Gauland, Boateng und der Rassismus

Gauland, Boateng und der Rassismus

Einen gewaltigen Sturm in den Medien hat ein Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ zu Aussagen des stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland über den deutschen Fußballprofi Boateng und dessen mögliche Rolle als Nachbar anderer Deutscher gefunden. Ich frage mich durchaus, ob mit solchem Berichterstattungs-, Kommentierungs- und Empörungsaufwand das richtige Maß gehalten wird, denn womöglich hätte unser Land ja auch wichtigere Themen zu diskutieren.

Doch ich muss zugeben, mich selbst an diesem Diskursgeschehen beteiligt zu haben. Gestern gab ich der „Sächsischen Zeitung“ ein Interview zu diesem Thema, das heute dort auch veröffentlicht wurde (Sächsische Zeitung v. 31. Mai 2016, S. 2). Weil dieses Interview – wir mir scheint – einige zu unser aller Orientierung hilfreiche Aussagen über Rassismus und Deutschland als Einwanderungsland enthält, mache ich es nachstehend leicht zugänglich.

Die Überschrift – ‚Ungehörig, unanständig, sogar rassistisch‘. Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt über Vorwürfe gegen AfD-Vizechef Gauland – ist eine besondere Akzentsetzung der „Sächsischen Zeitung“. Und hier folgt nun der von mir zu verantwortende Interviewtext:

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Herr Patzelt, ist AfD-Vize Alexander Gauland mit seinen Aussagen zum Fußballer Boateng nur geschmacklos oder ist einfach offen rassistisch?

Sollte Gauland das gesagt haben, was in die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geschrieben wurde, wären seine Aussagen politisch unvernünftig, menschlich ungehörig, in systematischer Hinsicht sogar rassistisch.

Rassistisch deshalb, weil es Gauland beim Berliner Boateng offenkundig nur um das Aussehen ging?

Rassistisch deswegen, weil so das Aussehen eines Menschen seiner Eigenart, seiner Individualität vorgeordnet wird. Die Vorordnung eines zugeschriebenen Typs vor der individuell ausprägbaren Persönlichkeit  ist nämlich das Zentralmerkmal von Rassismus.

Befürchten Sie durch solche Versuche, Klientel zu gewinnen, eine Enttabuisierung: Wird so Rassismus salonfähig?

Wir sollten vorab schon verlässlich wissen, was genau Gauland gesagt, gemeint und gewollt hat. Dann lässt sich klären, was Absicht und was Nebenwirkung war.

In einer eigenen Erklärung hat Gauland allerdings davon gesprochen, dass Boateng Beispiel gelungener Integration sei. Dabei ist das ein Berliner Junge, in der Stadt geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen usw. Er ist noch dazu Christ, hat sich das Kreuz sogar unter die Haut tätowieren lassen. Es wäre wohl ebenso schräg, würde man einem Sachsen gelungene Integration in Deutschland bescheinigen.

Man sollte sich und anderen immer wieder klarmachen, dass Deutsche nicht nur weiß oder braun, sondern eben auch schwarz und rot und gelb sein können. Denn ob ein Deutscher vietnamesischer, türkischer, arabischer oder afrikanischer Herkunft ist, tut nichts zur Sache, solange er Deutscher sein will und sich in die besten Traditionen auch Deutschlands stellt. Unsere Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold gehören nämlich auch von möglichen Körperfarben her zu Deutschland!

Man kann ja bei einem Inländer wie Boateng auch schlecht ausländerfeindlich sein, höchstens unpatriotisch.

So ist es. In Bezug auf die Fußball-Nationalmannschaft ist Gaulands Fehlgriff – wenn es denn so war, wie die Zeitung schrieb – umso größer, als der DFB vor jedem Länderspiel im Fernsehen einen Spot sendet, bei dem die Vielfalt der Nationalspieler dargestellt, die Freude an solcher Vielfalt betont und ein klares Nein zum Rassismus formuliert wird. Falls Gaulands berichtete Aussage authentisch ist, war sie irgendetwas zwischen verstockt, sträflich leichtfertig und politisch leichtsinnig. Und erst recht ist das so, wenn man sich als Führer einer ohnehin wegen Rassismusverdachts angegriffenen Partei so äußert.

Vielleicht hat sich Gauland für das Einsammeln von Wählern mit rassistischen Vorbehalten mit dem deutschen Christen Boateng einfach nur den Falschen ausgesucht?

Das kann schon sein. Aber selbst dann darf man als AfDler so nicht reden. Man stelle sich vor, Claudia Roth hätte dieselbe Formulierung verwendet. Jeder hätte gehört: Sie kritisiert jenen alltagspraktischen Rassismus, den es leider auch in Deutschland gibt. Vielleicht hat Gauland ja eben das gemeint. Dann muss man ihn aber gerade als alten politischen Fahrensmann wegen dieser kommunikativen Fehlleistung kritisieren, denn selbst gleiche Worte klingen verschieden in Abhängigkeit davon, wer sie benutzt. Und gut gemeint ist nun einmal nicht das gleiche wie gut getan.

Aber dann wohl mit dem Ziel, Wähler zu gewinnen oder zu bestärken?

Wenn das Gaulands Ziel war, führt er seine Partei auf den falschen Weg. Rassisten sind nämlich bei der NPD gut aufgehoben. Die AfD wird politisch jedenfalls nicht erfolgreich sein, wenn sie zur Rassisten-Partei wird. Sollte das also wirklich ein Versuch der Werbung um Unterstützung der AfD gewesen sein, dann ist er auf ganzer Linie gescheitert. Gauland hätte gerade dann der AfD mehr geschadet als genutzt.

Aber es gibt, wie Studien belegen, einen nicht völlig unerheblichen Teil der deutschen Bevölkerung, der ausländerfeindlich eingestimmt ist – 2014 war von jedem Fünften die Rede.

So ist es. Deswegen muss man als jemand mit öffentlich hervorgehobener Rolle, der sich über Ausländer und ausländisch aussehende Deutsche äußert, besonders große Sorgfalt walten lassen. Sonst leistet man dem vorhandenen Rassismus leicht Vorschub. Denn natürlich unterscheiden viele Deutschen, wen sie in ihrem Wohnumfeld haben möchten.

Nimmt Rassismus, nimmt Fremdenfeindlichkeit zu?

Die Frage ist leichter zu stellen als zu beantworten, weil viele Wirkungsfaktoren derzeit durcheinander gehen.

Wie kann man es sortieren?

Das eine ist eine Ausländerablehnung, die sich früher schon gegen Türken richtete und jetzt Araber und andere nicht-europäisch Aussehende erreicht. Was sich aber derzeit darüber legt, ist die Ablehnung jener Zuwanderungspolitik, die vom Herbst 2015 bis ins Frühjahr 2016 hinein stattfand und immer weniger Unterstützung in der Bevölkerung fand. Dabei führte die Ablehnung der Politik nicht selten auch zur Ablehnung jener Menschen, die im Zuge diese Politik nach Deutschland kamen.

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PS1: zu Alexander Gaulands eigener Deutung der skandalisierten Interviewsequenz siehe sein Schreiben an die AfD-Mitglieder, erreichbar u.a. unter folgendem Link: https://twitter.com/hashtag/Gauland?src=hash

PS2: siehe auch die folgende Stellungnahme aus Journalistenkreisen: http://djv-bb.de/der-shitstorm-der-nach-hinten-los-ging/

 

 

Bildquelle: http://web.de/magazine/politik/jerome-boateng-gauland-zitat-traurig-vorkommt-31587262

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