Neue Notizen zu PEGIDA
Vor einigen Tagen erreichte mich auf Facebook folgende Zuschrift von Bernd Zschiesche:
„Lieber Herr Prof. Patzelt, nun müssen Sie aber bald mal Ihre letzten Aussagen und Erhebungen zu Pegida etwas überarbeiten. Z.B.“ Pegida geht, die Ursachen bleiben“ (Universitätsjurnal 10/15) der zweite Teil stimmt, oder „- der harte Kern max. 800 Leute“. Wenn bei 38 Grad und Urlaubszeit mehr als 6000 Leute spazieren gehen, muss der harte Kern größer sein, wächst auch weiter. Aber Sie hatten ja vorsichtig auch schon mal angedeutet, dass es möglich ist, dass sie sich auch ein zweites Mal irren könnten.(Pressekonferenz ) Was machen wir denn nun? Man beobachtet Sie – nicht nur paar noch lernfähige Studenten.“
Dazu wäre folgendes zu sagen:
1. Obwohl ich mich von Anfang an ziemlich scheuklappenlos um ein gründliches Verständnis dessen bemüht habe, worum es bei PEGIDA geht und woher die Demonstranten Motivation und Durchhaltevermögen nehmen, gebe ich gerne zu, dass auch ich mit meinen Lernprozessen noch nicht am Ende bin. Allerdings meine ich sehr wohl, das Wesentliche richtig verstanden zu haben.
2. Sofern PEGIDA sich wandelt, braucht es ohnehin eine Fortschreibung, vielleicht auch Weiterentwicklung der Aussagen über Früheres. (Selbst die beste Analyse der GRÜNEN, die mit dem Ausscheiden Joschka Fischers aus der aktiven Politik endete, nützte ja nicht allzu viel mehr für das Verständnis der heutigen GRÜNEN. Achtung: Dieser Vergleich setzt natürlich NICHT die GRÜNEN mit PEGIDA gleich …)
3. Ich wüsste nicht, dass oder wo ich je den „harten Kern“ von PEGIDA mit „maximal 800 Leuten“ beziffert hätte. Doch sehr wohl habe ich mehrfach, Polizeischätzungen folgend, von „bis zu 800 Rechtsradikalen“ unter den PEGIDA-Demonstranten gesprochen. Womöglich ist das für die Gegenwart zu korrigieren, in welche Richtung auch immer. Für entsprechende Hinweise wäre ich dankbar.
4. Im Unterschied zu anderen war ich außerdem nie der Ansicht, dass „der harte Kern“ von PEGIDA einfach aus diesen „bis zu … Rechtsradikalen“ bestünde. Nicht wenige Rechtsradikale gehören zwar sehr wohl zum „harten Kern“ von PEGIDA, wie unsere letzte Studie – auf der Grundlage von Selbstaussagen (!) der Befragten – zeigte. Doch nach unseren Befunden und meinen Eindrücken gehören auch viele Nicht-Rechtsradikale zum „harten Kern“ von PEGIDA. Deshalb habe ich stets betont, dass man PEGIDA – zumindest in Dresden – keinesfalls gerecht wird, wenn man die Demonstranten einfach als eine „Ansammlung rechtsradikaler Rassisten“ ansieht und als solche behandelt.
5. Getäuscht habe ich mich hinsichtlich von PEGIDA bislang immer wieder bei meinen Vorhersagen zum Ende dieser periodischen Demonstrationen. Der gemeinsame Nenner meiner Fehlprognosen war: Ich habe stets die Zähigkeit der Demonstranten unterschätzt. Schon das nahtlose Neuaufleben nach Weihnachten überraschte mich, später das Neuaufwachsen auf mehrere Tausend nach der Spaltung, und erst recht die Stabilität der Teilnehmerschaft bei den ohne Sommerpause, wenn auch mit verringerter Frequenz weitergehenden Demonstrationen. Nach Zählungen von Studierenden – unterlegt durch ein auf Youtube auffindbares Video, das den unter der Kamera vorübergehenden Demonstrationszug abzählbar zeigt – waren es am vergangenen Montag etwa 3000. Das ist wirklich nicht wenig und zöge großes Medieninteresse auf sich, falls es sich um eine der ersten PEGIDA-Demonstrationen oder um eine Demonstration von PEGIDA-Gegnern handelte.
6. Dieser Durchhaltewillen beim Demonstrieren scheint meine schon seit Monaten vorgetragenen Diagnosen zu bestätigen: Den Demonstranten geht es um echte, nicht um einfach nur eingebildete Probleme. Das zentrale Problem ist die ungesteuerte und auf unabsehbare Zeit anhaltende Zuwanderung nach Europa und Deutschland. Deren Folgen werden nicht nur in den Grenz- und Großstädten unseres Landes immer weniger ignorierbar, sondern dürften schon bald sowohl die Leistungsfähigkeit unserer Behörden als auch den – jetzt noch gern gezeigten – guten Willen unserer Bevölkerung überfordern. Ein Teilproblem solcher Migration ist die – etwas überzogen „Islamisierung“ genannte – Veränderung hierzulande gewachsener Kulturmuster um unsere muslimische Minderheit herum. Das säumige Angehen dieser Herausforderungen durch Deutschlands Politiker zeitigt Zorn auf die politische Klasse. Und alledem gesellt sich Unzufriedenheit auf vielen anderen Politikfeldern hinzu: von der westlichen Russlandpolitik über die soziale Gerechtigkeit in unserem Land bis hin zur GEZ. Aus zunächst vor allem besorgten Bürgern wurden mehr und mehr wirklich empörte Bürger, und anscheinend wächst unter diesen nun auch der Anteil von sich angezogen fühlenden Rechtsradikalen, desgleichen von solchen, die den Schritt von verbaler Gewalt zu physischer Gewalt zu tun bereit sind.
7. PEGIDA hat also – wie ich es schon vor langer Zeit formulierte – in unserer Gesellschaft „den Nerv getroffen“ und wurde zum Sammelbecken jener (vor allem, doch nicht nur) nicht-linken Systemkritik, die im etablierten Parteiensystem keine sie stabil repräsentierende Partei mehr findet. Weil einesteils Pegidianer sich nicht in den etablierten politischen Diskurs gemäß dessen Regeln einbringen wollen und andernteils ein Großteil der politisch-journalistischen Klasse sowie der politisch Aktiven seinerseits gegenüber PEGIDA den Diskurs verweigerte, entstand bzw. verstärkte sich eine doppelte Spaltung in unserer Gesellschaft. Einesteils ist das eine Spaltung zwischen dem, was viele wirklich denken, sowie dem, was sie vor anderen oder gar öffentlich sagen. Sie führt dazu, dass an die Stelle pluralistischen Streits politische Heuchelei tritt. Andernteils ist das eine Spaltung zwischen – sich bedeckt haltenden – PEGIDA-Sympathisanten und jenen, bei denen „das Herz links schlägt“. Sie führt dazu, dass an die Stelle pluralistischen Streits politische Feindschaft tritt. Beides ist nicht gut für eine freiheitliche Demokratie.
8. Beeindruckend ist das Durchhaltevermögen der Pegidianer, das jenes der einstigen Pro- und Gegendemonstranten weit übertrifft. Es scheint sich stark aus der Empfindung zu speisen, stellvertretend für eine viel größere Bevölkerungsgruppe zu demonstrieren, die derzeit noch vielerlei problematische Entwicklungen schweigend hinnimmt und sich – zumal in der „hellen Jahreszeit“ – ihrerseits nicht auf die Straße traut. Weil die Zuwanderung nach Deutschland samt ihren Folgeproblemen noch auf unabsehbare Zeit anhalten wird, dürften die hieraus entstehenden Belastungen, Überlastungen und Aggressionen sehr stark anwachsen. Das alles wird bundesweit die ohnehin gegebene Bereitschaft nähren, mit den Anliegen von PEGIDA zu sympathisieren, ja womöglich auch außerhalb von Dresden und Sachsen in nennenswerten Zahlen zu PEGIDA-Demonstrationen zu gehen. Weil ab Herbst die recht frühe Abenddämmerung das Demonstrationsgeschehen wieder in den Schutz der Dunkelheit hüllen wird, dürfte bald schon jene soziale Kontrolle entfallen, die im Frühjahr und Sommer nicht wenigen davon abriet, „sich bei PEGIDA sehen zu lassen“. Ich vermute deshalb, dass (a) ab Herbst die Demonstrantenzahlen in Dresden wieder deutlich zunehmen werden, dass (b) PEGIDA dann bessere Aussichten als derzeit auf Ableger anderswo haben wird, und dass (c) – hoffentlich nicht zustande kommende – weitere islamistische Anschläge in Europa als Initialzündung intensiv auflebenden Demonstrationsgeschehens dienen dürften. Vielleicht aber geht diese Prognose ebenso an den realen Entwicklungen vorbei wie meine früheren Prognosen über ein absehbares Verschwinden PEGIDAs …
9. Vorzuwerfen ist PEGIDA viererlei. Falls PEGIDA-Anhänger jenen Tadel nicht akzeptieren wollen sollten, der auf menschlich falsches Verhalten zielt, könnten sie immerhin einsehen, dass das kritisierte Verhalten ihren eigenen Anliegen viel mehr schadet als nutzt.
(a) Es sind nicht wenige Reden auf PEGIDA-Veranstaltungen grob, herabwürdigend und aufhetzerisch. Einen ähnlichen Eindruck machen nicht wenige Zuhörerreaktionen. Wo solches Äußerungsverhalten die innere Einstellung der Betreffenden widerspiegelt, ist nichts Ehrenhaftes zu erkennen, was klare politische Gegnerschaft rechtfertigt. Wer sich zu derlei verblasenen Tönen aber gleichsam hinreißen lässt, oder wer sich oder beim Gemeinschaftserlebnis auf PEGIDA-Demonstrationen sozusagen „gehen lässt“, der macht sich selbst und sein Anliegen unglaubwürdig, was ebenfalls Gegnerschaft hervorruft.
(b) Jene – durchaus nennenswerte – Minderheit von PEGIDA-Anhängern, die sich auf Internetseiten äußert, legt immer wieder Denk- und Redeweisen an den Tag, die nicht nur geschmacklos, sondern auch inhuman oder rassistisch sind. In Einzelfällen liegen sie auch im Grenzbereich zu Straftatbeständen. Es mag schon sein, dass die eine oder andere solcher Äußerungen auf Internet-Trolle zurückgeht. Doch viele scheinen authentisch zu sein. Wieder gilt: Wo solches Äußerungsverhalten die innere Einstellung der Betreffenden widerspiegelt, ist Ehrenhaftes nicht zu erkennen und Gegnerschaft, ja Verachtung die angemessene Reaktion. Wer sich zu derlei Aussagen aber „nur“ selbstberauschend hinreißen oder vor seinem Bildschirm einfach gehen lässt, der erzeugt ebenfalls Empörung sowie Ablehnung selbst solcher Anliegen, über die man – falls vernünftig formuliert – durchaus streiten könnte.
(c) Es ist nicht klar, wie weit die von Pegidianern oftmals bekundete Ablehnung von Gewalt gegenüber Bürgerkriegsflüchtlingen, Asylbewerbern und sonstigen Migranten bzw. Deutschen mit Migrationshintergrund in der Praxis geht. Manches klingt zwar beim Reden gut, wirkt beim Verhalten angesichts von fremdenfeindlichen Gewalttaten dann aber doch nicht wie ernstgemeint. Vielmehr passt nicht selten vor allem die hetzerische Internet-Rhetorik zu jenen fremdenfeindlichen Handlungen, die Pegidianern zugeschrieben bzw. von PEGIDA-Sympathisanten gar selbst vollzogen werden.
(d) Es ist einesteils schon in Ordnung, wenn Bürger sich aufs Demonstrieren für oder gegen bestimmte Politik beschränken, also von den gewählten Politikern erwarten, dass eben diese lösungsorientiert auf die vorgebrachte Kritik reagieren. So verhielt sich PEGIDA im Wesentlichen von Beginn an. Doch andernteils verlieren Demonstrationen schon sehr an Nachrichtenwert und somit politischer Wirkung, wenn im Grunde nur immer wieder das gleiche gefordert oder kritisiert wird, hingegen keine solchen eigenen Vorschläge gemacht werden, um die herum sich eine seriöse Diskussion entwickeln könnte. Gerade so aber geht es mit PEGIDA seit Monaten. Die Demonstrationen halten zwar mit nicht unbeträchtlichen Teilnehmerzahlen an; in den Medien aber kommt PEGIDA nicht mehr mit Diskussionsanstößen vor, sondern nur noch als Chiffre für so ziemlich alles, was in Deutschland als schlecht gilt, ja auch schlecht ist. Solange in dieser Lage PEGIDA-Redner sich nicht die Mühe machen, Probleme nicht nur zu benennen, sondern auch über realistische Lösungsvorschläge zu sprechen, begleicht PEGIDA seine diskursive Bringschuld nicht.
10. Mir scheint, dass uns vieles Unschöne und Schädliche erspart geblieben wäre, hätten wir alle beim Umgang mit PEGIDA jene Ratschläge befolgt, die ich schon am 11. Dezember 2014 auf S. 15 in der Sächsischen Zeitung gegeben habe: „Ernst nehmen, was an Sorgen und Anliegen hinter den – nicht selten ungehobelten und missratenen – Aussagen von PEGIDA-Demonstranten steht. Auch politische Gegner nicht verteufeln. Keine Forderungen durchgehen lassen, die sich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung, Minderheiten, Eingewanderte oder Ausländer richten. Demonstrieren für die Werte unserer offenen Gesellschaft, auch auf der Straße. Rechtzeitig vor Ort mit den Bürgern über Unterkünfte und Integrationsmöglichkeiten für Zuwanderer sprechen. Und in einem bundesweiten, offenen Diskurs tragfähige Grundzüge einer nachhaltigen Einwanderungs- und Integrationspolitik entwickeln.“
Nachtrag:
Die Aussage, „man beobachte mich“, fasse ich nicht in dem Sinne auf, jemand würde mich „überwachen“, sondern so: Ich habe mich früh, vernehmlich, klar und anders als die Mehrheit der Kommentatoren über Eigentümlichkeiten PEGIDAs sowie über den richtigen Umgang mit PEGIDA-Anhängern geäußert, habe ferner empirische Studien zu den Demonstranten vorgelegt und erzielte mit alledem einige mediale Wirkung. Wer so klar Stellung bezogen hat, für den gehört es sich nicht, irgendwann ins Schweigen zu verfallen – und sei es auch nur aus Bequemlichkeit. Zu Recht erwarten nicht wenige, dass derlei analytische Anstrengungen samt öffentlichem Reden über brisante Themen weitergehen. Also versichere ich, dass ich angesichts der großen Herausforderungen unserer Gesellschaft es auch künftig nicht am Erstellen möglichst korrekter Diagnosen sowie hoffentlich zielführender Therapievorschläge fehlen lassen werde – und erst recht nicht an gutem Willen, immer wieder kommunikativ zusammenzubringen, was sich allzu heftig empört und allzu rasch entzweit.
Bildquelle: https://durchgezaehlt.files.wordpress.com/2015/07/pegida-2015-07-14_19-09.jpg