ein ziemlich zutreffendes porträt …

ein ziemlich zutreffendes porträt …

… eines Nun-doch-nicht-Wahlkämpfers hat Matthias Matussek – unter dem Titel „CDU-Wahlkämpfer Werner J. Patzelt in seiner mission impossible“ – vor einigen Wochen in der Schweizer Zeitschrift „Weltwoche“ und auf „Tichys Einblick“ veröfftentlicht (https://www.tichyseinblick.de/meinungen/cdu-wahlkaempfer-werner-j-patzelt-in-seiner-mission-impossible/). Vielleicht hilft es dem einen oder anderen, meine Position und Person besser zu verstehen als ehedem.

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An diesem heiteren Sommervormittag könnte die Laune (mit Ausnahme der grünen Klimabesorgten) nicht besser sein, ganz sicher nicht die von Professor Werner J. Patzelt. Ausgerechnet der „umstrittene“ Patzelt, der als „Pegida-Versteher“ ins mediale Zwielicht getaucht wurde, legt ausgerechnet in Sachsen eine methodisch saubere und flächendeckende Studie über die „Unterbringungssituation in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete“ vor. Wahrscheinlich wird er auch dafür gehasst werden; in den Lokalblättern wird jedenfalls anderntags sein Name verschwiegen.

Sein ehemaliger Doktorand, Dr. Christoph Meißelbach, die schütteren Haare zurückgebunden, präsentiert das befriedigende Ergebnis auf einer Pressekonferenz im Landtag, Patzelt irgendwie wollig und lockig schweigend neben ihm. Dort, wo politisch nachgebessert werden muss, wird es getan. Auffälligkeiten gibt es besonders bei alleinreisenden jungen Erwachsenen in privaten Unterkünften auf dem Land; die Familien-Unterkünfte in Städten mit Freizeitangeboten sind ziemlich problemfrei. „Fast 100% der befragten Heimleiter haben den Fragenkatalog, der mit seinen 90 Fragen 45 Minuten beansprucht, beantwortet”. Die Untersuchung steht wissenschaftlich auf festen Füßen.

Doch Patzelt ist aus einem anderen Grund gut aufgelegt. Das hat mit seinem anderen Job zu tun, dem wahrscheinlich schwersten, den das politische Deutschland derzeit zu vergeben hat: Er soll der AfD Stimmen abjagen, ausgerechnet hier im Osten, wo sie mittlerweile Volkpartei ist.

Hier, auf der Terrasse des Landtagsrestaurants “Chavieri” mit Blick auf die barocke Kuppelkette Hofkirche, Semperoper, Zwinger, Frauenkirche über dem Elbufer, die ohnehin beschwingt, berichtet Patzelt von einem Sieg am frühen Morgen in der zuständigen Arbeitsgruppe der CDU-Landtagsfraktion: Sie haben seinen Vorschlag für ein fakultatives gesetzesaufhebendes Referendum, das „Volksveto“ gegen ein vom Landtag schon beschlossenes Gesetz, endlich angenommen. Er wird eine Woche später auf dem Parteitag ins Wahl- und Regierungsprogramm aufgenommen werden.

“Niemand sonst hat das im Programm – auch die AfD nicht!”

Der Feind steht rechts.

Damit allerdings macht Patzelt gleich auch klar, auf welchem Seil er da tanzt. Er ist seit 1994 Mitglied der CDU. Und auch Mitglied der WerteUnion seit dem vergangenen Jahr, die der CDU wieder ihre konservativen Wurzeln freilegen möchte.
Doch genau diese sind in vielen Programmpunkten (Heimat, Familie, Marktwirtschaft, christliche Werte) derzeit in der AfD besser aufgehoben. Allerdings: Ein Wechsel ins andere Lager kommt für ihn nicht in Frage. „Ich bin kein Opportunist und kein Deserteur“. Er will sich für seine Partei in den Kampf stürzen.

Seine grauen Locken wehen ihm ins Gesicht, sein Lächeln über der bulligen Figur, die weißen Hemdärmel hochgekrempelt, ganz “August der Starke”, nimmt er erst mal die Penne all’arrabbiata in Angriff. Man muss Prioritäten setzen.

Tatsächlich sprach Patzelt mit seiner Kritik an der überstürzten „Willkommenskultur“ vielen aus der Seele. Er saß bedächtig in den Fernsehstudios und war der gesunde Menschenverstand in Person. Mit jedem Terroranschlag, jedem Messermord bekam er mehr Recht. Gleichzeitig wuchs die AfD, und wuchs und wuchs.

Mittlerweile erdet der Osten mit seinen Erfahrungen von Diktatur und einer erfolgreichen Revolution die Fantastereien des Westens. Möglicherweise kämpft der Professor für die falsche Partei?

Doch an diesem Morgen stimmt die Welt. Zwischendurch Telefonanrufe von Parteigenos… sorry, hier sagt man …freunden, “ja, alles gut gegangen, prima, bis später”. Allerdings ist gar nichts prima für die CDU in diesem Wahlkampf. In Sachsen ist sie mit 24 Prozent hinter die AfD (26 Prozent) gefallen. „Das hat seine ernstzunehmenden Gründe“, sagt Patzelt, und „die West-CDU ist da nicht sehr hilfreich“.

Wähler zurückholen: Eine Mammutaufgabe in diesen Tagen, in denen die AfD-Wähler besonders aus Reihen der CDU-Parteiführung mit Beleidigungen, ja Hetze überzogen werden, was Hunderttausende von weiteren Überläufern produziert. Ja, sie jagt: Aus der Arena! (Rechts von der CDU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, sagte einst Franz-Josef Strauß. Heute heißt die Parole seiner wesentlich unklügeren Nachfolger: Alle rechts von der CDU – Schnauze halten!)

Am Vorabend plädierte CDU-Parteichefin Kramp-Karrenbauer bei „Anne Will“ im Zusammenhang mit dem Mord an Regierungspräsident Lübcke für allerschärfste Abgrenzung und gab damit indirekt der „Alternative für Deutschland“ eine Mitschuld.
CSU-Chef Söder, der sich in seiner Landtagswahl nur mit Hilfe der Freien Wahler als Regierungschef halten konnte, präzisierte über die Presse: Keine Kontakte, nicht mal auf Grill-Festen!

“Die haben nichts begriffen”, Schluck vom Rotweinglas. “Das ist der Beginn vom Ende der CDU als Volkspartei.“ Dieser Kerl mit seiner schwarzgerahmten Brille passt in keine Schublade. Er selber würde sich eher auf dem linken Flügel sehen: “Linksliberal, und das extrem!” Mit dem Bayrisch, das aus ihm rollt und grollt wie einst aus Franz-Josef Strauß, klingt das besonders lustig.

Die Bundes-CDU verstehe die Bedingungen im Osten einfach nicht. “Die hat doch erst das Verlangen nach einer Alternative für Deutschland hervorgebracht, nämlich durch ihre angegrünten, nach links gerückten Positionen ”, sagt er. “Wir brauchen wohl begrenzte Konflikte mit der Bundesführung der Partei.”

Nun ist ja die Sprachregelung in Talkshows wie „Anne Will“, dass die AfD ständig nur eine Opferrolle spiele. „Allerdings sind von 417 Attacken 212 gegen die AfD gerichtet“, sage ich. Patzelt: “Sie inszeniert sich nicht als Opfer, sie ist es, wenn sie nämlich keine Versammlungsorte mehr anmieten kann, wenn selbsternannte Antifaschisten ihre Wahlkampfstände zerstören, wenn sie im Parlament ausgegrenzt wird wie eine Lepra-Kolonie. Da spüren die Leute doch genau: Das ist undemokratisch!“

Dennoch ist er gegen eine mögliche Koalition mit der AfD (so wie diese gegen eine mit einer Merkel-CDU), denn man wisse bei ihr nie, ob gegen eine pragmatische Parteiführung nicht alsbald geputscht werde. Er hält die AfD also für eine unzuverlässige Truppe. „Sollte es knapp werden für Ministerpräsident Kretzschmer, sollte man über eine Minderheitsregierung nachdenken, ganz ohne Tolerierungspartner, und mit einem ständigen Ringen um wechselnde Mehrheiten. „Aus allen Lagern?“ – „Aus allen Lagern!“.

Nun aber los zum nächsten Termin: auf zum Friseur!

Es gibt eine eiserne Regel im Reportage-Journalismus: Keine Taxifahrer zu Wort kommen lassen. Warum weiß keiner; womöglich, weil man ihnen alles Mögliche in den Mund legen kann. Hier muss die Regel gebrochen werden, denn Patzelt hat sich als die Lage analysierender Wahlkämpfer auch im Taxi zu bewähren. Seine Taktik: Er hört zu! Diesem Fahrer zum Beispiel, Ende 30, sportliche Figur, Ex-Soldat. Er ist so gar nicht mit der Verteidigungsministerin zufrieden.

“Statt sich vor ihre Armee zu stellen, lässt sie wie im Kundus-Ausschuss gegen diese ermitteln.” Der Mann kocht. “Noch nicht mal für anständige Ausrüstung sorgt sie! Es ist doch peinlich, wenn die Panzer-Kameraden mit Attrappen auf Nato-Manövern unterwegs sind, oder wenn sie Besenstiele schwarz anmalen müssen, weil die Bordkanonen fehlen.”

Patzelt lässt die Tirade interessiert über sich ergehen. Da ist nämlich viel über Stimmungsbilder zu erfahren – und ohnehin nichts zu verteidigen. Tatsächlich wird das Kabinett Merkel ja selbst vom Spiegel nur noch als Gesamtkatastrophe beschrieben, und das fängt bei Ursula von der Leyen nur an, die sich derzeit in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss für Kungeleien mit Beraterfirmen zu verantworten hat.

Selbst auf n-tv online wird so kommentiert: “Der Ausschuss hat in stundenlangen Sitzungen bis jeweils tief in die Nacht Fakten und Indizien hervorgebracht, die sprachlos machen und geeignet sind, Deutschland als Bananenrepublik zu diskreditieren. Jeder, der „das System“ und „das Establishment“ verachtet, dürfte sich bestätigt sehen.”

Und die Kritik hört bei Wirtschaftsminister Altmaier noch längst nicht auf, gegen den nun die großen Verbände wegen kompletter Ahnungslosigkeit mobilmachen. Einige nennen dessen “Exzellenzinitiative” für Unternehmen das “Neue Ökonomische System der Planung und Leitung“ (NÖSPL), ein alter Heuler aus der DDR, der 1963 beschlossen wurde.

„Und die Außenpolitik?“, frage ich – hinterhältig, um weiter Öl ins Feuer zu gießen. Der Ex-Soldat platzt wie erwartet. “Heiko Maas will im US-Iran-Konflikt vermitteln?” ruft der Mann, “wem soll denn Deutschland noch Angst machen können; das ist doch ein Witz, den Bubi nimmt doch keiner ernst in seinen engen Anzügen, der sieht doch aus wie ein Konfirmand!”

“Allerdings treibt er Sport”; wirft Patzelt füllig von der Rückbank ein, und es klingt nach sanfter Ironie.

Der Friseur hat seinen Salon im schönen, bürgerlichen Striesen. Patzelt rezitiert den Volksmund: „Willst das Leben du genießen / musst wohnen du in Striesen“. Unsauberer Endreim, aber in Zeiten des Rap geht das wohl in Ordnung. Patzelt ist seit Jahren hier Stammkunde. Die Flurwand ist bepflastert mit Meisterbrief und unzähligen Diplomen der Fachkräfte für “Wet paint” und “Organic Haircutting”. Bei Patzelt tut es das Kommando “Kurz, aber nicht zu kurz”, ein Klassiker; und als er vom Haarwaschbecken zurück auf dem Friseursessel Platz nimmt, die angeklatschten Locken tropfend, sieht er im Profil mit dem kleinen Doppelkinn tatsächlich aus wie Franz-Josef Strauß nach einer schweißtreibenden Wahlkampfrede.

“Sie haben ja auch schon meinen Sohn bearbeitet”, sagt er lächelnd zur Friseuse, doch wohl in meine Richtung, “da war er noch klein”, (und mir fällt nicht ohne Schrecken mein eigener Vater ein, der mich in den 60er Jahren, als alle Welt lang trug, misstrauisch zum Friseur begleitete, und auf die sporadische Fragen des Schnitters “Reicht das?” ohne von seinem Buch aufzuschauen rief: “Kürzer”. Mein Vater war wohl, von heute aus betrachtet, seiner Zeit voraus, denn selbst in der Bundesliga hat sich “kurz” durchgesetzt.)

Anschließend stehen wir auf der Friseur-Terrasse über leuchtenden Asterbeeten in der Mittagsglut und warten auf das nächste Taxi und damit auf das für einen CDU-Wahlkämpfer wahrscheinlich nächste aufschlussreiche Gespräch. Logisch, dass wir übers Klima reden. Ist der Kampf gegen den Klimawandel denn im Programm? Klar, sagt Patzelt.

„Das gibt Pluspunkte“, sage ich. “Es gibt noch Wichtigeres”, sagt Platzelt, denn Klima sei auch ein großes Ablenkungsmanöver der Grünen, um nicht über die Migration und deren Folgen reden zu müssen. Der Klima-Hype wird vergehen da ist er sicher, und “Habeck wird das gleiche erleben wie Martin Schulz”. Wie alle wissen, ist der einstige Messias der Partei mit dieser abgesoffen.

Nicht, dass Patzelt menschengemachte Schäden bestreitet. Bei neun Milliarden Menschen und ihren Industrie-Emissionen gäbe es ganz sicher klimatische Auswirkungen. Und gerade deshalb: „Die friedliche Nutzung der Kernkraft aufzugeben, war kurzsichtig; vielmehr hätte man weiter an rückstandsfreien Fusionsreaktoren arbeiten sollen.“ (Das ist die ebenso gängige wie richtige AfD-Kritik an der opportunistisch grünen Kanzlerin).

Mit dem nächsten Taxi kommt, wie erwartet, der nächste Blick in Tiefenschichten ostdeutschen Volksempfindens. „Im Westen versteht man nicht, dass die Menschen hier Erfahrungen mit einer Diktatur gesammelt haben, wo in allen Zeitungen das gleiche stand“, sagt der Fahrer.

Wegen Patzelts bayerischem Zungenschlag meint er, dem Professor den Osten erklären zu müssen; offenbar ist der nach seinem Friseurbesuch nicht wiederzuerkennen.

Der Mann ist älter, breites Wettergesicht unter Schiebermütze. Er weiß, wovon er spricht. „Wir haben auch politisch nur Einheitsbrei gehabt. Da ist doch klar, dass sich die Wähler eine Alternative wünschen“. Das ganze auf sächsisch, nuwahr?
Auf der gelben Seitenfassade Hauses, in dem Patzelt zur Miete wohnt, prangt die Zahl 1900 in Stuck. Alles hier ist Gründerzeit, bürgerliche Behaglichkeit. Vier Treppen, und wir schnaufen beide. „Der Nachteil ist, dass es keinen Fahrstuhl gibt”. Nuwahr!

Schöne große kühle Altbauwohnung mit Parkett. Patzelt betätigt die Espresso-Maschine; anschließend zeigt er vom Balkon hinüber auf die Straßenecke, an der Antifaschisten vor zwei Jahren unter dem Motto ‘nie wieder’ seine Mitsubishi-Familienkutsche abgefackelt hatten; er war gerade beruflich in Tunis.
„Letztendlich bin ich der Antifa dankbar”, lacht er, “dadurch bin ich, wesentlich ökologischer, auf die öffentlichen Verkehrsmittel umgestiegen, die hier für mich sehr günstig liegen. Im Übrigen hatte das Auto schon 220.000 km auf dem Buckel.”
Eigentlich wollte ich ihn Cello spielen sehen, doch sein Instrument ist in der Werkstatt; der Steg war verzogen und musste erneuert werden. Als Ersatz bietet er ein Youtube-Video an, das ihn als Solisten mit einem Cello-Konzert von Carl Stamitz auf der von ihm gegründeten Musikwoche in Schmochtitz zeigt. Bald erfüllen warmsatte Saiten-Klänge sein Arbeitszimmer.

Patzelt spielt, wenn es der Terminplan zulässt, täglich eine Stunde. Besondere Freude bereiten ihm die Sessions mit seinem Sohn Willi, der am Klavier oder auf der Geige musiziert. Und an Heimspiel-Wochenenden geht es mit ihm zu Dynamo Dresden. Kurze Fachsimpelei hier im Wohnzimmer, unter einem Gemälde mit leuchtend farbigen Quadraten seines Künstlerfreundes Roland Unger, über die Transferpolitik von Bayern München.

Doch die Musik ist seine wirkliche Leidenschaft. Patzelt leitet seit vier Jahrzehnten Chor- und Instrumentalwochen. Die Musik wird, meint er, womöglich auch der Kirche über mancherlei Umbrüche der Moderne hinweghelfen. Jedenfalls „haben wir hier in der Diaspora eine äußerst lebendige Gemeinde”, und tatsächlich macht er seit Jugendzeiten Kirchenmusik – inzwischen gemeinsam mit seinem Sohn.

Neben anderem hat er einen Gesprächskreis katholischer Intellektueller mitbegründet; der AfD-Europa-Abgeordnete Maximilian Krah hatte mir am Abend zuvor davon erzählt, er ist ebenfalls dabei.

“Ich soll Sie herzlich grüßen”
“Grüßen Sie zurück!”
“Wird denn der Kreis bestehen bleiben, trotz Söders Kontaktsperre-Anordnung? Oder anders: Ist Söder stärker als der liebe Gott?”
Patzelt lacht. In Worte übersetzt: Aber klar!

Mittlerweile, sage ich, haben die Wetterhähne die Kreuze der Kirche ersetzt. „Natürlich war es verheerend, dass Marx und Bedford-Strohm auf dem Tempelberg ihre Kreuze versteckt haben!“
Eindringlich wird in diesen Zeiten von den Rednerpulten (Kanzeln gibt es nicht mehr) vor der AfD gewarnt. Ein Christ dürfe dort nicht mitmischen, meinte Kardinal Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. „Reinheitsgebote also auch im Glauben – soweit geht das schon!“ schäume ich.
Patzelt hingegen bleibt gelassen. Er wird am nächsten Vormittag in Berlin auf dem Podium sitzen und über ein Papier der deutschen Kirche zum „Rechtspopulismus“ debattieren. Die DBK ist besorgt über rechtspopulistische Tendenzen, die „weit in die Kirche hineinreichen“, und hat ein Arbeitspapier erarbeitet, „einen Leitfaden für die Gemeinden, um diesen Tendenzen zu widerstehen“. Das Papier sei gar nicht schlecht, sagt er.
Hm. Ein paar Tage später werden einige Bischöfe die „Seenotretterin“ und kriminelle Schlepperin Rackete im Namen der Menschlichkeit rühmen, und Patzelt wird am Telefon spotten: „Jetzt gibt‘s es neben Greta Thunberg eben noch eine zweite Heilige“.
Sein Sohn kehrt in die Wohnung zurück und setzt sich zu uns, kurze Khakis, grünes Polo-Shirt, kurze Haare, kräftige Radfahrer-Waden. Er kommt vom Klavierunterricht. Aufgeweckter Junge, die Harmonie zwischen Vater und Sohn ist auf die schönste Weise spürbar; er wird sich mit ihm in den Wahlkampf stürzen.

Wir reden über den Konservatismus. Patzelt ist allem Neuen gegenüber durchaus aufgeschlossen, „aber es hat nicht von vornherein recht, sondern muss sich schon auch bewähren, bevor man an ihm festhält“. Das wäre seine Definition von Konservatismus.

Sohn Willi fällt ein und zitiert den Paulus-Brief an die Thessalonicher: „Prüfet alles, das Gute behaltet“.

Patzelt, der Professor, führt dann im Anschluss an Augustinus den Unterschied zwischen der Civitas terrena und der Civitas Dei aus: Unsere Aufgabe sei es nicht, das Paradies auf Erden zu errichten, das grenze nämlich an menschlichen Allmachtswahn – worin wir ausnahmsweise übereinstimmen, und ich erinnere an die Umbaupläne der Grünen und an Katrin Göring Eckharts begeisterten Ausruf: „Dieses Land wird sich ändern, und zwar radikal, und das ist auch gut so.“

(Gleichzeitig denke ich damit auch an die grüne Kanzlerin, die dieses Land tatsächlich radikal verändert hat. In anderen Worten: ruiniert hat. Und die CDU scheint wild entschlossen, ihr in den Sonnen-Untergang zu folgen. Mittlerweile hat Ex-Generalsekretär die Kampfzone sogar ausgeweitet und fällt keifend über altgediente Parteimitglieder wie Erika Steinbach und Max Otte her.)

Was wird sie tun nach Ende der Amtszeit? „Promoveatur, ut amoveatur“, wünscht sich Patzelt, also „befördern, um loszuwerden“. Und schon wieder erinnert er mich an den seligen Franz-Josef Strauß, der gerne lateinische Weisheiten in seine Rede mischte. Allerdings fehlt ihm dann doch das Wilde, das Kampfschweinhafte.

Das wird dann einige Tage später auch tatsächlich Wirklichkeit, allerdings nicht für Merkel, sondern für die von ihr vorgeschlagene, als Verteidigungsministerin glücklose Ursula von der Leyen.

Auf meinen Wunsch setzt sich Willi ans Schimmel-Klavier und spielt eine Partita von Bach. Er wiegt sich ein in das virtuose Zählwerk der Komposition, schließt die Augen in den halsbrecherischen Läufen, als wären sie Kinderspiel.

Nun taucht Angad auf, der schlanke, feingliedrige indische Austauschschüler, überaus höflich und klug, Sohn eines Architekten. Willi war in dessen Familie zu Gast in der südindischen Millionenstadt Bangalore; das hier ist Angads Gegenbesuch. (Warum haben wir nicht eine Million von seiner Sorte eingeladen?)

Zeit für den Aufbruch. Während wir auf dem Balkon aufs Taxi warten, bleibt unten einer auf der Straße stehen, Handtuch um die Schulter, Jogging-Schuhe in der Hand, ein Kollege vom Institut für Evangelische Theologie. Er ruft hoch: „Wie geht‘s?“ – „Könnte nicht besser sein,“ ruft Patzelt nach unten, „keine Pflichten mehr, nur noch Rechte!“ Er lacht.

Das ist die Version eines bayerischen Lebenskünstlers! In Wahrheit gab es zu Anfang des Jahres einen Spießrutenlauf für Patzelt, einen weiteren, einen ideologischen. Die Senior-Professur mit der Chance auf Drittmittel für weitere Forschung, die ihm in Aussicht gestellt worden war, eine Routineregelung für zur Emeritierung anstehende Professoren – im letzten Moment war sie verweigert worden, und zwar aus offensichtlich politischen Gründen.

Hinterrücks taten sich da manche als Verleumder hervor. Ein Soziologie-Professor brachte es tatsächlich fertig, vor Kollegen zu bezweifeln, dass Patzelt überhaupt noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehe. Hexenjagden an den Universitäten!
Patzelt, der bayerische Lockenkopf, scheint das alles mit bajuwarischer Gelassenheit zu nehmen. Zum Abschied drückt er mir neben einem Buch über die Liturgie der frühchristlichen Agape-Feiern, dessen Mitverfasser er war, eines über die heutigen politisch-korrekten Einengungen des akademischen Betriebes in die Hand. Er hat dazu ein Kapitel über eigene Erfahrungen beigesteuert.

Ob ihm nicht manchmal der Gedanke kommt, dass er sich parteipolitisch an der falschen Front verkämpft?

„Nein“, sagt er und lächelt. „Ich bin mit mir völlig im Reinen“.

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