Plisch und Plum
Michael Bittner hat sich vor kurzem auf seinem Blog zur von Atticus e.V. gestarteten Debatte über meine letzte Kolumne in der „Sächsischen Zeitung“ geäußert (siehe http://michaelbittner.info/2016/09/22/professor-patzelt-und-der-nazi-vergleich/); zum ganzen Vorgang siehe auf diesem Blog wjpatzelt.de/?p=965). Er hat sich dabei in jener differenzierten Weise mit meinem Text auseinandergesetzt, die inzwischen unser debattierendes Zusammenwirken kennzeichnet.
Natürlich garantieren Differenzierung und argumentative Fairness nicht Konsens oder immerhin dessen Simulation. Also bleibt schon der eine oder andere Meinungsunterschied bestehen, den transparent zu machen vielleicht auch anderen hilfreich sein mag. Nachstehend folgt deshalb eine Auflistung von Konsens und Dissens:
I. Konsens
Konsens besteht in dem, was Michael Bittner über den Unterschied zwischen Vergleichen und Gleichsetzen schreibt. Konsens besteht auch darüber, dass ich den „Glauben an den Endsieg“ und das Mantra „Yo, wir schaffen das!“ nicht gleichgesetzt habe, sondern als zwei unterschiedliche Erscheinungsformen desselben, in meiner vorletzten Kolumne behandelten Sachverhalts angeführt habe: Auch guter Wille, Zuversicht und entsprechender Einsatz erweitern nicht solche Grenzen der Politik, die sich aus der Natur der Sache ergeben. Konsens besteht ferner darin, dass einem diskussionsfreudigen Geist wie mir die Lust auf Polemik und Provokation durchaus naheliegt, ja der Gaul auch einmal durchgehen kann – oder in eine Richtung läuft, die einen anderen zum wahrhaft besorgten Bürger macht. Konsens besteht darin, dass man mir schon erst einmal zeigen muss, dass ich Unrecht habe, bevor ich auf den Versuch verzichte, mich argumentativ durchzusetzen. Und Konsens besteht außerdem darin, dass ich nichts dagegen haben kann (und auch gar nichts dagegen habe), dass jene Maßstäbe ebenfalls an mich angelegt werden, die ich an andere anlege.
II. Dissens
Dissens aber besteht hinsichtlich der Behauptung, ich sähe mich als „Opfer einer Hexenjagd und Diffamierungskampagne“. Zwar will ich nicht ausschließen, dass der (und die) eine oder andere bisweilen mit einiger Genugtuung sein (oder ihr) Scherflein dazu beiträgt, dass hängenbleibt, wovon er oder sie gerne hätte, dass es diffamierend an mir hängen bliebe. Doch ein Begriff wie „Kampagne“ (oder gar „Hexenjagd“) ist dafür nun wirklich zu groß; zu mehr als zu ein bisschen Medienecho haben die paar Einzelaktionen ja nie gereicht. Und wenn jemand eine Sache oder Person eben falsch wahrnimmt und diese falsche Wahrnehmung öffentlich macht: Diffamiert der dann bereits? Oder täuscht er sich nur mit einiger Wirksamkeit? Mir scheint: In der Regel ist das Letztere der Fall. Und somit hat Bittner mit seiner entsprechenden Aussage schlicht Unrecht.
Das bringt mich zum nächsten Dissens. Bittner meint, ich empörte mich über Missverständnisse. Nein, ich empöre mich durchaus nicht über Missverständnisse, falls es sich um nichts weiter als um ein Misslingen versuchten Verstehens handelt! Eben deshalb reagiere ich auf Missverständnisse in der Regel sehr punktgenau, nämlich mit Bemerkungen zu fast jedem Satz eines mich missverstehenden Textes, und dabei mit zweifellos etlicher Geduld. Empörend finde ich es allerdings, wenn dem Gegenüber kenntlich der Wille fehlt, mich im von mir tatsächlich gemeinten Sinn zu verstehen, oder wenn jemand, den ich als Diskurspartner gern akzeptiere, sich umgehend als ein Gegner aufstellt, der stur daran festhält, die ihm in den Kram passenden Deutungsschemata in einen Text von mir schlicht hineinzuprojizieren. (Womit ich eindeutig nicht Michael Bittner meine.)
Dissens besteht ferner hinsichtlich der Behauptung, ich wäre beleidigt, wenn beispielsweise Michael Bittner schriebe, ich ähnele Goebbels. Ich würde vielmehr so ironisch, wie ich Abwegiges nun einmal anzugehen pflege, ihm zunächst lustvoll provozierend darin zustimmen, dass Goebbels und ich einander wirklich ähnlich wären. Denn Goebbels und ich sind beide Männer; jeder von uns hat Bücher geschrieben und den Doktortitel erworben; ja, es dürfte wohl auch jeder von uns beiden auf den einen oder anderen schon einmal einen guten Eindruck gemacht haben – allerdings Goebbels gewiss nie auf mich, und einer wie ich wäre umgekehrt Goebbels bestimmt ganz zuwider gewesen. Anschließend würde ich Bittner aber mit einiger Schärfe darauf aufmerksam machen, dass die Unterschiede zwischen Goebbels und mir doch um ein Gewaltiges größer wären als jene Ähnlichkeiten: Vor allem war Goebbels ein glühender Nazi, während mir die Nazis in jeder Hinsicht verhasst sind; und Goebbels leistete Beihilfe zum Massenmord, was ich gewiss nie tun werde. Und das alles ausgeführt, würde ich Bittner fragen, aus welchem Grund er wohl vor allem Ähnlichkeiten zwischen Goebbels und mir betont – und wäre gespannt auf seine Antwort. Leuchtete sie mir ein, hätte ich etwas dazugelernt; und leuchtete sie mir nicht ein, so versuchte ich zunächst einmal zu verstehen, was einen klugen Mann wie Bittner wohl zu einem von ihm dann gar nicht plausibel erklärbaren Vergleich veranlasst hat. Käme ich zum Schluss, dass Bittner diesen Vergleich – und eine „Gleichsetzung“ wäre es ohnehin nicht gewesen – aus bösartigen Motiven vorgenommen hat, so wäre er bei mir unten durch. Und bliebe die Sache schlicht rätselhaft, so wäre unser Verhältnis bis auf weiteres gestört. – Zum in diesem Zusammenhang anzumerkenden Dissens gehört auch, dass die „sachliche Richtigkeit“ eines Vergleichs keineswegs vom „Grad der Ähnlichkeit“ des (oder der) Verglichenen abhängt (und welcher Art von Ähnlichkeit eigentlich? Homologe, analoge, homoiologe, homonome oder homodynamische Ähnlichkeit?), sondern allein davon, ob die zu beantwortende (Forschungs-) Frage genau diesen Vergleich verlangt, sowie davon, ob der Vergleich anhand wirklich gegenstandserschließender Kategorien durchgeführt wird (d.h.: anhand eines jeweils validen „tertium comparationis“).
Ein sehr wichtiger Dissens scheint außerdem im Grad zu bestehen, in dem wir unkritisches Vertrauenwollen unter jenen diagnostizieren, die im Herbst 2015 bei der Ankunft von Geflüchteten an deutschen Bahnhöfen klatschten, die sich im Sprechchor „Say it loud, say it clear, refugees are welcome here“ wechselseitig bestärkten, und die sich anschließend großenteils, ja vielleicht sogar allesamt, an der – von mir als „an menschlicher Schönheit schwer zu übertreffen“ gelobten (!) – deutschen Willkommenskultur beteiligt haben. Michael Bittner scheint zu behaupten, bei (fast) keinem oder keiner von ihnen habe es das von mir für falsch erklärte unkritische Glauben- und Vertrauenwollen gegeben. Ich hingegen erinnere mich, gerade das in sehr vielen Texten und Diskussionsbeiträgen von Befürwortern jener Willkommenskultur klar erkannt zu haben. Hat Bittner mit seiner Behauptung recht, dann ist jener Vergleich der Stimmungslagen von 1914ff, 1939ff und 2015f, welcher mir wichtig war, durchaus schief oder missraten; habe aber ich mit meiner Beobachtung recht, so ist dieser Vergleich eben durchaus nicht schief oder missraten. Wie nun die Stimmungslage der Befürworter einer unbedingten Willkommenskultur wirklich war, ist aber eine rein empirische Frage, die sich außerdem methodisch sauber – und somit verlässlich – beantworten lässt (wenngleich nicht hier und jetzt). Jedenfalls eignet sie sich nicht für einen „theoretischen Streit“, und schon gar nicht für einen um die Logik des Vergleichens. Also muss unser Dissens an dieser Stelle bis auf weiteres bestehen bleiben.
Und ein nicht minder wichtiger Dissens besteht hinsichtlich von Bittners Behauptung, ich hätte „die Klarstellung nachgeschoben“, es sei mir nicht um eine Gleichsetzung des Grades oder der Inhumanität der 1914ff, 1939ff und 2015f erfolgten Reaktionen von Vertrauen- und Glaubenwollenden auf Andersdenkende gegangen. Denn irgendeinen Anlass, aus meinem Text eine solche Gleichsetzung herauszulesen, gab es nie, gibt es nicht und wird es auch nie geben. Diese Gleichsetzung wurde einzig und allein – warum auch immer – von jenen in den Text hineinprojiziert, die ihn wegen einer solchen Gleichsetzung dann kritisierten. Diesbezüglich habe ich jetzt sozusagen eine weitere Lektion aus dem „Lehrgang praktische Menschenkenntnis“ erhalten. Neues zu lernen aber gehört ohnehin ins Berufsbild eines Wissenschaftlers, weswegen ich keinen Grund sehe, mich zu beklagen. Mir reicht Verachtung für jene, die zwar lesen und begreifen könnten, sich aber weigern, das auch zu tun.
III.Einigungsmöglichkeiten?
Um sie zu erkunden, wäre es gut, wenn Michael Bittner auf die von mir herausgearbeiteten Dissenspunkte einginge. Doch man muss ja nicht alles ausdiskutieren. Vielleicht reicht also meine Antwort auf Bittners abschließende Frage: Hat er mich wohl überzeugt, dass ich mir „mit einem einfachen Eingeständnis, einmal einen missratenen Satz formuliert zu haben, die ganze Debatte hätte sparen können“? Die Antwort fällt aus, wie mein Gesprächspartner sie auch erwartet hat: Nein! Denn erstens halte ich meinen Satz für durchaus nicht missraten. Und zweitens wäre die Reaktion eines Großteils meiner Kritiker wohl nur gewesen: „Schaut, jetzt gibt er selbst zu, wie schräg er denkt!“ Ich aber meine, dass im Gegenteil viele meiner Kritiker schräg denken. Und gebe mir deshalb Mühe, da manches geradezurücken.
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