Zum Umgang des Verfassungsschutzes mit der AfD
In der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ vom 9. Mai 2025 erschien auf S. 3 unter dem Titel „Die Fortsetzung eines Irrwegs“ mein nachstehender, im Licht seitheriger Entwicklungen leicht fortentwickelter Text zum Umgang des Verfassungsschutzes mit der AfD, natürlich fokussiert auf jenes – inzwischen gottlob veröffentlichte – „Geheimgutachten“, dessen politischen Ertrag die Innenministerin der Ampel-Regierung ganz am Ende ihrer Amtszeit noch in die Scheuer zu bringen versuchte.
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Deutschland befindet sich auf dem Weg in eine Staatskrise. Die größte Oppositionspartei des Landes, die AfD, wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz für „gesichert rechtsextrem“ erklärt. Daran ändert es auch nichts, dass – durch eine von der AfD erwirkte einstweilige Verfügung dazu angehalten – der Verfassungsschutz diese Behauptung fürs erste nicht mehr öffentlich wiederholen will. Wenn Deutschlands Politikerschaft aber jene ursprüngliche, zunächst mit großem Beifall aufgenommene Feststellung ernstnimmt, dann führt kein Weg daran vorbei, dass die neue Bundesregierung ein Verfahren zum Verbot der AfD anstrengt.
Doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird das Bundesverfassungsgericht die AfD nicht verbieten. Verfassungswidrig sind nämlich nur solche Parteien, „die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“. Genau das ist jene rechtliche Definition von Extremismus, die von deutschen Staatsschutzbehörden seit den 1950er Jahren regelmäßig verwendet wird, wobei zu den Mindestprinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung die Chancengleichkeit aller Parteien und das Recht auf Bildung und Ausübung von Opposition gehört. In vielen Verfassungsschutzberichten wird aber die ausführliche Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung seit etlichen Jahren beschwiegen. Stattdessen betont man – zu Recht, doch verkürzt – Menschenwürde, Rechtstaatlichkeit und Demokratie als Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und deutet – ganz zu Unrecht, doch politisch willkommen – grobschlächtige Kritik an der Praxis all dessen als Verfassungsfeindlichkeit.
Beschwiegen wird seit einigen Jahren auch, dass es zum Nachweis der Verbotswürdigkeit einer Partei – gemäß der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes – durchaus nicht genügt, wenn eine Partei verfassungsfeindliche Ideen verbreitet. Hinzukommen müssen vielmehr eine kämpferische Haltung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die auf deren Abschaffung abzielt, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Erreichen dieses Ziels als nicht völlig aussichtslos erscheint. Klar ist der Zweck von Parteiverboten also nicht die Ausübung von Gesinnungsjustiz oder die Beschneidung von politischem Pluralismus, wie er sich eben auch in unerwünschten Wahlergebnissen niederschlagen kann. Im Übrigen ist, gemäß dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, eine Partei nur dann zu verbieten, wenn sich ihr Kampf nicht auf belanglose Einzelaktionen beschränkt, sondern tatsächlich einen Sturz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirken könne.
Deshalb erwartet man sich von Berichten unserer Verfassungsschutzbehörden Nachweise dessen, wo es Pläne oder Vorbereitungen zum Umsturz gibt. Nichts dergleichen haben die bisherigen Verfassungsschutzberichte hinsichtlich der AfD vorgelegt. Auch das neue Gutachten begnügt sich mit folgender Behauptung: der von der AfD verwendete ethnisch-abstammungsmäßige Volksbegriff grenze solche Menschen, die nicht ihrerseits von Deutschen abstammten, vom deutschen Staatsvolk aus, werte sie rechtlich ab und missachte damit ihre Menschenwürde. Dass sich das wirklich so verhält, wird von der AfD bestritten. Doch selbst wenn es tatsächlich so wäre, fände sich weiter nichts nachgewiesen, als dass ein solches Volksverständnis mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Allein ein solches Volksverständnis – also ohne eine aus ihm folgende, konkrete Praxis – macht aber eine Partei, jedenfalls nach bisherigem deutschem Verfassungsrecht, noch lange nicht zu einer extremistischen Partei.
Also bietet ein Gutachten, in dem sich keinerlei Nachweise für Umsturzpläne der AfD finden, auch keinen ausreichenden Grund dafür, diese Partei zu verbieten. Eben deshalb warnen weiterhin alle Politiker mit höheren Ämtern vor der Einleitung eines Verbotsverfahrens. Anders als im Fall der NPD könnte sich diesmal das Bundesverfassungsgericht nämlich nicht um eine inhaltliche Entscheidung mit dem Argument drücken, die angeklagte Partei sei politisch viel zu unbedeutend, als dass sie die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gar den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gefährden könne. Immerhin ist die AfD in Ostdeutschland weithin die stärkste Partei und hat auch bundesweit zur Union aufgeschlossen. Das Verfassungsgericht würde deshalb ein inhaltliches Urteil fällen müssen. Dieses liefe nach Lage der Dinge darauf hinaus, die AfD „aus Mangel an Beweisen“ freizusprechen, also ihr einen „Persilschein“ auszustellen. Das wäre aber genau das Gegenteil dessen, was jene Teile von Deutschlands Politiker-, Journalisten- und Bürgerschaft anstreben, die von jeher eine politische Auseinandersetzung mit der AfD durch rechtliche Mittel zu ersetzen versuchen.
Worin aber besteht jene ins Haus stehende Staatskrise, die aus jahrelangen politisch falschen Weichenstellungen zu erwachsen droht? Obwohl das Bundesamt für Verfassungsschutz einen weithin erwünschten „Extremismusbeweis“ geliefert zu haben scheint, wird gegen die AfD weiterhin gerade nicht rechtlich vorgegangen; falls zugleich jene Migrationspolitik unterbleibt, die sehr viele AfD-Wähler wünschen, wird noch jahrelang die AfD eher gestärkt als geschwächt; und weil weiterhin eine angeblich „gesichert rechtsextreme AfD“ in den Parlamenten – und gewiss demnächst auch bei der staatlichen Parteienfinanzierung – unfair behandelt wird, gibt es für die AfD weder Anreize, sich auf eine konstruktive Rolle im politischen Spiel einzulassen, noch parteiinterne Mehrheiten für einen entsprechenden Reformkurs.
Den Schwelbrand unserer innenpolitischen Polarisierung, dem jahrelang recht widernatürliche Parteibündnisse als „Brandmauern“ wehren sollten, hat jenes „Extremismus-Gutachten“ nun zum offenen Feuer angefacht. Da passt es auch ins Bild, dass die ebenso uneinsichtige wie politisch erfolglose Innenministerin Faeser mit ihrer sachlich ganz unnötigen Hauruck-Aktion der neuen Bundesregierung ein Dynamitbündel unterschoben hat. Und während die neue linke Ikone Reichinnek im Bundestag unter großem Beifall fordert „Auf die Barrikaden!“, wird der Rat des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Spahn für politisch ganz unverantwortlich erklärt, die AfD ganz gemäß bewährten parlamentarischen Gepflogenheiten zu behandeln. Zugleich wirkt die Ankündigung des AfD-Kovorsitzenden Chrupalla, man wolle fortan mit parlamentarischem Anstand auftreten und sich rhetorisch mäßigen, wie eine vergebliche Anbiederung an arroganztrunkene Gegner. Anscheinend braucht ein großer Teil der Deutschen die AfD gerade so, wie im klassischen Griechenland die Spartaner mit den von ihnen unterjochten Heloten umgingen: nämlich zum selbsterhöhenden Bekämpfen von vermeintlich Minderwertigen. Das wird nicht gut ausgehen – bei uns ebenso wenig wie einst in Sparta.
Klüger wäre es, wenn die folgenden Auswege aus unserer verfahrenen Lage gesucht würden. Erstens sollte man nicht länger Radikalismus mit Extremismus gleichsetzen. Radikalismus meint nämlich die Zuspitzung von sogar vernünftigen Positionen so weit, dass sie in Unsinn oder Unmenschliches umschlagen. Dass derlei in den eigenen Reihen vorkommt, geben sogar viele AfD-Mitglieder zu – und lassen oft genug durchblicken, man hätte das gerne anders. Aber zur Freiheit gehört es nun einmal auch, sich intellektuell oder moralisch zu disqualifizieren. Eben das haben sich gar nicht wenige AfDler durchaus geleistet. Was die Verfassungsschutzämter der AfD nachgewiesen haben, ist jedenfalls mannigfacher Radikalismus. Doch nichts deutet darauf hin, dass dieser in absehbarer Zeit die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gar den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gefährden könnte. Wer das vor Augen hat, für den ist klar: Die AfD insgesamt als extremistisch und als deshalb zu verbieten auszugeben, ist auf politischer Ebene das Seitenstück dessen, was man auf persönlicher Ebene eine böswillige Diffamierung nennt. Hören wir besser damit auf, unsere politischen Diskussionen durch einen absichtsvollen Missbrauch des Extremismus-Begriffs zu vergiften!
Ein zweiter Ausweg wurde inzwischen beschritten, wenn auch nicht dank Einsicht derer, die sich über das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz lautstark freuten. Es wurde nämlich jenes über tausendseitige „Gutachten“ durchgestochen und veröffentlicht, das sich als eine im Sinn der Anklage zurechtgedeutete Zitatensammlung aus öffentlich zugänglichen Quellen entpuppt. Wirklich Geheimhaltungsbedürftiges findet sich in ihm nicht. Unterbunden werden sollte anscheinend nur die allgemeine Zukenntnisnahme der Dürftigkeit politisch erwünschter Geheimdienstbefunde. Falls sich hingegen die Befunde zu einer Verfassungsfeinelichkeit der AfD als substanziiert herausgestellt hätten, dann gälte erst recht: Es geht nicht an, die Wählerschaft darüber im Unklaren zu lassen, was es an wirklichen Beweisen über den behaupteten Kampf einer doch sehr umfangreich gewählten Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorzulegen gibt. Ohnehin darf in einem freiheitlichen Staat die Regierung nicht blindes Vertrauen der Bevölkerung hinsichtlich ihrer Einschätzung zur Umsturzbereitschaft einzelner Parteien verlangen.
Drittens hat die neue Bundesregierung das Gutachten ihrer nachgeordneten Behörde nun offiziell und mit redlicher Sorgfalt daraufhin zu prüfen, ob es wirklich überzeugend die Verfassungsfeindlichkeit – also den Extremismus – der AfD nachweist. Kommt die Bundesregierung zu dieser Überzeugung, dann muss sie umgehend einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht stellen, weil sie andernfalls ihrer Verantwortung für die Sicherung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht gerecht würde. Hält hingegen die neue Bundesregierung dieses Gutachten für fehlerhaft, für nicht ausreichend überzeugend oder für hinsichtlich seiner Verwendung des Extremismusbegriffs für irreführend, dann hat sie es entweder zurückzuziehen oder den zuständigen Beamten zur Überarbeitung zurückzureichen. Obendrein wären disziplinare Konsequenzen für jene Teile der Leitung oder der Mitarbeiterschaft des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu erwägen, die für die Erstellung oder Veröffentlichung eines unzulänglichen Gutachtens in einer staatspolitisch so wichtigen Sache verantwortlich waren.
Viertens sollte die AfD nicht nur gerichtlich klären lassen, welche der von ihr beanstandeten Aussagen in jenem Gutachten wahrheitsgemäß beziehungsweise zulässig sind, welche anderen aber fortan unterlassen werden müssen. Vielmehr sollte die AfD die an ihr geübte Kritik auch viel ernster nehmen als bislang. Weder sich selbst noch gar unserem Land tut sie nämlich Gutes, wenn sie politische Rhetorik nicht nur an der Grenze des Geschmackvollen, sondern auch an Grenzen des rechtlich Vertretbaren pflegt. Weiterhin so handelnd, bringt sich die AfD um eine – ihr zweifellos zustehende – konstruktive Rolle in unserem Gemeinwesen nicht zuletzt dadurch, dass sie gleichsam toxisch bleibt und jedem zum Schaden gereicht, der sich gutwillig auf Gespräche oder gar Verabredungen mit ihr einlässt. Es ist einfach so, dass nicht nur die Gegner der AfD vielfach Verrat an den bewährten Spielregeln unserer pluralistischen Demokratie begangen haben, sondern dass gar nicht wenige AfD-Politiker selbst jenes üble Bild ihrer Partei mitprägten, das jener Verfassungsschutzbericht nun böswillig verallgemeinert hat.