Kommentare zu Michael Bittners Rezension von Patzelt/Klose, PEGIDA
Allmählich wird es Zeit, das Kapitel „PEGIDA“ abzuschließen – wenigstens, was mich selbst betrifft. Zwar weiß ich nicht, ob sich mit PEGIDA noch politisch oder analytisch Wichtiges tun wird; also kann es sein, dass ich übers Jahr eben doch wieder eine PEGIDA-Studie gemacht haben werde. Aber das ist dann ebenso wenig „Kür“, wie das meine Beschäftigung mit PEGIDA seit dem November 2014 gewesen ist.
Meinerseits denke ich, alles von mir beschreibend, erklärend und politisch-praktisch für wesentlich Gehaltene im Buch „PEGIDA. Warnsignale aus Dresden“ gesagt zu haben. Außerdem scheint mir: Meine Einschätzungen von PEGIDA haben sich bestätigt, und mehr und mehr meiner früheren Kritiker bemerken das auch. Ein kleiner Teil hat sich vernehmbar korrigiert, der größere Teil einfach zu schweigen begonnen. Was ich zu meinen mit eigenen Texten aufgetretenen Kritikern zu sagen hatte, habe ich auf dieser Facebook-Seite sowie auf meinem Blog wjpatzelt.de ausgeführt und findet sich im von mir und von Joachim Klose verfassten PEGIDA-Buch leicht auffindbar zitiert. Dass die Kritiker auf meine Argumente nichts zu antworten wussten, nahm ich zur Kenntnis.
Eine Ausnahme gibt es allerdings. Es handelt sich um Michael Bittner. Dieser hat nicht nur auf meine Gegenkritik geantwortet, sondern sich auch in ein bis heute andauerndes Gespräch mit mir begeben. Wöchentlich führen wir es in der – von uns abwechselnd geschriebenen Kolumne – „Besorgte Bürger“ in der „Sächsischen Zeitung“. Mir scheint: So kann Streit konstruktiv werden, ja vielleicht auch – da öffentlich ausgetragen und fair geführt – sogar beispielgebend für andere. Das wäre eine gute Entwicklung in einer Zeit, da eher die Ausgrenzung des anderen als die Auseinandersetzung mit ihm gesucht wird.
Vor kurzem hat Michael Bittner auf seinem Blog eine sachkundige und faire Rezension des PEDIGA-Buchs von Patzelt/Klose vorgelegt (http://michaelbittner.info/2016/06/17/das-pegida-buch-von-professor-werner-j-patzelt/). An deren handwerklicher Sorgfalt ist nichts zu bemängeln. Zwar kann man an etlichen Stellen anderer Meinung sein als Bittner. Doch das ist schlechterdings normal, ja für einen auf wechselseitiges Lernen angelegten Diskurs sogar wünschenswert. An einigen Stellen diente es freilich besserem Verständnis des Rezensierten, wenn ein wenig mehr Wissen über jene größeren Zusammenhänge sichtbar würde, in denen von Michael Bittner besprochene Züge des Buches stehen.
Deshalb antworte ich auch auf diesen Text Michael Bittners. Meine Antwort aber hat nichts von einer Kritik an sich, welche Eigenschaft meine früheren Antworten auf Bittner-Texte sehr wohl aufwiesen. Es geht mir um nichts weiter als um eine Kommentierung oder Kontextualisierung mancher Aussagen Bittners. Der Klarheit wegen habe ich in Bittners Rezension einfach „Anmerkungsziffern“ in eckigen Klammern überall dort eingefügt, wo ich weitere Gesichtspunkte einbringen möchte; und diese Anmerkungen handele ich dann systematisch ab.
Weil aber der so entstehende Gesamttext viel länger ist, als man ihn auf Facebook lesen möchte, veröffentliche ich ihn allein auf meinem Blog. Ich würde mich aber freuen, wenn die Diskussion über Bittners Rezension und meine Kommentare – wie üblich – auf Facebook geführt würde
I. Michael Bittners Rezension vom 17. Juni 2016:
„Das PEGIDA-Buch von Professor Werner J. Patzelt“
PEGIDA, seit geraumer Zeit schon bloß noch ein montags in Dresden wandelnder Untoter, ist nun zusehends im Zerfall begriffen. Die Alternative für Deutschland hat PEGIDA politisch das Wasser abgegraben. Die Partei spricht dieselben Bürger an, hat aber im Gegensatz zur Dresdner Kreisbewegung auf der Straße eine echte Machtperspektive. So wird PEGIDA überflüssig, vielleicht auch aufgesaugt. Die Ziele und Methoden von PEGIDA bleiben dabei allerdings erhalten und werden nun sogar von einer gesamtdeutschen Partei verkörpert. Wer PEGIDA als Gefahr ansah, hat also keinen Grund, erleichtert aufzuatmen. [1]
Diese Lage scheint günstig, um im Rückblick ein umfassendes Bild von PEGIDA zu zeichnen. Dieses Vorhaben verfolgt das Buch „PEGIDA. Warnsignale aus Dresden“ von Werner J. Patzelt und Joachim Klose. Wer die Äußerungen von Hauptautor Werner J. Patzelt in den letzten zwei Jahren verfolgt hat, findet in dem Buch keine neuen Einsichten, aber eine übersichtliche Zusammenfassung seiner Thesen. Das sehr umfangreiche Werk beginnt mit einem zusammenfassenden Gesamtporträt von PEGIDA. Es stellt sodann die dürftigen Programmschriften der Gruppierung vor und zeichnet die Radikalisierung der bei den Kundgebungen gehaltenen Reden nach. Das ausführliche vierte Kapitel versucht, mit den Befunden von Umfragen die Einstellungen der Demonstranten zu erfassen. [2] Die beiden folgenden Abschnitte stellen PEGIDA als Netzphänomen vor: zuerst aus kommunikations- und medienwissenschaftlicher Perspektive, sodann durch eine gleichsam ethnografische Analyse von (meist scheiternden) Online-Diskussionen zwischen PEGIDA-Anhängern und Gegnern. In den letzten Kapiteln suchen die beiden Autoren nach den tieferen Ursachen für PEGIDA und erteilen – gemäß dem „normativen“ Wissenschaftsverständnis von Prof. Patzelt – Ratschläge für zukünftiges Verhalten an alle Seiten.
Prof. Patzelt hat in der Diskussion um PEGIDA eine herausragende Rolle gespielt, ja ist durch sie zu einer national prominenten Figur geworden, weil er von Anfang an um Verständnis für die Dresdner Demonstranten warb [3]. Dies machte ihn zum Ziel von Kritik, die teils sachlich auf gewisse Einseitigkeiten seiner Sichtweise hinwies, teils unsachlich behauptete, er wäre Anhänger oder Sprachrohr von PEGIDA. Prof. Patzelt antwortete auf diese Kritik oft ebenfalls recht herb in einem Ton, der von nicht wenigen PEGIDA-Gegnern als höhnisch und herablassend empfunden wurde [4]. Selbst der konservative Kolumnist Jan Fleischhauer zeigte sich einmal nach einem Besuch in Dresden irritiert und reagierte mit recht unfreundlichen Worten. [5] Prof. Patzelt scheint inzwischen bemerkt zu haben, dass es oft weniger der Inhalt als der Ton seiner Äußerungen war, der viele PEGIDA-Gegner erzürnte. Sein neues Buch jedenfalls ist im Stil erfreulicherweise weitgehend frei von Polemik und sachlich abwägend. Stellenweise wirkt es dabei allerdings weniger wie eine wissenschaftliche Abhandlung als wie eine persönliche Rechtfertigungsschrift [6]. Die Selbststilisierung zum einzig Aufrechten wird mancher Leser etwas penetrant finden, aber das ist sicher Geschmackssache.
Enttäuscht werden Leser, die im Buch nach Spuren von Selbstkritik suchen. Es findet sich – von einer Fußnote abgesehen – keine [7]. So gibt es auch keine Antworten auf interessante Fragen wie etwa diese: Hat sich Prof. Patzelts frühere Prophezeiung, nach einer Spaltung von PEGIDA werde sich die gemäßigte Mehrheit der Demonstranten durchsetzen, nicht als falsch herausgestellt? [8] Oder diese: Haben nicht jene PEGIDA-Kritiker recht behalten, die das anfangs gemäßigte Auftreten der PEGIDA-Anführer gleich als Heuchelei von Rechtsradikalen entlarvten? [9] Eine intensive Auseinandersetzung mit den Thesen der Kritiker von Prof. Patzelt findet leider auch nicht statt [10]. Der Autor dieser Zeilen erlaubt sich, selbst als Beispiel zu dienen: Prof. Patzelt hat im Buch auf einige meiner Beiträge verwiesen, aber leider gerade die nicht zur Kenntnis genommen, welche sich intensiv mit PEGIDA befassten, stattdessen aber alle, in denen es auch um Prof. Werner J. Patzelt ging. Und aus letzteren Schriften hat er nur Positionen zitiert, die ich nicht mehr vertrete, weil ich sie eben in der Diskussion mit ihm korrigiert habe. Dadurch entsteht ein schiefes Bild und es wäre besser gewesen, er hätte mich einfach gleich ganz ignoriert. [11]
Die linke Kritik an Prof. Patzelt zeichnete sich leider oft nicht durch sonderlich viel Gehalt aus. Offenbar fällt es vielen Menschen schon schwer, die Texte eines Diskussionsgegners auch wirklich zu lesen und sich nicht auf eine fünfzehnminütige Google-Recherche allein zu verlassen. Dabei lässt sich der politische und wissenschaftliche Standort von Prof. Patzelt durch eine Lektüre seiner recht meinungsfreudigen Einführung in die Politikwissenschaft leicht feststellen. [12] Die gleiche Ignoranz zeigen allerdings auch zahlreiche PEGIDA-Anhänger, die Prof. Patzelt ebenfalls für einen Parteigänger ihrer Bewegung halten. Dabei kritisiert er auch PEGIDA häufig. [13] Es wäre gut, wenn diese Tatsache gerade unter PEGIDA-Sympathisanten bekannt gemacht würde, etwa durch die Verbreitung der folgenden Zitate aus dem neuen Buch.
So äußert Prof. Patzelt zur explodierenden rechtsextremen Gewalt, dass
„demagogisches Zündeln von PEGIDA-Rednern und PEGIDA-Sympathisanten weitere Brandstellen auf vielerlei Facebook-Seiten entstehen ließ – und aus diesen sich so manche Untat motiviert haben dürfte.“
Überhaupt gelte für PEGIDA im Internet:
„Diese Texte strotzen oft von rassistischen, gewaltlüsternen, auch schlichtweg dummen Aussagen. Ferner führen dort geteilte Posts tief in die Welt von verschwörerischem und rechtsradikalem Arkanwissen hinein.“
Auch seien „etliche Reden oder Redepassagen auf PEGIDA-Veranstaltungen grob, herabwürdigend und aufhetzerisch“. Die Berufung auf das „Abendland“ sei nichts als eine intellektuell nicht ausgefüllte „Sprechblase“ und werde überdies „konterkariert“ durch den „Inhalt und Ton der Aussagen von Pegidianern“. Den von PEGIDA praktizierten „kulturalistischen Rassismus“ zur Stigmatisierung aller Muslime weist Prof. Patzelt zurück. Über den Verdacht, nach dem „Muslime an sich schon problematische Mitbürgerinnen und Mitbürger wären“, heißt es:
„Letzteres trifft zwar auf jene dschihadistischen Muslime zu, die wirklich gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung angehen oder angehen wollen. Das ist aber eine kleine Minderheit, für welche die große Mehrheit friedlicher Muslime in eine Art Sippenhaft zu nehmen sich schlicht nicht gehört.“
Den Anführern von PEGIDA wirft er „politische Unzulänglichkeit“ vor, die dazu geführt habe, dass die Bewegung nicht „übers Schimpfen und Vorwerfen hinausgelangt“ sei.
„Trotz Fehlens konkreter Forderungen Woche für Woche weiter zu demonstrieren, ist dann schon bald kein sich konstruktiv auswirkender Protest mehr, sondern nimmt den Charakter struktureller Gewalt an.“
Den PEGIDA-Demonstranten attestiert Prof. Patzelt ein einseitig technokratisches Demokratie-Verständnis, das zur „Idealisierung autoritärer Politikstile“ führe. Auf Grund einer aus DDR-Zeiten übernommenen Staatsgläubigkeit seien sie außerdem bereit zur kollektiven Empörung, selten aber zum persönlichen politischen Engagement. Den „Lügenpresse“-Vorwurf hält Prof. Patzelt zwar nicht für völlig unberechtigt, aber doch für übertrieben und hinderlich:
„Obendrein verhärteten sich Pegidianer zumindest gegenüber den deutschen Medien selbst dann und leider erst recht, als Journalisten im späteren Verlauf des Jahres 2015 damit begannen, auch differenziert über PEGIDA zu berichten. Nicht selten schien es so, als wäre guter Journalismus in ihren Augen deckungsgleich mit medialer Unterstützung ihrer Sache.“
Und über die Anmaßung von PEGIDA, sich selbst zum „Volk“ aufzuwerfen, heißt es schließlich:
„Natürlich ist es nicht so, als ob etwas schon deshalb richtig wäre, weil einige Tausend Leute es Woche für Woche mit lauter Stimme bekunden. Aus dem Prinzip der Volkssouveränität folgt auch nicht, mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“ wäre bereits darüber entschieden, was sinnvollerweise zu tun sei.“
Nachdem durch diese Zitate vielleicht einige Fehlwahrnehmungen korrigiert wurden, möchte ich die zentrale These von Prof. Patzelts Buch wiedergeben: Die große Mehrheit der PEGIDA-Gegner in Bürgerschaft, Medien und Politik hat die Dresdner Demonstranten falsch wahrgenommen, deswegen falsch auf sie reagiert und dadurch PEGIDA (wie die Alternative für Deutschland) erst stark gemacht. Die PEGIDA-Demonstranten hielt man lange irrtümlich alle unterschiedslos für Rassisten und Nazis, während Umfragen und Beobachtungen zeigten, dass sich auch zahlreiche bloß konservative oder schlicht unzufriedene Bürger an den Demonstrationen beteiligten, unter ihnen sogar einige sich als „links“ verstehende Systemkritiker. [14] Die PEGIDA-Gegner reagierten wie auf die früheren Nazi-Aufmärsche zum 13. Februar, nämlich mit Ausgrenzung und Blockaden. Dies aber führte – wie die Etikettierung aller Demonstranten als „PEGIDA-Nazis“ – nur zu einer trotzigen Solidarisierung, die für noch mehr Zulauf sorgte. Es entstand ein Klima wechselseitiger Verachtung, die Stadt Dresden polarisierte sich in Freund und Feind. Die Sympathien für PEGIDA reichten weit ins Dresdner Bürgertum hinein, weshalb sich die Bürgerschaft auch nicht geschlossen gegen diese Demonstrationen stellte, anders als in fast allen anderen deutschen Städten, wo allerdings die PEGIDA-Nachahmer auch eindeutig als Rechtsradikale zu erkennen waren. Das vorwiegend konservative Dresdner Bürgertum wurde zu einer „Schutzhülle um PEGIDA“. Besser wäre es gewesen, mit den Gemäßigten und den bloß Frustrierten oder Verwirrten unter den Demonstranten ins Gespräch zu kommen und ihre Befürchtungen angesichts islamistischen Terrors und ungeordneter Zuwanderung ernst zu nehmen, zumal diese sich überdies auch noch im Jahr 2015 teilweise bewahrheiteten. Insbesondere die CDU hat es versäumt, Wähler der rechten Seite des politischen Spektrums einzubinden und dadurch eine „Repräsentationslücke“ entstehen lassen, die nun leider von den „Rechtspopulisten“ von PEGIDA und der Alternative für Deutschland gefüllt wird.
Prof. Patzelt hat in vielen Punkten, und insbesondere in der Frage nach den Ursachen des Scheiterns der Dresdner PEGIDA-Gegner, meiner Ansicht nach recht. [15] Dennoch scheint mir die Sichtweise des Buches in einigen Punkten auch einseitig. Hierzu einige kritische Anmerkungen:
Wie Prof. Patzelt selbst bemerkt, hatte die negative Wahrnehmung von PEGIDA auch gute Gründe: Von Anfang an beteiligten sich zahlreiche stadtbekannte Rechtsextreme und Hooligan-Schläger an den Demonstrationen. Prof. Patzelt schätzt nach seinen Umfragen den Anteil der Rechtsradikalen auf 20% und räumt ein, er liege vermutlich noch ein Stück höher. Zudem war der Anführer Lutz Bachmann ebenfalls sehr früh eindeutig als notorischer Lügner, Krimineller und rassistischer Hetzer zu erkennen. Viele Beobachter – so auch ich – machten anfänglich den Fehler, voreilig alle Demonstranten mit ihrem Anführer zu identifizieren. Ebenfalls ein Fehler vieler Beobachter war es, das hässliche Gesicht von PEGIDA im Netz für das Antlitz der ganzen Bewegung zu halten. Die Studien von Prof. Patzelt zeigen aber, dass sich im Netz vor allem die jüngeren und radikaleren PEGIDA-Anhänger äußern, während viele Ältere gar nicht im Internet präsent sind. Für die Fehlwahrnehmung waren aber auch die Demonstranten selbst mitverantwortlich: Sie verweigerten – auf Befehl ihres Anführers – das Gespräch mit Journalisten und politischen Gegnern und applaudierten immer wieder auch Reden, die auf widerlichste Weise rassistisch waren. In die Opferrolle begaben sich die Demonstranten auch durch eigene „Selbststigmatisierung“ (Franz Walter u.a.), um keine konstruktive Auseinandersetzung führen zu müssen. Die Frage, wer nun mehr oder weniger Verantwortung für das Scheitern der Kommunikation trägt, lässt sich jedenfalls nicht mit einer einseitigen Schuldzuweisung beantworten. [16]
Prof. Patzelt, der eine differenzierte Betrachtung von PEGIDA einfordert, blickt auf „die PEGIDA-Gegner“ und „die Medien“ gelegentlich selbst nicht besonders differenziert. Nicht nur spielen die Gefühle der Gegner – von den Gefühlen der Geflüchteten ganz zu schweigen! – im Buch kaum eine Rolle. [17] Es wird auch mantraartig die These wiederholt, alle PEGIDA-Anhänger wären beständig nur als „Nazis“, „Rassisten“ und „Rechtsextreme“ beschimpft worden. Diese Sicht wird jenen Journalisten [18] nicht gerecht, die von Anfang an kritisch, aber sachlich über PEGIDA berichteten. Zu nennen wären Ulrich Wolf, Stefan Locke und andere mehr. Und Prof. Patzelt übersieht auch, wie viele PEGIDA-Gegner sich ebenfalls schon früh um eine genauere Betrachtungsweise bemühten. So schrieb sogar der als besonders linksversifft berüchtigte Volksverräter Michael Bittner in einem Beitrag bereits am 27.2. 2015:
„Das Wort Kritik stammt vom griechischen Wort für ‚Unterscheidung‘ ab, eine gelungene Kritik sollte sich also durch Differenzierungsvermögen auszeichnen. Daran sei erinnert, weil einige Gegner der neurechten Bewegungen in ihrer verständlichen Ablehnung allzu undifferenziert zu Werke gehen. Begriffe wie ‚PEGIDA-Nazis‘ werden, so scheint mir, zu leichtfertig gebraucht. Bei allem Spaß an der Polemik sollte man doch Führer und Mitläufer, Überzeugte und Verwirrte sowie Neonazis, Faschisten und Konservative auseinanderhalten.“ [19]
Prof. Patzelt gebraucht in seinem neuen Buch wiederholt seine alte geologische Lieblingsmetapher: Dresden sei nur ein „Vulkanschlot“, durch den „Magma“ der Empörung austrete, das unter ganz Deutschland, ja ganz Europa rumore. Nun haben aber Metaphern die Eigenheit, dass sie zwar eine Seite eines Phänomens erhellen, dafür aber andere Seiten verdunkeln. Wenn man PEGIDA und den Rechtspopulismus im Bild einer Naturkatastrophe beschreibt, dann läuft man Gefahr zu unterschätzen, wie stark auch Furcht und Empörung medial konstruiert und politisch instrumentalisiert werden. [20] Gerade einem Forscher, der wie Prof. Patzelt von der „sozialen Konstruktion der Wirklichkeit“ ausgeht, muss ich das gewiss nicht erzählen. Angst und Wut sind also nicht einfach da, sie werden auch von ökonomisch und politisch interessierten Kräften geschürt und ausgenutzt. (Was nicht heißt, diese Gefühle wären nur erfunden und ganz unbegründet.) Leider geht Prof. Patzelts Buch gerade den Strategien der neurechten Bewegungen, zu denen PEGIDA gehört, kaum nach [21]. Die Verbindungen zur „Patriotischen Plattform“ der Alternative für Deutschland, der Einfluss von Gruppen wie den „Reichsbürgern“ und den „Identitären“, die Rolle von russischen Staatsmedien und rechtsradikaler Gegenöffentlichkeit in Deutschland – all dies kommt in der Analyse zu kurz. Leider fehlt bei der Analyse der PEGIDA-Reden, die Prof. Patzelt einigen seiner Studenten überlassen hat, auch die hermeneutisch unverzichtbare Einbettung der PEGIDA-Ideologeme in den Kontext des rechtsradikalen Diskurses in Europa. [22]
Eine letzte Kritik soll noch der Ursachenforschung des Buches gelten. Als „Tiefenschicht des PEGIDA-Phänomens“ macht Prof. Patzelt „die mit Angst vermengte Ablehnung einer weitreichenden Veränderung der kulturellen Zusammensetzung des eigenen Staatsvolkes“ aus. Und als „ultimate Ursache“ gilt ihm ein gestörtes Verhältnis der Deutschen zur eigenen Nation, das sich in der ungelösten Frage zeige, „ob der Patriotismus von Deutschen nur Verfassungspatriotismus sein dürfe, oder ob er mehr als Verfassungspatriotismus sein solle.“ Prof. Patzelt plädiert bekanntlich seit Längerem für dieses Mehr, nämlich für eine „deutsche Leitkultur“. Diese kulturalistische Deutung von sozialen Problemen [23] weist Prof. Patzelt als Konservativen aus. [24] Ungestellt bleibt die Frage, ob die Polarisierung und Verrohung der europäischen Gesellschaften nicht auch auf Jahrzehnte neoliberaler Politik zurückzuführen wären, auf eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und eine immer prekärere Existenz vieler Menschen unter Bedingungen verschärfter Konkurrenz. Prof. Patzelt macht zwar einen ökonomischen Verteilungskampf zwischen Einheimischen und Zuwanderern aus, tut aber den Wunsch nach „sozialer Gerechtigkeit“ als bloßen „Neid“ ab. [25] Als Lösung schwebt ihm keine Änderung der Wirtschaftsordnung vor, sondern eine Rückkehr zur „exklusiven Solidarität“ anstelle einer „inklusiven“ – also eine Rückbesinnung auf die Eigeninteressen des Staatsvolkes, ohne Euphemismus gesprochen: auf den nationalen Egoismus. [26]
(Keine Bereicherung für das Buch ist die Mitarbeit des Koautors Joachim Klose. In dessen Beitrag wird wissenschaftliche Analyse vielfach ersetzt durch kleinkarierte lokalpolitische Polemik gegen alles Linke, was zu teilweise abstrusen Thesen führt. So wird – in einem Buch, das differenziertes Denken und Einfühlen fordert! – die ganze antifaschistische Gruppierung Dresden Nazifrei als gewaltbereit denunziert, während die – auch nach Meinung von Prof. Patzelt – teilweise demagogischen und rassistischen Ansprachen der PEGIDA-Anführer zu „politisch inkorrekten Reden“ verniedlicht werden.) [27]
Zum Abschluss präsentiert Prof. Patzelt seine Ratschläge: Es solle eine öffentliche Diskussion und parlamentarische Entscheidung über ein Zuwanderungs- und Integrationsgesetz geben, um die damit verbundenen Fragen auf demokratischem Wege zu klären. Dabei sollen nur wirklich rassistische und antidemokratische Positionen ausgegrenzt werden, nicht aber Bürger, die lediglich patriotische oder rechte Einstellungen vertreten. Gegen diese Empfehlungen habe ich nichts einzuwenden. Allerdings braucht es gleichzeitig auch einen öffentlichen Kampf gegen jene Politiker und Propagandisten, die versuchen, rassistisches und antidemokratisches Denken und Handeln wieder mehrheitsfähig zu machen. In dieser Auseinandersetzung könnte Prof. Patzelt vielleicht noch etwas mehr leisten als bislang. [28]
Leider ist das PEGIDA-Buch von Prof. Patzelt insgesamt zu dick geraten und enthält zahlreiche – z.T. wörtliche – Wiederholungen. [29] Der Stil des Autors ist anspruchsvoll, aber doch gut lesbar. Nur haben sich leider einige Phrasen der politisch-medialen Klasse – von „zielführend“ bis „Handlungsbedarf“ – in seinen Wortschatz geschlichen. [30] Das Buch ist für alle, die sich ein genaues Bild der PEGIDA-Bewegung machen wollen, unverzichtbar. Es gibt keine detailliertere Darstellung. Konziser ist allerdings das Buch von Hans Vorländer u.a. [31], die tieferen ökonomischen und politischen Ursachen werden in der Monografie von Franz Walter u.a. besser analysiert [32].
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Werner J. Patzelt und Joachim Klose: PEGIDA. Warnsignale aus Dresden. Dresden: Thelem, 2016, 672 Seiten, 22 Euro.
Weitere empfehlenswerte PEGIDA-Gesamtdarstellungen:
Hans Vorländer, Maik Herold, Steven Schäller: PEGIDA. Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung. Wiesbaden: Springer VS, 2016
Lars Geiges, Stine Marg, Franz Walter: PEGIDA. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft? Bielefeld: transcript, 2015
Vgl. zum politischen und wissenschaftlichen Standort von Werner J. Patzelt:
Werner J. Patzelt: Einführung in die Politikwissenschaft. Grundriss des Faches und studiumbegleitende Orientierung. Passau: Rothe, 7. ern. überarb. u. stark erw. Aufl. 2013
II. Meine Anmerkungen zu Michael Bittners Rezension
[1] Hier bin ich mit Bittner analytisch einer Meinung, füge aber – selbst einschlägig belehrt – hinzu, dass Totgesagte meist deutlich länger leben.
[2] Was meint wohl die Aussage, ich „versuchte“ im vierten Kapitel, „mit den Befunden von Umfragen die Einstellungen der Demonstranten zu erfassen“? Das klingt doch recht danach, dass der deutsche Skiverband versucht habe, mit dem österreichischen Skiverband mitzuhalten, dann aber eben doch gescheitert sei. Falls das der gewünschte Klang des Satzes wäre, lautete die Aussage des Rezensenten im Klartext so: „Noch einmal tischt uns dieser Patzelt falsche Daten über die Pegidianer auf, weil er anscheinend das Forscherhandwerk immer noch nicht beherrscht!“ Wenn das aber der gemeinste Sinn von Bittners Satz wäre, dann verhülfen die folgenden Hinweise ihm und den Lesern seiner Rezension zu einer zutreffenderen Einschätzung des Kapitels über Die PEGIDA-Demonstranten.
Erstens finden sich im Buch sämtliche Befunde aller bis zur Veröffentlichung meines PEGIDA-Bandes publizierten Demonstrantenbefragungen zusammengestellt und verglichen. Diese Ergebnisse, sowohl zu den soziographischen Merkmalen als auch zu den Einstellungen von Pegidianern, passen allesamt sehr gut zusammen. Die einzige Ausnahme ist Vorländers „Ausreißer-Befund“, wonach die PEGIDA-Demonstranten hätten überdurchschnittlich hohe Einkommen hätten. In Wirklichkeit haben sie, wie alle anderen Studien zeigen, durchschnittliche bis unterdurchschnittliche Einkommen.
Zweitens passen die Befunde aller bisherigen Demonstrantenstudien sehr gut zusammen, obwohl sie anhand höchst unterschiedlicher Stichproben erhoben werden, von denen keine einzige die Repräsentativität der Befunde garantieren konnte. Doch man muss auch nicht von einem Braten eine repräsentative Stichprobe von Fleischstückchen abschneiden, wenn man herausfinden will, ob das Fleisch zäh ist. Dafür reichen Stückchen vom Rand und von der Mitte. Und kaum anders war es mit den bisherigen Stichproben von Studien zu den PEGIDA-Demonstranten:
- Dieter Rucht et. al. Verteilten im Januar 2014 nicht weniger als 1800 Handzettel an PEGIDA-Demonstranten, mit denen für eine Online-Befragung geworben wurde. An der nahmen dann ganze 123 Leute teil (Ausschöpfungsquote 6,8%).
- Geiges et al. verteilten im Januar 2015 nicht weniger als 3500 Handzettel, mit denen ebenfalls für eine Online-Befragung geworben wurde. An der nahmen dann 482 Leute teil (Ausschöpfungsquote: 13,8%).
- Geiges et al. Verteilten im November des gleichen Jahres 1800 Fragebögen mit frankiertem Rückumschlag unter PEGIDA-Demonstranten, von denen 610 (teil-) ausgefüllt zurückgeschickt wurden (Ausschöpfungsquote: 34%).
- Karlheinz Reuband verteilte im Dezember 2015 ebenfalls 810 Fragebögen mit frankiertem Rückumschlag unter PEGIDA-Demonstranten, von denen 331 (teil-) ausgefüllt zurückgeschickt wurden (Ausschöpfungsquote: 41%).
Keine dieser Umfragen erfüllte auch nur im Mindesten die jene Auswahlkriterien, die eine Repräsentativität der Befunde garantieren können. Und dennoch passten die Ergebnisse überall dort gut zusammen, wo sich nicht der Gegenstand selbst im Lauf des Jahres verändert hatte. Es ist nun einmal so, dass sich in nennenswerten Umfang vorhandene Wirklichkeitsmerkmale auch an nicht-repräsentativen Stichproben zeigen und jede neue Stichprobe dann die Befunde der vorangegangenen zu erhärten vermag. Und ohnehin gehen wir in den Sozialwissenschaften nie davon aus, dass selbst repräsentative Auswahlen aus der jeweils gleichen Grundgesamt bis auf zwei, drei Prozent genau zusammenpassende Häufigkeitsverteilungen liefern.
Die Befunde von Rucht und Geiges aus dem Winter 2014/15 passen ebenfalls gut mit den Ergebnissen von Vorländer et al. zusammen, die im Dezember 2014 und im Januar 2015 bei drei aufeinander folgenden PEGIDA-Demonstrationen 1106 Personen ansprachen und 397 Interviews realisierten (Ausschöpfungsquote: 35,9%). Vorländer et al. behaupteten zwar stets, eine „repräsentative Stichprobe“ gezogen zu haben, konnten – aufgrund ihres Auswahlverfahrens – Repräsentativität aber ebenso wenig garantieren wie Rucht, Geiges und Reuband.
Auch ich habe stets eine Garantieerklärung für die von mir gezogenen Stichproben von nicht weniger als vier Demonstrantenbefragungen abgelehnt. Daraus machten dann Journalisten und Kritiker: Patzelt selbst hat zugegeben, seien Stichproben seien ganz willkürlich gezogen und in keiner Weise geeignet, über die tatsächliche Zusammensetzung der PEGIDA-Demonstranten oder über deren Einstellungen zu informieren. Dabei passen die Befunde meiner vier Demonstrantenbefragungen – wie sich in vielen Tabellen und Korrelationszusammenstellungen meines PEGIDA-Buchs zeigt – nicht nur untereinander bestens zusammen, sondern desgleichen mit den Ergebnissen aller anderen PEGIDA-Studien. Mich selbst wunderte das überhaupt nicht. Einesteils sind die Ausschöpfungsquoten meiner Studien höher als die fast aller anderen PEGIDA-Studien (Fallzahlen und Ausschöpfungsquoten im Januar, April und Mai 2015 sowie im Januar 2016: 242, 271, 434, 368 bzw. 49%, 48%, 39%, 37%). Sondern andernteils – und vor allem – kamen die Stichproben meiner Demonstrantenbefragungen den Verfahrensvorschriften für die Ziehung einer repräsentativen Stichprobe näher als die Verfahrensweisen aller anderen Pegidianer-Befragungen, zumal derer von Rucht, Geiges und Reuband. Denn zum einen waren die für Interviews anzusprechenden Zielpersonen gemäß den – zusammenpassenden! – Befunden der anderen Studien nach Geschlecht und Alter quotiert. Und zum anderen waren den Interviewern „Sample Points“ in Gestalt von Befragungssektoren auf den Kundgebungsplätzen bzw. bei den Demonstrationszügen zugewiesen. Das steigerte besser als bei allen anderen Studien, einschließlich der von Vorländer et al., die Chancen darauf, dass tatsächlich – wenn auch nicht garantierbar – ein „repräsentativer Querschnitt“ der Demonstranten befragt wurde. Dass dies von Journalisten und Kritikern grundsätzlich nicht so erkannt wurde, zeugt eher von mangelhaften Methodenkenntnissen auf deren Seite als von Methodenfehlern bei meinen Demonstrantenbefragungen.
Wenn nun aber die Befunde von so unterschiedlich gezogenen Stichproben (Appell, sich an Online-Befragungen zu beteiligen; Zurücksendung verteilter Fragebögen; Ansprechen von PEGIDA-Demonstranten auf den Zugangswegen zum Demonstrationsort; Quotenstichprobe mit über den Kundgebungsplatz und den Demonstrationszug streuenden „Sample Points“) so gut zusammenpassen: Welchen guten Grund gibt es dann wohl für die Unterstellung, die ausführliche, alle verfügbaren Daten zusammenführende Beschreibung der Merkmale und Einstellungen von PEGIDA-Demonstranten sei allenfalls „versuchsweise“ erfolgt, in Wirklichkeit aber eben doch nicht gelungen? Und wie lässt sich das ernsthaft behaupten angesichts von wirklich vielen Tabellen und Korrelationsübersichten, in denen ganz augenscheinlich wird, wie gut nicht nur die Häufigkeitsverteilungen, sondern auch noch Korrelationen meiner vier Befragungswellen zusammenpassen? Noch einmal: In solchen Insinuationen scheint mir fehlende Methodenkompetenz zusammenzuwirken mit mancherlei Zorn über (weiland) politisch unerwünschte Befunde …
Drittens wird, und wohl aus dem letztgenannten Grund, seit Monaten immer wieder folgender Einwand vorgetragen: Durch zu viele – und dabei nicht zufallsgestreute – Antwortverweigerungen wären die Befunde aller PEGIDA-Studien bis hin zur Unbrauchbarkeit verzerrt. Doch diesbezüglich sei einmal mehr die Aussage des ehemaligen Professors für empirische Sozialforschung Karlheinz Reuband zitiert, die sich mit originalem Quellenverweis auf S. 162 meines PEGIDA-Buches findet: „Es gibt keine Hinweise dafür, dass sich die Pegida-Teilnehmer überproportional wissenschaftlichen Befragungen verweigern. Das ist zwar in der Vergangenheit behauptet worden […}, hält aber einer näheren Prüfung nicht stand“. Genau so ist es. Man wird sich also allmählich mit politisch unerwünschten empirischen Befunden abfinden müssen.
Viertens bleibt noch folgender, in allen meinen PEGIDA-Studien von mir ausdrücklich mitgeteilte – und von Journalisten wie Kritikern mit besonderer Sorgfalt aufgegriffene – Befund zu kommentieren: Es haben sich jüngere, noch weiter rechts als der PEGIDA-Durchschnitt eingestellte Demonstranten häufiger als andere Pegidianer Interviews verweigert. Das führt dazu, dass alle Häufigkeitsverteilungen, die mit der politischen Grundeinstellung der Befragten zusammenhängen, zur Mitte hin verzerrt sind. Welche das im Einzelnen sind, geht aus der entsprechenden Aufstellung auf S. 170f des PEGIDA-Buchs hervor. Und zur ganzen Wahrheit gehört dann noch einerseits, dass die Masse der Pegidianer, wie auch sämtliche Beobachtungen der Demonstrationen zeigten, nicht aus jungen Rechtsradikalen, sondern aus älteren „Normalrechten“ besteht, sich dieser Verzerrungseffekt also in durchaus engen Grenzen halten wird. Und andererseits waren ab meiner zweiten PEGIDA-Studie vom April 2015 meine Interviewer ausdrücklich angewiesen, im Rahmen ihrer Quotenvorgaben und „Sample Points“ nach Möglichkeit gerade solche Leute anzusprechen, deren Aussehen oder Auftreten eine besonders rechte Einstellung erwarten ließ. Wohl ist wahr, dass sich ein Teil der Interviewer scheute, genau das zu tun. Doch daraus lässt sich schwerlich folgern, alle Interviewer hätten das in allen Fällen getan, weswegen so gut wie keine Rechtsradikalen befragt worden wäre. Ganz im Gegenteil machten wir konstant über drei Umfragen ein Fünftel klar Rechtsradikaler ausfindig.
Obendrein passen die Befunde meiner Demonstrantenbefragungen Studien sehr gut mit den Ergebnissen von Rucht und Geiges zusammen, bei deren Umfragen gerade keine Interviews geführt, sondern Online-Fragebögen – auf der Grundlage von einladenden Handzetteln – von selbstrekrutierten Umfrageteilnehmern am PC ausgefüllt wurden. Dabei ist von besonderem Gewicht, dass gerade die jüngeren PEGIDA-Teilnehmer besonders internet-affin und außerdem besonders rechts eingestellt sind. Weil aber die Umfragen von Rucht und Geiges, an denen teilzunehmen vor allem für die in meinen Interviewstudien untervertretenen „jungen Rechtsradikalen“ besonders attraktiv war, nicht nennenswert „rechter“ ausgefallen sind als meine Umfragen: Wie groß wird dann wohl jene Verzerrung wirklich sein, die meine Umfragen aufgrund überdurchschnittlicher Interviewverweigerung durch die Minderheit jüngere und rechtere Demonstranten aufweisen?
Wie man es also auch dreht und wendet: Es gibt keinen vernünftigen Grund zum Zweifel daran, dass wir inzwischen sehr genau wissen, wer die PEGIDA-Demonstranten wirklich sind und wie bzw. in welchen Strukturen sie denken. Also stellt das Demonstranten-Kapitel unseres PEGIDA-Buches gerade keinen bloßen „Versuch“ dar, die Einstellungen der PEGIDA-Demonstranten zu erfassen. Es erfasst und vermisst sie vielmehr höchst präzise. Allenfalls zwei bis drei Prozentpunkte sollte man überall dort „draufschlagen“, wo sich in den Häufigkeitsverteilungen sehr rechte Einstellungen abzeichnen. Auch diese „interpretative Korrektur“ verändert aber das im Demonstrantenkapitel gezeichnete Bild nicht in irgendeiner wesentlichen Hinsicht.
Angefügt sei ein lustiges Verfahren der Verfasser der neuesten Leipziger Mitte-Studie. Im 5. Kapitel ihres Buchs widmen sie sich den Dresdner PEGIDA-Demonstranten. Hierzu stellen sie erstens fest, die vorliegenden Studien (und sie zitieren nicht mehr als Vorländer et al. sowie meine allererste Studie vom Januar 2015, und zwar gerade so, als ob sie von den Folgenstudien aus dem April, Mai und Januar 2016 schlicht nichts wüssten) gäben die Einstellungen der PEGIDA-Demonstranten aufgrund von Repräsentativitätsmängeln durchaus nicht zutreffend wieder (siehe Decker / Kiess / Brähler, 2016: Die enthemmte Mitte, S. 137). Zweitens schließen die Autoren dann im Rest dieses Kapitels von den Einstellungen der Teilgruppe von PEGIDA-Anhängern unter den von ihnen bundesweit (!) repräsentativ Befragten (also nicht: von PEGIDA-Demonstranten) auf die Einstellungen eben der – angeblich nicht korrekt untersuchbaren – Dresdner Pegidianer. Sie gleichen darin jenem Tölpel, der einen verlorenen Schlüssel nicht dort sucht, wo er womöglich aus der Tasche glitt, sondern bequemerweise dort, wo eine Straßenlaterne scheint … Dazu lässt sich wohl nicht mehr sagen als „Bravo!“.
[3] Ich habe in vielen Interviews dafür geworben, doch nicht nur gefühlsmäßig auf die PEGIDA-Demonstranten zu reagieren, sondern zunächst einmal zu begreifen, worum es ihnen überhaupt geht. Daraus wurde dann, bewusst mit dem doppelten Wortsinn des Begriffs spielend, ich hätte „um Verständnis für die Pegidianer geworben“. Der Subtext war stets: Verstehen heißt rechtfertigen; und somit heißt „PEGIDA zu verstehen“ nichts anderes, als Partei für die Pegidianer zu ergreifen. Wie dicht da manche die Schotten ihres Verstandes machten, lässt schon eine schlichte Gegenfrage erkennen: Stellt man sich wohl auf die Seite Hitlers, wenn man zu verstehen versucht, warum er den Holocaust ins Werk setzte und den Zweiten Weltkrieg begann? Bis heute wundere ich mich jedenfalls darüber, wie geradezu stolz manche auf die Aussage sind, sie seien keine PEGIDA-Versteher – um sich dann anschließend an Erklärungen des PEGIDA-Phänomens und an Ratschläge für den richtigen Umgang mit Pegidianern zu machen. Ob man wohl ein Auto gerade dann besser reparieren kann, wenn man von Mechatronik im Allgemeinen oder vom Typ des defekten Wagens gerade nichts versteht? Anscheinend verquickt sich hier ebenso ein vorab feststehendes Urteil über eine Sache mit großem Unwillen, eine bereits beurteilte Sache auch zu begreifen, wie das bei der meist so sehr missratenen Methodenkritik an den empirischen Demonstrantenstudien der Fall war. Meinerseits stelle ich also ein weiteres Mal klar: Ein PEGIDA-Versteher war – und bin ich weiterhin – genau in dem Sinn, dass ich wirklich zu verstehen versuchte, worum es Pegidianern und bei PEGIDA geht; und damals wie heute rate ich anderen, ebenso wie ich zu versuchen, ein politisch nicht unwichtiges Phänomen erst einmal zu verstehen, bevor man sich jene Meinung zu ihm bildet, die dann das eigene Verhalten prägt. Jedenfalls zeigte der ausbleibende Erfolg des „Kampfes gegen PEGIDA“, dass es nicht wirklich hilfreich war, auf ein vorgängiges Verstehen des PEGIDA-Phänomens zu verzichten …
[4] Den von mir bei der Auseinandersetzung mit meinen Kritikern angeschlagenen Ton kann jeder auf meiner in den Januar 2015 zurückreichenden Facebook-Seite sowie auf meinem Blog leicht nachhören. Wer das unternimmt, wird leicht erkennen: Ich bin höflich, wenn mir ein Kritiker höflich kommt; ich bin ironisch, wenn er mir ironisch kommt; und ich bin scharfzüngig verletzend, wenn mir ein Kritiker präpotent kommt, also mit großer Diskrepanz zwischen eingenommener Attitude und vorgebrachter Substanz. Kurzum: Wie man in den Wald hereinruft, so kommt es eben zurück; auf einen groben Klotz setze ich gerne einen groben Keil; wer mit mir den Tanz wagen will, dem spiel ich auf – und gerne auch so, dass der mich Antanzende ins Keuchen kommt. Nie empfinde oder verhalte ich mich als „Opfer“; und wer sich mir gegenüber übernimmt und das partout nicht merken will, der erhält von mir nun wirklich weder Lob noch Respekt. Redliche und potente Gegner aber schätze ich; und meine Diskursgeschichte mit Michael Bittner zeigt das auch.
[5] Die von Bittner angesprochene Fleischhauer-Episode bei einer Veranstaltung der Jungen Union war nichts anderes als putzig. Fleischhauer und ich saßen auf dem Podium einer Diskussionsveranstaltung; Thema war – wenn ich mich recht entsinne – Deutschlands im Winter 2014/15 noch gepflogene Einwanderungspolitik, die ich für falsch hielt. Nach meiner Einschätzung gefragt, sprach ich über sie in der von mir gerne verwendeten Mischung von inhaltlich klaren Aussagen und ironischem Tonfall, der die mir meist willkommene eine Distanz zwischen Sache und Person schafft. Kaum hatte ich geendet, fuhr Fleischhauer auf wie Rumpelstilzchen und gab in ziemlicher Erregung zurück, es sei doch ganz ungeheuerlich, dass da jemand bei einer Veranstaltung der zur CDU gehörenden Jungen Union ausgerechnet die Vorsitzende der CDU so hart angehe – und sich kein starker Widerstand dagegen rege! Merkt da denn wirklich keiner, wie possierlich es ist, wenn ausgerechnet ein Journalist es für ungehörig erklärt, dass eine Parteivorsitzende, ja eine Regierungschefin kritisiert wird, und das auch noch vor Angehörigen ihrer Partei … ?! Da möchte einer wie ich schon zurückfragen: „Ja, geht’s denn noch?“
[6] Ich habe schon mit erheblicher Befriedigung an allen passenden Stellen zu zeigen unternommen, dass nicht ich seit dem November 2014 mit meinen Einschätzungen von PEGIDA und mit meinen Ratschlägen zum zielführenden Umgang mit PEGIDA falsch lag, sondern dass dies für jene gilt, die meine Einschätzungen damals als falsch und meine Ratschläge als auf Verharmlosungen beruhend kritisierten. Zugespitzt: Nicht ich rechtfertige mich – sondern ich zeige, dass die Fakten und die tatsächlich eingetretenen Entwicklungen belegen, dass meine Kritiker unrecht hatten. (Von der einzigen echten Fehleinschätzung, die mir meines Erachtens unterlief, handelt der nachstehende Kommentar 7.)
[7] Beide Aussagen sind korrekt. Falsch mit meinen Aussagen über PEGIDA lag ich nämlich nur mit zwei Prognosen über ein sich abzeichnendes Ende von PEGIDA aus dem Januar und Frühjahr 2015 (siehe dazu die Anm. 34 auf S. 32 des PEGIDA-Buchs). Für diese Prognose geniere ich mich umso mehr, als ich schon damals von ihr nicht wirklich überzeugt war, sondern – damals unter öffentlichen Druck geraten – dem leider dem allzu billigen Wunsch nachgab, nun auch einmal etwas Ähnliches wie meine Kritiker sagen zu können. Ich hätte mich diesem Meinungsdruck wirklich nicht beugen sollen – und habe das seither erst recht nicht mehr getan. Im Übrigen habe ich im Anhang 8 des Buches auf S. 658-660 alle meine deutschsprachigen Interviews zu PEGIDA zwischen Mitte November 2015 und Mitte Februar 2015 mitsamt leicht nutzbaren Internet-Links aufgelistet, so dass jetzt jeder leicht ein Bild davon machen kann, ob und wo ich denn überhaupt Anlass zur Selbstkritik hätte. (Alle späteren Aussagen von mir über PEGIDA finden sich auf meinem Blog wjpatzelt.de bzw. auf meiner Facebook-Seite und lassen sich deshalb besonders leicht auf das – von mir bestrittene – Vorliegen von Anlass für Selbstkritik überprüfen.
[8] Zu jener „Prophezeiung“ sei insgesamt auf den Kommentar [7] verwiesen. Im Einzelnen habe ich – nachlesbar in den dort angegebenen Quellen – stets so argumentiert: Der abgespaltene Oertel/Jahn-Flügel PEGIDAs werde keine Anziehungskraft entwickeln, weil er kaum mehr als politische Harmlosigkeiten wie „Mehr direkte Demokratie!“ thematisiere; eine sich unter Bachmanns Führung nach rechts radikalisierende Demonstrantenschar werde schwerlich viele Leute über längere Zeit anziehen, weil Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus in Deutschland (gottlob!) geächtet seien; und deshalb werde PEGIDA bald verschwinden. Ich rechnete einfach nicht damit, dass PEGIDA schlicht dort weitermachen würde, wo man inhaltlich vor der Spaltung gestanden hatte; ich war durchaus überrascht, bei den Studien vom April und Mai 2015 keine „rechtsradikalisierten Pegidianer“ vorzufinden, sondern im Wesentlichen nur eine verändert zusammengesetzte Teilnehmerschaft, d.h. von „der Sache treu Gebliebenen“ abzüglich jener „Laufkundschaft“, welche die Demonstrationen im Winter 2014/15 so sehr hatten anschwellen lassen; und ich sah nicht voraus, dass die deutsche Regierung am dem September monatelang eine Politik ganz offener Grenzen führen würde, die ihrerseits den – um das Einwanderungs- und Islamisierungsthema herum entstandenen – PEGIDA-Demonstrationen neuen Aufwind verschaffen würde. Das ist eine ziemlich andere Position, als ich sie in Bittners Rezension widergespiegelt empfinde.
[9] Ich erkenne nicht, dass die PEGIDA-Anführer sich anfangs „heuchlerisch gemäßigt“ hätten und später „entlarvt“ worden wären. Vielmehr zeigen wir im Kapitel über die PEGIDA-Reden, dass die Anführer PEGIDAs im Lauf der Monate tatsächlich viel sarkastischer und radikaler geworden sind. Und welchen Erkenntnisgewinn brächte die weithin aufgegriffene These von der „Radikalisierung PEGIDAs“, wenn sich an der tatsächlichen Radikalität der PEGIDA-Anführer gar nichts geändert hätte, sondern sie nur den Schleier der Heuchelei abgelegt hätten? Hier scheint mir, dass die in der Rezension verwendete These ihrerseits nicht stimmt.
[10] Ich habe durchaus ein weiteres Buchkapitel geschrieben, in dem ich mich mit den Thesen meiner Kritiker auseinandersetzte. Nun gebe ich aber mir wichtige Texte stets meinen Mitarbeitern zum Gegenlesen und zu freimütiger Kritik. Alle, die das entsprechende Kapitel lasen, rieten mir dringlich davon ab, es ins Buch aufzunehmen. Ihre Argumente waren: Ich hätte mich mit meinen Kritikern ohnehin schon öffentlich auseinandergesetzt, so dass dem nichts Neues hinzuzufügen wäre; eine Art „Selbst-Viktimisierung“ stünde mir nicht gut zu Gesicht; und es würde sich das Interesse am Buch von den Aussagen über die Pegidianer wegverlagern hin zur Aufmerksamkeit für meine Aussagen zu meinen Kritikern. Diese Argumente überzeugten mich schnell. Genau deshalb findet sich im Buch eben keine Auseinandersetzung mit meinen Kritikern, sehr wohl aber – in der Fußnote 2 auf S. 19 – eine Auflistung aller mir zur Kenntnis gelangten gegen mich gerichteten Schriften mitsamt meiner Antworten auf sie. Hier seien leichter Erreichbarkeit willen diese Texte noch einmal mitsamt einem Auszug aus jener Fußnote aufgelistet:
„Ende Januar 2015 kam es zu einer Debatte über die Rolle des Verfassers bei der begleitenden Untersuchung und öffentlichen Kommentierung PEGIDAs. Sie wurde ausgelöst durch eine Stellungnahme von Mitarbeitern der Professuren für politische Theorie und Didaktik der politischen Bildung (Angeli et al. 2015) am Dresdner Institut für Politikwissenschaft, die es über SPIEGEL-Online (Laurenz 2015) bis in einen Bericht des Deutschlandfunks (Gerlach 2015) schaffte und in einigen weiteren Medien Widerhall fand (exemplarisch für die lokale Presse: Morgenroth 2015). Ihr war eine Flugblattaktion von Studierenden vorausgegangen (o. A., Studentisches Flugblatt 2015; siehe auch Springer 2015); eine Stellungnahme des Fachschaftsrats der Philosophischen Fakultät der TU Dresden folgte (Fachschaftsrat 2015). Mit allen vorgebrachten Kritikpunkten setzte sich der Verfasser systematisch auseinander (Patzelt 2015a; zuvor schon Patzelt 2015d). Auf diesen Text gab es allerdings – trotz wiederholter Aufforderung, sich mit ihm auseinanderzusetzen (siehe Patzelt 2015a, b, c) – seitens der Kritiker keine Erwiderung. Weitere Texte mit Kritik am Verfasser stammen von Gerd Schwerhoff (2015; Replik: Patzelt 2015h), Miro Jennerjahn (2015a, b; Replik: Patzelt 2015e), Michael Bittner (2015a, b, c, d; Replik: Patzelt 2015 f) und Jonas Bayer (2015; Replik: Patzelt 2015g). Die zentralen Kritikpunkte waren – neben der Behauptung, die Demonstrantenstudien des Verfassers erlaubten keine zuverlässigen Schlüsse auf die Einstellungen der Pegidianer – die folgenden: die Gefährlichkeit PEGIDAs werde verkannt; PEGIDA werde bewusst verharmlost; mit PEGIDA werde in einer falschen Grundhaltung umgegangen; es würden falsche Verhaltensratschläge gegeben; Gegendemonstrationen und Kritik an PEGIDA werde „delegitimiert“; und es würden „Grenzen des Sagbaren“ übertreten.“
Hier finden sich die erwähnten Texte aufgelistet:
- Angeli, Oliviero/Arenhövel, Mark/Behrens, Rico/Birkenhauer, Peter/Budde, Kerstin/Fuhrmann, Brigitte/ Hemmer, Anna Lena/Kruse, Jan-Philipp/Lange, Peter/Schulze-Wessel, Julia/Wöhst, Christian (2015): Wer trägt die Verantwortung für die Verschlechterung des gesellschaftlichen Klimas in Dresden? Stellungnahme zu Äußerungen über Pegida-kritische Demonstrationen in Dresden, in: http://www.theorieblog. de/index.php/2015/01/pegida-pegida-kritik-und-die-dresdener-politikwissenschaft/ [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Bayer, Jonas (2015): Infantilisierung und Selbstinfantilisierung des Wutbürgertums, Beitrag vom 30. November 2015, in: https://leftwinged.wordpress.com/2015/11/30/infantilisierung-und-selbstinfantilisierung-deswutburgertums/ [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Bittner, Michael (2015a): Professor Patzelt fordert: Gerechtigkeit für PEGIDA, Beitrag vom 22. Januar 2015, in: http://michaelbittner.info/2015/01/22/professor-patzelt-fordert-gerechtigkeit-fuer-pegida/ [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Bittner, Michael (2015b): Professor Patzelt fordert: Gerechtigkeit für Professor Patzelt, Beitrag vom 8. März 2015, in: http://michaelbittner.info/2015/03/08/professor-patzelt-fordert-gerechtigkeit-fuer-professorpatzelt-2/ [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Bittner, Michael (2015c): Was bleibt von PEGIDA? Mit Bemerkungen zur Studie von Professor Werner Patzelt, Beitrag vom 22. Mai 2015, in: http://michaelbittner.info/2015/05/22/was-bleibt-von-pegida-mit-bemerkungen-zur-studie-von-professor-werner-patzelt/ [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Bittner, Michael (2015d): Noch einige Bemerkungen zur Kritik von Professor Patzelt, Beitrag vom 28. Mai 2015, in: http://michaelbittner.info/2015/05/28/noch-einige-bemerkungen-zur-kritik-von-professor-patzelt/ [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Fachschaftsrat der Philosophischen Fakultät der TU Dresden (2015): Pressemitteilung vom 6. Februar, in: https://www.docdroid.net/r387/fsr-phil-pm-prof-patzelt-und-pegida.pdf.html [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Gerlach, Alexandra (2015): Aufstand gegen Professor. Deutschlandfunk vom 4. Februar 2015, in: http://www.deutschlandfunk.de/werner-j-patzelt-aufstand-gegen-professor.680.de.html?dram:article_id=310707 [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Laurenz, Nike (2015): Kollegen distanzieren sich von „Pegida-Versteher“ Patzelt. SPIEGEL Online vom 29. Januar 2015, in: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/mitarbeiter-und-studenten-protestieren-in-dresdengegen-werner-patzelt-a-1015400.html [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Morgenroth, Juliane (2015): Aufstand gegen den PEGIDA-Versteher Prof. Patzelt. MoPo24 vom 31. Januar 2015, in: https://mopo24.de/nachrichten/aufstand-gegen-den-pegida-versteher-prof-patzelt-4251 [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- o.A. (2015): Studentisches Flugblatt, in: https://wjpatzelt.de/?p=149 [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Patzelt, Werner J. (2015a): Eine fiktive Gerichtsverhandlung im Fall „Junge Akademiker“ gegen „faktenfreien PEGIDA-Versteher“, in: https://www.docdroid.net/r38l/reaktion-auf-flugblatt-usw-.pdf.html) [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Patzelt, Werner J. (2015b): Wo bleibt die Antwort der Patzelt-Kritiker? Beitrag vom 11. Februar 2015, in: https://wjpatzelt.de/?p=124 [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Patzelt, Werner J. (2015c): Patzelt-Kritiker sprachlos. Beitrag vom 7. März 2015, in: https://wjpatzelt.de/?p=119 [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Patzelt, Werner J. (2015d): Zu einigen kritischen Kommentaren. Beitrag vom 23. Januar 2015, in: https://wjpatzelt.de/?p=156 [Zugegriffen am 26. 04. 2016].
- Patzelt, Werner J. (2015e): Die „Methode Jennerjahn“ und die „Methode Patzelt“. Anmerkungen zu einem Patzelt-Philologen. Beitrag vom 5. Juni 2015, in: https://wjpatzelt.de/?p=415 [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Patzelt, Werner J. (2015 f): Michael Bittner und unsere PEGIDA-Studie. Beitrag vom 28. Mai 2015, in: https://wjpatzelt.de/?p=402 [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Patzelt, Werner J. (2015g): Denkfehler bei der Kritik an PEGIDA-Forschung. Beitrag vom 8. Dezember 2015, in: https://wjpatzelt.de/?p=698 [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Patzelt, Werner J. (2015h): „Patzelts PEGIDA“. Eine Antwort auf Gerd Schwerhoff. Beitrag vom 10. April 2015, in: https://wjpatzelt.de/?p=329 [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
- Schwerhoff, Gerd (2015): Patzelts Pegida oder Bachmanns Pegida? – Zur Beurteilung einer Schmähgemeinschaft, in: http://www.weiterdenken.de/de/2015/03/31/patzelts-pegida-oder-bachmanns-pegida-zurbeurteilung-einer-schmahgemeinschaft [Zugegriffen am 25. 04. 2016].
[11] Tatsächlich habe ich Michael Bittner nur dort zitiert, wo seine – damaligen – Positionen typisch waren für die seinerzeit vorherrschenden falschen Einschätzungen PEGIDAs. Er hatte sozusagen das Pech, bei seiner damals im Internet vielgeteilten Kritik besonders einprägsam formulieren zu können. Ein anderes Bild von Michael Bittner hätte sich ergeben, wenn ich – wie ursprünglich erwogen – überhaupt ein Kapitel zur systematischen Auseinandersetzung mit allen Einschätzungen PEGIDAs und allen Vorschlägen zum Umgang mit PEGIDA sowie über deren Entwicklung im Zeitverlauf geschrieben hätte. Mir wurde aber bald klar, dass ein solches Kapitel nicht nur den ohnehin üppigen Umfang des Bandes gesprengt hätte, sondern mir auch viel Energie für ein mich nicht wirklich interessierendes Anliegen abverlangen würde, nämlich für die bloße Nachzeichnung der Diskussionen anderer. Und vielleicht ist es ohnehin besser, jemand anderes als ich – der sich intensiv selbst an solchen Debatten beteiligte – analysiert eines Tages ausführlich das öffentlichen Ringen um die Deutungsmacht über PEGIDA.
[12] Für diesen Hinweis bin ich Michael Bittner überaus dankbar. Ich fand es nämlich in so manchen Monaten heftigen Streits durchaus für – milde formuliert – grenzwertig, mit welcher Selbstsicherheit mancher Kritiker solche Urteile über mich formulierte, auf deren völlige Unbegründetheit, ja Windigkeit ihn schon kurzes Lesen in meiner „Einführung in die Politikwissenschaft“ hinweisen hätte können. Doch eine gute Geschichte lässt man sich ungern durch allzu sorgfältiges Recherchieren verderben. Und umso bezeichnender ist die – im Anhang 6 des PEGIDA-Buchs, S. 646-649 berichtete – Pointe, dass ausgerechnet Studierende der Politikwissenschaft (und zwar nicht aus Dresden, sondern von der Universität Halle) lieber meine Schriften aus den dortigen Studienprogrammen entfernt sehen wollten, als mittels ihrer Lektüre zur Kenntnis zu nehmen, wofür ich wirklich stehe und welche Haltung im politischen Meinungsstreit ich auch anderen einzunehmen rate.
[13] Zum einmal mehr gelungenen Nachweis der Tatsache selektiver Wahrnehmung gehört, dass meine Kritik an PEGIDA zwar sehr früh und recht intensiv von Pegidianern wahrgenommen wurde, von deren Gegnern aber gerade nicht. Denen reichte es zu bemerken, dass ich nicht Partei für sie ergriff, sondern mich eben in keines der beiden einander feindlichen Heerlager einreihte, sondern den Streit zwischen Pegidianern und ihren Gegnern aus der Warte eines Sportreporters oder non-embeded Kriegsberichterstatters verfolgte. Deshalb empörten sich PEGIDA-Gegner über mich, weil ich sozusagen „die Anständigen bei ihrem Kampf verriet“. Hingegen waren mir die meisten Pegidianer und (nicht nur!) deren Sympathisanten dafür durchaus dankbar, dass ich – als einer von wirklich wenigen Sozialwissenschaftlern – mich um tatsachengetreues Berichten und faire Urteile über sie bemühte, selbst wenn sie sich über kritische Äußerungen zu PEGIDA ärgerten. Das analytisch Lustige (und zu den in den Kommentaren 2 und 3 Passende) im Streit um PEGIDA und die angemessene Rolle in ihm war nun aber: Gerade weil Pegidianer mir dankbar waren, dass ich schlicht (und ganz in meiner Rolle als Wissenschaftler) zu beschreiben, einzuordnen und zu erklären versuchte, wer sie wären und was sie wollten, nahmen das die meisten PEGIDA-Gegner nachgerade als einen „Beweis“ dafür, dass ich selbst ein PEGIDA-Anhänger oder gar „der Pressesprecher“ von PEGIDA wäre. Anscheinend kann im politischen Streit sich so mancher nur ihm gefallende Beschreibungen und Urteile als „objektiv“ vorstellen. Doch wer tritt dann wirklich eher als Wissenschaftler auf – und wer eher als politischer Akteur?
[14] Das ist überzogen formuliert. Meine Aussage lautet nur: Viele PEGIDA-Anhänger teilen politische Positionen, die im deutschen politischen Diskurs gemeinhin als „links“ verstanden werden-. Das ist Kritik an sozialer Ungerechtigkeit, Globalisierungskritik, Anti-Amerikanismus, Verlangen nach mehr „direkter Demokratie“. Und tatsächlich hängen derlei – traditionell auch von Linken vertretene – Positionen stark mit den Kernpositionen von Pegidianern zusammen: der Ablehnung von mehr Einwanderung und einer Ausbreitung des Islam in Deutschland. Detailliertes findet man dazu im PEGIDA-Buch auf S. 226-235.
[15] Diese Übereinstimmung in der Sache freut mich. Sie zeigt, dass es sich lohnt, auf kritischen Diskurs zu setzen – und dass Leute gut zusammenfinden können, die nicht am Rechthaben interessiert sind, sondern einfach am Erkennen und Erklären dessen, was der Fall ist.
[16] Ich betreibe durchaus keine „einseitige Schuldzuweisung“ hinsichtlich der Verantwortung für das Scheitern der Kommunikation zwischen Pegidianern und ihren Gegnern. Die Schuld scheint mir vielmehr ziemlich gleichmäßig auf alle Seiten verteilt zu sein. Und gerne überlasse ich es Kommunikationswissenschaftlern, in – gewiss kommenden – empirischen Studien die Frage zu klären, wer denn mit welchem Fehlverhalten angefangen hat und wer dann warum wie falsch darauf reagierte.
[17] Bittner hat schon recht, dass unser PEGIDA-Buch eines über PEGIDA und nicht über PEGIDAs Gegner oder über die Medien ist. Beide werden – wie aus auch im Buch steht – wirklich nur insoweit thematisiert, als ihr Verhalten zum Verstehen des PEGIDA-Phänomens wichtig ist. Dennoch finden sich sehr viele, im Inhaltsverzeichnis auch sehr leicht aufzufindende Seiten, in denen von den PEGIDA-Gegnern und von den Medien gehandelt wird. Es gibt allerdings keine eigenen Kapitel zu ihnen (so wie es etwa welche über die PEGIDA-Redner oder über „PEGIDA im Netz“ gibt). Umfasste unser Buch nicht mehr als 300 Seiten, könnte man in diesem Fall durchaus von einer bedauerlichen, da leicht schließbaren Lücke sprechen. Doch bei über 600 Seiten war für gesonderte und noch weiter gehende Untersuchungen zu den PEGIDA-Gegnern und zu den Medien kein Platz mehr.
Im Übrigen brauchte es auch deshalb kein Kapitel über die PEGIDA-Gegner, weil Stine Marg et al., NoPEGIDA, Bielefeld 2016, darüber bereits eine sehr schöne und erhellende Monographie vorgelegt haben. Aus ihr habe ich an sehr Stellen sehr umfänglich zitiert, und zwar gerade auch hinsichtlich der Gefühle und Empfindungen von PEGIDA-Gegnern (etwa: S. 413-417). Obendrein kommen diese Gefühle im Kapitel mit den O-Tönen von Pegidianern und ihren Gegnern sehr ausführlich zum Ausdruck.
Eine entsprechend fundierte Analyse wie die von Marg et al. zu den PEGIDA-Gegner fehlt leider noch hinsichtlich der Rolle der Medien im Vor- und Umfeld des PEGIDA-Phänomens. Also gab es auch keine Referenzanalyse, auf die ich mich für ein wirklich empirisch fundiertes Kapitel hätte beziehen können. Eine solche Analyse (wie bei der PEGIDA-Programmatik und deren Rezeption) selbst anzufertigen, fehlte es mir an Zeit und Kapazität; und anders als hinsichtlich der PEGIDA-Reden oder von PEGIDA im Netz gab es auch keine Studierenden in meinen Lehrveranstaltungen, die dieses Thema bearbeitet hätten. Ich bin aber überzeugt, dass bald entsprechende kommunikationswissenschaftliche Studien in großer Anzahl erscheinen werden. Gerne gebe ich im Übrigen zu, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, in diesem Buch außerdem von den Gefühlen von Geflüchteten zu handeln. Auch jetzt noch erscheint mir eine Beschäftigung damit nicht wirklich wichtig für ein Buch, das sich allein mit den Pegidianern befasst – und nicht mit denen, die vor PEGIDA Angst haben.
[18] Ich behaupte durchaus nicht, alle Journalisten hätten PEGIDA-Anhänger beständig und nur als Nazis, Rassisten und Rechtsextreme ausgegeben. Sehr wohl aber behaupte ich, und zwar in leicht feststellbarer Übereinstimmung mit den Tatsachen, dass deutsche Spitzenpolitiker das mit erheblicher journalistischer Resonanzverstärkung getan haben, und dass zumal die Dresdner Gegendemonstranten in aller Selbstverständlichkeit die meisten Pegidianer wie Nazis, Rassisten und Rechtsextreme angesehen und behandelt haben. Der Fluchtpunkt meines Arguments ist im Übrigen, dass eben diese Etikettierungen viele Nicht-Nazis, Nicht-Rassisten und Nicht-Rechtsextreme unter den Pegidianern erbittert, solidarisiert, mobilisiert, ja auch – dem eigentlich Beabsichtigten völlig entgegenwirkend – zu folgender trotziger Haltung gebracht haben: „Wenn Ihr schon meint, ich sei ein Nazi, Rassist oder Rechtsextremer, dann wundert Euch gefälligst nicht, wenn ich künftig eine Partei wähle, die Ihr als Partei von Nazis, Rassisten oder Rechtsextremen ausgebt!“ Genau dieser Wirkungszusammenhang scheint mir – über jeden vernünftigen Zweifel hinaus – zu bestehen.
[19] Ich stimme darin Michael Bittner völlig zu – und bedauere es durchaus, dass ich ihn nur in seiner Rolle als (früher) scharfer Kritiker meiner PEGIDA-Analysen, nicht aber als jemanden zitiert habe, der meine Einschätzungen von PEGIDA (inzwischen) vielfach teilt.
[20] Ich glaube nicht, dass ich der beschriebenen Gefahr erlegen bin. Denn natürlich ist ein Bild für mich nichts weiter als ein Bild. Als solches muss es nicht mehr leisten, als einen komplexen Sachverhalt anderen knapp und anschaulich vor Augen zu führen. Und wo immer ich – beginnend schon in der Einleitung – das Bild vom „Magma“ und vom „Dresdner Vulkanschlot“ verwende, zeige ich ja gerade auf, durch welche politischen Prozesse und Reaktionen jenes „Magma“ sozial konstruiert, Teile des „Deckgebirges“ sozial destruiert und der Dresdner „Vulkanschlot“ durch gut gemeinte, doch schlecht getane Reaktionen sogar noch sozial erweitert wurde. Und auf der Analyseebene sehe ich bei diesem Thema ohnehin keinerlei Dissens zu Michael Bittner.
[21] Tatsächlich fehlt ein Kapitel, das PEGIDA in Deutschlands und Europas neurechte Bewegungen einordnete. Auch ein solches Kapitel wäre wünschenswert gewesen, ließ sich aber angesichts meiner beschränkten Ressourcen nicht auch noch leisten. Allerdings gibt es inzwischen nicht wenig Schrifttum zu diesem Thema, das über diese Beziehungen informiert. Und bloß weil ich vieles zu PEGIDA zu sagen hatte, musste doch nicht alles, was sich überhaupt zu PEGIDA sagen lässt, auch noch von mir gesagt werden.
[22] Auch diese Lücke merkt Michael Bittner zu Recht an. Doch die vier Master-Studierenden, die das Kapitel 3 verfassten, haben wirklich nicht wenig allein schon mit einer vollständigen (!) Analyse der bei PEGIDA gehaltenen Reden geleistet. Es wäre auf eine Überforderung auch ihres guten Willens hinausgelaufen, hätte ich von ihnen verlangt, in der für unser PEGIDA-Buch als Standard vorgegebenen gründlichen Weise auch noch die von ihnen herausgearbeiteten Redeinhalte in die – dann erst einmal vorab nachzuzeichnende – rechtsradikale Diskurslandschaft Europas einzubetten. Ich bin aber überzeugt, dass sich bald schon ein Master-Student oder Doktorand finden wird, der genau das unternimmt – wenn nicht ohnehin schon der eine oder andere an entsprechenden Studien sitzt und wir uns auf deren Erscheinen freuen können. Das von mir mit diesem Band verfolgte Ziel bestand jedenfalls darin, auf bestmögliche Weise Grundlagenmaterial für weiterführende Arbeiten zur Verfügung zu stellen – und nicht darin, alles Wünschenswerte auch gleich selbst zu leisten.
[23] Ich wüsste nicht, dass ich irgendwo soziale Probleme „kulturalistisch deuten“ würde. Ganz im Gegenteil halte ich es mit Émile Durkheim, einem der Gründerväter der Soziologie. Dessen Faustregel war, dass eine Erklärung eines sozialen Phänomens aus anderen als sozialen Ursachen mit größter Wahrscheinlichkeit falsch wäre. Mein – inzwischen an vielen Stellen nachlesbares – Argument zu einer Leit- oder Rahmenkultur unseres Landes lautet denn auch so: Wenn wir nicht wollen, dass der Wandel Deutschlands zu einem Einwanderungsland zu bleibenden sozialen und kulturellen Spannungslinien führt, müssen wir in Integrierendes investieren; und am nachhaltigsten ist es dabei, eine gemeinsame Kultur zu teilen. In Deutschland muss diese verbindende Kultur – wo geht mein Argument stets weiter – von der Akzeptanz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auf der konkreten Seite bis hin zur Mülltrennung reichen, und auf der normativen Seite bis hin zum Weitertragen der Lehren aus dem Holocaust.
[24] Es erschließt sich mir nicht im mindesten, was – im Unterschied zur Position eines Sozialdemokraten oder eines Grünen – „konservativ“ am Verlangen sein sollte, unsere entstehende Einwanderungsgesellschaft nicht auseinanderfallen und, als Folge dessen, weniger liberal werden zu lassen, als sie das heute ist.
[25] Die ganze Passage zwischen der Ziffer 24 und der Ziffer 25 scheint mir durch den Buchtext nicht gedeckt zu sein. Schon die Beschreibung des „Magmas“, dass unterhalb von Europa brodele und sich als aufsteigender Rechtspopulismus äußere, handelt vom Brüchigwerden europäischer Sozialstaatlichkeit unter den Bedingungen der neoliberal geförderten Globalisierung; und im Erklärungskapitel zu PEGIDA werden reale Ungerechtigkeitserfahrungen nicht „als bloßer Neid“ abgetan, sondern auf das hin zugespitzt, als was Ungerechtigkeit nun einmal erfahren wird: dass nämlich andere ohne eigenes Verdienst mehr haben als man selbst (siehe hierz v.a. S. 490-493, 496-501, 562-565, 576-581).
[26] Dieses Argument überzieht seine Grundlage. Denn ein Buch über PEGIDA und seine Ursachen umfasst natürlich keine Beschäftigung, die über wenige Bemerkungen hinausgehen könnte, mit wünschenswerten Änderungen der Weltwirtschaftsordnung. Dafür ist der Gegenstand eines PEGIDA-Buches viel zu klein. Und wo Bittner leichthin das Begriffspaar von der „inklusiven“ vs. „exklusiven“ Solidarität zur Beschreibung meiner Position benutzt, habe ich in Wirklich das im Sinn, was in der politischen Ökonomie die „Tragödie der Allmende“ heißt, oder auch die „Übernutzung öffentlicher Güter“. In gerade eine solche Übernutzung der von unseren europäischen Gemeinwesen produzierten öffentlichen Güter führt aber nun einmal grenzenlose Inklusivität; und dieser Zusammenhang verschwände auch dann nicht aus der Wirklichkeit, wenn man seine Benennung als inhuman durchsetzte und mit einem Tabu belegte. Die wirtschaftliche, soziale und politische Welt funktioniert nun einmal recht unabhängig von unseren Wünschen – und zwar auch dann, wenn sie unser Konstruktionsprodukt ist. Auch Konstruktionen haben, einmal hervorgebracht, ja ihre Eigenlogik; und durchaus ist es nicht möglich, alles das zu konstruieren, was man sich wünscht.
[27] Das sehe ich nicht so. Mein Mitverfasser wird sich womöglich mit dieser Kritik auseinandersetzen. Meinerseits schlage ich vor, einfach darin übereinzustimmen, dass wir in dieser Sache eben nicht übereinstimmen.
[28] Dazu empfehle ich u.a. die Lektüre meines „Höcke-Gutachtens“ (https://wjpatzelt.de/?p=731) sowie meines Interviews zur „Gedeon-Streit“ der AfD in der Online-Ausgabe der „Jungen Freiheit“ vom 23. Juni 2016 (https://jungefreiheit.de/debatte/interview/2016/den-politischen-gegner-freut-dieser-vorgang/)
[29] Ja, und leider sind nicht alle wirklich beabsichtigt. Sehr wohl beabsichtigt ist aber die zweimalige Wiedergabe jener Ratschläge, die ich schon im Dezember 2014 zum richtigen Umgang mit PEGIDA in der „Sächsischen Zeitung“ gab. Denn noch leichter als damals kann man heutzutage erkennen, dass ihnen zu folgen uns – und anderen – vieles Unschöne erspart hätte. Ich gebe diese Passage gerne auch hier wieder (aus: Sächsische Zeitung v. 11. Dezember 2014, S. 15): „Ernst nehmen, was an Sorgen und Anliegen hinter den – nicht selten ungehobelten und missratenen – Aussagen von Pegida-Demonstranten steht. Auch politische Gegner nicht verteufeln. Keine Forderungen durchgehen lassen, die sich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung, Minderheiten, Eingewanderte oder Ausländer richten. Demonstrieren für die Werte unserer offenen Gesellschaft, auch auf der Straße. Rechtzeitig vor Ort mit den Bürgern über Unterkünfte und Integrationsmöglichkeiten für Zuwanderer sprechen. Und in einem bundesweiten, offenen Diskurs tragfähige Grundzüge einer nachhaltigen Einwanderungs- und Integrationspolitik entwickeln“.
[30] Ich halte „zielführend“ und „Handlungsbedarf“ für keine Phrasenwörter, sondern für genaue Begriffe für das von mir Gemeinte.
[31] Wenn „konzis“ kürzer heißen soll, dann ist Michael Bittner darin zuzustimmen, dass das Buch von Vorländer et al. mit 165 Seiten kürzer ist als das 667-Seiten Buch von Joachim Klose und mir. Allein mein Kapitel über die PEGIDA-Demonstranten ist so lange wie das ganze Buch von Vorländer et al. (ohne Abbildungs- und Literaturverzeichnis). Und falls „konzis“ heißen soll „auf das Wesentliche verdichtet“, verhelfen die folgenden Beobachtungen zu einer zutreffenden Beurteilung.
Erstens: An Daten präsentiert Vorländer im Wesentlichen nur seine eigene Umfrage von 2014/15 und bettet sie in demoskopische Daten vor allem aus den Leipziger Mitte-Studien sowie aus Heitmeyers Arbeiten über „Deutsche Zustände“ ein. Falls also „konzis“ heißen soll „nicht auf dem neuesten Forschungsstand“, trifft dieses Wort in der Tat auf jenes Buch zu.
Zweitens: Vorländer et al. verwenden auf die Gegendemonstranten gut zwei Seiten (in Patzelt/Klose sind das allein im Kapitel 6 vier Seiten mit Zusammenfassungen aus der Literatur, weitere sechs Seiten mit Aussagen von Pegidianern über ihre Gegner); auf die Analyse der PEGIDA-Reden dreieinhalb Seiten (davon eine halbe Seite für ein Bild von Bachmann; in Patzelt/Klose ist den Reden ein ganzes Kapitel gewidmet); auf die Analyse der Programmschriften von PEGIDA – bei Patzelt/Klose ebenfalls ein ganzes Kapitel – nicht mehr als zweieinhalb Seiten; auf die Erklärung von PEGIDA (ebenfalls ein ganzes Kapitel bei Patzelt/Klose) auch nur vier Seiten. Wenn man mit dem Wort „konzis“ also „Lückenhaftigkeit“ bezeichnen will, dann nenne man das Buch von Vorländer et al. gerne „konzis“.
[32] Mit den „tieferen ökonomischen und politischen Ursachen“ PEGIDAs befasst sich das Buch von Geiges, Marg und Walter nur im Kapitel 8 auf S. 179-202. Ich kann nicht erkennen, dass die dortige Analyse tiefgründiger wäre als unsere auf S. 481-531 und 535-583. Da möge am besten ein Dritter gründlich drübersehen und dann von seinem Urteil berichten.
Geschafft; und möge dies der letzte längere Text sein, den ich über PEGIDA und meine oder andere Arbeiten über PEGIDA zu schreiben hatte … !!
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