Migration, Wahlkampf – und die AfD
Interview mit „Deutsche Welle“ vom 21. August 2017;
die Fragen stellte Wolfgang Dick
DW: Die AfD hat in ihrem in Berlin vorgestellten Konzept Flüchtlings-Schutzzonen in Nordafrika angesprochen und will hierzu sogar die Flüchtlingsorganisation der UN, den UNHCR einbinden. Inwieweit ist diese Einbindung eine Art neuer politischer „Kuschelkurs“ der Partei?
Werner J. Patzelt: Im Kern ist das nichts Neues. Die AfD hat immer wieder gefordert, den Zustrom von Flüchtlingen nach Europa und Deutschland zu stoppen oder wenigstens stark zu begrenzen. Nachdem der Auswanderungsdruck in Afrika aufgrund der dort absehbaren Entwicklungen in den nächsten Jahren gewaltig zunehmen wird, braucht es schon bald Pufferinstitutionen zur Aufnahme von Flüchtlingen, wenn man sie nicht gleich nach Europa gelangen lassen will. Insofern hat die AfD lediglich eine Konkretisierung ihres grundsätzlichen Gestaltungswunsches vorgelegt. Und dass der UNHCR ins Spiel gebracht wird, ist sachlich naheliegend, weil der nun einmal für Flüchtlingslager zuständig ist, und weil das Migrationsproblem ohnehin nur im Rahmen der Vereinten Nationen nachhaltig gelöst werden kann.
Der UNHCR äussert sich als Institution der Vereinten Nationen generell nicht zu parteipolitischen Programmen im Wahlkampf. Die Grenzschutzforscherin Arezo Malakooti von der internationalen Organisation für Migration (IOM) hält solche Flüchtlingszentren in Nordafrika für wenig realistisch. Inwieweit spielt die AfD bewusst mit Plänen, die kaum Realisierungschancen haben. Um zu sagen, die anderen sind Schuld, wenn sich nichts tut?
Bei politisch erfahrenen Leuten gehe ich ohnehin davon aus, dass sie ihre Aussagen gerade auch von taktischen Überlegungen prägen lassen. Allerdings ist es schon so, dass nicht alles, was heute als unmöglich gilt oder als unmöglich behauptet wird, auch morgen noch unmöglich ist. Auf Dauer wird jedenfalls eine Bewältigung der internationalen Migrationskrisen nicht ohne die Vereinten Nationen möglich sein, und deshalb kommt unvermeidlich der UNHCR als ihre einschlägige Sonderorganisation ins Spiel. Im bestmöglichen Fall verbindet die AfD hier taktisches Argumentieren mit einer rationalen Herangehensweise.
Die AfD hat in Berlin ihren Plan geäußert, die Mittelmeerroute solle ab 1. September komplett dicht gemacht werden. Ginge das überhaupt praktisch und rechtlich? Wie stehen andere Parteien dazu?
Ich erinnere dazu an die Debatte des Jahres 2015 zur Frage, ob sich wohl die Balkan-Route schließen lässt. Das wurde heftig bestritten. Doch tatsächlich ließ sie sich soweit abdichten, dass sie nicht mehr die Hauptstrecke der Migration nach Europa darstellt. Ähnliches zeichnet sich jetzt schon hinsichtlich der Libyen-Route ab. Seit nämlich die Nichtregierungsorganisationen daran gehindert werden, von Schleppern schiffbrüchig gemachte Menschen zu retten, ist ein bemerkenswerter Rückgang des Zustroms von Flüchtlingen nach Italien zu verzeichnen. Weitgehend zum Erliegen dürfte er kommen, sobald es die jeweilige libysche Regierung in Verbindung mit der italienischen Marine schafft, den Schlepperorganisationen das Handwerk zu legen. Das Datum mit dem 1. September ist aber eine reine Luftnummer. Deren Kernanliegen ist allerdings, wie die Entwicklung auf der Balkan-Route gezeigt hat, nicht abseits von allem Realismus.
Die AfD möchte, dass Asylbewerber künftig in das erste in Nordafrika eröffnete Asylzentrum verbracht werden sollen. Davon gibt es noch kein einziges, obwohl das von anderen deutschen Politikern schon gefordert wurde.
Linke und Grüne lehnen das ganze Konzept ab, dass man Flüchtlinge außerhalb von Europa irgendwelchen Verfahren unterwirft, die sich nicht an deutsche Rechtsvorstellungen halten. Die SPD wiegt sorgenvoll das Haupt, auch wenn sie sich nicht grundsätzlich gegen einen solchen Vorschlag sperrt. In der CDU gibt es viele, welche die von der AfD klar unterstützte Idee ebenfalls für sinnvoll halten; sie warten aber mit offener Zustimmung solange, bis die Kanzlerin das Thema aufgegriffen und mit einem eigenen Lösungsvorschlag versehen hat. Und die CSU spricht zwar immer wieder unüberhörbar aus, was auch in der CDU gedacht wird, übt sich jetzt aber in Wahlkampfdisziplin. Das macht die AfD zur derzeit einzigen Partei, die zu diesem Thema Klartext spricht. Zwar ist die Forderung nach einer baldigen Rückführung von Flüchtlingen in jene noch gar nicht existierenden Lager derzeit auch eine Luftnummer. Aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass – wie vieles andere einst irreal Klingende auch – ebenfalls diese Forderung in wenigen Jahren die Politik der Europäischen Union prägt.
Wie ordnen Sie dann die Vorstellungen der AfD momentan generell ein?
Diese Aussagen der AfD sind einerseits Wahlkampf pur, denn das Heraushalten von Flüchtlingen aus Europa ist das zentrale Mobilisierungsthema der AfD. Um dessen Wirkungskraft weiß die Parteiführung natürlich. Auch hat sie die CDU als hier nur eingeschränkt glaubwürdige Konkurrenzpartei im Auge. Die hat nämlich ihre Flüchtlingspolitik zwar um mindestens 150 Grad geändert, erklärt sich aber nicht offen zu früheren Fehlern und deren späterer Korrektur. Andererseits ist es schon auch so, dass viele einst als verwerflich geltende Forderungen einer Begrenzung des Flüchtlingszustroms nach Europa inzwischen zur realen, auch offensiv vertretenen Politik geworden sind. Wie bei der Abdichtung der Balkan-Route könnte vieles jetzt noch scharf Abgelehnte in drei, vier Jahren konventionelle Politik und selbstverständliche Wirklichkeit geworden sein.
Inwieweit kann denn das gelten für den AfD Plan, das jetzige Asylrecht komplett abzuschaffen. Das würde ja eine scharfe Änderung des Grundgesetzes und eine völlige Änderung deutscher Politik bedingen?
Das ist nichts weiter als eine zusätzliche, außerdem längst bekannte Duftnote, die den bislang recht matten AfD-Wahlkampf würzen soll. Es ist eine Zielerklärung, die auf absehbare Zeit parlamentarisch gar nicht realisierbar ist. Die CSU würde da realistischer folgende Verfassungsänderung vorschlagen: Politisch Verfolgte genießen Asyl; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
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