ERfurter Regierungsbildung, Teil 2

ERfurter Regierungsbildung, Teil 2

Jetzt ist also Bodo Ramelow wieder Thüringer Ministerpräsident. Und er steht an der Spitze einer Minderheitsregierung, die gemäß Art. 70,3 der Landesverfassung auch ganz einfach durch Wahl eines Ministerpräsidenten im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit ins Amt gebracht werden kann. Hätten sich Thüringens Landespolitiker vernünftiger verhalten, wäre dieses Ergebnis schon vor einem Monat herbeizuführen gewesen. Stattdessen kostete törichtes Verhalten eine Bundesvorsitzende und einen Landesvorsitzenden der CDU ihre Ämter, einen FDP-Politiker mindestens einen Monat normalen Lebens – und der CDU weiteres Ansehen und Vertrauen.

Kern des aktuellen Übels war der Unwille der CDU-Oberen, vielleicht auch deren emotionale oder intellektuelle Unfähigkeit, zu begreifen und zu akzeptieren, dass eine Minderheitsregierung eine völlig legitime und durchaus funktionierende Weise ist, ein deutsches Bundesland zu regieren. Hätte sich nämlich die CDU seit dem Sommer 2019 zu dieser Einsicht verstanden, so hätte ihr damaliger Spitzenkandidat Mohring am Wahlabend selbstbewusst erklären können: Die Mehrheit von rot-rot-grün ist vergangen; eine andere Mehrheitskoalition ist angesichts von Festlegungen der Parteien im Wahlkampf nicht zu erwarten; folglich sollte Ramelow nun bald als Kandidat einer Minderheitsregierung antreten; und er, Mohring, werde natürlich als sein Gegenkandidat sein. Das Ergebnis wäre genau das heute Nachmittag erzielte gewesen. Klugerweise hätte nämlich Mohring auf die Annahme einer Wahl zum Ministerpräsidenten mit AfD-Stimmen verzichtet, denn andernfalls hätte er politisch ebenso wenig überlebt wie angesichts seines tatsächlichen, hilflosen Taktierens – oder wie der Kurzzeit-Premier von der FDP.

Wäre es wie angeraten gekommen, so wäre Mohring weiterhin CDU-Landesvorsitzender. Auch wäre dem Freistaat Thüringen ein Monat mit faktischem Interregnum erspart geblieben – und der CDU Thüringens eine schmerzliche Demütigung. Die vollzog einerseits Angela Merkel, als sie einfach – und weit jenseits ihrer innerparteilichen oder gar staatlichen Kompetenzen – von oben herab verfügte, die Wahl eines FDP-Politikers mit auch (!) AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten müsse rückgängig gemacht werden. Nicht minder demütigend war andererseits die öffentlichkeitswirksame Forderung der Linken, ausgerechnet die CDU habe dem MP-Kandidaten der Linken gleich im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit zu bescheren. Andernfalls wolle dieser vielleicht Thüringen gar nicht mehr dienen – und zur Strafe dafür werde man erst recht eine die CDU halbierende Neuwahl herbeiführen. Letzteres nennt man auch Erpressung.

Grundsätzlich aber entstand das Übel der CDU daraus, dass ihre Bundesführung vor einigen Jahren durch praktizierte Ignoranz hinsichtlich parteiintern nicht-linker und nicht-mittiger Positionen überhaupt politischen Platz für das Aufkommen der AfD schuf. Dann mästete man die damals schon halbverschlissene AfD durch Merkels Migrationspolitik von 2015, und anschließend begab sich die CDU auch noch in eine noch gewiss lang andauernde Minderheitsposition dadurch, dass sie zur AfD einfach einen Trennstrich zog, doch keinerlei ernsthafte Versuche unternahm, diese Konkurrenzpartei durch das einzig zielführende Mittel kleinzubekommen: nämlich durch eine Wiedergewinnung der von der CDU zu ihr abgewanderten Wählerinnen und Wähler. Verschärft wurde dieses grundsätzliche Übel dadurch, dass die CDU-Führung die eigene Partei in eine ganz ausweglose Lage bugsierte: Weder mit der Linken noch mit der AfD dürfe man zusammenarbeiten – und zugleich solle man unbedingt eine Minderheitsregierung verhindern. Das aber konnte weder rechnerisch noch politisch aufgehen.

Mit Ramelows Minderheitsregierung aber hat man jetzt, was ein jeder vernünftige Beobachter vorhersehen und auch anraten konnte. Und obwohl ohnehin alles auf sie zutrieb, hat niemand anders als die CDU-Führung die Glaubwürdigkeit der eigenen Partei durchs Ausgehen auf Alternativen zum Unvermeidlichen beschädigt:  einesteils durch jenes versuchsweise Paktieren mit der Linken, das „Stabilitätsmechanismus“ genannt wurde, und andernteils mit der praktizierten Dummheit, die strategisch unwünschbare Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten mit AfD-Stimmen nicht von vornherein dadurch unmöglich zu machen, dass vier DU-Abgeordneten der Ministerpräsidentenwahl im Februar einfach fernblieben. Also hat sich die CDU alle Schadenfreude, mit der so viele auf den jetzigen Zustand dieser einst großen Partei blicken, sich redlich selbst verdient. Nicht minder redlich, nur eben auf bessere Weise, hat sich Bodo Ramelow seine Wiederwahl verdient: Anders als Mohring war er nämlich bereit, sich auf eine von ihm geführte Minderheitsregierung einzulassen.

Jetzt aber wollen wir sehen, wie gut er sie führt – und wie geschickt die CDU jene Machtmöglichkeiten zu nutzen versteht, über die sie als Oppositionspartei gerade in der Auseinandersetzung mit einer Minderheitsregierung  verfügt. Obendrein warten wir neugierig ab, ob – und wann – die AfD wohl begreifen wird, dass man durch Polemik zwar Radikale mobilisieren, im Parlament aber nicht jene Partner gewinnen kann, die man zur Ausübung legitimer Macht nun einmal benötigt. Sollten also die Beteiligten am Erfurter Drama aus dessen Ablauf und Begleitschäden lernen, dass es für Politik viel mehr als bloßes Taktieren, Prinzipienreiterei oder Freude an sich selbst braucht, dann hätte jener Monat des Missvergnügens zwischen beiden Ministerpräsidentenwahlen immerhin ein wenig Gutes bewirkt.  Doch um einen wie hohen Preis!

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