Auseinandersetzung mit einem Kritiker
Es hat mir jemand auf einer Pegida-kritischen Seite vier Fragen gestellt, die ich gerne – und für alle Interessenten leicht auffindbar – nachstehend beantworte. Ich finde es im Übrigen gut, wenn auf diese Weise ein Dialog entsteht, wo andernfalls wohl bloß Rätseln, Unterstellen oder Zornigwerden um sich griffe. Hier also die Fragen und meine Antworten:
Frage 1: Wie stehen Sie zu den Problemen und Ängsten der hier lebenden POC?
Falls PoC für „people of colour“ steht, meine ich: Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn in einem freien Land jemand Angst haben muss, nur weil er so aussieht, wie er aussieht. Und wenn jemand gar im ganz normalen öffentlichen Raum Angst haben muss, etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln, dann läuft in einer solchen Gesellschaft offenbar Grundlegendes schief.
In gar nicht wenigen Gesprächen wurde mir berichtet, dass es in Dresden immer wieder zu Anpöbeleien von anders Aussehenden kommt, in einzelnen Fällen wohl auch zu Übergriffigkeiten. Über das Ausmaß weiß ich nichts Genaues. Doch die Häufigkeit scheint anzusteigen. Und nach meiner Ansicht ist jeder Fall einer zu viel.
Soweit pure Abneigung gegen Fremde zu derlei inakzeptablem Verhalten führt, ist allein schon diese innere Einstellung zu tadeln, und muss durch Versuche von Aufklärung und Erziehung, beginnend bereits in den Familien, darauf hingewirkt werden, dass jeder jeden respektvoll als seinesgleichen behandelt. Soweit Pöbeleien und Übergriffigkeiten aus misslingendem wechselseitigen Umgang entstehen, muss allen nahegebracht werden, dass nichts anderes als Höflichkeit, Takt und Respekt die Grundlagen eines guten Miteinander sind – gerade dann, wenn es (eingebildeten oder echten) Grund zum Streiten gibt.
Umstehende Jugendliche und Erwachsene sollten in derlei Fällen nie wegschauen, sondern stets denen zur Seite stehen, die respektlos oder ungerecht behandelt werden. Wo derlei Fehlverhalten gesetzliche Grenzen überschreitet, ist es anzuzeigen und zu bestrafen.
Frage 2: Wie stehen Sie zu der Instrumentalisierung der Existenzängste von Hartz-IV-Empfängern und Rentnern, um Asylkritik und Zuwanderungskritik zu legitimieren?
Kritik ist in einem freien Land immer legitim, braucht also gar nicht legitimiert zu werden. Kritik kann allerdings unbegründet oder überschießend sein. Dann ist sie durch Verweise auf Tatsachen oder durch richtigstellende Argumente zu widerlegen.
Wenn Hartz-IV-Empfänger oder Rentner Existenzängste haben, die sie zur Kritik an unserer Politik gegenüber Asylbewerbern oder Zuwanderern veranlassen, soll man derlei Äußerungen zunächst einmal zur Kenntnis nehmen und sodann prüfen, was an den vorgebrachten Tatsachen- und Zusammenhangsbehauptungen stimmt, was anderes hingegen falsch ist. Stimmendes muss man ernstnehmen, Falsches zurückweisen – und in der Regel muss man akzeptieren, dass man sich über den Wahrheitsgehalt von manchen Behauptungen einfach nicht einigen kann.
Überhaupt nicht hinzunehmen ist es, wenn mit falschen Tatsachen- und Zusammenhangsbehauptungen gerade solchen Menschen Angst gemacht wird, die ohnehin nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Solchem aufhetzerischen Tun muss man entgegentreten – und zwar ganz unabhängig davon, ob derlei aus Dummheit, aus mangelndem Wissen oder aus Bösartigkeit geschieht. Gegen Dummheit oder Bösartigkeit wird man mit Argumenten meist nichts ausrichten; in solchen Fällen hilft nur Zurückweisen und Ausgrenzen.
Bei mangelndem Wissen gibt es immerhin eine gewisse Chance, nach Schaffung einer gemeinsamen Gesprächsgrundlage auf einen Abbau von Ignoranz hinzuwirken. Das soll man auch anstreben. Und auch Dummheit oder Bösartigkeit lassen sich leichter von einem bloßen „Kommunikationsunfall“ unterscheiden, wenn man es zunächst einmal „im Guten versucht“ hat.
Frage 3: Wie stehen Sie zu den mehrfach durch Pegida völlig falsch wiedergegebenen Statistiken (z.B. Moscheen in Südfrankreich, Sachsenspiegel) und Scheinargumenten (nicht belegbare, vermutete Dunkelziffern)?
Mir scheint, dass da gar nicht wenige Pegida-Leute von falschen Zahlen oder von Dunkelziffern ausgehen, die zum Zweck der Stützung eigener Argumente unterstellt werden. Falsches Wissen über „die Welt da draußen“ ist im Übrigen ein weit verbreitetes und auch demoskopisch gut nachgewiesenes Phänomen, hat also weder mit Pegida im Besonderen noch mit der politischen Rechten im Allgemeinen etwas zu tun. Nicht minder bekannt ist, dass gerade solches Wissen, das man nur übers Hörensagen bezogen hat oder in Verschwörungstheorien einbettet, besonders intensiv und emotional verteidigt wird.
Was lässt sich da tun? Falsche Zahlen muss man durch den Nachweis der richtigen Zahlen widerlegen. Gleiches gilt für von den wirklichen Sachverhalten nicht gedeckte Argumente. Und ansonsten trifft alles das zu, was ich vorhin über den Umgang mit Dummheit, Ignoranz und Bösartigkeit ausgeführt habe.
Frage 4: Sollen wir über all dies hinwegsehen, die Forderungen der Pegida als Gesellschaft annehmen, obwohl diese alles andere als die Mehrheit darstellt?
(a) Wenn Sie mit „all dies“ falsche Tatsachen- und Zusammenhangsbehauptungen von Pegida-Leuten meinen, soll man darüber natürlich nicht hinwegsehen, sondern gerade so verfahren, wie ich es oben ausgeführt habe.
(b) Wenn Sie mit dem „Annehmen“ von Forderungen von Pegida meinen, dass diese Forderungen in gesetzliche Regelungen umgesetzt werden sollen, dann gilt die ganz einfache demokratische Mehrheitsregel: Zum Gesetz wird das, was eine parlamentarische Mehrheit beschließt, und nicht, was eine Minderheit innerhalb oder außerhalb des Parlaments fordert. Meines Wissens verfügt Pegida aber in keinem deutschen Parlament über eine Mehrheit.
(c) Falls Sie mit einem „Annehmen von Forderungen“ von Pegida meinen, dass Politik betrieben werden sollte, die in einem sachlichen Zusammenhang mit den bisherigen „Sechs Punkten“ von Pegida steht, bin ich der folgenden Ansicht:
1. Wir sollten eine ergebnisoffene Diskussion über die (umstrittene) Notwendigkeit und die (nicht minder umstrittenen) Inhalte eines „Bundeseinwanderungs- und Integrationsgesetzes“ eröffnen. Im Verlauf dieser Diskussion wird sichtbar werden, welcher gesellschaftliche Konsens sich über welche Einwanderungs- und Integrationspolitik schaffen lässt. Mir scheint, dass sich Politik gegen den Widerstand einer Bevölkerungsmehrheit nicht nachhaltig durchsetzen lässt. Der lange geforderte und inzwischen vollzogene Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie ist dafür ein Lehrstück.
2. Wir sollten mehr für die Integration derer tun, die nach Deutschland – aus gleich welchen Gründen – einwandern. Welche Mittel dafür dienlich sind, sollte öffentlich und ergebnisoffen erörtert werden. Ich persönlich hätte es gerne, wenn aus „nach Deutschland eingewanderten Syrern“ zunächst „deutsche Syrer“ und dann, wohl in der nächsten Generation, „syrische Deutsche“ würden.
3. Wir sollten eine öffentliche Diskussion darüber haben, welche Sorgen um mögliche Attentäter mit religiöser (oder sonstiger) Motivation in Deutschland begründet sind, welche anderen aber unbegründet sind. Ebenso sollten wir eine öffentliche und ergebnisoffene Diskussion darüber führen, welchen – auch rechtlichen – Preis wir für welches Ausmaß an öffentlicher Sicherheit zahlen wollen, welchen anderen aber nicht.
4. Wir sollten plebiszitäre Instrumente auch auf Bundesebene einführen, und wir sollten die bereits verfügbaren Instrumente „direkter Demokratie“ auf Landesebene für die Bürgerinnen und Bürger nutzerfreundlicher ausgestalten. Derlei fordern Linkspartei, Grüne und SPD schon lange.
Meine eigene – völlig zustimmende – Position zu alledem habe ich ebenfalls lange schon veröffentlicht, nämlich als: Werner J. Patzelt, Welche plebiszitären Instrumente könnten wir brauchen?, in: Jahrbuch für direkte Demokratie 2010, Baden-Baden (Nomos) 2011, S. 63-106. Die (fast) letzte Fassung der entsprechenden Datei findet sich unter folgendem Link:
http://www.docdroid.net/…/patzelt-welche-plebiszitren-instr…
5. Zur Russland-Politik vertritt Pegida eine Position, die sich – aus womöglich sehr unterschiedlichen Gründen – vielfach mit jener der Linkspartei überschneidet. Ich stehe dieser Position sehr skeptisch gegenüber und meine, dass sich unsere Außenpolitik auf diese Position nicht einlassen sollte.
6. Wie alle großen Parteien, und wie auch im sächsischen Koalitionsvertrag vereinbart, bin ich der Ansicht, dass man an innerer Sicherheit und Polizei nicht weiter sparen, sondern sie der gegenwärtigen Gefahrenlage – soweit plausibel beurteilt – anpassen sollte.
Frage 4: Soll sich die politische Elite wirklich durch diese laute Minderheit erpressen und vor sich her treiben lassen?
„Erpressen“ meint, dass man zu einem Handeln gezwungen wird, das man ablehnt. Im privaten oder geschäftlichen Umgang ist derlei zu Recht verboten. In der Politik hingegen ist es nicht unüblich, dass Politiker zu etwas gezwungen werden, was sie nicht wollen. Das geschieht etwa, wenn eine Regierung abgewählt oder ein Minister zum Rücktritt veranlasst wird. Derlei nennt man, alles in allem, Demokratie.
Es ist gerade das Schöne an einer repräsentativen Demokratie, dass zwischen den Wahlterminen überhaupt niemand die Parlamentarier zu irgendetwas zwingen kann – weder zu etwas Unsinnigem noch zu etwas Sinnvollen. Davor schützt sie nämlich das freie Mandat. Dieses ist eine große Errungenschaft, die von der politischen Elite den Druck der Straße fernhält. Und das ist auch gut so.
„Direkte Demokratie“, also die Verfügbarkeit plebiszitärer Instrumente, dient dazu, gerade zwischen den Wahlen die politische Klasse zu Dingen zu zwingen, die sie nicht will. In der Regel findet gerade die politische Linke solche Möglichkeiten für gut. Ich halte sie ebenfalls für wünschenswert, freilich nur als Ergänzung – und keineswegs als Ersatz – repräsentativer Demokratie.
Auch das Demonstrationsrecht ist ein Recht der Bürgerschaft, auf die politische Klasse Einfluss zu nehmen, und zwar gerade zu solchen Zeiten, wenn keine Wahl oder Volksabstimmung ansteht. Aus diesem ganz und gar demokratischen Recht, einen Versuch zu unternehmen, die politische Klasse „vor sich herzutreiben“, folgt freilich nicht, dass Politiker dem auch nachgeben müsste. Etwa wurde trotz Hunderttausenden von Gegendemonstranten einst die sogenannte „NATO-Nachrüstung“ durchgesetzt.
Allerdings zeigen große bzw. in den Medien große Aufmerksamkeit findende Demonstrationen (was, wie der Hype um Pegida belegt, durchaus nicht dasselbe sein muss) der Politik mitunter an, dass – und wo – Teile der Bürgerschaft andere Ansichten, Interessen oder Präferenzen haben als die politische Elite. Derlei sollte gerade in einer repräsentativen Demokratie die politische Klasse durchaus ernst nehmen, also nicht ihrerseits in eine Schmoll- und Trotzhaltung verfallen. Die Politiker sind nämlich der Bürger willen da, nicht die Bürger zur Plaisir von Politikern.
Zu dieser letzten Frage meine ich also zusammenfassend: Die politische Elite muss sich keineswegs von einer noch so lauten Minderheit „erpressen“ oder „vor sich hertreiben“ lassen. Forderungen werden aber nicht dadurch falsch, dass nur eine Minderheit sie bekundet, oder dass einem der Ton nicht passt, in dem sie vorgetragen werden. Kluge Politiker werden also danach trachten, im – noch so stillos oder rüde zum Ausdruck Gebrachten – nach einem „vernünftigen Kern“ zu suchen; und sie werden sich hoffentlich dann um ein vernünftiges Urteil darüber bemühen, ob da bloßer Unsinn thematisiert oder manches Anliegen vorgebracht wird, dass eben besserer Politik bedarf, als sie bislang geführt (oder wenigstens zur Kenntnis genommen) wurde. Und genau zu solcher politischer Klugheit rate ich – nicht angesichts einer „Erpressung“, sondern einer ganz und gar legitimen Willensäußerung.
Und nochmal: Bloß weil eine Sichtweise oder Forderung legitim ist, muss sie noch lange nicht richtig sein oder gar erfüllt werden.