Wer Alternativlosigkeit sät, wird Alternative ernten

Wer Alternativlosigkeit sät, wird Alternative ernten

Wie es dazu kam, dass in Deutschland ein politisches Vakuum entstand, das nun die AfD besetzt hat

von Werner J. Patzelt

in: DER HAUPTSTADTBRIEF 136 vom 13. Mai 2016

Hochmut kommt vor dem Fall – und die Alternativlosigkeit vor der Alternative für Deutschland (AfD). Zwar ist es nichts Neues, dass eine These ihre Antithese hervorbringt, reiner Konservatismus also Revolten. Nur konnten sich viele nicht vorstellen, dass auch Linke und Grüne – schreitend Seit‘ an Seit‘ mit der sozialdemokratisierten Union – zu Verfechtern eines alternativlosen Status quo werden würden. Undenkbar früher auch, dass Studentenrevolutionären von vorgestern je allein die Affirmation des Bestehenden als akzeptabel erschiene, nicht aber mehr die Kritik seiner Reproduktion. Oder das Zerrreißen jenes Verblendungszusammenhangs, der wie eine Naturtatsache erscheinen lässt, was doch nichts anderes ist als eine soziokulturelle Konstruktion: die Notwendigkeit der Eurorettung, die Unvermeidlichkeit von selbstermächtigter Einwanderung nach Deutschland, das Aufgehen Deutschlands in der EU.

So wie einst die Eltern der „68er“ ratlos auf jene langhaarigen jungen Leute blickten, die das aus Ruinen auferstandene Deutschland durchaus nicht für der Weisheit letzten Schluss halten wollten, so irritiert sah nun – mitsamt ihren Klügsten – die Bundeskanzlerin auf jene Professoren, die den nachhaltigen Sinn ihrer Eurorettungspolitik bezweifelten. Und ratlos schauten Minister auf Dresdens kurzhaarige alte Männer, die ihre Heimat durch Zuwanderung und Kulturwandel bedroht sahen. Tatsächlich erregt sich Deutschlands Zivilgesellschaft nun kaum weniger über Aktive und Sympathisanten von Pegida und AfD als früher über Gammler, Ostermarschierer und die Außerparlamentarische Opposition.

Als dann unter dem Eindruck von Pegidas Echo die AfD ihr Geschäftsfeld erweiterte, also auch die Einwanderungs- und Integrationspolitik ins Portfolio nahm, da sah man die Lufthoheit über gesitteten Stammtischen in Gefahr, ja die kulturelle Hegemonie in Redaktionen und Parlamenten, also den Lohn des langen Marsches durch die Institutionen. Was tun mit diesem rechten Gelichter? Ausgrenzen natürlich. Nicht zu Gesprächsrunden einladen. In Talkshows provozieren und dann lächerlich machen. Ihnen das Schellenpaar von Nazismus und Rassismus umhängen. Keine Räume für Parteiversammlungen vermieten – aber dafür Wahlplakate zerstören. Auch mal ein Wahlkreisbüro von außen umgestalten – oder einem Mandatsträger sein Auto anzünden. Kurzum: den Aufstand der Anständigen praktizieren gegen diese unverschämte Partei. Die es doch wagt, das Gewordene nicht für umstandslos gut zu befinden. Die für starke Familien, Patriotismus und Volksabstimmungen eintritt oder gegen ungesteuerte Zuwanderung sowie öffentlich sichtbaren Islam. Völkischer geht’s nimmer. So etwas wollen nur üble Demagogen (es können auch mal Demagoginnen sein), oder wenigstens Witzfiguren.

Und was haben diese Reaktionen bis jetzt gebracht? Die AfD in noch mehr Parlamente. In Sachsen-Anhalt sogar als stärkste Oppositionspartei. Anscheinend hält sich der Wähler an Gregor Gysis weisen Rat: In der Wahlkabine kann man sein Kreuz machen, wo man will; da schaut niemand zu. Politische Korrektheit wird dort nicht durchgesetzt. Leider, denken sich da heute viele, und halten es vielleicht gar für an der Zeit, denen das Wahlrecht zu beschränken, die es für falsches Ankreuzen missbrauchen.

Was ist da eigentlich los in Deutschland? Erstens hat sich der öffentliche Diskurs – symbiotisch geführt von Journalisten, Politikern sowie zivilgesellschaftlichen Mahnern und Warnern – nach links verschoben im Vergleich zu dem, was an den Ess- und Stammtischen des Landes für normal gehalten wird. Der CDU zwang das jahrzehntelang einen Spagat auf zwischen der politischen Mitte, also dem rechtestmöglichen Ort für eine Partei, die als akzeptabel gilt, und jenem Narren- und Kriminellensaum, an dem jedes politische Integrieren aufhören muss. Zweitens wurde der CDU dieser Spagat vor einigen Jahren zu anstrengend. Sie wollte ganz und gar zu den Guten in der Mitte gehören, mochte sich von den moralisch besseren Linken nicht mehr als unfortschrittlich ausschimpfen lassen. Also zog sie sich vom schmuddeligen Integrationsgewerbe am rechten Rand zurück. Dort entstand herrenloses Gelände, besiedelt von Konservativen und wirklich Rechten, die niemand Vernünftiges mehr repräsentieren wollte.

Genau in diese „Repräsentationslücke“ drang – drittens – die AfD nach ihrer Einsicht, dass sie nicht als „bessere FDP“ hochkommen würde, sondern als eine Mischung aus „guter alter CDU“ und „bundesweiter CSU“. Nur eben unter neuem Namen, und mit Antworten nicht mehr zum Streit zwischen Marktwirtschaft und Kommunismus, zwischen Demokratie und Diktatur, sondern zur Auseinandersetzung zwischen denen, die weiterhin ein Deutschland mit deutscher Kultur wollen, und jenen, die in der Mitte Europas eine multiethnische Bevölkerung mit leidlichem Deutsch als Umgangssprache für ein Nonplusultra halten. Von deren Warte aus muss dann die AfD wie von vorgestern und als ganz reaktionär erscheinen.

Doch die Avantgarde von heute ist oft das Altmodische von morgen. In der Gegenwart aber stört Opposition. Vor allem, wenn man selbst einst Opposition war, es nun aber so herrlich weit gebracht, ja dieses Land nach eigenem Bilde umgestaltet hat. Dankbar also sollten diese Möchtegern-Alternativler sein! Immerhin ist man auch leidlich tolerant mit ihnen. Ob da nicht das Rollenmodell der restaurativen Elterngeneration unfröhliche Urständ’ feiert?

Das alles ist nicht wirklich gut für unser Land. Schlecht sind Allparteienkoalitionen, weil die sich mitsamt der Opposition auch vom Zwang zum Lernen befreien. Schlecht ist jene helldeutsche Arroganz, mit der man Dunkeldeutschlands Denken umstandslos als nazistisch und rassistisch ausgibt – und dabei ganz verantwortungslos den geschichtlichen Nationalsozialismus und Rassismus verharmlost. Schlecht ist der Siegeszug des Rechtspopulismus in unserem Land, das zum eigenen Vorteil bislang ohne ihn auskam, dem falsche Politik nun aber Tür und Tor geöffnet hat. Schlecht ist auch der Verlust an Regierungsstabilität, den im parlamentarischen Regierungssystem Viel-Fraktionen-Parlamente unweigerlich bewirken. Doch leider haben schon die falschen Reaktionen auf Pegida alle diese falschen Reaktionen auf die AfD vorgezeichnet. Falschen Diagnosen folgten falsche Therapien, und allzu viele haben analytisch und politisch zu wenig gekonnt.

Ist der AfD also gar nicht wirksam zu begegnen? Doch. Erstens muss – wie es gegen das Widerstreben der deutschen Regierung inzwischen geschah – die Einwanderung in die EU und nach Deutschland gedrosselt werden. Zweitens muss eine Integrationspolitik betrieben werden, die nicht auf eine multikulturelle Gesellschaft setzt, sondern auf die Integrationskraft der bundesdeutschen Rahmen- und Leitkultur. Drittens muss man eben auf Fehler der AfD warten: auf mangelnde Abgrenzung zu rechtsradikalen Dumpfbacken, auf skandalisierbare Forderungen wie Minarettverbote und dergleichen, auf unqualifiziertes Agieren der AfD-Landtagsfraktionen.

Es fragt sich nur, wie viele solche Fehler die Ex-CDUler in der AfD zulassen werden. Sind es wenige Fehler, so wird sich früher oder später der Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes in einer ähnlichen Situation wiederfinden wie Holger Börner 1985, als er im hessischen Landtag dem ersten grünen Minister Joschka Fischer, medienwirksam oppositionell in Turnschuhen erschienen, den Amtseid abnahm – nur dass diesmal niemand in Turnschuhen kommen wird, sondern jemand in Anzug oder Kostüm.

 

Bildquelle: https://www.uni-giessen.de/kultur/universum/Bilderfundus%20Home/68er/image

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