fordert die AfD:

  • Der Mittelstand ist in die Lage zu versetzen, sowohl konkurrenzfähig zu arbeiten als auch konkurrenzfähige Produkte zu liefern (WP, 9).
  • Zu den für die Mittelstandspolitik einschlägigen Instrumenten gehören:
    • Bürgschaften
    • Wagniskapital
  • erleichterte Kooperationen.

Der Koalitionsvertrag stellt hierzu Folgendes in Aussicht (KV, 37):

  • „Wo es möglich ist, sollen bevorzugt Darlehen, revolvierende Fonds und Bürgschaften eingesetzt werden. … Wir prüfen eine Öffnung des Landesbürgschaftsprogramms für strategische Engagements mittelständischer Unternehmen im Ausland und unterstützen das Konsortialdarlehensprogramm bei der Sächsischen Aufbaubank.“
  • „In der Gemeinschaftsaufgabe ‚Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur‘ werden im Rahmen des Programms ‚Regionales Wachstum‘ Investitionszuschüsse (‚kleine GWR‘) bereitgestellt“.
  • „Neben der weiterhin wichtigen Investitionsförderung muss die Förderung von Innovationen deutlich ausgeweitet werden. Dadurch soll die Zahl der permanent forschenden Unternehmen und der Aufbau von betrieblichen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten wesentlich gesteigert werden.“
  • Und generell: „Wir werden das Wachstum kleinerer und mittlerer Unternehmen durch eine kluge Innovationspolitik unterstützen. Die Technologieförderung bleibt weiterhin technologie- und branchenoffen und soll den Bedürfnissen der kleinen und mittelständischen Unternehmen besonders Rechnung tragen. Wir werden die erfolgreichen Fördermaßnahmen – wie Inno-Prämie und Innovationsassistenten – auch in Zukunft finanziell ausreichend absichern“ (KV, 27f).
  • „Wir werden uns auf Bundesebene für die Einführung einer zusätzlichen steuerlichen Forschungs- und Entwicklungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen einsetzen“ (KV, 28).
  • Die Rolle der Handwerksmeister muss gestärkt werden, weil ansonsten die deutsche Berufsbildung und die Produktqualität ihren guten Ruf verlieren, was unseren wirtschaftlichen Vorsprung gefährdet wird. Schlecht ist vor allem …
    • die ständige Nivellierung von Bildungs- und Erfahrungsvoraussetzungen nach unten;
    • der Verzicht auf den Meistertitel als Voraussetzung zum Führen eines Handwerksbetriebs (WP, 9).

Auch der Koalitionsvertrag betont die Rolle des Handwerks sowie die der Handwerksmeister:

  • „Das Handwerk ist Motor für nachhaltiges Wachstum, Stabilitätsanker für gute Beschäftigung und Garant für eine hohe Ausbildungsleistung. Wir eröffnen neue Möglichkeiten, künftig das Handwerk stärker im Rahmen der Mittelstandsförderung und der Fachkräfteinitiative zu unterstützen“ (KV, 35).
  • „Wir werden uns auf nationaler und europäischer Ebene gegen eine Aushöhlung des Meisterbriefes einsetzen. Die berufliche Fortbildung werden wir in Absprache mit den Kammern mit einem neuen Meisterbonus fördern“ (KV, 35f).
  • Bessere Nutzung großer öffentlicher Bauvorhaben für den Mittelstand durch, als das derzeit durch Public-Private-Partnership-Modelle gelingt, die folgende Fehler haben:
    • Sie verschleiern die Kosten für Bau und Betrieb.
    • Sie sind teurer als konventionell umgesetzte Bauvorhaben.
  • Sie begünstigen ausschließlich große, nicht in Sachsen ansässige Baukonzerne.

Richtig wäre es hingegen, zu mittelstandsfreundlichen Vergaben und zu einer transparenten Finanzierung zu gelangen (WP, 9).

  • Schwellenerhöhung für EU-weite Ausschreibungen freiberuflicher Leistungen (VOF) von derzeit 200.000 € auf mindestens 500.000 €, weil die jetzige Grenze zu unnötigen Aufwendungen bei Architekten, Ingenieuren und Kommunen führt (WP, 9f)

Im größeren Zusammenhang dieser Forderung stellt der Koalitionsvertrag in Aussicht, man wolle „das Vergabegesetz bis spätestens 2017 überarbeiten und an die europarechtlichen Vorgaben anpassen. In diesem Zusammenhang sollen auch Maßnahmen zur Erhöhung der Tarifbindung sowie soziale und ökologische Kriterien für das neue Vergabegesetz geprüft werden“ (KV, 37).

  • Es ist schlecht und somit zu verändern, dass es in den Fachämtern kommunaler Bauauftraggeber durch Strukturänderungen und Landesvorgaben zu einer fachlichen Ausdünnung zugunsten von Verwaltungsfachleuten und Juristen gekommen ist. Auf diese Weise sind sie immer weniger in der Lage, gleichrangiger Partner von Auftragnehmern wie Architekten, Ingenieuren oder Baufirmen zu sein. Dann freilich können sie Bauvorhaben hinsichtlich von Kosten, Terminen und Qualität nicht mehr ausreichend gut leiten (WP, 10).
  • Abbau von Überregulierungen aufgrund nationaler und europäischer Vorschriften, was vor allem kleinere Unternehmer belastet. Der Staat soll nur generelle Richtlinien erlassen, auf Detailregelungen verzichten und den Unternehmern und Bürgern mehr Eigenverantwortung zugestehen (WP, 10).

Hierzu bekundet der Koalitionsvertrag:

  • „Die Koalition wird den Bürokratieabbau zu einer zentralen Aufgabe machen. Dabei soll die übermäßige Belastung sächsischer Unternehmen durch Normen, Richtlinien und Auflagen zukünftig deutlich verringert werden. Die Vereinfachung von Förderanträgen wird besonders durch eine gezielte Reduzierung von Berichtspflichten umgesetzt. Wir werden die Vorgaben der EU und des Bundes nicht noch durch sächsische Regeln verschärfen. Genehmigungsfiktionen bei allen dafür infrage kommenden Förderangeboten sollen überlange Wartezeiten bei der Fördermittelbewilligung begrenzen“ (KV, 37).
  • Ferner will die Koalition auf Bundesebene auf eine Zusammenfassung und Vereinfachung von Förderrichtlinien sowie auf die Reduzierung förderbedingter Berichts- und sonstiger Statistikpflichten hinwirken und bei dafür geeigneten Förderinstrumenten Gemeinkostenpauschalen einführen“. Auch die Möglichkeiten von E-Government sollen ausgebaut und sachsenweit vereinheitlicht werden (KV, 38).
  • Entbürokratisierung des Fördermitteldschungels zugunsten von mehr Eigenverantwortlichkeit der Kommunen für städtebauliche Entwicklungsziele. Nicht immer wird geplant und entwickelt, was wirklich für eine Kommune wichtig ist, sondern was in gerade laufende Förderprogramme passt. Außerdem wird allzu viel Zeit wird von Angestellten kommunaler Fachämter für Antragstellung, Nachweisführung und Abrechnung verbraucht (WP, 10).

Zwar nicht bezogen auf Kommunen, sondern auf Unternehmen, stellt der Koalitionsvertrag Ähnliches in Aussicht:

  • „… dazu ist es notwendig, alle verfügbaren Förderinstrumente zielgerichteter und unbürokratischer einzusetzen“ (KV, 26).
  • „Sächsische Förderprogramme in Forschung und Entwicklung werden wir unbürokratisch und im Interesse kleingliedriger Unternehmensstrukturen einfach und niederschwellig gestalten“ (KV, 28).
  • Reduzierung arbeitsmarktpolitischer Instrumente, weil – aufgrund unterschiedlicher Interessen von Staat und Arbeitgebern – viele von ihnen zu Mitnahmeeffekten und Wettbewerbsverzerrungen, viel weniger aber zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen. Also könnten hier Steuermittel eingespart werden (WP, 10).
  • In Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst muss bei Stellenbesetzungen die Qualifikation den Ausschlag geben, nicht das Geschlecht (WP, 10).
  • Missbräuche bei Werkverträgen und Zeitarbeit sind abzustellen. Insbesondere dürften Zeitverträge nicht unbegrenzt verlängert werden (WP, 10).
  • Der Unterschied zwischen der Gesamtleistung „Hartz IV“ und der Bezahlung in den unteren Lohngruppen muss deutlich ausgeprägt sein (WP, 10).

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag enthält für die Mittelstandspolitik einschlägige Passagen in mehreren Abschnitten, v.a. in „Innovation, Forschung und Technologieförderung“ (KV, 267-28), „Sachsen Digital“ (KV, 29-31) und „Starke Wirtschaft“ (KV, 35-39). Insofern kann er auch viel detaillierter sein, als das auf der einen Seite des AfD-Wahlprogramms möglich ist.

Über das oben Angemerkte hinaus, sieht der Koalitionsvertrag zur Mittelstandspolitik – abgesehen von den Ausführungen allgemein zur Wirtschaftspolitik – im Wesentlichen das Folgende vor:

  • Bessere Verbindung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung, auch durch Unterstützung von Verbundforschung und – auch internationaler – Innovationspartnerschaften, desgleichen dank etwa der (Technologie-) Transferstellen an Hochschulen und sonstigen Forschungseinrichtungen (KV, 26 und 28). Ebenso in KV, 36: „Der Technologietransfer zwischen Handwerksunternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen muss verstärkt werden“.
  • Es soll eine „Innovationsplattform“ etabliert werden, um potenzielle Projektpartner aus Wirtschaft und Wissenschaft schneller zusammenzuführen, alternative Finanzierungsoptionen aufzuzeigen und mit den regionalen Akteuren der Wirtschaftsförderung die Markterschließung zu unterstützen (KV, 28).
  • Es sollen „Technologiescouts“ eingeführt werden (KV, 28).
  • Verbesserung des Übergangs von den Hochschulen zum Arbeitsmarkt über die bereits etablierten Strukturen der Career Center. Dabei sollen die Studierenden durch Praxissemester oder Studienarbeiten in Unternehmen frühzeitig in Kontakt mit der regionalen Wirtschaft treten (KV, 27).
  • Der Aufbau einer besseren digitalen Infrastruktur soll auch der (mittelständischen) Wirtschaft nutzen – sowohl in technischer Hinsicht wie auch als Markt für neue Produkte und Dienstleistungen (KV, 29), gerade auch im Bereich der Mikroelektronik (KV, 30) sowie der Verbindung von Informationstechnologie mit unterschiedlichen Anwenderbranchen (KV, 31).
  • Die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen soll erhalten werden (KV, 36).
  • Die Koalition setzt sich für die Beibehaltung und Stärkung der Freien Berufe ein (KV, 36).
  • Die Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH wird weiter mit der kommunalen Ebene und in Abstimmung mit den kommunalen Wirtschaftsförderungen für die Ansiedlung von Unternehmen an Standorten auch außerhalb der Ballungszentren werben“ (KV, 37).
  • Es soll die Unternehmensgründung erleichtert und unterstützend begleitet werden (KV, 38).
  • Es soll die Unternehmensnachfolge besser unterstützend begleitet werden (KV, 38).

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

In der Mittelstandspolitik besteht zwischen AfD-Wahlprogramm und Koalitionsvertrag im wesentlichen Konsens: Der Mittelstand ist wichtig und soll gestärkt werden – wobei gar nicht wenige Fördermöglichkeiten oder Instrumente von AfD und Koalition gleichermaßen als sinnvoll eingeschätzt werden. Ausdrücklich einig ist man sich bei der Bereitstellung von (Wagnis-) Kapital für Investitionen über Bürgschaften und Darlehen, desgleichen durch verbesserte Kooperationsförderung, darunter auch mit den Hochschulen. Auch hinsichtlich der Beibehaltung – wenn schon nicht Stärkung – der Rolle der Handwerksmeister als Betriebsleiter ist man sich einig, ebenso bei einer mittelstandsfreundlicheren Ausgestaltung der – auch europarechtlich bedingten – Ausschreibungen freiberuflicher und sonstiger Leistungen. Beiden wichtig ist auch der Abbau von Überregulierung und des bürokratischen Aufwands für Förder- und sonstige Maßnahmen. Bei alledem betont der Koalitionsvertrag viel stärker die Rolle staatlicher „Innovationspolitik“.

Unterschiede gibt es vor allem in der Akzentsetzung – und vor allem darin, dass der Koalitionsvertrag in so gut wie jeder Hinsicht detaillierter ist, ja wichtige Dinge aufgreift, von denen das AfD-Wahlprogramm schweigt. Zu den besonderen AfD-Akzenten gehört, dass – entgegen bisheriger sächsischer Praxis – die Subventionierung von „Leuchtturmprojekten“ abgelehnt und davon ausgegangen wird, gute Wirtschaftspolitik laufe in erster Linie auf gute Mittelstandspolitik hinaus. Für diesen Zweck soll nicht zuletzt zu einer mittelstandsfreundlicheren Vergabe und transparenteren Finanzierung großer öffentlicher Bauvorhaben gelangt werden. In den Fachämtern soll es weniger Verwaltungsfachleute und Juristen, dafür mehr Fachleute für den Sachbereich der anzupackenden Bauvorhaben geben. Auch soll die Eigenverantwortlichkeit der Kommunen für städtebauliche Entwicklungsziele gestärkt und deren Abhängigkeit von gerade laufenden Förderprogrammen verringert werden. Überdies seien die arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu reduzieren, weil sie allzu viele Mitnahmeeffekte und Wettbewerbsverzerrungen zeitigten. Ebenfalls seien Missbräuche bei Werksverträgen und der Zeitarbeit abzustellen und sei auf einen ausgeprägten Unterschied zwischen Hartz IV-Sätzen und der Bezahlung der unteren Lohngruppen zu achten.

Alles in allem merkt man diesem Abschnitt des AfD-Wahlprogramms an, dass es von viel praktischer Erfahrung geprägt wird. Wohl auch deshalb gibt es kaum Widersprüche zwischen ihm und den einschlägigen Passagen des Koalitionsvertrages. Selbst viele der besonderen Akzente des AfD-Wahlprogramms dürften sich mit Positionen der Koalition verbinden lassen.

Es eignet sich dieser Abschnitt des Wahlprogramms also gut für eine kooperative Oppositionsstrategie samt höchst konstruktiver Richtungs- und Leistungskontrolle der Regierungspolitik. Einesteils macht die Stärkung des Mittelstandes einen deutlich erkennbaren „roten Faden“ des ganzen Abschnitts über Mittelstandspolitik aus, und andernteils finden sich um diesen Leitgedanken herum viele sehr konkrete, plausible und in Übereinstimmung mit Koalitionsvorhaben stehende praktische Umsetzungen. Vielfach gibt es im AfD-Programm sogar für die oppositionelle Leistungskontrolle klare Maßstäbe. Gleichwohl muss die AfD-Programmatik von den zuständigen Fachpolitikern an vielen Stellen erst noch auf das konzeptuelle und praktische Durchdringungsniveau des Koalitionsvertrages gebracht werden, wenn die AfD eines Tages auch mit ihrer Mittelstandspolitik punkten will.

3. Energiepolitik

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Der Energiepolitik widmet das AfD-Wahlprogramm knapp eineinhalb Seiten. Dabei wird die Ausgangslage derzeitiger deutscher Energiepolitik wie folgt beurteilt (WP, 10f):

  • Die deutsche Energie(wende)politik orientiert sich an frei erfundenen und längst widerlegten Klimaprognosen, folgt natur- und technikwissenschaftlichen Illusionen (zumal der Abkoppelung der Energieerzeugung von fossilen Quellen oder spaltbarem Material), Sie wird deshalb in die Irre führen.

Der Koalitionsvertrag geht hingegen von einem fortschreitenden Klimawandel aus, dem es mit einem „Energie- und Klimaprogramm Sachsen“ entgegenzuwirken gelte. Mittel zum Ziel ist es, Sachsen schrittweise von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen  (KV, 42).

  • Die Energiewende wurde überstürzt und ohne ausreichende Untersuchungen zur Machbarkeit und den Folgen auf den Weg gebracht. Das bürdet Bürgern und Wirtschaft riesige Kosten auf und fügt dem Land großen Schaden zu.

Der Koalitionsvertrag meint: Es braucht eine Begrenzung der Kosten für die Energiewende sowie eine faire Lastenverteilung innerhalb Deutschlands, konkret eine Senkung der Mehrbelastungen aus dem Netz für ostdeutsche Verbraucher. Diesbezüglich will man sich gegenüber dem Bund einsetzen (KV, 42).

  • Gerade das Erneuerbare Energien-Gesetz führt zu steigenden Dauersubventionen und zu unwillkommenen Nebenwirkungen wie Schäden in Natur und Landschaft, höher Flächenverbrauch, explodierende Preise, Abwanderung der Industrie in Länder mit billigerer Energie.
  • Die deutschen Energie(wende)politik harmoniert nicht mit dem europäischen Energieverbundnetz und ist auch nicht mit anderen EU-Staaten abgestimmt.

Die Koalition setzt sich gegenüber dem Bund und im Dialog mit den Nachbarländern dafür ein, dass der Ausstieg aus der Atomkraft auch auf europäischer Ebene eine stärkere Bedeutung erlangt (KV, 42)

Vor dem Hintergrund einer solchen allgemeinen Lagebeurteilung kommt die AfD zu folgenden Forderungen:

  • Die Energiewende mit all ihren Folgemaßnahmen ist sofort zu stoppen (WP, 10)

Im Gegensatz dazu will der Koalitionsvertrag den Ausbau der erneuerbaren Energien in Sachsen voranbringen und deren Anteil auf 40-45% bis 2025, auf 55-60% bis 2035 steigern (KV, 42)

  • Wetterkapriolen sind mit vernünftigen Schutzmaßnahmen zu begleiten und weiterhin wissenschaftlich zu erforschen. Es darf aber keine Verhaltenslenkung oder noch höhere Abgaben auf Strom und Kraftstoffe geben (WP, 11)
  • Das Erneuerbare Energien-Gesetz sowie die Energieeinsparverordnung sollen so schnell wie möglich rückabgewickelt werden (WP, 11).

Der Koalitionsvertrag setzt hingegen auf Nachbesserungen des Gesetzes und der mit ihm verbundenen Vorschriften: Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss im Einklang mit der Anpassung der Netzstruktur sowie der Speicherkapazitäten stehen (KV, 42)

  • Die Erhöhung der Strompreise infolge der Ökostromumlage soll durch eine angepasste Reduzierung der Stromsteuer ausgeglichen werden (WP, 11).
  • Keine Verschandelung der Landschaft durch Windkraft und Solargroßanlagen, keine Naturzerstörung durch Windparks (WP, 11).

Der Koalitionsvertrag will die Windkraft mittels flexibler Regelungen auf der Ebene der Regionalen Planungsverbände ausbauen und setzt dabei auf frühzeitige Einbeziehung der Bürger in die Planungen sowie auf die Achtung ihres Wohls (KV, 42).

  • Gegen Naturzerstörung durch Hochspannungsleitungen, die nur wegen der unstetigen Energieproduktion durch Windkraftanlagen und Solaranlagen notwendig werden (WP, 11).

Der Koalitionsvertrag setzt beim Ausbau der erneuerbaren Energien einesteils „auf dezentrale Lösungen“ sowie auf stärkere Bürgerbeteiligung (KV, 42f), zugleich aber auf einen bedarfsgerechten Ausbau der Netzinfrastruktur im Übertragungs- und Verteilungsnetz (KV, 43).

  • Keine thematische Beschränkung der Energieforschung nach politischen Vorgaben. Vor allem: Wiederzulassung der Forschung zur Sicherheit von Kernkraftwerken, zur Nutzung abgebrannter Brennstäbe sowie zur Atommüll-Endlagerung (WP, 11).

Auf eine politische Beeinflussung der Energieforschung setzt hingegen der „Masterplan Energieforschung und Speichertechnologie“, in welchem die Koalition die bestehenden Forschungspartner in einer Exzellenzinitiative bündeln will (KV, 43).

  • Forschungsschwerpunkte auf neuen Speichertechnologien, intelligenten Netzwerken, zur Verbrauchssteuerung sowie zur bedarfsgerechten Bereitstellung von Strom, ferner auf kleinen, lokalen Blockheizkraftwerken, auf Geothermie sowie dem Weiterbetrieb und Neubau von Pumpspeicherkraftwerken (WP, 11).

Laut Koalitionsvertrag setzt sich die Koalition für eine Stärkung der Energieforschung in Sachsen ein, v.a. zu folgenden Themen: Ausbau und Förderung dezentraler Speicher- und Stromerzeugungstechnologien, z.B. Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen; intelligente Netze; thermische Speicher. Ansonsten setzt die Koalition auf einer Verbesserung von Energieeffizienz und Energiesuffizienz (KV, 43).

  • Stärkung von regionalen Initiativen für moderne Kraft-Wärme-Kopplung und Fernwärme (WP, 11).
  • Stärkung von kommunalen Stadtwerken (WP, 11).
  • Sicherstellung, dass eine unabhängige Netzagentur für Anbietervielfalt bei der Netz-Infrastruktur sorgt (WP, 11).
  • Weiternutzung der Braunkohle (als verlässlicher heimischer Energieträger und Grundstock der Grundlastversorgung nach dem Atomausstieg) mit modernsten Filteranlagen, gerade auch weil sie von Importen unabhängiger macht und wichtige Industriearbeitsplätze (gerade in strukturschwachen) Regionen sichert (WP, 11).

Der Koalitionsvertrag hält die Braunkohlennutzung für so lange erforderlich, wie die erneuerbaren Energien nicht in gleichem Maße Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit gewährleisten können, wobei die Braunkohle künftig auch stofflich – und nicht nur energetisch – stärker genutzt werden soll. Man bekennt sich zum weiteren Abbau in den in Rahmen des Braunkohleplans genehmigten und projektierten Abbaugebieten (KV, 43).

  • Bei der Nutzung von Braunkohle werden gefordert: Schonung der Kulturlandschaft, stärkere Bürgerbeteiligung sowie angemessene Entschädigung betroffener Bürger (WP, 12).
  • Verlangt werden Renaturierungsmaßnahmen und Schaffung von Naherholungsgebieten in den (ehemaligen) Tagebauen (WP, 12).

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die berg- und wasserrechtlichen Sanierungsmaßnahmen von Tagebauen eng mit der infrastrukturellen Entwicklung der Regionen, mit Tourismusprojekten und weiteren Folgeinvestitionen verknüpft werden. Dazu soll mehr Geld zur Verfügung gestellt werden (KV, 43f)

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Auch der Koalitionsvertrag enthält einen eigenen Abschnitt „Energie“ (KV, 42-44). Als Leitbild sächsischer Energiepolitik nennt er eine „sichere, wettbewerbsfähige, klima- und umweltverträgliche sowie bezahlbare Energieversorgung“ (KV, 42). Über die oben schon angemerkten Maßnahmen hinaus stellt er nur noch die Entwicklung neuer Fahrzeug- und Mobilitätskonzepte mit leistungsfähiger Infrastruktur in Aussicht (KV, 43).

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Bei der Energiepolitik prallen AfD-Programmatik und Koalitionsvertrag heftig gegeneinander. Einig ist man sich allerdings im Ziel einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung sowie in manchen Mitteln.

Vor allem müssten, so der schmale Konsens zwischen AfD und Koalition, die Kosten der Energiewende begrenzt und ihre Lasten fairer als bislang verteilt werden, um Schaden für Wirtschaft und Land abzuwenden – falls man nicht, wie das die AfD-Fraktion eigentlich wünscht, die „Energiewende“ gleich ganz stoppt. Auch brauche es eine bessere Abstimmung der deutschen Energiewendepolitik, konkret des Ausstiegs aus der Atomkraft, mit Deutschlands Nachbarländern, desgleichen Forschungsschwerpunkte auf dezentraler Stromerzeugung, neuen Speichertechnologien, intelligenten Netzwerken und besserer Verbrauchssteuerung. Ebenfalls ist man sich in der Weiternutzung der Braunkohle einig, wenngleich aus verschiedenen Motiven: Die AfD will dergleichen dauerhaft als Grundstock der Grundlastversorgung nach dem Ausstieg aus der Kernenergie, die Koalition energetisch für eine Übergangsfrist und stofflich auf Dauer. Gemeinsam wünscht man auch Schonung der Kulturlandschaft, Renaturierung und – zu fördernde – bessere (nah‑) touristische Anschlussnutzung.

Allerdings stellt das AfD-Programm bereits die Grundlagen der bisherigen und laut Koalitionsvertrag fortzuschreibenden Energiepolitik in Frage:

  • Die Klimaprognosen und technischen Hoffnungen, die dieser Energiepolitik zugrunde lägen, seien schlechterdings falsch und trügerisch. (Koalition: Es gibt den Klimawandel; man muss dagegen etwas tun; und es ist realistisch, Sachsen schrittweise von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen).
  • Die Energiewende mitsamt ihren Folgemaßnahmen ist sofort zu stoppen, das Erneuerbare Energien-Gesetz mitsamt der Energiesparverordnung so schnell wie möglich rückabzuwickeln. (Koalition: Natürlich hat die Energiewende weiterzugehen und ist der Anteil der erneuerbaren Energien an der Gesamtenergieversorgung auch in Sachsen zu steigern, und zwar unter Anpassung der Netzstrukturen sowie der Speicherkapazitäten).
  • Die Landschaft soll nicht weiter durch Windparks, Solargroßanlagen und Hochspannungsleitungen verschandelt werden. (Koalition: Weiterer Ausbau mittels flexibler Regelungen und dezentraler Lösungen unter frühzeitiger Einbeziehung der Bürger in die Planungen).

Ansonsten soll, so das AfD-Programm, einer weiteren Erhöhung der Strompreise durch mancherlei Mittel entgegengewirkt sowie die Energieforschung nicht thematisch beschränkt werden, also auch wieder die Forschung zur Sicherheit von Kernkraftwerken, zur Nutzung abgebrannter Brennstäbe sowie zur Atommüll-Endlagerung umfassen. Ferner sollen, im Zusammenhang mit dem Übergang zu einer dezentraleren Energieversorgung, kommunale Stadtwerke und regionale Kooperationen gestärkt werden. Letzterem widerspricht freilich auch der Koalitionsvertrag nicht.

Mehr noch als in der Familienpolitik sowie bei der Einwanderungspolitik bietet die AfD hier eine klare (partielle) Alternative zum Politikprogramm der Koalition. Allerdings ist eine grundlegende Richtungskritik des Regierungshandelns landespolitisch funktionslos, weil es sich hier um eine Regelungsmaterie in Bundeszuständigkeit handelt.

Im Übrigen gibt es trotz des grundlegenden Meinungsunterschieds in der Zielrichtung deutscher Energiepolitik noch vielerlei Konsensbereiche hinsichtlich von Gestaltungsaufgaben bei der – landespolitisch nicht aufzuhaltenden – Umsetzung der Energiewende. Auf jenen zu Beginn dieses Abschnitts aufgelisteten Politikfeldern kann die AfD sehr wohl oppositionelle Richtungskontrolle, ja auch Leistungskontrolle leisten, weil die aufgelisteten Politikziele mit und ohne Energiewende von AfD-Opposition und Regierungskoalition gleichermaßen für anzustreben gehalten werden. Tendenziell gilt das sogar für die sparsame und möglichst umweltverträgliche Verwendung bisheriger Freiflächen für Windparks, Solaranlagen und Stromleitungen.

Insgesamt lässt sich in diesem Politikfeld durchaus auf der Grundlage des AfD-Wahlprogramms gemeinwohldienliche Parlamentsarbeit betreiben, nämlich in Ausübung der oppositionellen Thematisierungs- und Alternativfunktion, und zwar selbst dann, wenn sich die Überzeugungsgrundlagen des AfD-Programms als überzogen oder falsch herausstellen sollten.

4. Verkehrspolitik

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Auch der Verkehrspolitik widmet das AfD-Wahlprogramm rund eineinhalb Seiten. Grundsätzlich will die AfD eine Verkehrspolitik, die im Spannungsfeld zwischen freiem Wettbewerb und sozialer Marktwirtschaft den ökologischen, ökonomischen und den sozialen Anforderungen der Gegenwart gerecht wird (WP, 12).

Zu diesem Zweck wird angestrebt bzw. gefordert:

  • Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich Verkehrsinfrastruktur, Lärmschutz, Barrierefreiheit, Antriebstechnologie, Kraftstoffe, intelligente Verkehrssysteme und modulare Verkehrstypenverbindung (WP, 12).

Die Koalition setzt auf innovative Forschungsvorhaben zu den Themen „hochautomatisiertes Fahren“ und „intelligente Verkehrssysteme“, desgleichen auf eine intelligente Vernetzung der Verkehrsinfrastruktur, und setzt sich für Versuchs- und Pilotstrecken in Sachsen ein (KV, 48).

  • Erhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen in die Bahninfrastruktur, wofür es ein nationales Investitionsprogramm braucht (WP, 12).

Die Koalition setzt sich ein für die Anbindung Sachsens an das europäische Schnellbahn- und Güterverkehrsnetz sowie für mannigfachen Streckenausbau in, von und nach Sachsen. Für prioritäre Straßen- und Schienenverkehrsprojekte soll Planungsvorlauf geschaffen werden. Obendrein geht es um eine barrierefreie Verkehrsplanung (KV, 45).

  • Keine weitere Privatisierung der Schieneninfrastruktur sowie der Bahnhöfe, weil dadurch Aspekte der Daseinsvorsorge der Bevölkerung vernachlässigt werden (WP, 12).
  • Zentrale Fahrplanerstellung und Ticketverwaltung unter staatlicher Obhut (WP, 12).

Der Koalitionsvertrag stellt insgesamt eine stärkere Harmonisierung der Tarifregelungen der Verkehrsverbünde in Aussicht, z.B. bei den Altersgrenzen der Kindertarife sowie bei der Fahrradmitnahme. Für Schüler und Auszubilden de soll ferner ein einheitliches, sachsenweit gültiges und kostengünstiges Bildungsticket eingeführt werden, das die Nutzung des ÖPNV über den Schulweg hinaus während des ganzen Jahres ermöglicht. Auch soll der schienengebundene Personennahverkehr durch bessere Koordination , die Einführung eines integralen Taktfahrplans sowie eines landesweit gültigen Sachsen-Tarifs gestärkt werden (KV, 47).

  • Bahntickets mit geringerem Mehrwertsteuersatz! (WP, 12).
  • Bessere Vernetzung der Bahn mit anderen Verkehrsträgern durch leistungsfähige Knotenpunkte sowie zusätzliche Parkplätze in der Nähe von Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel, gerade auf dem Lande (WP, 12).

Auch dem Koalitionsvertrag geht es um die Verknüpfung der Verkehrsträger, etwa durch Park&Ride, Bike&Ride sowie Fahrradstationen (KLV, 45f).

  • Ausbau der Güterverkehrsinfrastruktur (Ausbau vorhandener Umschlagplätze, deren bessere Verzahnung mit dem Straßenverkehrsnetz), um durch Verlagerung der Verkehrsströme das Straßennetz zu entlasten (WP, 12).

Auch der Koalitionsvertrag wünscht eine Verlagerung von mehr Güterverkehr auf die Schiene und nimmt einige Maßnahmen in Aussicht (KV, 43, 49).

  • Verbesserung des bereits dichten Straßennetzes durch Deckenerneuerungen und Krümmenbegradigung. Das soll Vorrang haben vor Neubauten von Straßen. Letztere sollen nur noch bei dringend notwendigen Ortsumgehungen erfolgen (WP, 12).

Auch der Koalitionsvertrag nennt das sächsische Straßennetz „dicht und leistungsfähig“ und nur noch einiger Lückenschlüsse sowie der Fertigstellung der A72 bedürfend. Erhalt und Ausbau haben den Vorrang vor Neubau; jedoch sollen Ortsumfahrungen den überörtlichen Verkehr beschleunigen und die Bürger entlasten. Obendrein soll ein Sanierungsprogramm für kommunale Ingenieurbauwerke aufgelegt, eine Ausbau- und Erhaltungsstrategie für Staatsstraßen erarbeitet und der Hauptteil der Straßenbaumittel für ein Instandsetzungs- und Erhaltungsprogramm genutzt werden (KV, 45).

  • Die Autobahn soll weiterhin der schnellste und sicherste Straßenverkehrsträger bleiben, damit Städte und Dörfer vom Durchgangsverkehr entlastet bleiben. Zu diesem Zweck braucht es situationsangepasste Tempolimits auf den Autobahnen, aber kein Tempolimit auf Strecken ohne Gefährdungen (WP, 13).
  • Die Luftüberwachung darf nicht an private Unternehmen übertragen werden, damit nicht Sicherheitsaspekte durch den Zwang zur Gewinnmaximierung ausgehöhlt werden (WP, 13).
  • Das Radwegesystem in den Kommunen soll ausgebaut werden; radfahrerfreundliche Kreuzungsbereiche und Ampelregelungen sollen eingeführt werden (WP, 13).

Die Koalition strebt – darüber hinausgehend – die sachsenweite Erhöhung des Anteils des Radverkehrs am Gesamtverkehr an, wird die Fahrradinfrastruktur sowie die Verknüpfungsstellen zum ÖPNV ausbauen sowie ein landesweit einheitliches Radverkehrsnetz für den Alltagsverkehr und die touristische Nutzung etablieren. Dazu wird sie mit Mittel für den Radwegebau erhöhen. Obendrein wird sie die Kommunen bei der Gründung einer Arbeitsgemeinscahft fahrradfreundlicher Städte und Gemeinden unterstützen (KV, 48).

  • Straßenbahnen und Busse sollen in den Städten Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr haben; entsprechend muss das innerörtliche Verkehrsnetz ausgebaut bzw. saniert werden (WP, 13).
  • Auf dem Land soll einer weiteren Ausdehnung des öffentlichen Nahverkehrs entgegengewirkt werden (WP, 13).

Der Koalitionsvertrag spricht hier von einer Weiterentwicklung des ÖPNV mit dem Ziel einer wirksamen Anbindung des ländlichen Raums an die Ballungszentren. Letztere dürfe nicht allein aus wirtschaftlicher Perspektive betrachtet werden, sondern sei eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Entsprechend soll die Busförderung mindestens auf dem bisherigen  Niveau fortgesetzt werden  und sollen die vom Bund zur Verfügung gestellten Regionalisierungsmittel stärker an die Aufgabenträger zur Bestellung von Verkehrsleistungen weitergereicht werden (KV, 47).

  • Jede Entlastung der Innenstädte vom motorisierten Individualverkehr soll unterstützt werden, v.a. durch neue Formen gemeinschaftlich organisierter Mobilität wie Carsharing und Mietfahrräder. Die Rahmenbedingungen zur Nutzung solch innovativer Mobilitätskonzepte sollen verbessert werde (WP, 13).

Der Koalitionsvertrag formuliert mit anderen Worten im Wesentlichen dasselbe Ziel und zeigt einige Wege zu ihm auf (KV, 49)

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag handelt von der Verkehrspolitik in den Abschnitten „Infrastruktur“ (KV, 46f) und „Verkehr“ (KV, 47-49). Allgemeines Ziel der Koalition ist es, „für die Lebensqualität unserer Bevölkerung und die Entwicklung unserer Wirtschaft … eine leistungsfähige Infrastruktur vorzuhalten und weiterzuentwickeln“. Für den entsprechenden Erhalt und Ausbau einer leistungsfähigen Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur sollen Mittel der EU und des Bundes genutzt und kofinanziert werden (KV, 45). Über die im Wahlprogramm der AfD angesprochenen Punkte geht er bei folgenden Themen hinaus:

  • Bundeswassertraße Elbe und ihre Häfen  (KV, 46);
  • konkrete Maßnahmen zur Verringerung von Verkehrslärm verschiedenster Quellen (KV, 467);
  • Maßnahmen zur Luftreinhaltung.

Speziell bei der Verkehrspolitik setzt der Koalitionsvertrag die folgenden Ziele: Gewährleistung bezahlbarer und finanzierbarer Mobilität; Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Infrastruktur; Reduzierung der negativen Effekte auf Mensch, Umwelt und Natur (KV, 47). Auch zu diesem Zweck soll eine Kommission für den sächsischen öffentlichen und schienengebundenen Nahverkehr ins Leben gerufen werden, die eine Gesamtstrategie entwickeln soll (KV, 48). Im Übrigen wird Folgendes in Aussicht gestellt:

  • Einsatz für eine intelligente Vernetzung der Verkehrsinfrastruktur mittels moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (KV, 48).
  • Maßnahmen zu besserer Verkehrssicherheit und Mobilitätserziehung (KV, 49).
  • Ausbau des Frachtflugverkehrs am Flughafen Leipzig (KV, 49).

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

In der Verkehrspolitik ist der Koalitionsvertrag, langjähriger Regierungserfahrung der Koalitionspartner geschuldet, ebenfalls viel detaillierter als das AfD-Wahlprogramm. Anders als bei der Energiepolitik, gibt es hier aber nur Programmlücken, doch keine sonderlichen Gegensätze.

Einig ist man sich im Ziel, solche Verkehrsinfrastruktur vorzuhalten und weiterzuentwickeln, die für die Lebensqualität der Bevölkerung und die Entwicklung der Wirtschaft leistungsfähig ist und die, zwischen freiem Wettbewerb und Marktwirtschaft, den gegenwärtigen ökologischen, ökonomischen sowie sozialen Anforderungen gerecht wird.

Und einig ist man sich auch in vielen Schritten auf dieses Ziel hin: Förderung von innovativer Forschung zu verkehrs- und mobilitätsrelevanten Themen; Erhaltung (AfD: unmöglich bei weiterer Privatisierung!) und Modernisierung von Bahn- und Straßeninfrastruktur („Ausbau geht vor Neubau“); mehr Verlagerung von Straßentransport auf Schienentransport; barrierefreie Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger; Harmonisierung von Fahrplänen, Tarifen und Tickets der unterschiedlichen Verkehrsträger; weiterhin wirksamer, ja noch besserer ÖPNV im ländlichen Raum sowie zwischen ihm und den Ballungsgebieten; Entlastung der Innenstädte vom motorisierten Individualverkehr durch mehrerlei Maßnahmen; Verbesserung der Bedingungen des kommunalen und (über-) regionalen Fahrradverkehrs.

Das AfD-Wahlprogramm setzt Akzente obendrein durch Forderung nach Verzicht auf ein generelles Tempolimit auf den Autobahnen sowie auf eine Privatisierung der Luftüberwachung, der Koalitionsvertrag auf Maßnahmen zur Verringerung des Verkehrslärms sowie zur Luftreinhaltung.

Auf diesem Politikfeld sind AfD-Opposition und Koalitionsfraktionen sich weitgehend über Ziele und Mittel einig. Oppositionelle Regierungskontrolle kann sich also, von gemeinsamen Grundlagen ausgehend, kooperativ vollziehen sowie auf die Kontrolle dessen konzentrieren, ob die vorgesehene Politikrichtung eingehalten und auf ihr die in Aussicht gestellten Gestaltungsleistungen erbracht werden.

5. Politik für den ländlichen Raum

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Mit dreieinhalb Seiten ist „Politik für den ländlichen Raum“ der umfangreichste Abschnitt des AfD-Wahlprogramms. Es bündelt um die Entwicklungswünsche für den ländlichen Raum herum Einzelmaßnahmen aus mehreren Politikfeldern, die sich im Koalitionsvertrag ihrerseits auf mehrere Abschnitte verteilt finden. Insgesamt geht das AfD-Wahlprogramm von folgender Lagebeurteilung aus (WP, 13):

  • Im ländlichen Raum lebt etwa die Hälfte der sächsischen Bevölkerung und ist dort tief verwurzelt.
  • Der ländliche Raum ist obendrein ein wichtiger landwirtschaftlicher Produktionsstandort, Rohstofflieferant, Träger von Umweltressourcen und Grundlage der Trinkwasserversorgung.
  • Ferner ist der ländliche Raum ein Naherholungsraum für die städtische Bevölkerung sowie ein Tourismusgebiet.

Der Koalitionsvertrag folgert hieraus, dass die wirtschaftlichen Potenziale des „sanften Tourismus“ in ausgewiesenen Schutzgebieten in der Oberlausitz und der Sächsischen Schweiz besser genutzt werden sollten, wozu der Freistaat – unter Wahrung der Schutzinteressen – die Umsetzung von Maßnahmeplänen fördern wolle, die gemeinsam mit den Kommunen und den Akteuren vor Ort erarbeitet wurden (KV, 77). Näheres wird im Abschnitt „Tourismus“ (KV, 40f) formuliert. Insbesondere wird betont, man wolle „in allen Teilen Sachsens attraktive und leistungsfähige Destinationen … bilden“ (KV, 40). Dabei müssten – auch vor dem Hintergrund der sinkenden Bevölkerungszahl – „Nachhaltigkeit, Umwelt-, Natur- und Ressourcenschutz und die Entwicklung des ländlichen Raums“ die Tourismuspolitik bestimmen (KV, 40).

  • Im Übrigen leiden gerade der ländliche Raum und sein Milieu unter dem demografischen Wandel. Die Probleme reichen vom Verlust einer bürgernahen Verwaltung durch Gebietsreformen über das Fehlen von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, was zum Pendeln und Abwandern von Jugendlichen zwingt, bis hin zu Mängeln im Gesundheitssystem, kulturellen Angebot und ÖPNV.

Die Koalition will das landeseigene Förderprogramm Demografie finanziell aufstocken, um investive Vorhaben erweitern und die Umsetzung von – möglichst nachhaltig angelegten – Projekten angemessen fördern. Neue Chancen, doch auch Herausforderungen, werden Zuwanderung, demographische Alterung und steigende Mobilität bringen, desgleichen Digitalisierung, Online-Handel und die Sharing Economy (KV, 89).

  • Letztlich zieht ein Teufelskreis den ländlichen Raum nach unten. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, fordert einen neuen Politikansatz, welcher der Wiederbelebung des ländlichen Raumes dient.

Vor diesem Hintergrund verlangt die AfD mancherlei Maßnahmen zur Stärkung des ländlichen Raumes. Diese lassen sich, durchaus immer wieder abweichend von ihrer –durch einige Zwischenüberschriften gegliederten – Reihenfolge im AfD-Wahlprogramm, in folgendem Themenbogen vorstellen und mit den entsprechenden Aussagen im Koalitionsvertrag konfrontieren: Sicherung des gesellschaftlichen Lebens im ländlichen Raum; Stärkung der Kommunen; Landesplanung zum Nutzen des ländlichen Raums; Bessere Infrastruktur im ländlichen Raum; Umgang mit Naturkatastrophen, wie sie gerade den ländlichen Raum leicht treffen; Landwirtschaftspolitik; Naturschutzpolitik. Allerdings wird dieser Themenkatalog nicht wirklich konzeptuell so durchgearbeitet, dass additiver Charakter der einzelnen Forderungen vermieden und alles klar in den Dienst einer Stärkung des ländlichen Raums gestellt wird.

(1) Sicherung des gesellschaftlichen Lebens im ländlichen Raum

  • Förderung dessen, was auf dem Lande noch gepflegt wird: intaktes Dorfleben, hohe Qualität sozialer Bindungen, ehrenamtliches Engagement, Gemeinschaftssinn, Solidarität und Identifikation mit der Heimat (WP, 14).

Recht ähnlich formuliert letzteres der Koalitionsvertrag: Man wolle „weiterhin attraktive ländliche Regionen, für die sich die Menschen stark machen“. Deshalb wolle man auch „eine Förderung der ländlichen Entwicklung mit regionalen Budgets (LEADER) und weitgehender Entscheidungskompetenz vor Ort“ (KV, 77).

  • Stärkung von Vereinen, freiwilligen Feuerwehren und Elterninitiativen als maßgeblichen Säulen intakten Dorflebens, und zwar nicht nur durch direkte Finanzzuweisungen, sondern durch die Einführung von abgestuften, unbürokratischen  Belohnungssystemen für ehrenamtliches Engagement (WP, 14).

Der Koalitionsvertrag geht auch davon aus, die Regionen würden sich nur dann erfolgreich entwickeln, wenn sich die Leute vor Ort engagierten (KV, 77). Vertiefendes findet sich im Abschnitt „Bürgerschaftliches Engagement“ (KV, 57). Engagement in Vereinen, Verbänden, Kirchen, Gewerkschaften sowie für soziale Belange, Kultur oder Bürgersinn sei „grundlegend für den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft“, stifte Sinn und stärke die Verantwortungsbereitschaft. Deshalb wolle man insbesondere das ehrenamtliche Engagement in seiner gesamten Breite fördern (etwa durch Ausweitung und bessere Bewerbung der Engagementbörse, ferner durch Aufhebung von Altersgrenzen, die bislang ehrenamtliches Engagement begrenzen), ja „als Vorbild für die Gesellschaft hervorheben“ (zumal durch Wettbewerbe und Preise). Konkret werde an der Aufwandsentschädigung für engagierte Bürger festgehalten und wolle man zusätzlich Bildungs-, Begleit- und Qualifizierungsangebote bereitstellen. Dafür werde das Förderprogramm „Wir für Sachsen“ weiterentwickelt. Die Sächsische Ehrenamtskarte werde beibehalten, weitere Anreize für ehrenamtliche Tätigkeit würden geschaffen. Im Übrigen werde bürgerschaftliches Engagement grundsätzlich als Eigenleistung bei Förderanträgen berücksichtigt. Ehrenamtliche Kooperationen zwischen Kindergärten, Schulen, Institutionen, Vereinen und Senioreneinrichtungen würden unterstützt.

(2) Stärkung der Kommunen

  • Wiederbelebung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden durch Beendigung der Abgabe von Kompetenzen an übergeordnete Instanzen, durch Stärkung der Entscheidungsbefugnisse  der Ortsvertretungen für die örtlichen Belange nach dem Subsidiaritätsprinzip; und durch den Grundsatz, dass weitere Gebietszusammenschlüsse und Eingemeindungen nur noch freiwillig möglich sind (WP, 14).

Die Koalitionspartner wiederum bekennen sich zur „vertrauensvollen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Sachsens Kommunen“ und versprechen: „Die kommunale Selbstverwaltung wird weiter gestärkt“. Die Akzente setzt der Koalitionsvertrag dann auf den Mitwirkungsmöglichkeiten der ehrenamtlichen Gemeinde- und Kreisräte sowie auf Verfahren zur Beteiligung von Einwohnern an lokalen Entscheidungen. Auch soll eine Neufassung der Stadtbezirksverfassung den Kommunen mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung ihrer lokalen Mitwirkungsrechte geben (KV, 93).

Im Übrigen sollen freiwillige Zusammenschlüsse von Gemeinden und kommunalen Zweckverbänden weiterhin gefördert werden (KV, 94).

  • Durch Bürgerbegehren sollen auch bereits erfolgte Gebietszusammenschlüsse und Eingemeindungen durch die Mehrheit der betroffenen Bürger rückgängig gemacht werden können (WP, 14).
  • Verbesserung der Infrastruktur auf dem Lande durch Stärkung der Planungshoheit der Gemeinden. Nur so gelingen im ländlichen Raum wirtschaftlicher Aufschwung, Stopp weiterer Abwanderung, Aufbau einer nachhaltigen Bevölkerungsstruktur (WP, 14).
  • Herbeiführung einer aufgabengerechten Finanzausstattung der Landkreise und Kommunen (WP, 14).

Hierzu steht im Koalitionsvertrag, die derzeitige Finanzausstattung der sächsischen Kommunen sei [ohnehin] solide. Freistaat und Kommunen sollten auch künftig in gleichem Maße an der Entwicklung der Steuereinnahmen teilhaben; der kommunale Finanzausgleich werde weiterhin entsprechend ausgestaltet. Ansonsten halte man grundsätzlich am Gleichmäßigkeitsgrundsatz fest und richte sich am Konnexitätsprinzip aus (KV, 110).

Insbesondere setze man sich weiterhin „für eine stabile und verlässliche Finanzausstattung der Kommunen im ländlichen Raum“ ein. Ohnehin stünden – neben europäischer Förderung – dem ländlichen Raum auch Fachförderprogramme für die weitere Entwicklung zur Verfügung (KV, 77).

Ansonsten wird recht detailreich beschrieben, auf welche Weise der Freistaat weiterhin für eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen sorgen will (KV, 110f).

(3) Landesplanung zum Nutzen des ländlichen Raums

  • Abkehr von der Bevorzugung zentraler Orte und Ballungszentren durch die Landes- und Regionalplanung (WP, 14).

Wohl nicht ganz das gleiche meint der Koalitionsvertrag, wo er die Stärkung der Unter- und Mittelzentren als unabdingbare „Wirtschafts-, Bildungs-, Arbeitsplatz- und Wohnzentren“ in Aussicht stellt (KV, 77). Im Abschnitt „Landesentwicklung und Demografie“ wird in Aussicht gestellt, gleichermaßen die Leistungsfähigkeit von Städten und ländlichen Regionen zu fördern. Ausgegangen wird davon, dass gerade starke Städte „die ländlichen Räume im Hinblick auf die Daseinsvorsorge zu unterstützen“ vermögen, wobei die Umlandregionen und die ländlichen Räume wichtige „Funktionen als Lebens-, Arbeits- und Erholungsraum“ übernehmen. Insgesamt soll es ein gutes Miteinander von Stadt und Land geben, wozu gemeinsame Projekte von Städten mit ihrem Umland besonders gefördert werden sollen (KV, 89).

  • Entwicklung eines landesplanerischen Modells, das die spezifischen Potentiale des ländlichen Raums gezielt fördert (WP, 14).

Laut Koalitionsvertrag sollen – angesichts der Herausforderungen für die Daseinsvorsorge in den [sich ausdünnenden] ländlichen Räumen – kleinere Städte und Gemeinden ihre Entwicklung regional stärker miteinander vernetzen sowie ihre Angebote der Daseinsvorsorge untereinander abstimmen und gegebenenfalls stärker arbeitsteilig bereitstellen. Aufbau, Verstetigung und Weiterentwicklung entsprechender interkommunaler Kooperationsnetzwerke werden unterstützt (KV, 89; siehe auch KV, 110).

Insgesamt setze man auf Lösungen vor Ort und stütze daher die kommunale Selbstverwaltung. Freiwillige kommunale Kooperationen bei der Daseinsvorsorge würden befürwortet und unterstützt (KV, 110).

(4) Bessere Infrastruktur im ländlichen Raum

  • Begünstigung von Investitionen in peripheren ländlichen Räumen, um eine annähernde Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Sachsen zu gewährleisten (WP, 14)

Das berührt sich mit der Zusage im Koalitionsvertrag, man wolle „die flächendeckende Landbewirtschaftung auch in benachteiligten Gebieten durch Ausgleichszahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU sichern“ (KV, 79).

  • Bessere Vernetzung des ÖPNV (WP, 14).

Die Koalitionspartner unterstützen „weitere flexible Angebote“ im ÖPNV (z.B. ein Rufbussystem), die eine effiziente Grundversorgung sichern und sich an den Bedürfnissen vor Ort orientieren (KV, 77). Ferner will die Koalition „besonders im ländlichen Raum Modelle zur Elektromobilität ermöglichen“ (KV, 43).

  • Qualitative und quantitative Sicherstellung der ärztlichen Versorgung auf dem Lande (WP, 14).

Der Koalitionsvertrag strebt  „eine wohnortnahe, qualitativ hochwertige und bezahlbare gesundheitliche Versorgung für alle Bevölkerungsgruppen“ an und nennt folgende konkrete Maßnahmen auf dem Weg zu diesem Ziel: das 20-Punkte-Programm zur Sicherung der Ärzteversorgung im ländlichen Raum“ als – gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung umzusetzende Leitlinie; Gewährleistung – in Zusammenarbeit mit der Landesapothekenkammer – einer flächendeckend sicheren Arzneimittelversorgung; flächendeckende geriatrische Netzwerke; Förderung der Telemedizin (KV, 59f).

  • Flächendeckende Versorgung mit Breitbandtechnologie zur Gewährleistung stabiler, schneller Internetverbindungen als Voraussetzung für moderne Heimarbeitsplätze (WP, 14).

Gleiches sieht der Koalitionsvertrag vor, der zudem anmerkt, Politik und Wirtschaft seien „gemeinsam gefordert, um eine bestmögliche Versorgung sicherzustellen“ (KV, 77). Die Ausführungen im Abschnitt „Sachsen Digital“ des Koalitionsvertrages (KV, 29-31) konkretisieren das, wobei besonders betont wird: „Besonderes Augenmerk werden wir auf die ländlichen Regionen legen“ (KV, 29). Im Übrigen soll die „Digitale Agenda Sachsen“ in einem breiten Dialog auch „mit  Akteuren der kommunalen Ebene“ erarbeitet werden (KV, 30).

  • Dezentrale und eigenverantwortliche Lösungen der Energieversorgung, Trinkwasserversorgung und der Abwasserbeseitigung, darunter Nutzung privater Brunnen für die lokale Trinkwasserversorgung und die Lockerung des Anschluss- und Benutzungszwangs. Ferner: kein Zwangseinbau vollbiologischer Kläranlagen (WP, 14).

Auch der Koalitionsvertrag geht von einem im ländlichen Raum zu realisierenden dezentralen Ausbau der Abwasserversorgung aus, und zwar auf der Grundlage der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Die kommunale Ebene wird ermuntert, hier initiativ zu werden sowie die Bürger umweltfachlich, finanziell und technisch zu beraten. Dabei sollen die Leistungen des Bildungs- und Demonstrationszentrums für dezentrale Abwasserbehandlung genutzt werden (KV, 82).

(5) Umgang mit Naturkatastrophen

  • Schaffung von Elementarpflichtversicherungen bei Hochwassergefahr sowie einer Innenstadtsanierungsgewinnbeteiligung nach Naturkatastrophen  (WP, 14).

Die Koalitionspartner „unterstützen die Bürger bei der Planung und Durchführung ihrer Eigenvorsorge“ und werden sich gegenüber Versicherungswirtschaft und Bund „dafür einsetzen, dass jeder Bürger eine bezahlbare Elementarschadensversicherung erhalten kann“ (KV, 84).

Speziell auf Landwirte zielt folgender Passus des Koalitionsvertrages: Bei Überflutungen werden den Landwirten die Schäden auf Polderflächen erstattet, und gegenüber dem Bund setzt sich der Freistaat für eine einheitliche Ausgleichs- und Entschädigungsregelung für betroffene Landwirte ein, deren Flächen für einen wirksamen Hochwasserschutz benötigt werden (KV, 84).

  • Mehr Überflutungsflächen und weniger Versiegelungen oder Einengungen entlang der Flussläufe in Sachsen und den Nachbarländern (WP, 14).

Die Koalition will „einen vorbeugenden Hochwasserschutz, der die Balance zwischen baulich-technischen Lösungen und natürlichem Wasserrückhalt einhält“. Dazu gehören: Schaffung von Retentionsflächen, Anlegung von Polderflächen, Deichrückverlegungen, Bebauungsverbote, Etablierung eines Auenprogramms, kontinuierliche Pflegemaßnahmen. Insgesamt sollen ausreichen Mittel für die Verbesserung des Hochwasserschutzes bereitgestellt werden (KV, 84).

Die Koalition will ansonsten, dass die Elbe weiterhin als Bundeswasserstraße anerkannt bleibt, legt sich aber zugleich fest auf „eine umweltverträgliche Nutzung der Elbe, die mit dem Naturhaushalt im Einklang steht. Der Ausbau der Elbe steht diesem Ziel entgegen und wird daher … abgelehnt“, selbst wenn eine ganzjährige Schiffbarkeit nicht gewährleistet ist (KV, 83).

(6) Landwirtschaftspolitik

  • Grund und Boden, Hauptproduktionsmittel von Bauern und Agrarbetrieben, dürfen nicht zum Spekulationsobjekt werden (WP, 15).

Der Koalitionsvertrag stellt hierzu in Aussicht: „Wir werden die Umsetzung des Grundstücksverkehrs- und Landpachtverkehrsrechts durch effektive Kontrollen der Bodenpreis- und Strukturentwicklung sicherstellen“. Ferner sollen die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Bodenmarkt auf die sächsischen Verhältnisse angepasst werden. Obendrein wird dafür Sorge getragen dass ein einheitliches Flächenmanagement ressortübergreifend und verbindlich für alle gewährleistet wird sowie bei landwirtschaftlichen Nutzflächen die agrarstrukturellen Belange berücksichtigt werden. Dafür soll ein Konzept entwickelt werden (KV, 79).

  • Das verbliebene, von der Bodenverwertungs- und –verwaltungs GmbH (BVVG) zu veräußernde, ehedem enteignete Land soll an den Freistaat Sachsen übertragen werden. Dann kann der Staat darauf hinwirken, dass beim Verkauf von BVVG-Flächen vor allem kleine Landwirtschaftsbetriebe unter 200 ha oder Neu- bzw. Wiedereinrichter vorrangig berücksichtigt werden (WP, 15).
  • Für Grund und Boden soll nur eine langfristige Verpachtung in Betracht gezogen werden, orientiert am Modell der Verwaltung von Grund und Boden der Kirche (WP, 16).
  • Die Gesetze im Grundstücks- und Fördermittelrecht sollen dahingehend reformiert werden, dass Grundstücksverkauf an Spekulanten oder deren Strohmänner erschwert und möglichst unterbunden wird. Dafür werden vier konkrete Vorschläge gemacht (WP, 16).
  • Die Arbeit von Behörden und der Einsatz von Finanzmitteln müssen darauf zielen, die Wettbewerbsfähigkeit der Bauern, Gärtner und Forstwirte zu verbessern. Die Offizialberatung landwirtschaftlicher Betriebe soll deshalb schrittweise wieder aufgebaut werden (WP, 15).

Auch der Koalitionsvertrag verspricht eine Politik zugunsten einer Land- und Forstwirtschaft, die – u.a. – „örtlich verwurzelt ist, im internationalen Wettbewerb bestehen kann und zum Wohlstand beiträgt“. Zu diesem Zweck werden alle Rechts- und Betriebsformen unterstützt (KV, 78).

  • Die Agrarpolitik der EU soll dahingehend verändert werden, dass kleine Landwirtschaftsbetriebe mit EU-Beihilfen wirtschaftlich arbeiten können. Außerdem sollen die Beihilfen weniger zur pauschalen Förderung pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche gezahlt werden, als vielmehr an zusätzlichen Leistungen der Landwirte für die Gesellschaft orientiert werden, etwa Biotop- und Artenschutz, Hochwasserschutz, Gewässerqualität, Bodenschutz oder Landschaftsbild (WP, 15).
  • Es muss dafür gesorgt werden, dass es in der sächsischen Landwirtschaft konkurrenzfähige – d.h.: nicht zu kleine – Betriebsgrößen und einen „richtigen“ Produktmix gibt (WP, 15).

Anders als bei der Landwirtschaft bei Blick auf kleine Höfe wird bei der Forstwirtschaft unterstrichen: „Der Kleinprivatwald erhält weiterhin unsere Unterstützung“ (KV, 79).

  • Es braucht Rahmenbedingungen, die der Praxis entgegenwirken, dass die Nahrungsmittelproduktion immer mehr durch den Anbau von Energiepflanzen (wie Raps und Mais) verdrängt wird. Zu diesem Zweck sollen auch keine Flächenbeihilfen mehr für Flächen mit Energiepflanzen gezahlt werden (WP, 15).

(7) Naturschutzpolitik

  • Gentechnisch veränderte Produkte werden ebenso wie gentechnisch veränderte Pflanzen abgelehnt (WP, 15). Allerdings muss es jeder Region – unabhängig von EU-Entscheidungen – freistehen, sich auf regionaler Ebene für oder gegen den Anbau genveränderter Pflanzen zu entscheiden (WP, 16).

Eine andere Akzentsetzung findet sich im Koalitionsvertrag, wo „ein bundeseinheitlich geregeltes Anbauverbot gentechnisch veränderter Pflanzen“ unterstützt und an der Nulltoleranz gegenüber nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Bestandteilen in Lebensmitteln festgehalten wird, ebenso an der Saatgutreinheit (KV, 79). Eingewanderte Tier- und Pflanzenarten sollen im Übrigen zielgerichtet bekämpft werden (KV, 82).

  • Der Marktkonzentration auf einige wenige Anbieter von Saatgut sowie von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln ist entgegenzuwirken (WP, 16).
  • Traditionelle und regionale Sorten müssen von Zulassungspflichten befreit bleiben (WP, 16).
  • Flora und Fauna dürfen nicht patentiert und monopolisiert werden (WP, 16).
  • Deshalb wird ein sofortiger Stopp der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP zwischen EU und USA gefordert (WP, 16).
  • Die durch Mittel aus dem Agrarhaushalt geförderte Forschung soll vor allem folgende Bereiche berücksichtigen: ressourcenschonende Anbauverfahren, Hochwasserschutz, nachhaltige Humuswirtschaft, regionale Stoffkreisläufe, Möglichkeiten der Verringerung der Verluste bei Lagerung und Logistik (WP, 16).
  • Der Biotopschutz soll sich auf die Schaffung sachsentypischer natürlicher Biotope konzentrieren, die perspektivisch auch ohne menschliches Zutun existieren könnten (WP, 16).

Der Koalitionsvertrag sieht vor, die große Zahl bereits bestehender Schutzgebiete in ein landesweites Biotopverbundsystem für Zielarten einzubinden, und zwar im kooperativen Naturschutz mit den Flächennutzern. Hintergrund ist, dass die Naturschutzpolitik nicht allein auf den Schutz einzelner Gebiete und Arten gerichtet sein, sondern Gesamtzusammenhänge berücksichtigen soll (KV, 81).

  • Vereine und Schulen, die sich im Heimat- und Naturschutz engagieren, sind besonders zu fördern (WP, 16).

Die Koalition setzt sich ein „für eine verstärkte Anerkennung des Ehrenamtes im Naturschutz“ und strebt die Einsetzung von Naturschutzbeiräten auf kommunaler Ebene an (KV, 81).

  • Die Kostenstelle für das „Wolfsmanagement“ soll entweder abgeschafft oder in ein „Wildtiermanagement“ umgewandelt werden, in dem alle Wildarten gleich behandelt werden (WP, 16).

Nach dem Koalitionsvertrag sollen Konflikte mit Land- und Gewässernutzern, die sich aus der Ausbreitung von streng geschützten Tierarten (wie den Wölfen) ergibt, „durch Managementmaßnahmen gelöst werden“. Dabei ist der Schadensausgleich für Land- und Fischwirte aufgrund von Schäden durch besonders geschützte Tierarten sicherzustellen. Die Bejagung des Wolfes bleibt verboten, solange der Bestand gefährdet ist. Der Freistaat wird Maßnahmen fördern, die ein konfliktfreies Nebeneinander von Mensch und Wolf unterstützen (KV, 81f).

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag behandelt jene vielen Themen, die im AfD-Wahlprogramm – mehr oder minder klar gebündelt – unter dem Titel „Politik für den ländlichen Raum“ abgehandelt werden, nicht nur im – kurzen – Abschnitt „Ländlicher Raum“ (KV, 77), sondern auch in mehreren Abschnitten mit anderer Überschrift, nämlich in „Sachsen Digital“ (KV, 29-31), „Tourismus“ (KV, 40f), „Bürgerschaftliches Engagement“ (KV, 57), „Gesundheit“ (KV, 59-61), „Land- und Forstwirtschaft“ (KV, 78-80), „Umwelt und Naturschutz“ (KV, 81-83), „Hochwasserschutz“ (KV, 84) sowie „Landesentwicklung und Demografie“ (KV 89f), „Kommunales“ (KV, 93f) und „Starke Kommunen“ (KV, 110f). Wo immer Festlegungen getroffen werden, die unmittelbar zu Aussagen des AfD-Wahlprogramms passen, finden sie sich oben an der einschlägigen Stelle wiedergegeben.

Eine zentrale Voraussetzung für eine gute Entwicklung des ländlichen Raumes formuliert der Koalitionsvertrag so: „Wir brauchen gute Bedingungen für die kleine und mittelständische Wirtschaft. Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft sind dabei wichtige Wirtschaftsfaktoren“ (KV, 77). Konkretisiert wird das im Abschnitt über „Land- und Forstwirtschaft“ so: Die Land- und Forstwirtschaft besitze eine „große wirtschaftliche, ökologische und soziale Bedeutung“, denn sie „prägt unsere Heimat und insbesondere den ländlichen Raum“ (KV, 78).

Bei den konkreten Ausführungen zur Land- und Forstwirtschaft kann der Koalitionsvertrag insofern systematischer und vollständiger vorgehen als das AfD-Wahlprogramm, weil im Koalitionsvertrag dem ein eigener Abschnitt gewidmet ist, sich dazu im Wahlprogramm aber vor allem eine Sammlung von Einzelpunkten findet, die dem Abschnitt „Politik für den ländlichen Raum“ ziemlich additiv eingefügt wurden.

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Die Stärke des AfD-Wahlprogramms besteht hinsichtlich des Politikfelds „Ländlicher Raum“ darin, dass alles nur irgendwie Einschlägige hier gebündelt werden konnte – oder wenigstens hätte gut gebündelt werden können. Immerhin stellt das Wahlprogramm einen „neuen Politikansatz“ in Aussicht. Die Schwäche dieses Abschnitts im Wahlprogramm liegt hingegen darin, dass viele Politikvorhaben aus einer anderen Warte als der einer Stärkung des ländlichen Raums viel systematischer darzulegen wären, so dass das AfD-Wahlprogramm streckenweise einen rein additiven, wenig konzeptuellen Charakter annimmt. Umgekehrt zeigt der Koalitionsvertrag, dass die Anbindung vieler für den ländlichen Raum wichtigen Themen an ihre systematischen Zusammenhänge dann eben eine ziemliche Leerstelle gerade beim zentralen Gestaltungsbereich „ländlicher Raum“ lässt. Das wirkt sich bis dorthin aus, dass den systematischen Ausgangsfeststellungen zum ländlichen Raum im Koalitionsvertrag nur eher nebensächliche Aussagen entsprechen, nämlich zur Rolle des ländlichen Raums für den Tourismus oder zum landeseigenen Förderprogramm Demografie.

Im Grunde könnte die AfD aus einer Synthese der Themenkomplexe „Familie“ – „demographische Entwicklung / Einwanderung / Integration“ – „Mittelstand“ – „ländlicher Raum“ eine in sich stimmige und zu einer issue-orientierten Oppositionsstrategie führende Gesamtprogrammatik entwickeln, wenn sie von ihren Ausgangsfeststellungen über die Rolle des ländlichen Raums als Lebenswelt, Produktionsstandort usw. tief und systematisch in alle einschlägigen Politikfelder hineinginge.

Gemeinsamkeiten gibt es in folgenden Bereichen:

  • Sicherung gesellschaftlichen Lebens im ländlichen Raum durch Hinwirken auf attraktive ländliche Regionen und Förderung des gesellschaftlichen Engagements dort;
  • Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, laut AfD-Wahlprogramm ausdrücklich entlang dem Subsidiaritätsprinzip, sowie durch eine bessere Finanzausstattung der Kommunen;
  • Landesplanerische Stärkung auch der Unter- und Mittelzentren, nicht nur der Ballungszentren und zentralen Orte, wobei der Koalitionsvertrag mehr das sinnvolle Miteinander von Zentren und Peripherie, das AfD-Wahlprogramm mehr die Stärkung der Peripherie betont;
  • Verbesserungen beim ÖPNV, der ärztlichen Versorgung, digitaler Leitungen, der Energieversorgung und Abwasserentsorgung im ländlichen Raum;
  • Verbesserung der Versicherungsmöglichkeiten gegen Naturkatastrophen;
  • Vorbeugender Hochwasserschutz;
  • Kostengünstige Verfügbarkeit landwirtschaftlicher Nutzflächen;
  • Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von Land-, Garten- und Forstwirtschaft;
  • Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes für den Naturschutz.

Besondere Akzente setzt das AfD-Wahlprogramm in folgender Hinsicht:

  • Gebietszusammenschlüsse und Eingemeindungen sollen nur noch freiwillig möglich sein sowie durch Bürgerbegehren, falls schon erfolgt, rückgängig gemacht werden können. (Koalitionsvertrag: Freiwillige Zusammenschlüsse, auch von kommunalen Zweckverbänden, sollten gefördert werden);
  • Bessere Aufkaufmöglichkeiten verfügbarer landwirtschaftlicher Nutzflächen an kleine Landwirtschaftsbetriebe sowie Neu- bzw. Wiedereinrichter; Unterbindung von Spekulantengeschäften beim Grundstücksverkauf;
  • Einflussnahme auf die EU-Agrarpolitik, zumal zur Verbesserung der Förderbedingungen für kleinere landwirtschaftliche Betriebe;
  • Hinwirken auf einen „richtigen Mix“ von landwirtschaftlichen Betriebsgrößen und Produkten;
  • Schaffung von Rahmenbedingungen dahingehend, dass die Nahrungsmittelproduktion nicht durch die Produktion von Energiepflanzen verdrängt wird;
  • Einzelregelungen zu Saatgut, Flora und Fauna;
  • Forderung nach einem besonderen Profil der aus dem Agrarhaushalt geförderten Forschungen;
  • Sofortiger Stopp der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP – was freilich weit außerhalb aller Landeskompetenzen liegt.

Der Koalitionsvertrag hingegen setzt, neben viel größerer Detailfreude und Kontextualisierung aus den um die Thematik „Ländlicher Raum“ gelagerten Politikfeldern, im Wesentlich nur den folgenden Sonderakzent: Es soll mehr Verfahren zur Beteiligung von Einwohnern an lokalen Entscheidungen; mehr Mitwirkungsmöglichkeiten ehrenamtlicher Gemeinde- und Kreisräte sowie von Stadtbezirken geben.

Mehr oder minder klare Unterschiede finden sich bei folgenden Themenbereichen:

  • Während der Koalitionsvertrag den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen grundsätzlich unterbinden will, soll nach AfD-Wünschen es auf regionaler Ebene freistehen, sich für oder gegen deren Anbau zu entscheiden.
  • Während der Koalitionsvertrag ein landesweites Biotopverbundsystem für bestimmte Zielarten einrichten will, geht das AfD-Wahlprogramm darauf aus, sich auf die Schaffung solcher sachsentypischer Biotope zu konzentrieren, die dann auch ohne menschliches Zutun bestehen können.
  • Während der Koalitionsvertrag weiterhin auf das „Wolfsmanagement“ setzt und es nachgerade auf weitere streng geschützte Tierarten erweitern will, soll es nach dem AfD-Wahlprogramm in ein allgemeines „Wildtiermanagement“ umgewandelt werden.

Die deutlichen Unterschiede fallen im Vergleich mit den nicht minder deutlichen Gemeinsamkeiten in der auf den ländlichen Raum bezogenen Politik nicht sonderlich ins Gewicht. Vor dem Hintergrund der letzteren sorgen die besonderen AfD-Akzente durchaus für ein eigenes Profil. Insgesamt lassen sich aus dem AfD-Wahlprogramm somit wirkungsvolle, da weitgehend an den Eigenabsichten der Regierung nicht vorbeigehende, Maßstäbe für die oppositionelle Richtungs- und Leistungskontrolle des hier einschlägigen Regierungshandelns entwickeln. Für eine auch öffentlich überzeugende issue-orientierte Oppositionsstrategie auf diesem Politikfeld müssten sich die zuständigen Fachpolitiker der AfD-Fraktion allerdings auf vielen Politikfeldern erst noch auf das Niveau jener Detailkenntnisse bringen, von denen viele konkrete Gestaltungsvorhaben der Koalition geprägt werden.

IV. Sachsen in Deutschland und der Welt

1. Zuwanderung (WP, 17)

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Die AfD trifft eine generelle Lagebeurteilung dahingehend, dass Sachsen an folgenden Entwicklungen leidet:

  • sinkende Geburtenrate, deshalb Kinderarmut
  • Bevölkerungsabwanderung
  • schlechter werdende Qualifikation von Jugendlichen.

Ferner stellt die AfD fest:

  • Es gibt derzeit keine bedarfsorientierte Einwanderungspolitik.
  • Gut ausgebildete und integrationswillige Einwanderer machen vielfach negative Erfahrungen mit deutschen Behörden.
  • Die ungesteuerte Einwanderung über Familiennachzug, Duldungsmechanismen und durch laxe Auslegungen des Asylrechts nimmt zu.

Als Reaktion auf diese Lage fordert die AfD:

  • Soviel Zuwanderung wie nötig, aber zugleich soviel Familienförderung und Qualifikation wie möglich. Deshalb: Parallel zur Neuregelung der Zuwanderung soll ein Ausbau der Familienförderung sowie der Qualifikationsangebote für deutsche Arbeitslose erfolgen.
  • Qualifizierte Zuwanderung nach klaren Regeln, und zwar nach dem kanadischen Punktesystem. Allerdings lassen sich nicht alle Teile des kanadischen Modells auf Deutschland übertragen; also sind sorgfältige Prüfungen nötig.

Der Koalitionsvertrag (KV, 71) will zwar „eine gezielte Zuwanderungspolitik von Fachkräften“, um Sachsens Zukunft zu sichern und die Chancen im internationalen Wettbewerb zu verbessern. Er sagt aber nicht, was genau mit „gezielt“ gemeint ist und durch welche Mittel eine Art „Zielkorridor“ eingehalten werden soll. Im Abschnitt über „Landesentwicklung und Demografie“, KV 89f, wird die Zuwanderung unter den „neuen Chancen und Herausforderungen“ im ländlichen Raum und in den Städten aufgeführt.

  • Klare Trennung von Zuwanderungs- und Asylpolitik.
  • Regelung der Aufnahme von Armutsflüchtlingen im Rahmen eines modernen europäischen Einwanderungsrechts, nicht aber durch das Asylrecht.
  • Verbindliche Absprachen mit europäischen Nachbarstaaten dahingehend, dass auch bei offenen Grenzen im Schengen-Raum eine Aufnahme von Asylbewerbern nur im Rahmen deutscher – und somit auch sächsischer – Möglichkeiten erfolgt.
  • Strikte und bessere Anwendung des Asylrechts: Beschleunigung der Prüfungsverfahren (das wünscht auch der KV, 73) ; Festhalten an Residenzpflicht und zentraler Unterbringung der Asylbewerber; Verwirkung des Asylrechts bei Straffälligkeit; zügige Rückkehr bei Ablehnung des Asylgesuchs (auch das fordert der KV, 73, fügt dem aber noch die Forderung nach angemessener Fürsorge für besonders schutzbedürftige Personen hinzu).
  • Asylbewerber erhalten das Recht, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.
  • Verhinderung eines Sinkens der Reallöhne aufgrund von Zuwanderung.
  • Unterbindung der Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme; Verhinderung des Missbrauchs von Sozialleistungen auch durch EU-Ausländer. Konkret: Beitragsunabhängige Sozialleistungen wie Kindergeld und ALG II sollen nur dann an EU-Bürger gezahlt werden, wenn sie ihren tatsächlichen Wohnsitz in Deutschland haben und mindestens fünf Jahre einer sozialversicherungspflichtigen bzw. selbständigen Beschäftigung nachgegangen sind.
  • Verhinderung, dass den Entwicklungs- und Schwellenländern die dort dringend benötigten Fachkräfte durch Zuwanderung nach Deutschland entzogen werden.

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag behandelt die hier einschlägigen Themen im Wesentlichen im Abschnitt „Willkommenskultur und Integration“ (KV, 71-73) und somit in einer doch etwas anderen Betrachtungsweise.[11] In deren Mittelpunkt steht, „dass Sachsen ein weltoffenes und zukunftsorientiertes Land ist“  bzw. sein oder werden will (KV, 71). Der Leitgedanke wird dort so zusammengefasst: „Migrations- und Integrationspolitik sind für die Koalitionspartner Teile einer Gesamtstrategie, die auf den sozialen und kulturellen Zusammenhalt, die Bewältigung des demografischen Wandels, die Chancengerechtigkeit auch für künftige Generationen und den Ausbau der Wirtschaftskraft gerichtet ist“ (KV, 71). Besonders deutlich betont wird allerdings gerade die humanitäre Dimension deutscher Zuwanderungspolitik (KV, 73): „Sachsen steht zu seinen humanitären Verpflichtungen gegenüber schutzbedürftigen Flüchtlingen. Menschen, die zu Recht Hilfe beanspruchen, brauchen gesellschaftliche Unterstützung. Dafür fördern wir ein Klima der Akzeptanz, der Empathie und des gemeinsamen Miteinanders“.

Ansonsten sieht der Koalitionsvertrag die folgenden Maßnahmen vor (KV, 73):

  • Schaffung der erforderlichen Erstaufnahmekapazitäten in Sachsen, welch letztere durch ihre baulichen Gegebenheiten und personelle bzw. innere Organisation „den besonderen Anforderungen Rechnung tragen [sollen], die entstehen, wenn viele Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern an einem Ort zusammenleben“. Sie sollen auch künftig von anerkannten gemeinnützigen Organisationen betrieben  werden; qualifizierte anderen Vereine oder Einzelne können zur Ergänzung der sozialen Betreuung hinzugezogen werden.
  • Minderjährige Flüchtlinge brauchen in besonderer Weise Fürsorge.
  • Frühzeitige und umfassende Information von Landkreisen und Kreisfreien Städten über Aufnahmezahlen und –zeitpunkte.
  • Regelmäßige Überprüfung der finanziellen Unterstützung der Kommunen nach dem Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetz.

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Eindeutig ist die Zuwanderungsthematik für das AfD-Wahlprogramm wichtig, viel weniger aber für den Koalitionsvertrag, wo die einschlägige Thematik im Wesentlichen unter „Willkommenskultur und Integration“ abgehandelt wird. Weniger in der Länge des entsprechenden Abschnitts – eine Seite des Wahlprogramms – als in der systematisch angelegten Argumentation drückt sich das aus. Klar wird die – einen anderen Eckstein des AfD-Programms ausmachende – Familienpolitik in einen systematischen Zusammenhang mit unserer demographischen Entwicklung und somit der Notwendigkeit einer Einwanderungspolitik gebracht. Kritisiert wird das Fehlen einer bedarfsorientierten Einwanderungspolitik; entsprechende Vorschläge werden unterbreitet; eine klare Abtrennung der Asylpolitik von der Einwanderungspolitik wird gefordert und mit konkreten Forderungen untersetzt. Im Koalitionsvertrag hingegen wirken die einschlägigen Gestaltungszusagen recht additiv.

Gemeinsamkeiten mit dem Koalitionsvertrag bestehen in den folgenden Punkten:

  • Verständnis von Migrations- und Integrationspolitik als Teil einer Gesamtstrategie, die auf weiteren sozialen und kulturellen Zusammenhalt, auf die Bewältigung des demographischen Wandels und den Ausbau unserer Wirtschaftskraft gerichtet ist;
  • Beschleunigung der asylrechtlichen Prüfungsverfahren;
  • Zügige Rückkehr von Asylbewerbern nach Ablehnung des Asylgesuchs;

Sein besonderes Profil gewinnt das AfD-Wahlprogramm durch folgende Akzente an Stellen, über die sich der Koalitionsvertrag ausschweigt – und wohl auch ausschweigen muss, weil es sich hier um bundesrechtliche Regelungen handelt:

  • Soviel Zuwanderung wie nötig, doch soviel Familienförderung und Qualifikation für deutsche Arbeitslose wie möglich.
  • Qualifizierte Zuwanderung nach einem klaren Punktesystem. (Der Koalitionsvertrag spricht nur von einer „gezielten Zuwanderung von Fachkräften“, sagt aber nichts über die Mittel und Kriterien einer solchen Politik).
  • Regelung der Aufnahme von Armutsflüchtlingen im Rahmen eines (restriktiveren) europäischen Einwanderungsrechts, nicht aber durch das Asylrecht.
  • Verhinderung des Missbrauchs deutscher Sozialsysteme durch EU-Ausländer.
  • Durch Straffälligkeit wird das Asylrecht verwirkt; doch Asylbewerber dürfen selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen.
  • Verhinderung des Sinkens von Reallöhnen in Deutschland aufgrund von Zuwanderung.
  • Verhinderung des Entzugs von in den Entwicklungs- und Schwellenländern benötigten Fachkräften durch Zuwanderung nach Deutschland.

Ausdrücklich Gegensätzliches wollen AfD-Wahlprogramm und Koalitionsvertrag zwar an keiner Stelle. Doch es setzt der Koalitionsvertrag besondere Akzente in den folgenden Bereichen, die nun in der Tat in den landespolitischen Kompetenzbereich fallen, während die AfD-Programmatik sich weithin im bundespolitischen Kompetenzbereich bewegt:

  • Schaffung der erforderlichen Erstaufnahmekapazitäten, die dann von anerkannten gemeinnützigen Organisationen betrieben werden sollen;
  • Frühzeitige und umfassende Information der Kommunen über Aufnahmezahlen und –zeitpunkte;
  • Regelmäßige Überprüfung der finanziellen Unterstützung der Kommunen nach dem Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetz;
  • Besondere Fürsorge für minderjährige Flüchtlinge.

Alles in allem setzt das AfD-Wahlprogramm grundsätzlicher an als der Koalitionsvertrag, betrachtet die Zuwanderung recht ganzheitlich, begibt sich dafür aber weithin auf Felder, die der Landesgesetzgebung entzogen sind. Auf ihnen – insbesondere das Aufenthaltsrecht sowie das Asylrecht betreffend – ist das AfD-Wahlprogramm dann auch viel konkreter als der Koalitionsvertrag. Dieser ist hingegen deutlich konkreter in Aussagen zur landesrechtlichen Umsetzung der bestehenden Rechtslage, wie es sich für einen Koalitionsvertrag auch gehört. Insofern gibt es zwischen beiden Erklärungen zu eigenen politischen Absichten zwar vielerlei Spannungen in den Kontexten des Aufgeführten, doch keine wirklichen Gegensätze, die über unterschiedliche Akzentsetzungen hinausgingen. Bei der Beschleunigung der asylrechtlichen Prüfverfahren sowie bei der Abschiebung gibt es sogar eine deutliche Übereinstimmung.

Für die Praxis der Oppositionsarbeit folgt aus alledem, dass die zuständigen Fachparlamentarier der AfD ihre Programmatik im Bereich der Landeszuständigkeiten auf das Niveau des Koalitionsvertrags bringen müssen, wenn sie auch hier eine präzise Leistungskontrolle vornehmen wollen. Bei der Richtungskontrolle, wo die AfD-Fraktion sehr gut die oppositionelle Alternativfunktion ausüben kann, müssen hingegen die jetzt noch in ungewisser Spannungsbalance gehaltenen Zielunterschiede zwischen Koalitionsvertrag und AfD-Wahlprogramm, im Hintergrund also zwischen SPD und CDU, in möglichst sachlichen Debatten geklärt und, falls sich wichtige Differenzen auftun, im nächsten Wahlkampf den Bürgern zur Mitentscheidung mittels parlamentarischer Mehrheitsbildung vorgelegt werden. Es scheint, als würde die von der Pegida-Bewegung erbrachte gesellschaftliche Thematisierungsleistung diesbezüglich der AfD Auftrieb für ihre Positionen erbringen. Umso schwerer wiegt hier die Verantwortung der AfD, dieses innenpolitisch zentrale Thema unter möglichst wirkungsvoller Erfüllung der oppositionellen Integrationsfunktion aufzugreifen. Gerade weil hier ein sehr giftiger gesellschaftlicher Konflikt schwelt, muss die AfD versuchen, einwanderungspolitisch – und hier wohl am besten im Zusammenwirken mit der CDU – mehr zu verbinden als zu spalten.

2. Integration (WP, 18)

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Die grundsätzliche Lagebeurteilung der AfD zur Integrationspolitik der zu einem Einwanderungsland gewordenen Bundesrepublik Deutschland sieht so aus:

  • Deutschland hat bei der bisherigen Zuwanderung nicht auf Qualifikation geachtet.
  • Deutschland hat Zuwanderung in einem Umfang zugelassen, der die Integrationskräfte der Gesellschaft überfordert.
  • Als Folge beider Fehler gibt es in Deutschland Parallelgesellschaften, in denen sich schlecht qualifizierte und nicht integrierte Menschen abkapseln und mit sozialstaatlicher Alimentation ein unwürdiges Dasein fristen.

Die Lagebeurteilung im KV, 71, setzt im Grunde den gleichen Akzent: „Zuwanderung und Integration gehören zusammen. Die Bildung von Parallelgesellschaften wollen wir verhindern“ – wenigstens in Sachsen, wo für das Bestehen von Parallelgesellschafen der Ausländeranteil (noch) zu niedrig ist. Es wird in KV, 73, hinzugefügt: „Die Situation von Flüchtlingen soll künftig auch im Zuwanderungs- und Integrationskonzept des Freistaates Sachsen thematisiert werden“.

  • Zu den Ursachen der genannten Integrationsmängel gehören:
    • Förderung, zumindest Duldung maximaler Bewahrung der kulturellen Ursprungsprägung von Zuwanderern, samt Fehlvorstellung, man müsse in Deutschland die eigene Kultur zurücknehmen, damit Integration gelingen kann.
    • Sozialstaatliche Umsorgung von Zuwanderern (anstelle der Ermöglichung von Eigenverantwortung unter ihnen).

Eben mehr davon sieht aber der Koalitionsvertrag vor, nämlich voller Hoffnung auf einen weiteren Integrationsschub (KV, 72):

  • Wir …. „richten ein dauerhaftes Förderprogramm für demokratische und integrationsfördernde Migrantenselbstorganisationen ein“.
  • Es soll die sozialpädagogische Betreuung von Asylbewerbern verbessert werden.
  • Es soll geprüft werden, wie der Zugang von Asylbewerbern zu medizinischer Versorgung vereinfacht werden kann.
  • Hintanstellung der Interessen des eigenen Volkes.

Als Reaktion auf diese Lage fordert die AfD:

  • Entschlossenes Gegensteuern durch eine aktivierende Integrationspolitik.
    • Das meint: Zwar wird auf die „Integrationskräfte der Gesellschaft“ gesetzt, die sich vor allem im Umfeld von Arbeit, Familie und Freundeskreis entfalten; doch vor allem ist Integration eine Aufgabe derer, die sich integrieren sollen. Gerade dafür muss geworben werden.

Der Koalitionsvertrag (KV, 71) sieht ersteres ebenso: „Im Gegenzug fordern wir von Migrantinnen und Migranten aber auch ein Bemühen um Integration ein“.

  • Weniger wichtig für gelingende Integration seien die „an die sächsische Bevölkerung gerichteten Kampagnen für Weltoffenheit oder gar Antidiskriminierungsschulungen“ (was zusammenfassend „Integrationsfolklore“ genannt wird).

Der Koalitionsvertrag (KV, 71) setzt hier einen anderen Akzent: „Wir wollen eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit und im parlamentarischen Raum über das Sächsische Zuwanderungs- und Integrationskonzept“ – offensichtlich in der Erwartung, dass am Ende solcher Diskussion breite Zustimmung zur Einwanderungs- und Integrationspolitik der Staatsregierung stünde.

  • Dabei gilt als Faustregel: „Eine erfolgreiche Integrationspolitik ist umso besser, je weniger sie eingreifen muss“ und sich darauf beschränken kann, für solche Rahmenbedingungen zu sorgen, in denen sich die Integrationskräfte der Gesellschaft ungehindert entfalten können.
  • Vor allem wird vermutet: „Damit Integration gelingen kann, müssen wir den Einwanderern eine attraktive und feste Identität bieten. … Integration und Identität sind zwei Seiten derselben Medaille“.

Der Koalitionsvertrag setzt hier einen anderen Schwerpunkt (KV, 71): „Die Ziele unserer gemeinsamen Zuwanderungs- und Integrationspolitik wollen wir durch interkulturelle Öffnung, interkulturelle Kompetenz und den interkulturellen Dialog verwirklichen“. Und konkret: „Wir fördern die weitere interkulturelle Öffnung von Unternehmen und Verwaltung und werben verstärkt um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund für den öffentlichen Dienst in Sachsen“. Um dabei als Vorbild zu dienen, tritt die Staatsregierung der „Charta der Vielfalt“ bei.

  • Zentrale Maßnahmen einer aktivierenden Integrationspolitik im Sinn der AfD sind:
    • Verpflichtende Sprachkurse auf hohem Niveau für alle Einwanderer, die Sozialleistungen beziehen. Unentschuldigtes Fehlen, Stören oder verweigerte Mitarbeit sollen durch empfindliche Kürzungen der Sozialleistungen sanktioniert werden.

Ähnliches findet sich im KV, 71: „Das Erlernen der deutschen Sprache ist der entscheidende Schlüssel für Integration und ein gelingendes Miteinander“ – weshalb Einwanderer Anspruch auf einen kostenlosen Sprachkurs mit mindestens Sprachniveau A2 erhalten sollen.

KV, 15, präzisiert das mit Blick auf die nächste Generation wie folgt: „Wir werden die schulische Integration von Flüchtlings- und Migrantenkindern sicherstellen und dazu insbesondere das Unterrichtsfach Deutsch als Zweitsprache absichern“.

  • Bereitstellung spezieller Integrationsarbeitsplätze für Einwanderer, die Leistungen nach SGB II beziehen, ähnlich den sog. Ein-Euro-Jobs in Kommunen und Vereinen. Dabei ist eine Besserstellung zu deutschen Hartz IV-Empfängern auszuschließen. Wichtige Ziele dieses Programms („integrierende Bürgerarbeit für arbeitslose Migranten“) sind die folgenden:
    • Die Einwanderer sollen das Gefühl bekommen, Teil der Gesellschaft zu sein.

Der Koalitionsvertrag zielt in die gleiche Richtung: „Haupt- und ehrenamtliche Beschäftigung beinhaltet Wertschätzung für den Einzelnen und Anerkennung in der unmittelbaren Nachbarschaft und bedeutet zugleich soziale Teilhabe“ (KV, 72).

Zwar wird als Möglichkeit, dergleichen zu erreichen, zunächst gleich im Folgesatz auf sozialpädagogische Betreuung hingewiesen. Gleich der nächste Absatz aber bezieht sich auf eine bessere („optimale“) Nutzung vorhandener Arbeitsmarktinstrumente für diese Zielgruppe und geht darin über die Bereitstellung von bloßen „Integrationsarbeitsplätzen“ hinaus: Verbesserung der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen, Anpassungs- und Fördermaßnahmen, Sensibilisierung der kleinen und mittelständischen Unternehmen für die ihnen hier gebotenen Chancen. Betont wird dabei das Potential von in Sachsen lebenden ausländischen Lehrkräften, Erziehern, Pflegekräften und Ausübenden von „Gesundheitsberufen“.

  • Es soll Gelegenheit geboten werden, das in den Sprachkursen erworbene Wissen anzuwenden und zu festigen.
  • Keine (dauerhafte) doppelte Staatsbürgerschaft für Leute, die nicht in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Sie sollen sich für oder gegen „den deutschen Pass“ entscheiden müssen.

Der KV, 72, will zwar Einbürgerung, nicht aber den Verzicht auf eine doppelte Staatsbürgerschaft: Es soll mit einer Einbürgerungskampagne dafür gesorgt werden, „dass mehr berufstätige Menschen in Sachsen die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen“. Zur Erreichung dieses Ziels soll eine Beschleunigung der Einbürgerungsverfahren im Zuständigkeitsbereich Sachsens erreicht werden.

  • Im Übrigen sollen Moscheebauten mit Minaretten, „die tief in das Stadtbild eingreifen“, nur dann errichtet werden, wenn sie von der ansässigen Bevölkerung akzeptiert werden, im Streitfall gegebenenfalls in Bürgerentscheiden.

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag (KV, 71-73) listet über diese, teils gemeinsamen Forderungen hinaus die folgenden zu ergreifenden bzw. zu unterstützenden Maßnahmen auf:

  • Nutzung der Möglichkeiten des organisierten Sports für die Integration von Zuwanderern
  • Jobcenter und Ausländer sollen von ihrem – bereits bestehenden – Recht Gebrauch machen, Zuwanderer zur Teilnahme an Integrationskursen nach § 44a Aufenthaltsgesetz zu verpflichten
  • Das Amt des Ausländerbeauftragten soll zu einem Beauftragten für Migration und Immigration weiterentwickelt und mit den nötigen Ressourcen ausgestattet werden. Ferner sollen die kommunalen Ausländerbeauftragten in Landkreisen und kreisfreien Städten zu hauptamtlichen Integrationsbeauftragten weiterentwickelt werden.
  • Migrantenselbstorganisationen sollen bei der Einrichtung eines Landesnetzwerks finanziell unterstützt werden.
  • Nach KV, 18, Abschnitt „Frühkindliche Bildung“, soll auch die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Eltern-Kind- bzw. Familienzentren die Integration von Kindern und Eltern mit Migrationshintergrund unterstützen.
  • Nach KV, 18, Abschnitt „Frühkindliche Bildung“ soll allgemein die sprachliche Bildung verbessert werden, wobei gilt: „Besonderer Aufmerksamkeit bedürften dabei auch die Integration und die Förderung von Kindern mit nichtdeutscher Herkunftssprache der Eltern“. Hier sollen auch die Möglichkeiten des Bundesprogramms zur Förderung von Sprache und Integration genutzt werden.
  • Nach KV, 98, Abschnitt „Innovative und bürgernahe Verwaltung“ soll der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst erhöht werden sowie interkulturelle Kompetenz in der Landesverwaltung als Qualitätskriterium verankert werden. Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz, ihrerseits wichtige zusätzliche Qualifikationen, sollen im Rahmen von Aus- und Fortbildungen gefördert werden. Auch soll durch spezielle Förderung und eine sich anschließende Einstellungspraxis ein Zeichen dafür gesetzt werden, dass Migranten im öffentlichen Dienst willkommen sind (KV, 98).

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Während das AfD-Wahlprogramm von einer klaren, wenn vielleicht auch überpointierten Lagebeurteilung samt Ursachendiagnose ausgeht, erspart sich der Koalitionsvertrag beides und setzt gleichsam freihändig mit seinen Gestaltungsabsichten ein.

Gemeinsame Sichtweisen zwischen AfD-Wahlprogramm und Koalitionsvertrag gibt es in den folgenden Punkten:

  • Zuwanderung und Integration gehören zusammen, um die Entstehung von Parallelgesellschaften zu verhindern. Und weil wir Zuwanderung nicht nur haben, sondern auch grundsätzlich wollen, benötigen wir nun eben auch eine aktive bzw. aktivierende Integrationspolitik.
  • Integration verlangt nicht nur ein entsprechendes Umfeld und geeignete Möglichkeiten, sondern eben auch das Bemühen der Migranten um Integration.
  • Es braucht deutsche Sprachkurse für Einwanderer – wobei der Koalitionsvertrag sie aber nur per Anspruch auf kostenlose Sprachkurse (sowie durch das Unterrichtsfach „Deutsch als Zweitsprache“) anbieten, das AfD-Wahlprogramm sie aber für alle Sozialleistungen beziehenden Zuwanderer verbindlich machen und verweigerte Mitarbeit durch Kürzung von Sozialleistungen sanktionieren will. Beides bringt die grundsätzliche Einigkeit in diesem Punkt rasch an praktische Grenzen.
  • Es sollen bessere Möglichkeiten dafür geschaffen werden, dass sich Zuwanderer gerade über – haupt- oder ehrenamtliche – Arbeit in ihre neue Gesellschaft integrieren können.

Gegensätzliches, zumindest aber Spannungsgeladenes wollen AfD und Koalition bei den folgenden Themen:

  • Nach Ansicht der AfD muss man, zum Zweck der Integration, Einwanderern eine attraktive und feste Identität anbieten (unausgesprochen im Wahlprogramm, doch evident: als Teil des deutschen Volkes). Der Koalitionsvertrag hingegen setzt auf interkulturelle Öffnung, interkulturelle Kompetenz und interkulturellen Dialog.
  • Die AfD setzt auf Einbürgerung ohne doppelte Staatsbürgerschaft, die Koalition auf – zu beschleunigende – Einbürgerung mit doppelter Staatsbürgerschaft.
  • Der AfD scheint die sozialstaatliche Umsorgung von Zuwanderern ein Integrationshemmnis zu sein, während die Koalition gerade durch mehr sozialstaatliche Betreuung Integrationsprobleme beheben oder mildern will.
  • Die AfD erachtet an die deutsche Bevölkerung gerichtete „Kampagnen für Weltoffenheit“ als weniger wichtig für den Integrationserfolg, während sich die Koalition von einer breiten Diskussion über das Sächsische Zuwanderungs- und Integrationskonzept vor allem eine breite Zustimmung zu versprechen scheint.

Besondere Akzente setzt das AfD-Wahlprogramm wie folgt:

  • Falsch ist es, in einer Einwanderungsgesellschaft die eigene Kultur der aufnehmenden Gesellschaft zurückzunehmen und zugleich eine maximale Bewahrung der kulturellen Ursprungsprägung von Zuwanderern zu dulden bzw. die Interessen des eigenen Volks hintanzustellen.
  • Die beste Integrationspolitik ist eine, die solche Rahmenbedingungen schafft, in welchen sich die Integrationskräfte der Gesellschaft entfalten können (wie Arbeit, Familie, Freundeskreis).
  • Der Bau von Moscheen mit in das Stadtbild eingreifenden Minaretten soll nur erlaubt sein, wenn er von der ansässigen Bevölkerung – im Streitfall über einen Bürgerentscheid – akzeptiert wird.[12]

Und die folgenden besonderen Akzente finden sich im Koalitionsvertrag:

  • Das Zuwanderungs- und Integrationskonzept des Freistaats Sachsen soll künftig auch die Situation von Flüchtlingen thematisieren.
  • Für Integrationszwecke sind auch die folgenden Möglichkeiten zu nutzen: Integrationskurse, Familienzentren zur Integration von Kindern und Eltern mit Migrationshintergrund; organisierter Sport, Förderung von Kindern mit nichtdeutscher Herkunftssprache der Eltern.
  • Erhöhung des Migrantenanteils in der öffentlichen Verwaltung.
  • Weiterentwicklung des Amtes des Ausländerbeauftragten des Landtags sowie Vernetzung mit den Ausländerbeauftragten von Landkreisen und kreisfreien Städten.
  • Finanzielle Unterstützung der landesweiten Vernetzung von Migrantenselbstorganisationen.

Blickt man auf dies alles, so ist leicht zu erkennen, dass nur an sehr wenigen anderen Stellen die unterschiedlichen politischen Lagebeurteilungen und Gestaltungsabsichten von AfD und Koalition so heftig aufeinanderprallen wie hier. Zwar gibt es Einigkeit im Ziel der Integration von Zuwanderern sowie hinsichtlich einiger Mittel (Eigenanstrengung von Migranten, Sprachkurse, Integration über Arbeit). Doch sehr unterscheiden sich die Ansichten darüber, auf welche Weise darüber hinaus aus Zuwanderern Deutsche werden könnten, ja ob sie das überhaupt sollten. Die AfD setzt auf das Angebot einer klaren, attraktiven Identität als Deutsche mit dann auch nur einer einzigen Staatsangehörigkeit auf der Grundlage des stark selbständigen Aufbaus einer neuen Existenz in Deutschland, letztlich also auf die Schaffung solcher Rahmenbedingungen, in denen Integration fast wie von selbst gelänge. Hingegen setzt die Koalition auf Interkulturalität, doppelte Staatsbürgerschaft und sozialstaatliche Umsorgung von Zuwanderern durch mannigfache instrumentelle und symbolische Maßnahmen. Und speziell für Muslime, gleich ob deutsch oder nicht, will die AfD den Bau von Kultgebäuden an spezielle Akzeptanznachweise seitens der ansässigen Bevölkerung knüpfen.

Parlamentarisch-praktisch kann die AfD-Fraktion nicht nur von einer klaren konzeptuellen Durchdringung ihrer einschlägigen politischen Vorstellungen ausgehen, sondern auch von Gemeinsamkeiten mit der Regierungskoalition in einigen ganz grundlegenden Themen. Jenseits von diesen gibt es aber sehr klare grundsätzliche Unterschiede zwischen AfD-Opposition und Koalition in zentralen Fragen, die ihrerseits im Wesentlichen die „Tiefe“ innerer Integration sowie die Rolle des Staates bei konkreten Integrationsprozessen betreffen. Diesbezüglich kann die AfD eine klare Alternative zum Regierungskurs aufzeigen, und zwar mit dem Argument, der Regierungskurs erreiche durchaus nicht das, was er zu leisten verspricht. Insofern eignet sich die AfD-Programmatik auch hier sehr gut zur parlamentarischen Richtungs- und Leistungskontrolle. Allerdings wäre die AfD gut beraten, den gegen Religionsfreiheit gerichteten und durchaus als islamophob deutbaren Passus zum Bau von Moscheen mit Minarett durch Nichtthematisierung oder, falls nötig, durch Abrücken von ihm der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Auf diese Weise könnte die AfD die auf eine integrationsorientierte Einwanderungspolitik hinwirkende Wucht der Pegida-Bewegung aufnehmen und so die oppositionelle Integrationsfunktion erfüllen, ohne sich selbst in die gefährliche politische Sackgasse einer von Pegida teils gehegten, teils ihr zugeschriebenen Islamisierungsphobie zu begeben.

3. Identität (WP, 19)

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Die grundlegende Sichtweise der AfD lässt sich so zusammenfassen:

  • Viele Faktoren von Identität sind privat und gehen die Politik nichts an, etwa Beruf und Vereinszugehörigkeit. Zu kümmern hat sich Politik aber um jene Identität, die Menschen daraus beziehen, dass sie einem bestimmten Land angehören.
  • Landesidentität speist sich aus Sprache, politischer Geschichte, geistigem Erbe, Kuns, Architektur und sozialen Gepflogenheiten. Zwar verändert sie sich ständig, wie eine Sprache; sie bleibt aber dennoch auch die gleiche – wie eine Sprache.
  • Eine gefestigte Landesidentität garantiert Leistungs- und Opferbereitschaft, Gesetzestreue, Solidarität, Toleranz und Stabilität. Eine instabile Landesidentität höhlt die Fundamente des Gemeinwesens aus und gefährdet auf lange Sicht sogar dessen Demokratie.
  • Nur auf der Grundlage gefestigter, selbstbewusster Identität lassen sich auch die mit Einwanderung einhergehenden Integrationsherausforderungen meistern.
  • Beste Form von Identitätspflege ist ein aufgeklärter Umgang mit der eigenen Geschichte – und zwar sowohl der großen Traditionslinien als auch regionaler Geschichten.

Vor diesem Hintergrund fordert die AfD:

  • Aufwertung und Umgewichtung des Geschichtsunterrichts dahingehend, dass ein deutlicher Schwerpunkt auf das 19. Jh. und die Befreiungskriege gesetzt wird und – gerade auch hieraus – ein positives Identitätsgefühl vermittelt wird.
  • Die Nationalsymbole sollen im Unterricht erklärt werden.
  • Bei feierlichen Anlässen soll die Nationalhymne gesungen werden.
  • Mit der deutschen Sprache soll pfleglich umgegangen werden. Das sollte unter anderem, nach französischem Vorbild, entlang zu schaffender Rechtregeln dahingehend erfolgen, dass Anglizismen im amtlichen Sprachgebrauch zu vermeiden sind. Die Aktion „Lebendiges Deutsch“ der Stiftung Deutsche Sprache sollte ebenfalls als Vorbild dienen, die sächsische Akademie der Wissenschaften entsprechende Empfehlungen ausarbeiten.
  • Die parlamentarischen Vertreter in den Rundfunkräten sollen sich für einen deutlich höheren Anteil deutschsprachiger Titel an den Ausstrahlungen in Hörfunk und Fernsehen einsetzen.
  • Es soll in der EU das Deutsche zur gleichberechtigten zwischennationalen Verkehrssprache neben dem Englischen und Französischen werden.

Gleiches fordert der KV, 87: „Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass Deutsch neben Englisch und Französisch zu einer gleichberechtigten Arbeitssprache wird“.

  • Es sollen nicht länger über Sprachregelungen, Euphemismen und Sprechgebote einesteils Einschränkungen kritischen Denkens, andernteils Festlegungen auf zeitmodische Ideologien durchgesetzt werden.

b. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Das AfD-Wahlprogramm ergänzt in diesem Abschnitt ihre im Integrationsabschnitt formulierte Position, erfolgreiche Integration setze ein klares und attraktives Angebot eigener Identität voraus. Ein solches Angebot umreißt das Wahlprogramm in stimmiger, wahrheitsgemäß durchaus nicht als „nationalistisch“ zu bezeichnender Weise. Im Grunde schlösse Deutschland durch eine solche Identitätspflege nur zu dem auf, was in Frankreich oder den USA – zwei klassischen Einwanderungsstaaten – längst gepflogene Praxis ist. Die Koalition schweigt von fast alledem dort, wo gerade im Rahmen der Kulturhoheit der Länder auf solche Identitätspflege auszugehen wäre.

Bei diesem Themenbereich stößt die AfD also seitens der Regierungskoalition auf das, was man ein „kommunikatives Vakuum“ nennen könnte. Weil – spätestens seit der Fußballweltmeisterschaft von 2006 – nicht nur die Akzeptanz einer symbolischen Ausdruckgebung deutscher Kultur und Staatlichkeit, sondern auch das Verlangen nach ihr gewachsen ist, kann die AfD hier in eine Repräsentationslücke hineinstoßen. Zu diesem Zweck müsste sie – unter sorgfältiger Vermeidung aller nationalistischen oder als nationalistisch auslegbaren Töne – eben diese ihre Programmatik einfach immer wieder vortragen und so die oppositionelle Alternativfunktion erfüllen. Parlamentarisch geschähe das im Vollzug sowohl von Richtungskontrolle („Funktioniert denn Integration überhaupt so, wie das die Regierung versucht?“) als auch von Leistungskontrolle („Wieviel innere Integration haben die folgenden Versuche der Regierung eigentlich erreicht: ….?“). Dass der Koalitionsvertrag von alledem schweigt, lässt sich im Übrigen selbst schon wirkungsvoll kritisieren. Im Übrigen dürfte die Position des AfD-Programms zur Sicherung und symbolischen Zur-Geltung-Bringung deutscher Identität, da der Zeitgeist ganz nach ihr geht, mehr und mehr auf Zustimmung treffen, und zwar gerade auch unter Einwanderern, welche die deutsche Staatsbürgerschaft nicht durch Geburt, sondern durch eigene Entscheidung erworben haben. Auf diese Weise hat die AfD auf diesem Politikfeld ganz besondere Thematisierungschancen sowie Aussichten darauf, tatsächlich einmal aus der Oppositionsrolle heraus etwas zu verändern.

V. Gesundheitspolitik

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Die AfD geht von folgenden Sichtweisen aus (WP, 20):

  • Im Mittelpunkt des Gesundheitssystems muss der Mensch stehen.
  • Das sensible Verhältnis zwischen Patient und Arzt leidet an der Kombination von planwirtschaftlichen Elementen im Gesundheitssystem mit marktwirtschaftlich orientierten Konzernen.

Vor diesem Hintergrund fordert die AfD:

  • Patienten sollen die Kosten der Gesundheitspolitik überprüfen können, etwa durch ein Kostenerstattungssystem, das obendrein die Kosten dämpfe und die Bürokratie reduziere (WP, 20).
  • Es soll so bleiben, dass Patienten leicht Ärzte finden, die frei in der Wahl ihrer Diagnosestellung, der Therapie und im Aufwand aller Gesamtmaßnahmen sind (WP, 20).
  • Im Gesundheitssystem soll die Privatsphäre gewahrt und die als „datenschutzrechtlicher Skandal“ anzusehende elektronische Gesundheitskarte um ihre derzeitige Form gebracht werden (WP, 20).
  • Das Förderprogramm für Ärzte auf dem Land muss erweitert werden, so dass [weiterhin] Landärzte flächendeckend ansprechbar sind (WP, 20).

Der Koalitionsvertrag sieht hier ein 20-Punkte-Programm zur Sicherung der Ärzteversorgung im ländlichen Raum vor (KV, 59).

  • Auch Fachärzte müssen, wegen ihrer kostenintensiven Struktur, auf dem Land gefördert werden (WP, 20).

Auch davon handelt das 20-Punkte-Programm zur Sicherung der Ärzteversorgung im ländlichen Raum, auf das der Koalitionsvertrag Bezug nimmt (KV, 59).

  • Der Durchlauf von Patienten durch Krankenhäuser darf nicht weiter beschleunigt werden, weil sonst zu wenig Zeit für den Kontakt zwischen Patienten, Ärzten und Schwestern bleibt (WP, 20).

Der Koalitionsvertrag sieht finanzielle, strukturelle und qualitative Verbesserungen des Systems sächsischer Krankenhäuser vor (KV, 59).

  • Unter Wahrung der Freiberuflichkeit und Eigenständigkeit von Vertragsärzten sollen mehr Polikliniken geschaffen werden (WP, 20).
  • Alle Einkünfte und Einkunftsarten sollen zur Finanzierung von Gesundheits- und Sozialsystemen herangezogen werden (WP, 20).

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag hat einen eigenen Abschnitt „Gesundheit“ (KV, 59-61).[13] Er zielt ab auf eine wohnortnahe, qualitativ hochwertige und bezahlbare gesundheitliche Versorgung für alle Bevölkerungsgruppen. Dabei soll am Prinzip der Selbstverwaltung festgehalten werden (KV, 59). Im Übrigen behandelt er, über mit dem AfD-Programm thematisch deckungsgleiche Punkte hinaus, folgende Aufgabenbereiche:

  • Sicherung flächendeckender Arzneimittelversorgung (KV, 60)
  • Einführung integrierter medizinischer Versorgungskonzepte (KV, 60)
  • Netzwerk gegen multiresistente Erreger (KV, 60)
  • Transplantationsmedizin (KV, 60)
  • Telemedizin (KV, 60)
  • Psychiatrische und psychosoziale Versorgung (KV, 60f)
  • Gesundheitsförderung und Prävention (KV, 61)
  • Vorsorge und Früherkennung (KV, 61)
  • Steigerung von Impfquoten (KV, 61)

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Das AfD-Wahlprogramm hat hierzu einen zwar plausiblen („Mensch als Mittelpunkt“), im Grunde aber eher notdürftigen Ausgangspunkt der Argumentation geschaffen. Die das Patient-Arzt-Verhältnis betreffenden Programmpunkte sind plausibel, betreffen aber im Wesentlichen Bundeszuständigkeiten. Hinsichtlich der Landeszuständigkeiten – Sicherung der Ärzteversorgung im ländlichen Raum, Verbesserungen des Systems der Krankenhäuser – gibt es Übereinstimmung mit dem Koalitionsvertrag, welch letzterer in vielen Einzelpunkten aber weit über das AfD-Wahlprogramm hinausgeht.

Bei der Gesundheitspolitik gibt es kaum Dissens zwischen dem AfD-Wahlprogramm und dem Koalitionsvertrag, sondern einfach inhaltlichen Nachholbedarf bei den Fachpolitikern der AfD-Fraktion. Wird dieser gestillt, so lässt sich wohl kooperative Oppositionsarbeit bei sowohl der Richtungs- als auch der Leistungskontrolle erbringen.

VI. Sicherheit und Rechtsstaat

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Ausgangspunkt der AfD-Forderungen sind die folgenden Feststellungen:

  • Sicherheit umfasst Verschiedenes, darunter vor allem Rechtssicherheit und Schutz der Bürger vor Straftaten (WP, 20).
  • Sicherheit ist ein Grundrecht, das für alle zu gewährleisten Pflicht des Staates ist (WP, 20).

Der Koalitionsvertrag bekundet als Grundsatz: „Null Toleranz gegenüber Gewalt und Kriminalität“ (KV, 101).

  • Demokratie und Sicherheit hängen zusammen. Außerdem ist Sicherheit die Stütze der Freiheit (WP, 21).

Auch zu diesem Zweck soll „das Vertrauensverhältnis zwischen der sächsischen Polizei und den Bürgerinnen  und Bürgern“ weiter gestärkt werden; Hinweise, Anregungen und Beschwerden sollen ernstgenommen werden, wofür eine Zentrale Beschwerdestelle der sächsischen Polizei im Innenministerium eingerichtet wird (KV, 102f).

  • Aus allen diesen Gründen braucht es wehrhafte Demokratie und einen durchsetzungsstarken Rechtsstaat (WP, 21).
  • Im Übrigen stellt eine leistungsfähige Justiz, gerade auch im Bereich der Zivilgerichtsbarkeit, einen nicht zu unterschätzenden Standortvorteil dar (WP, 21).

Vor diesem Hintergrund fordert die AfD:

  • Um den Zugang des Bürgers zur Justiz und Polizei zu verbessern und seinem Anspruch auf eine effiziente Verfahrensbearbeitung und –erledigung gerecht zu werden, braucht es ortsnahe Gerichte, ortsnahe Staatsanwaltschaften und ortsnahe Polizeidienststellen (WP, 21).
  • Polizei und Justiz müssen effektiver zusammenarbeiten können (WP, 20).
  • Zwar sollen aus Effizienzgründen moderne Informationstechnologien benutzt werden. Doch mit elektronischen Akten allein wird sich die erforderliche Qualität des Justizsystems nicht gewährleisten lassen (WP, 21).

Es sollen Ausbau, Einführung und Modernisierung von IT-gestützten Verfahren (ihrerseits: bürger- und nutzerfreundlich sowie verlässlich und sicher ausgestattet) zur kosteneffizienten Arbeit der Justiz beitragen (KV, 99)

  • Es ist die Praxis einzuschränken, dass die Staatsanwaltschaft weisungsgebunden und im Einzelfall dem Justizminister berichtspflichtig ist (WP, 21).

Es wird sich die Koalition auf Bundesebene für eine Abschaffung des externen Weisungsrechts des Justizministers einsetzen, das es ihm bislang ermöglicht, im Einzelfall auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren Einfluss zu nehmen, ja sogar: „Bis zur Abschaffung soll es in Sachsen grundsätzlich nicht mehr ausgeübt werden“ (KV, 99).

  • Die Unabhängigkeit der Justiz muss durch Schaffung einer Selbstverwaltung der Justiz ausgebaut werden (WP, 21).
  • Festgehalten werden soll am deutschen „Einheitsjuristen“ (WP, 22).
  • Es muss verhindert werden, dass die europäische Rechtsvielfalt zugunsten einer künstlichen Rechtsmonokultur zurückgedrängt wird (WP, 22).
  • Es muss sichergestellt werden, dass einer Straftat die Strafe möglichst bald folgt (WP, 20), etwa durch das in der Strafprozessordnung vorgesehene beschleunigte Verfahren (WP, 21). Es soll nicht auf das Erwachsenenstrafrecht beschränkt bleiben, sondern kann gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden erzieherische Wirkung entfalten (WP, 21).

Die Koalition will sich dafür einsetzen, dass in der Justiz die technischen und personellen Grundlagen für eine zügige Bearbeitung aller Verfahren gewährleistet werden und erklärt insbesondere: „Wir wollen die teils langen  Verfahrenszeiten verkürzen“ (KV, 99).

Bei jungen Straftätern setzt man sich im Interesse einer möglichst niedrigen Rückfallquote für die pädagogische Förderung sozialer Kompetenz sowie für „Haftvermeidungsprojekte“ ein, die man – ebenso wie die Wirkung des „Warnschutzarrests“ – bis Ende 2016 evaluieren will (KV, 100).

  • Insbesondere Intensivtäter müssen rechtzeitig und im richtigen Maße bestraft werden (WP, 20).
  • Reformen des Strafrechts bei Mord und Totschlag sind unnötig und somit zu unterlassen (WP, 22).
  • Opfer- und Zeugenschutz müssen gegenüber dem Täterschutz deutlich aufgewertet werden (WP, 20).

Gleiches verspricht der Koalitionsvertrag: „Der Opferschutz hat für uns hohe Priorität“ (KV, 101). Deshalb gilt: Die Beratung für Opfer von Straftaten soll ausgebaut werden, die Opfer selbst sollen vor, während und nach dem Strafverfahren mannigfach unterstützt werden. Auch den im Strafverfahren auftretenden Belastungen von Opferzeugen soll – durch einzeln aufgelistete Maßnahmen –  entgegengewirkt werden. Um das Verständnis für die Belange von Opferzeugen bei Polizei und Justiz zu fördern, soll es geeignete Aus- und Fortbildungen geben. Besonderes Augenmerk wird auf die Bedürfnisse von Opfern sexualisierter Gewalt gerichtet (KV, 100).

  • Es darf keine vorzeitigen Entlassungen aus der Untersuchungshaft wegen überlanger Ermittlungsverfahren aufgrund von Personalmangel bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft mehr geben (WP, 20).

Der Koalitionsvertrag formuliert das gleiche nur etwas anders: „Strafverfahren müssen so durchgeführt werden, dass Tatverdächtige nicht wegen überlanger Verfahrensdauer aus der Untersuchungshaft entlassen werden“ (KV, 99)

  • Auch deshalb braucht es ein Ende des Stellenabbaus bei den Gerichten, den Staatsanwaltschaften und der Polizei, bei der letzteren sogar mehr Personal (WP, 21).

Der Koalitionsvertrag geht davon aus, dass Sachsen eine leistungsstarke Polizei hat, lobt sie, und bekundet das Ziel, „die Leistungsfähigkeit der sächsischen Polizei zu erhalten und zu stärken“ (KV, 101).

Es soll die Personalausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften überprüft werden, und konkret: Man wird „in dieser Legislaturperiode jährlich zusätzliche Stellen für Richter und Staatsanwälte schaffen“ (KV, 99). Konkret soll in den nächsten Jahren die Zahl der Neueinstellungen in der Polizei auf mindestens 400 Polizeianwärter erhöht werden und ein solcher Einstellungskorridor langfristig gesichert werden. Obendrein werden in den nächsten zwei Jahren 100 Spezialisten für verschiedene besondere polizeiliche Herausforderungen eingestellt (KV, 101).

  • Es braucht mehr Polizeipräsenz im öffentlichen Raum, vor allem in ländlichen und grenznahen Regionen (WP, 21).

Auch der Koalitionsvertrag will die Sicherheit in den Grenzregionen nachhaltig gewährleisten und dazu die polizeiliche Zusammenarbeit mit Zoll und Bundespolizei sowie den tschechischen und polnischen Nachbarn intensivieren und im Rahmen europäischer Programme fördern, ja auch personell auf die spezifische Entwicklung in Grenznähe reagieren (KV, 101).

Im Übrigen soll auf Effizienzsteigerung und bessere Kooperation von Polizeivollzugsdienst und Polizeibehörden ausgegangen werden (KV, 102).

  • Ortsnahe Polizeidienststellen braucht es vor allem auch für die Grenzregionen mit zunehmender Kriminalitätsbelastung durch Diebstähle und Drogenschmuggel (WP, 21).

Hinsichtlich der Bekämpfung von Rauschgiftkriminalität gibt es Konsens mit dem Koalitionsvertrag: Polizei und Justiz sollen konsequent gegen sie vorgehen (KV, 101).

  • Es müssen anlassbezogene und zeitlich begrenzte Kontrollen der Außengrenzen auf der Ebene des Freistaats Sachsen ermöglicht werden (WP, 21).
  • Es sollen permanente mobile Grenzkontrollen an den vorhandenen Grenzübergangsstellen eingeführt werden (WP, 21)
  • Es braucht effektivere grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit (WP, 21).

Man will die grenzüberschreitende Kriminalität effektiv und wirksam bekämpfen, etwa durch intensivierte Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten in der Justiz, u.a. durch Bildung von gemeinsamen Untersuchungsgruppen (KV, 100).

  • Polizeiliche Videoüberwachung darf nicht stigmatisiert werden, ist aber nur im Interesse des Bürgers sowie maßvoll einzusetzen (WP, 21).
  • Die allgemeine Sicherheit durch Brand- und Katastrophenschutz soll durch – für sie und ihre Arbeitgeber finanziell zu entschädigendes – freiwilliges Engagement verbessert werden (WP, 22).

Die Koalition will zumal die Freiwilligen Feuerwehren weiter stärken und Engagement und Einsatzbereitschaft in ihnen anerkennen und fördern, auch durch Fortsetzung der Kampagne „Helden gesucht“ (KV, 104). Zumal das Engagement in den Jugendfeuerwehren soll weiter unterstützt werden. Ebenfalls soll mit den Kostenträgern der Rettungsdienste weiter intensiv zusammengearbeitet werden (KV, 105).

  • Brand- und Katastrophenschutz ist in freien Projekten in den Schulunterricht einzubinden (WP, 22).

Es soll in den Schulen die Brandschutzerziehung gestärkt und durch entsprechende Ergänzung der Lehrpläne zum festen Unterrichtsbestandteil gemacht werden (KV, 104).

Systematisch nicht wirklich in einen Abschnitt über „Sicherheit und Rechtsstaat“ passend, verlangt das AfD-Wahlprogramm weiterhin:

  • Der Sächsische Landtag soll von 120 auf 100 Abgeordnete verkleinert werden, weil das „erhebliche Steuermittel“ einspart (WP, 22).
  • „Direkte Demokratie“ soll durch die folgenden Maßnahmen gestärkt werden (WP, 22):
    • Es sollen nur noch 10.000 (statt 40.000) Unterstützerunterschriften nötig sein, um im Zug der Volksgesetzgebung einen  Gesetzentwurf einzubringen.
    • Es sollen nur noch 200.000 (statt 400.000) Unterstützerunterschriften nötig sein, um im Zug der Volksgesetzgebung einen Volksentscheid herbeizuführen.

Hierzu stellt der Koalitionsvertrag im Abschnitt „Politische Kultur“ in Aussicht: „Wir wollen dafür sorgen, dass sich die Sachsen mehr als bisher an politischen Entscheidungen beteiligen. Wir werden prüfen, ob wir mehr Möglichkeiten der direkten Demokratie schaffen können, um die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen“ (KV, 112)

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag behandelt die zum Themenbereich „Sicherheit und Rechtsstaat“ gehörenden Themen im Wesentlichen in seinen Abschnitten über „Verfassung und Recht“ (KV, 106), „Justiz“ (KV, 99f) sowie „Innere Sicherheit und Polizei“ (KV, 101-103), obendrein im Abschnitt über „Brandschutz und Rettungsdienst“ (KV 104f). Über die zu den AfD-Forderungen passenden Aussagen hinaus trifft der Koalitionsvertrag die folgenden Feststellungen:

  • Für eine erfolgreiche und langfristig orientierte Arbeit braucht die Polizei Kontinuität und Verlässlichkeit hinsichtlich ihrer Strukturen, Standorte und Ausstattung. Derlei will die Koalition auch gewährleisten (KV, 101) und vorab eine Evaluation der derzeitigen Polizeiorganisation durchführen (KV, 102).
  • Sachausstattung und Technik der Polizei sollen verbessert werden (KV, 102).
  • Berücksichtigung der allgemeinen Einkommensentwicklung bei der Besoldungsanpassung im Justizbereich, auch um die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Justiz dauerhaft zu sichern (KV, 99).
  • Ebenso soll die Attraktivität des Polizeiberufs gesteigert werden durch Weiterentwicklung bestehender Elemente des Leistungsprinzips, die Einführung von Funktionszulagen sowie zur Verbesserung der Beförderungssituation (KV, 103).
  • Verringerung der Belastung der Sozialgerichte (KV, 99).
  • Modernisierung des Strafvollzugs durch mehrere Maßnahmen, u.a. zum Zweck eines hohen Sicherheitsniveaus (KV, 99f).
  • Einstellung der Justiz auf veränderte Kriminalitätsformen wie Internetstraftaten (KV, 100). Auch die Polizei soll besser für die Bekämpfung von Internetkriminalität ausgestattet werden (KV, 102).
  • Es soll beharrlich gegen politisch motivierte Straftagen vorgegangen werden, v.a. wenn sie Menschenfeindlichkeit und Intoleranz zum Ausdruck bringen (/KV, 101)
  • Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe hat einen hohen Stellenwert beim Schutz der Bevölkerung vor Gewalt und Kriminalität (KV, 101).
  • Im Abschnitt „Verfassung und Recht“ (KV, 106) wird vom Petitionswesen, von einem kommenden Informationsfreiheitsgesetz, vom Datenschutz und der Rehabilitierung von Opfern des SED-Regimes gehandelt.

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Sicherheit herzustellen, ihrerseits verstanden sowohl als Rechtssicherheit wie auch als Schutz vor Straftaten, wird von der AfD als eine Grundpflicht des Staates angesehen. Diese muss deshalb ein durchsetzungsfähiger Rechtsstaat samt wehrhafter Demokratie sein.

Gemeinsamkeiten bei den Themen „Sicherheit und Rechtsstaat“ gibt es zwischen AfD-Programm und Koalitionsvertrag bei den folgenden Themen:

  • Null Toleranz gegenüber Gewalt und Kriminalität.
  • Sicherheit ist die Stütze der Freiheit, kann das aber nur auf der Grundlage eines – weiter zu verbessernden – Vertrauensverhältnisses zwischen Bürgern und Polizei sein.
  • Nutzung moderner Informationstechnologie im Justizsystem.
  • Lockerung bzw. Abschaffung des Weisungsrechts des Justizministers gegenüber der Staatsanwaltschaft.
  • Hinwirken auf zügigere Bearbeitung zumal von Strafverfahren, samt – auf unterschiedlichen Wegen – Verbesserung der erzieherischen Wirkung von Strafrecht auf Jugendliche, und vor allem: Sicherstellung dass es keine vorzeitigen Entlassungen aus der Untersuchungshaft wegen überlanger Verfahrensdauer mehr gibt.
  • Ausbau des Opferschutzes.
  • Ende des Stellenabbaus bei der Polizei; im Gegenteil: deren – auch personelle – Stärkung.
  • Mehr Polizeipräsenz im öffentlichen Raum, v.a. im Grenzgebiet.
  • Bessere grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit.
  • Bessere Bekämpfung von Drogenkriminalität.
  • Stärkung der Feuerwehren zum Zweck des Brandschutzes, der auch im Schulunterreicht gelehrt werden soll.

Gegensätze zwischen AfD-Programm und Koalitionsvertrag finden sich im Grund nicht. Stattdessen ist einerseits der Koalitionsvertrag viel ausführlicher im Detail, und gibt andererseits sich die AfD ein besonderes Profil mit den folgenden Punkten:

  • Leistungsfähige Justiz stellt einen Standortvorteil dar.
  • Es braucht ortsnahe Gerichte, Staatsanwaltschaften und Polizeidienststellen samt effektiver Zusammenarbeit von Polizei und Justiz.
  • Verbesserung der Unabhängigkeit der Justiz.
  • Sicherstellung von Rechtsvielfalt in Europa.
  • Ausreichende Bestrafung von Intensivtätern.
  • Ermöglichung besserer, auch permanenter Grenzkontrolle.

Alles in allem wollen AfD-Opposition und Koalition im Bereich der inneren Sicherheit und des Rechtsstaates so ziemlich das Gleiche. Allerdings muss sich auch hier die AfD-Fraktion noch auf das von der Koalition vorgegebene Niveau der Detailbeherrschung hocharbeiten. Ansonsten aber lässt sich, angesichts gleicher Ziele und eines recht ähnlichen Ziel/Mittel-Verhältnisses, eine recht kooperative Oppositionsstrategie bei der Richtungs- und Leistungskontrolle der Regierungsarbeit durchführen.

Ferner stellt das AfD-Wahlprogramm – keineswegs aber die Koalition – eine Verkleinerung des Landtags um 20 Abgeordnete in Aussicht und meint, das würde „erhebliche Steuermittel einsparen“.[14] Obendrein wollen sowohl der Koalitionsvertrag als auch das AfD-Wahlprogramm bessere Möglichkeiten direkter Demokratie schaffen. Das AfD-Wahlprogramm, hierin viel konkreter als der Koalitionsvertrag, schlägt dafür aber allein eine deutliche Senkung der Unterstützerunterschriften in Prozessen der Volksgesetzgebung vor.

Bei der Landtagsverkleinerung täte die AfD gut an einer Prüfung, in welchem Umfang in einem kleineren Parlament auch die kleinen Fraktionen noch arbeitsteilig arbeitsfähig sein könnten. Hinsichtlich  der plebiszitären Instrumente wird hingegen am falschen Rad gedreht, nämlich beim „Antragsquorum“ – während andere Möglichkeiten von „mehr direkter Demokratie“, zumal das fakultative gesetzesaufhebende Referendum, nicht einmal erwähnt werden.[15]

VII. Medien und Kultur

1. Medien

Ohne vorab eine grundsätzliche Position zu entwickeln, fordert die AfD:

  • Abschaffung der pauschalen Rundfunkgebühren durch Kündigung des Rundfunkstaatsvertrags (WP, 23)
  • Partei- und gesellschaftspolitische Neutralität aller öffentlich-rechtlicher Medien (WP, 23)

Bei der Medienpolitik, eine der wenigen verbliebenen Gestaltungsmöglichkeiten deutscher Landespolitik, hat das AfD-Wahlprogramm außer zweier Wünsche somit nichts Substanzielles zu bieten. Der Koalitionsvertrag hingegen weist einen zweieinhalbseitigen Abschnitt allein über „Medien“ auf. Hier hat die AfD-Fraktion also viel nachzuarbeiten, wenn sie wirkungsvolle Regierungskontrolle ausüben will.

2. Kultur

a. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Als ihre grundsätzliche Position formuliert die AfD:

  • Kultur ist ein integraler Bestandteil sozialen Lebens und obendrein ein Faktor zur Erhöhung von Lebensqualität sowie der Standort- und Wirtschaftspolitik (WP, 23).

Der Koalitionsvertrag sagt: Sachsens vielfältige, jahrhundertealte und lebendige Kultur „wird gelebt und getragen von der Spitzenkultur bis zur Breitenkultur“ (KV, 7)

  • Man lehnt einen „normierten und nach reinem Verkaufswert zusammengezimmerten Kulturbegriff“ ab (WP, 23).

Der Koalitionsvertrag meint in ähnlicher Weise: „Kultur ist keine Dienstleistung und kein Luxus, sondern eine Lebensgrundlage des Menschen, Element der Persönlichkeitsentwicklung und –entfaltung sowie Basis für eine demokratische Gesellschaft“ (KV, 7).

Allerdings wird auch ausgeführt, dass es an den Kunst- und Musikhochschulen ein Lehrangebot brauche, „das die Bedingungen und Erfahrungen der Kultur- und Kreativwirtschaft aufgreift und sich mit den wechselseitigen Erwartungen befasst“ (KV, 8).

  • Man lehnt einen „Verordnungsstaat“ ab, der durch Fördermittel und Auszeichnungen in die Kulturproduktion eingreift (WP, 23).

Der Koalitionsvertrag stellt hingegen die Erhöhung der Projektfördermittel bei der Kulturstiftung an, wodurch – neben der Förderung des interkulturellen Austauschs – die kulturellen Sparten sowie die mehrjährige Konzeptförderung gestärkt werden sollen. Außerdem soll das Verwendungsnachweisverfahren für Projekte der Kleinförderung vereinfacht werden (KV, 8)

Konkret fordert die AfD:

  • Investitionen in die musische und ästhetische Bildung der Kinder und Jugendlichen (WP, 23)

Der Koalitionsvertrag verspricht, Kindern und Jugendlichen den frühzeitigen und einfachen Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen. Auch soll ein landesweites Konzept zur Kulturellen Bildung in Sachsen entwickelt und umgesetzt werden. Verbessert werden soll die schulische kulturelle Bildung, das kulturelle Bildungsangebot außerhalb der urbanen Zentren, etwa durch erleichterte Fahrten von Schulen im ländlichen Raum zu Angeboten der kulturellen Bildung. Insbesondere die Förderung von Musikschulen und der Verbreitung von Musikinstrumenten unter Kindern soll fortgesetzt werden. Auch wird ein Landesprogramm „Theater und Schule“ aufgelegt  (KV, 8).

  • Vereine mit hohem Jugendanteil in Kultur und Sport sollen unterstützt werden, u.a. durch eine Mindestzahl an hauptamtlichen, qualifizierten Trainern (WP, 23)[16]
  • Einmal pro Monat (nämlich am monatlichen „Tag des Denkmals“) soll es freien Eintritt in alle Schlösser, Museen und sonstigen Denkmäler des Landes geben, und dieser Tag sollte auch beworben werden (WP, 23)
  • Es soll mehr Geld in die Denkmalpflege investiert werden, und zwar für Instandsetzungsmaßnahmen, die Förderung der Pflege von Denkmälern in Privatbesitz sowie die Erforschung und Erklärung erschlossener Denkmäler (WP, 23)

Der Koalitionsvertrag will weiter in die sächsischen Kulturbauten investieren, namentlich in den Wiederaufbau des Dresdner Schlosses (KV, 8)

  • Das Kulturraumgesetz soll dahingehend modifiziert werden, dass dynamisierte Finanzmittel für Planungssicherheit sorgen, einmalige Investitionen nicht „hineingerechnet“ werden und eine „Residenzstadt-Politik“ unterbleibt (WP, 23)

Der Koalitionsvertrag meint, das „bundesweit einzigartige“ Kulturraumgesetz solle auf Grundlage einer Evaluation mit externer Datenermittlung weiterentwickelt werden; die Kulturräume seinen stärker als bisher finanziell zu unterstützen. Auch sollen die kooperativen Beziehungen zwischen ländlichen und urbanen Kulturräumen ausgebaut und müsse die Vernetzung von Kulturangeboten gestärkt werden (KV, 7).

  • Die sorbische Kultur soll besser gefördert werden, und zwar durch Umwandlung der Stiftung für das sorbische Volk von einer Zuwendungs- in eine Kapitalstiftung sowie die bessere Finanzierung der Ausbildung sorbischer Lehrer, sorbischer Schulen und sorbischer Kindereinrichtungen (WP, 23)

Auch der Koalitionsvertrag betont ausdrücklich die Bewahrung, Erhaltung und Vermittlung der sorbischen Kultur (KV, 7) und wird zwei Seiten später diesbezüglich sehr konkret: in den sorbischen Gebieten Erhaltung und Förderung des Vereinslebens, der Schulen und Kindertagesstätten, der Theater- und Folkloregruppen, der sobischsprachigen Rundfunkangebote. Die aktive sorbisch-deutsche Zweisprachigkeit in den Kindergärten und Schulen der sorbischen Gebiete soll begleitet werden; Erlernen und Gebrauch des Sorbischen soll durch die modernen digitalen Medien unterstützt werden, wozu es die entsprechenden Programme zu entwickeln gilt. (KV, 9).

Im Übrigen wird eine auskömmliche Finanzierung der Stiftung für das sorbische Volk zugesichert, auch unter Einschluss von Bund und Land Brandenburg (KV, 9)

  • Das WITAJ-Projekt zur Zweisprachigkeit soll wissenschaftlich begleitet und anhand des ermittelten Wirkungsgrades gefördert werden (WP, 23)

Auch der Koalitionsvertrag sagt die weitere Unterstützung des Witaj-Sprachzentrums für sorbische Kindertageseinrichtungen und Schulen weiter zu (KV, 9)

b. Sonstiges am Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag hat einen vergleichsweise langen Abschnitt über „Kultur“ (KV, 7-10), in dem sehr umfassend die kulturpolitischen Vorhaben aufgelistet werden. Die zentralen Aussagen bzw. Themenbereiche, soweit nicht oben schon angeführt, sind – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die folgenden:

  • Sachsens reiche Kultur soll bewahrt, erhalten, vermittelt und mit Impulsen für Neues versehen werden, wobei das hohe Niveau der Kulturförderung erhalten werden soll (KV, 7);
  • Kulturförderung unter den Bedingungen demographischen Wandels (KV, 7);
  • Förderung von Interkulturalität (KV, 7);
  • Einführung eines Budgets für Projekte und Initiativen, die in ihrer inhaltlichen Gestaltung in kein bestehendes Förderprogramm o.ä. passen, doch ein hohes übergreifendes Innovationspotenzial aufweisen (KV, 8);
  • Weitere Unterstützung der Kunst- und Musikhochschulen (KV, 8);
  • Digitalisierung wichtiger Kulturgüter (KV, 9);
  • Weitere Unterstützung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten (KV, 9);
  • Industriekultur als Teil des zu erhaltenden kulturellen und musealen Erbes (KV, 9f).

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Kulturpolitisch sind sich das AfD-Wahlprogramm und der Koalitionsvertrag in nicht wenig einig:

  • Kultur ist wichtig, sowohl allgemein als auch als Wirtschafts- und Standortfaktor;
  • Investitionen in die – gerade auch Kunst und Kultur betreffende – Bildung von Jugendlichen;
  • mehr Geld für die Pflege von (ausgewählten) Denkmalen;
  • Evaluation und Weiterentwicklung des Kulturraumgesetzes;
  • Förderung der sorbischen Kultur, gerade auch des Witaj-Projekts.

Einen Gegensatz gibt es im Grunde nur dahingehend, dass die AfD weniger staatliche Eingriffe in die Kulturproduktion über Fördermittel will, der Koalitionsvertrag hingegen mehr – zumindest mehr Fördermittel. Ansonsten ist der Koalitionsvertrag, wie so oft, einfach detaillierter bzw. umfassender als das AfD-Wahlprogramm. Dieses setzt einen besonderen Akzent durch die Forderung nach einem monatlichen, eintrittsfreien Tag in die staatlichen Schlösser, Museen und Kultureinrichtungen.

Auch im Bereich der Kulturpolitik bietet sich für die AfD eine kooperative Oppositionsstrategie an, weil es sehr weitgehende inhaltliche Übereinstimmung mit der Koalition gibt.

VIII. Präambel und Schlussbemerkungen

1. Der Koalitionsvertrag im Licht des AfD-Wahlprogramms

Präambeln und Schlussbemerkungen rücken Texte in übergreifende Zusammenhänge und betonen, was an ihnen als besonders wichtig angesehen werden soll. Die Präambel des Wahlprogramms der AfD, der die entsprechenden Aussagen der Präambel des Koalitionsvertrages gegenübergestellt werden (KV, 46), hebt folgendes hervor (WP, 2):

  • Der Freistaat Sachsen entstand letztlich durch Auflehnung der Bürger „gegen ihre Bevormundung durch eine abgehobene Politikerkaste“, konkret: weil sie sich nicht länger mit einer Simulation von Demokratie, einschließlich der „Lügen in den Zeitungen“, zufrieden geben wollten.

Nach dem Koalitionsvertrag dürfen die Menschen in Sachsen stolz sein auf ihren Beitrag zur Friedlichen Revolution (KV, 4)

  • Obendrein standen die Bürger in der Friedlichen Revolution auf gegen vielerlei Missstände in Wirtschaft, Wohnraumversorgung, Herstellung innerer Sicherheit, Freiheitsbeschränkung usw.
  • Was die Bürger damals aber sicher nicht wollten waren Arbeitslosigkeit, Zeitarbeit, Niedriglöhne, stetig steigende Lebenshaltungskosten, Neueinführung von politisch-kommunikativer Selbstkontrolle, den Euro und einen „EU-Staat …, den kein Volk trägt“.
  • Ebenso wenig wollten die Bürger damals Neokapitalismus und Ideologien wie Genderismus.
  •  24 Jahre nach der Friedlichen Revolution müsse man nun aber feststellen, „dass die Begriffe Freiheit, Demokratie und Wohlstand zu Worthülsen verkommen sind, weil Menschen und deren Leistungen nur nach ihrem Marktwert beurteilt werden“.

Laut Koalitionsvertrag können die Sachsen stolz sein auf ihre Leistungen beim Aufbau des neu gegründeten Freistaates. Aufgrund ihrer Verdienste ist Sachsen „auf einem  guten Weg … zu einem starken Land mit Selbstbewusstsein, Tradition und kultureller Vielfalt im Herzen Europas“ (KV, 4). Ziel der Koalition ist es, „Sachsen weiter zu einer guten Heimat zu machen für alle Menschen, die hier leben“ (KV, 6).

  • Vor diesem Hintergrund beobachtet die AfD „mit Sorge und Zorn, wie heute im Namen Europas Wohlstand vernichtet, Freiheit eingeschränkt und Demokratie beschädigt wird“. Es ist die Politik in eine Sackgasse geraten und muss deshalb die Richtung wechseln.

Ganz im Gegenteil befindet der Koalitionsvertrag, Sachsen sei ein Land, in dem Menschen in Freiheit und Sicherheit leben und arbeiten können, das ein leistungsfähiges Bildungssystem, solide Finanzen und gute Investitionsmöglichkeiten für die Zukunft hat (KV, 4)

  • Es ist der Wunsch der AfD, diesen Richtungswechsel herbeizuführen.
  • Das Wertesystem, an dem man sich dabei orientiert, „leitet sich aus den Werten des christlichen Abendlandes ab“.
  • Im Übrigen gehört zu den Kernaussagen:
    • „Die Wirtschaft muss dem Volke dienen, nicht umgekehrt!“
    • „Keine Generation hat das Recht, … die Zukunft zugunsten der Gegenwart zu verpfänden“ – etwa durch Schuldenmacherei

Der Koalitionsvertrag geht ebenfalls auf eine solide Finanzpolitik aus (KV, 4f)

  • Das AfD-Wahlprogramm wendet sich gegen eine „offen betriebene Herabsetzung und Verhöhnung der Familie“! Sondern: „Als natürlichste aller Gemeinschaften genießt für uns die Familie eine besondere Bedeutung und bedarf daher des besonderen Schutzes. Im Wechsel der Generationen garantiert sie die Fortdauer von Gesellschaft und Staat. Wenn sich das öffentliche Leben und das Wirtschaftsleben eines Landes nicht mehr nach den Bedürfnissen der Familie richten, sondern umgekehrt, muss dieses Land verändert werden“.

Der Koalitionsvertrag hingegen findet: „Sachsen ist ein familienfreundliches Land, in dem wieder mehr Kinder geboren werden“ (KV, 4)

  • Für alle so im Wesentlichen umrissenen Veränderungen tritt die AfD ein. Sie steht für eine „andere Politik“, die – so die Aussagen der Präambel – …
    • den Begriffen Freiheit, Demokratie und Wohlstand wieder Sinn gibt;
    • sich wieder an Idealen orientiert, ohne den Blick für die Realität zu verlieren;
    • Freiheit statt Dirigismus bietet;
    • Gerechtigkeit statt Gleichschaltung offeriert;
    • einen sozialen Rechtsstaat statt Bankendiktatur abstrebt.

Die Koalition wiederum will das Land sozial, wirtschaftlich, ökologisch, demokratisch und gerecht gestalten. Dabei ist man den folgenden Zielen verpflichtet: prosperierende Wirtschaft, intakte Umwelt, soziale Gerechtigkeit (KV, 4). Zu den weiteren Zielen der Koalition gehört:

  • Nutzung der Chancen des technischen Fortschritts (KV, 4)
  • Beitrag zum Klimaschutz, Bewältigung des Klimawandels (KV, 4)
  • sichere, umweltverträgliche Energieversorgung (KV, 4)
  • Zurechtkommen mit dem demographischen Wandel (KV, 4)
  • Stärkung von Wirtschaftsleistung und Steuerkraft (KV, 4, 5)
  • solide Finanzpolitik (KV, 5)
  • soziale, kulturelle und demokratische Teilhabe aller Menschen in Sachsen unabhängig von ihrer Herkunft (KV, 5)
  • Förderung sächsischer Innovationskraft (KV, 5)
  • gute Bildungspolitik (KV, 5)
  • Sicherung einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur (KV, 5)
  • gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land, wofür vielerlei Detailziele genannt werden (KV, 5)
  • starke Demokratie mit breitem bürgerschaftlichem Engagement (KV, 5)
  • Förderung der sorbischen Kultur (KV, 6)
  • Weltoffenheit mit Willkommenskultur (KV, 6)

Die Kernargumentation der Präambel des AfD-Wahlprogramms lässt sich so zusammenfassen: Viele Ziele der Friedlichen Revolution wurden nicht erreicht, vor allem aufgrund von Neokapitalismus und EU, doch auch durch Missachtung der Familie. Den Weg aus dieser Sackgasse weist die AfD, geleitet von den Werten des christlichen Abendlandes. Konkretisiert wird das durch die Schlussbemerkungen (WP, 24): Die AfD …

  • ist eine konservative Volkspartei
  • strebt nach der Übernahme von Regierungsverantwortung
  • steht für rechtsstaatliche Politik im Dienste …
    • als Wirtschaftspolitik: einer sozialen Marktwirtschaft
    • als Währungspolitik: der Interessen der Bürger und ihrer Ersparnisse
    • als Parteienpolitik: der Interessen und des Willens der Bürger, und zwar im Sinne direkter Demokratie
    • als Steuerpolitik: der Interessen von Familien, Arbeitnehmern, Selbständigen sowie von kleinen und mittleren Unternehmen
    • als Bildungspolitik: der Interessen aller Bürger, und zwar unabhängig von ihrem Familienhintergrund
    • als Asyl- und Zuwanderungspolitik: der Integration – nach kanadischem Vorbild
    • als Medienpolitik: der Abschaffung „des pseudosteuerfinanzierten und manipulativen öffentlich-rechtlichen Systems“.

c. Zentrale Befunde und politische Folgerungen

Der Vergleich der Präambeln – unter Einschluss der im Koalitionsvertrag fehlenden „Schlussbemerkungen“ zeigt, worin sich – bei aller Übereinstimmung in so vielen Einzelheiten – AfD und Koalition deutlich unterscheiden. Das ist der größere Zusammenhang, in dem aktuelle Politik gesehen wird, und die Richtung, in welche – diesen Zusammenhang vor Augen – fortan Politik gehen müsse.

Der Koalitionsvertrag steht im Grunde für ein „Weiter so“. Man kann stolz sein auf das allgemein und speziell in Sachsen Erreichte; und also will man, auf bewährten Wegen (etwa: durch Nutzung der Chancen des technischen Fortschritts oder mittels solider Finanzpolitik), den lange schon verfolgten übergeordneten Zielen näherkommen (etwa: einer guten Bildungspolitik und einer starken  Demokratie mit breitem bürgerschaftlichem Engagement). Das verlangt, aufgrund veränderter Umstände, gewiss einige Neuakzente, etwa das Zurechtkommen mit dem demographischen Wandel oder Weltoffenheit samt Willkommenskultur. Doch irgendeine Alternative zum bislang Unternommen oder Erreichten ist nicht nötig; und also wird, im breiten Konsens von CDU und SPD, das Bestehende umsichtig fortgeschrieben.

Die AfD sieht die Lage ziemlich anders. 25 Jahre nach der Friedlichen Revolution gäbe es Arbeitslosigkeit, Zeitarbeit, Niedriglöhne, steigende Lebenshaltungskosten, Selbstzensur und einen volklosen EU-Staat. Insgesamt sei die Politik in eine Sackgasse geraten. Also müsse man die Richtung wechseln – und das herbeizuführen, sei die Aufgabe der AfD. Die einzuschlagende Alternative umfasse im Wesentlichen die vielfältige Förderung von Familien, eine auf Integration ausgerichtete Asyl- und Zuwanderungspolitik, die Vorrangstellung der sozialen Interessen des Volks vor den Profitinteressen von Wirtschaft und Banken – sowie, zur Absicherung eines solchen neuen Kurses, mehr direkte Demokratie, die obendrein auch eine weniger medienmanipulierte Demokratie sein solle.

Ganz unverkennbar drückt die Präambel des AfD-Wahlprogramms die meisten jener Positionen aus, die sich mittlerweile aus vielen Gesprächen mit Pegida-Demonstranten als deren Denkweise rekonstruieren lassen, zumal bei der Rede von einer „bevormundenden, abgehobenen Politikerkaste“ oder von den „Lügen in den Zeitungen“. Die Verfasser des AfD-Wahlprogramms hatten gewissermaßen eine gute Witterung für mancherlei – von realen Problemlagen verursachtes – gesellschaftliches Erregungspotential hinsichtlich realer Problemlagen, das sich nur um einen Kristallisationspunkt herum verdichten und dann zum Ausdruck bringen musste, um der AfD fortan gerade von ihr ansprechbare Wählergruppen vor Augen zu führen.

Deshalb kann die AfD, mit Aussicht auf durchaus nicht schmale gesellschaftliche Unterstützung, entlang der besonderen Akzente der Präambel ihres Wahlprogramms eine klare Richtungskontrolle der sächsischen Regierungspolitik betreiben, also diese immer wieder am selbst geforderten und mit Gründen versehenen Richtungswechsel messen. Wenig muss es dabei stören, dass der geforderte Richtungswechsel im Wesentlichen nach Maßnahmen von Bundestag und Bundesregierung verlangen. Das eben erlaubt ja eine bundespolitische Profilierung, die in Sachsen einer im Wesentlichen kooperativen Oppositionsstrategie nicht entgegenstehen muss. Denn in vielerlei Hinsicht passt die dramatische Tonlage der Präambel gar nicht zu den meist sehr sachlichen, gar nicht selten in Übereinstimmung mit Positionen des Koalitionsvertrags vorgetragenen Forderungen der konkreten Teile des AfD-Wahlprogramms. Konfrontation im Großen und Ganzen, Kooperation im Konkreten sowie themenbezogene Opposition bei insbesondere den Themenbereichen „Familie“, „Zuwanderung / Integration / Identität“ sowie, schon in zweiter Linie, „Mittelstand“ und „Ländlicher Raum“ scheinen sich von daher als Grundlinie oppositionellen Rollenverhaltens für die AfD anzubieten.

Teil C: Gesamtvergleich und politisch-praktische Schlussfolgerungen

Man merkt dem AfD-Wahlprogramm dreierlei besonders an:

  • Es lagen den Verfassern dieses Programms manche Politikfelder sehr am Herzen (nämlich Familie, Zuwanderung / Integration / Identität, Mittelstandspolitik und ländlicher Raum), während manch andere Abschnitte eher wie Pflichtübungen wirken. Was der AfD im Wahlprogramm wichtig war, ist auch konzeptionell gut durchgearbeitet. Hingegen findet sich auf vielen anderen Gebieten vergleichsweise wenig und iist obendrein recht additiv zusammengestellt.
  • Man merkt, gerade im Vergleich mit dem Koalitionsvertrag, dass keine Profis der Landespolitik das Wahlprogramm verfasst haben. Nicht nur fehlt vieles; sondern das Geforderte wirkt oft viel mehr wie eine Absichtserklärung und nicht wie ein möglicherweise systematisch ins Werk zu setzendes Konzept. Dieser Zustand des Wahlprogramms ist aber klar den Umständen der Neugründung einer Partei in Wahlkampfzeiten geschuldet und widerspiegelt somit weniger „schuldhafte Versäumnisse“ als vielmehr „anzupackende Aufgaben“.
  • Im Übrigen ist ein Wahlprogramm nun einmal kein Koalitionsvertrag, ähnelt also von Natur aus mehr einer Wunschliste als einem parlamentarischen Arbeitsprogramm.

Doch nach dem Einzug ins Parlament wird eine Partei mit Fug und Recht an dem gemessen, was sie über das Wahlprogramm hinaus an Sachpolitik leistet. Damit aber wird der Koalitionsvertrag zur Messlatte nicht nur für die Effektivität des Regierungshandelns, sondern eben auch der Qualität oppositioneller Regierungskontrolle, welche Form oder Strategie sie auch immer annimmt. Deshalb muss die AfD-Fraktion, will sie erfolgreich sein, nun an vielen Stellen nacharbeiten und sich auf das Niveau des Koalitionsvertrages bringen. Das gilt, wie der Vergleich von Wahlprogramm und Koalitionsvertrag zeigte, vor allem für die Politikfelder „Schulische Bildung“, „Hochschulbildung und Wissenschaft“, „Berufliche Bildung und Weiterbildung“ sowie „Gesundheitspolitik“, auch für die Finanzpolitik, die Einwanderungspolitik, ja im Detail sogar für die Mittelstandspolitik und die – ihrerseits viele Politikfelder umfassende – „Politik für den ländlichen Raum“, und ganz besonders für die Medienpolitik. So gut wie ausgespart blieben im AfD-Wahlprogramm ohnehin die folgenden Themenbereiche, obwohl sie auch ihrerseits wichtige Arbeitsgebiete der Landespolitik sind: Kirchen und Religionsgemeinschaften, Sachsen Digital, Tourismus, Pflege, Drogen- und Suchthilfe, Stadtentwicklung samt Bauen und Wohnen, Sport. Und besonders wenig entwickelt sind naturgemäß die Themen, für welche sich die AfD ohnehin nicht sonderlich engagieren will, etwa die Gleichstellung. Doch zu alledem muss die AfD-Landtagsfraktion fortan ebenfalls taugliche Positionen entwickeln, wenn sie achtbare Oppositionsarbeit leisten will.

Dem Koalitionsvertrag überlegen ist das AfD-Wahlprogramm hingegen darin, dass es eine systematische, bereits in der Präambel angegebene Systematik besitzt, deren – wie bei einer Ellipse – zwei Brennpunkte „Familie“ sowie der Komplex „Zuwanderung / Integration / Identität“ sind. Beide Themenbereiche, und obendrein der über die demographische Entwicklung mit dem Zuwanderungskomplex verbundene Aufgabenbereich „Ländlicher Raum“, sind auch gedanklich viel klarer durchdrungen und jeweils besser zur programmatischen Klammer konkreter Politikvorhaben gemacht, als das auf den gleichen sowie den benachbarten Politikfeldern der Koalitionsvertrag leistet. Dessen Gesamtsystematik bleibt ohnehin ziemlich verborgen. Das bietet der AfD-Fraktion den Vorteil, einen Großteil ihrer Detailkritik an der Regierungsarbeit von vornherein in einen größeren Argumentationsrahmen stellen zu können. Allerdings muss die AfD dabei mit dem Umstand zurechtkommen, dass viele für ihre Schwerpunkte wichtigen Kompetenzen beim Bund, nicht beim Land liegen.

Die wichtigsten Dissensbereiche zwischen AfD und Koalition, die sich ihrerseits teils für auf Eigenprofil ausgehendes konfrontatives Oppositionsverhalten, teils für eine fallbezogene Konfrontationsstrategie anbieten, sind die …

  • Familienpolitik
  • Integrations- und Identitätspolitik
  • Energiepolitik
  • Durchführung institutioneller Reformen, nämlich beim Familienwahlrecht und bei Volksabstimmungen.

Diesen Dissensbereichen stehen allerdings auch sehr viele programmatische Überlappungen gegenüber, die – wie etwa bei der Gesundheitspolitik oder der Sicherheitspolitik – oben im Einzelnen nachgewiesen wurden. Deshalb ist für die AfD-Fraktion, trotz vieler guter Möglichkeiten der Erfüllung einer klaren sachpolitischen Alternativfunktion, überwiegend jenes kooperative Oppositionsverhalten möglich, mit dem sich der für die Wählerschaft so wichtige Ruf von Sachkompetenz und Sachlichkeit erwerben sowie verbreiten lässt.

Zwar kann eine Oppositionsfraktion es an Sachkompetenz ohnehin nie mit den Qualitätsmöglichkeiten einer ernsthaft arbeitenden und sich dabei auf Zuarbeiten des Regierungsapparats verlassenden Regierungspartei aufnehmen. Doch ein gewisses, nicht zu geringes Maß an massenmedial vermittelter Politikkompetenz vorausgesetzt, muss eine Oppositionsfraktion darin auch gar nicht mit regierungstragenden Fraktionen wetteifern. Vielmehr kommt es auf eigene Akzente an, die auffallen, die beim Wähler in Erinnerung bleiben, ja die idealerweise wirklich dem Gemeinwohl nutzen und womöglich nach einiger Zeit auch die Chance haben, von einer zum politischen Lernen veranlassten Regierungsmehrheit und aufgegriffen zu werden. Die inhaltlichen Akzente, welche die AfD in dieser Hinsicht setzen kann, passen bestens zur derzeit anstehenden Großaufgabe, gehören doch Familien- und Einwanderungspolitik zusammen und muss letztere von Integrations- und Identitätspolitik begleitet werden. Außerdem erfüllen das Verlangen nach einem „Familienwahlrecht“ sowie nach wirksamerer „direkter Demokratie“ eine systeminnovative Rolle. Allerdings sind die bis jetzt im Wahlprogramm stehenden Konkretisierungen dieser Forderungen noch nicht auf dem für politischen Erfolg nötigen Stand an Umsicht und Ausarbeitung bis hin ins Detail. Deshalb geben dafür die beiden Anhänge dieses Gutachtens einige systematische Hinweise.

Insgesamt fördert der Vergleich von AfD-Wahlprogramm und Koalitionsvertrag den – angesichts öffentlich verbreiteter Einschätzungen der AfD durchaus überraschenden – Befund zutage, dass die AfD-Programmatik nicht nur der CDU-Programmatik sehr nahe kommt, sondern sogar vielfach mit jenen Vereinbarungen übereinstimmt, die auch die SPD zum Zweck gemeinsamen Regierens mit der CDU unterschrieben hat. Indem die AfD bei ihrer konkreten Oppositionsarbeit gerade solche Übereinstimmungen mit dem Koalitionsvertrag sichtbar und zum Bestandteil öffentlichen Wissens macht, wird sie sich mit guten Argumenten gegen den Vorwurf wehren können, eine „unseriöse“ bzw. „rechtspopulistische“ Partei zu sein. Anhaltspunkte für programmatischen Rechtsradikalismus oder gar für rechtsextremistische Züge bietet das Wahlprogramm ohnehin nicht. Im Übrigen wird es bei allen Auseinandersetzungen um das selten gutgemeinte Etikett des „Rechtskonservatismus“ hilfreich sein, stets auf Klärungen dessen zu dringen, was jeweils mit „rechts“ bzw. „konservativ“ gemeint sein mag, worin das eine oder andere schlecht sein soll, und ob die vorgebrachten Behauptungen denn überhaupt mit dem Wort und Sinn des Wahlprogramms übereinstimmen.

Durchschlagkräftig wird derlei aber nur dann sein, wenn die AfD es auch noch schafft, als „rechtsradikal“ oder „rechtsextremistisch“ etikettierbare Mitglieder von halbwegs wichtigen Parteifunktionen fernzuhalten sowie sicherzustellen, dass kein Parteimitglied mit entsprechend ausdeutbaren Äußerungen auffällt. Und beim politisch plausiblen Versuch, das Gewicht der AfD durch ein Ansaugen des Pegida-Potentials zu steigern, ist gerade in dieser Hinsicht vorsichtig zu verfahren, obendrein mit der Bereitschaft zu – falls nötig –  raschen und klaren Abgrenzungen. Gewiss ist ein solcher Kurs nicht ohne Risiken. Doch insgesamt wäre die strategische Entscheidung völlig richtig, seitens der AfD genau jene „Repräsentationslücke“ zu besetzen, die sich hierzulande seit vielen Jahren wie folgt ergeben hat.

Unter dem Einfluss von meinungsprägenden Intellektuellen und Journalisten, die – aus im Übrigen sehr guten Gründen – die Wichtigkeit von Liberalität, Vielfalt, Offenheit oder Humanität betonen, haben sich der öffentliche politische Diskurs sowie das deutsche Parteiensystem im Vergleich zur realen politischen Meinungsverteilung in der Bevölkerung klar nach „links“ verschoben. Auf diese Weise entstand eine Art politischer Heimatlosigkeit derer, die sich als weder links noch mittig, ja nicht selten sogar ausdrücklich als rechts empfinden. Diese werden seit einiger Zeit von einer CDU nicht mehr erreicht, die sich ausdrücklich ihrer bisherigen Aufgabe verweigert, das Meinungsspektrum von der Mitte bis zum rechten Rand programmatisch aufzugreifen, den dort „empirisch vorfindbaren Volkswillen zum hypothetischen Gemeinwillen zu veredeln“[17] und ihn auf diese Weise in den politischen Prozess repräsentativer Demokratie zu integrieren.

Sich in dieser Repräsentationslücke festzusetzen und aus ihr sowohl öffentlichen Zuspruch als auch Wähler zu gewinnen, ist nicht nur eine große machtpolitische Chance der AfD, sondern auch eine wichtige, mit großer Verantwortung beladene politische Aufgabe. Denn der „rechte Rand“ soll ja gerade nicht in den Extremismus abdriften, darf dann aber eben auch nicht in der Konfrontation einer „rechten Partei“ mit den übrigen – aus Außenseiterperspektive oft „Systemparteien“ genannten – Parteien ab- und ausgegrenzt werden. Vielmehr muss es darum gehen, diesen Rand mittels einer fraglos auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden und zumindest mit der CDU koalitionsfähigen Partei in unsere Demokratie einzubinden. Diese Aufgabe, nämlich sowohl „rechts“ als auch „mittig“ zu sein, hat der CDU immer schon viel politische Kraft gekostet. Für eine neue Partei mit geringerer programmatischer Spannweite als die CDU wird sie wohl auch nicht leichter zu erfüllen sein. Gleichwohl scheint es keine sinnvolle Alternative zu genau diesem Entwicklungsweg der AfD zu geben, zumal nur entlang seiner für die nächste Wahlperiode eine Spaltung der Großen Koalition samt Parlamentsmehrheit für eine CDU/AfD-Koalition zu bewirken ist.

Alles in allem besitzt die AfD in ihrem Wahlprogramm einen guten Maßstab für eine eigenprofilbildende Richtungskontrolle sowie viele gute Ansatzpunkte für eine wirkungsvolle Leistungskontrolle der Regierung. Allerdings muss auch noch vieles nach- und aufgearbeitet  werden. Vergäbe die AfD-Fraktion konkrete Einarbeitungs- und Zuarbeitsaufgaben an ihre Mitglieder und Mitarbeiter entlang den Befunden des vorgelegten Vergleichs, so könnte sie sehr rasch auf ein gutes Niveau parlamentarischer Professionalität gelangen – und erkennen, wer in Fraktion und Partei wettbewerbsstärkende Leistungen zu erbringen vermag, wer anderes aber seiner Fraktion und Partei weniger Nutzen schafft, als man von ihm erwarten oder erhoffen mag. So verwendet, würde dieses Gutachten von einem akademischen Text zu einem politischen Arbeitsinstrument.

Anhang I: Grundzüge eines höchstpersönlichen Elternwahlrechts zugunsten ihrer
                 nichtwahlberechtigten Kinder

Ausführliche Fassung bislang unveröffentlicht; Grundgedanken in https://wjpatzelt.de/2015/03/29/familienpolitik-und-elternwahlrecht/ sowie in Werner J. Patzelt, Drei Wege zu einer besseren repräsentativen Demokratie in Deutschland: gesetzesaufhebende Referenden, Elternwahlrecht, Vorwahlen für Parlamentsmandate, in: Tom Mannewitz, Hrsg., Die Demokratie und ihre Defekte, Wiesbaden (Springer VS) 2018, S. 197-225

Anhang II: Welche plebiszitären Instrumente könnten wir brauchen?
                  Einige systematische Überlegungen

Nachdruck aus: Jahrbuch für direkte Demokratie 2010, Baden-Baden (Nomos) 2011, S. 63-106.


[1] Zitiert: WP, mit nachgestellter Seitenzahl.

[2] Zitiert: KV, mit nachgestellter Seitenzahl.

[3] Hierzu siehe auch die Feststellungen über Zuwanderung auf S. 74ff.

[4] Im Übrigen enthält der Koalitionsvertrag einen ganzen Abschnitt zur Inklusion (KV, 19f), der weit über das in diesem Zusammenhang Abzuhandelnde hinausgeht.

[5] Zur vor Auge schwebenden Normalform gehört auch die Heterosexualität der Ehepartner und die Ablehnung einer Entkoppelung von biologischer und sozialer Reproduktion durch Adoptionsrechte von Homosexuellen.

[6] Als einen Weg zum Ziel siehe im Anhang I ein entsprechendes Arbeitspapier des Verfassers.

[7] Gleichsam spiegelverkehrt ist die Position des AfD-Wahlprogramms. Dort wird die Erziehung sozusagen privatisiert und die Steuerung der Geburtenzahl zur Staatsaufgabe gemacht.

[8] Damit würde der bis in die 1970er Jahre übliche „Normalfall“ eines für den ganzen Bildungs- und Kulturbereich zuständigen „Kultusministeriums“ wiederhergestellt.

[9] Bemerkung des Gutachters: Es ist nicht zu erkennen, wie das ohne Beschränkung des Rechts auf Wissenschafts- und Forschungsfreiheit gehen soll.

[10] Außerdem befasst sich mit der Finanzlage der Kommunen der Abschnitt „Starke Kommunen“ des Koalitionsvertrags (KV, 110f).

[11] Im Abschnitt „Landesentwicklung und Demographie“, KV 89f, ist nichts Substanzielles über Zuwanderung und Integration zu finden, obwohl die demographische Entwicklung gerade in Sachsen zum Hauptargument zugunsten von Zuwanderung gemacht wird. Im Grunde liest man nur: „Zuwanderung, demographische Alterung und steigende Mobilität, aber auch Digitalisierung, Online-Handel und die Sharing Economy bringen neue Chancen und Herausforderungen im ländlichen Raum und in den Städten. Das 2010 beschlossene Handlungskonzept Demografie werden wir vor diesem Hintergrund aktualisieren und fortschreiben“.

[12] Das läuft auf ein Sonderrecht für Muslime auch deutscher Staatsangehörigkeit bei Baugenehmigungen hinaus und ist insofern aus rechtssystematischen Gründen problematisch.

[13] Thematisch naheliegend sind auch die Abschnitte „Pflege“ (KV, 62f) sowie „Drogen- und Suchthilfe“ (KV, 64).

[14] Berechnet man, anhand des entsprechenden Haushaltstitels, die unvermeidlich auf jeden einzelnen Abgeordneten entfallenden Kosten des Parlaments (also etwa Gehalt und Aufwandsentschädigung), und setzt man sie ins Verhältnis zu den Fixkosten des Parlaments (Landtagsmitarbeiter, Gebäudekosten usw.), so wird man leicht erkennen, dass Kostenersparnis kein wirklich überzeugendes, sondern allenfalls ein populäres Argument für eine Parlamentsverkleinerung ist.

[15] Zu einer Klärung dessen, welche plebiszitären Instrumente Deutschland und Sachsen wirklich brauchen könnten, siehe einen in Anhang II wiedergegebenen Buchbeitrag des Gutachters.

[16] Zum Sport hat der Koalitionsvertrag einen eigenen Abschnitt (KV, 95f).

[17] So eine berühmte Formulierung des Politikwissenschaftlers Ernst Fraenkel in ders., Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, 7. Aufl. 1979, S. 113-151.

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