Politische Bildung in der globalisierten Welt

Politische Bildung in der globalisierten Welt

Werner J. Patzelt

Politische Bildung in der globalisierten Welt.
Sind Themen und Konzepte noch zeitgemäß?

 Vortrag auf dem XV. Theodor-Litt-Symposium an der Universität Leipzig, 23. Oktober 2008, veröffentlicht als: Politische Bildung in der globalisierten Welt. Sind Themen und Konzepte noch zeitgemäß?, in: Peter Gutjahr-Löser / Dieter Schultz / Heinz-Werner Wollersheim, Hrsg., Theodor-Litt-Jahrbuch 2009/4, Leipzig (Leipziger Universitätsverlag), S. 91-109

 

I. Aufriss der Problematik

Die politische Bildung ist neben der konkreten Politikberatung und der öffentlichen Kommentierung politischer Ereignisse gewiss der wichtigste Teil angewandter Politikwissenschaft. Darum wäre es schön, wenn gerade im Bereich der politikwissenschaftlichen Grundlagenforschung gut ausgewiesene Kollegen sich ebenfalls um politische Bildung kümmern würden – wie es für die Gründerväter der bundesdeutschen Politikwissenschaft doch ganz selbstverständlich war. So vor Augen geführt, erweist sich politische Bildung nämlich als etwas viel Umfassenderes denn der in Lehrplänen aufgelistete Stoff einschlägiger Schulfächer: Sie meint nachgerade alles politikwissenschaftliche Einwirken auf eine Gesellschaft und ihre politische Kultur. In dieser Rolle könnte man die politische Bildung fast den letztendlichen Zweck der Politikwissenschaft nennen.

Das gilt natürlich auch im Zeitalter der Globalisierung, das viele gesellschaftliche, politische, politikwissenschaftliche und politisch-bildnerische Debatten ausgelöst hat. In ihnen gibt es zwei einander ganz entgegengesetzte Gedankengänge zur Rolle und gegebenenfalls auch Weiterentwicklung politischer Bildung. Beide sind auf den ersten Blick plausibel, können aber gewiss nicht zugleich stimmen:

  • Nachdem die Globalisierung ein neues Phänomen ist und politische Bildung auf die Welt vorbereiten soll, wie sie jeweils ist, nicht aber, wie sie war, braucht die globalisierte Welt eine erneuerte, vielleicht gar eine neue politische Bildung. Vieles an den bisherigen Konzepten und Themen politischer Bildung wird nämlich nicht mehr zur jetzt bestehenden globalisierten Welt passen.
  • Die Globalisierung fügt der Welt, auf die vorzubereiten Aufgabe der politischen Bildung ist, zwar einiges Neue hinzu; sie verändert aber den Gegenstandsbereich der Sozialwissenschaften nicht gänzlich. Also wird es allenfalls um eine Erweiterung der Themen und gegebenenfalls auch Konzepte politischer Bildung gehen müssen, aber gewiss nicht darum, Bewährtes nun als einfach nicht mehr zeitgemäß fallen zu lassen und durch neu Entworfenes zu ersetzen.

Mir scheint, dass die richtige Antwort auf unserer Leitfrage zwischen den beiden Positionen liegt. Falls das zu versöhnlerisch, gar unentschieden erscheinen sollte: Ich glaube, dass die richtige Antwort viel näher an der zweiten als an der ersten These liegen wird. Viele bisherigen Konzepte und Themen der politischen Bildung sind nämlich weiterhin zeitgemäß, brauchen aber – oder allenfalls – einige Ergänzungen bzw. neuartige Einbettungen.[1] Im Übrigen halte ich wenig davon, das Faktum der Globalisierung einfach als Rückenwind für die Durchsetzung neuer Moden in der politischen Bildung zu nutzen. Das tat etwa Peter Fauser, als er beim Werben für den – doch schon in sich völlig plausiblen – Ansatz der ‚Demokratieerziehung‘ auch ausgiebig die Globalisierung bemühte.[2]

II. Von der Globalisierung gestellte Themen und Aufgaben politischer Bildung

1. ‚Lob der Globalisierung‘

Angesichts weit verbreiteter und vielfach eher emotionaler als rational begründeter Globalisierungsgegnerschaft besteht eine zentrale Herausforderung politischer Bildung gewiss in der Vermittlung der Tatsache, dass Globalisierung nichts an sich Schlechtes, sondern jetzt schon und auch perspektivisch etwas Gutes ist. Schließlich war das Hinarbeiten auf ‚eine Welt‘, die nicht länger in Blöcke gespalten, sondern voller Möglichkeiten des Austauschs und Miteinander ist, lange Zeit eine begeisternde und zielvorgebende Vision. Nun aber haben wir mehr denn je eine Welt mit praktizierbarem Kosmopolitismus, mit dem Abbau unnötiger Schranken und Grenzen, mit – in den letzten Jahren – immer offenerem Austausch von Menschen und Meinungen, von Gütern und von Dienstleistungen – und nicht zuletzt die westlichen Industriegesellschaften haben davon auch sehr profitiert. Das alles sind keine geringen, keine zu missachtenden und keine zu bekämpfenden Errungenschaften. Vielmehr ist die Globalisierung letztlich die Fortsetzung oder Erweiterung von an sich doch guten Prozessen des Zusammenwachsens wie der deutschen Einigung im 19. Jahrhundert und der europäischen Einigung im 20. Jahrhundert. Im Grunde und in langer Perspektive bietet die Globalisierung jedenfalls große Chancen auf friedlichen Interessenausgleich und auf eine gute Ordnung zwischen den Gesellschaften und Staaten der Erde.

Allerdings erzeugt die Globalisierung auch eine Fülle folgenreicher Begleitprobleme – zumal in ihrer jetzigen Phase, gekennzeichnet durch Ungleichzeitigkeiten im sich Globalisierenden, durch Spannungen zwischen globalisierten und nationalen Lebenszusammenhängen, durch unzulängliche demokratische Steuerungsmöglichkeiten von Globalisierungsprozessen, durch darum noch unbewältigte, mitunter wirklich schlimme Begleiteffekte der Globalisierung, sowie durch mangelnde Erfolgsgewissheit gerade der besonders wünschenswerten Entwicklungen im Rahmen der Globalisierung. Eben diese Begleitprobleme stehen im Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen und müssen wohl auch einen Großteil der auf die Globalisierung bezogenen politischen Bildungsanstrengungen auf sich ziehen. Also wird im Folgenden insbesondere von ihnen gehandelt. Dabei wird sich weisen, dass sie allesamt mit bewährten Konzepten politischer Bildung anzugehen und durchzuarbeiten sind. Zugleich wird sich aber zeigen, dass manche jener Konzepte sehr wohl ergänzt, neu akzentuiert oder in bislang wenig übliche Zusammenhänge gerückt werden müssen.

2. Die bedrohte Rolle des Staates

Das gilt schon einmal für ein bisheriges Zentralkonzept politischer Bildung: das des Staates.[3] Eine sich als Demokratieerziehung verstehende politische Bildung setzt es geradezu voraus, weil doch gerade der Staat – samt seinen territorialen Untergliederungen – überhaupt erst den Rahmen demokratischer Politik bietet. In gewisser Weise ist es denn auch die Sorge um die weitere Handlungsfähigkeit und Effektivität des von seinen Bürgern demokratisch kontrollierten Staates im Wirkungsgefüge globalisierter Volkswirtschaften und Gesellschaften, welche manchen überzeugten Demokraten geradezu intuitiv zum Globalisierungsskeptiker, zum Globalisierungskritiker oder gar zum Globalisierungsgegner macht. Tatsächlich ist weit mehr als nur ein Körnchen Wahrheit an solcher Intuition. Unter den Bedingungen der Globalisierung umfasst das internationale System ja noch viele andere Akteure als die Staaten, welche diesen nicht selten sogar weit an Macht überlegen sind. Mit staatlichen Gestaltungsmöglichkeiten konkurrieren nun nämlich, und zwar mit viel größeren Wirkungsmöglichkeiten denn je, multinationale Unternehmen, Kapitalfonds, transnationale Organisationen und jene internationale Führungsklasse, die an den Schalthebeln all dessen wirkt, hieraus große persönliche Gewinne zieht, nachgerade die ganze Erde zu ihrem Betätigungsfeld macht und wie eine neue internationale Adelsklasse wirkt. Diese ‚globalen Eliten‘ regieren nachgerade auch in solche Staaten hinein, deren Schicksal – nach ihren normativen Vorstellungen – doch nur demokratisch kontrollierten Regierungen anvertraut werden soll. Demokratischen Zugriff auf das Handeln solcher nichtstaatlicher globaler Akteure aber gibt es gerade nicht, zumindest noch nicht in der Gegenwart.

Herausforderung politischer Bildung ist es hier, diesen Strukturwandel internationaler Politik und transnationalen Austausches zunächst einmal verstehen zu lassen, und zwar möglichst bevor sich Empfindungen zur Akzeptabilität all dessen zu verfestigen beginnen. Man muss die gegenwärtige Stufe der Globalisierung ja nicht nur als Anfang vom Ende demokratischer Staatlichkeit verstehen, sondern kann sie auch begreifen als ein frühes, noch allzu ungeregeltes Stadium eines an sich ja wünschenswerten Prozesses, durch das wir einfach hindurch müssen wie ein jeder durch die Pubertät. Sieht man die Sache so, dann braucht es keine grundsätzliche Globalisierungsgegnerschaft, sondern vielmehr kritisch-wachen Sinn für die anstehenden Aufgaben, Hilfen für deren Bewältigung sowie – allem vorausliegend – plausible Ziele, auf deren Verwirklichung man hinarbeiten kann.

Um präzis in dieser Perspektive weiterzudenken und weiterzuhandeln, sind schon auch politische Ordnungskonzepte über das des Staates hinaus erforderlich. Dennoch verliert das Konzept des Staates nicht seinen großen Nutzen für die politische Bildung. Nach wie vor bleiben nämlich Staaten, und hier zumal die ohne Gefahr eines Scheiterns funktionierenden, die Grundbausteine des bestehenden Systems der internationalen Beziehungen. Eben sie sind es ja, die durch internationale Verträge, Regime und Organisationen die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Globalisierung geschaffen haben, sie wirksam erhalten oder eben verfallen lassen bzw. wieder zerstören. Das beginnt auf einer grundlegenden Schicht politischer Ordnungskonstitution mit der Gewährleistung der Sicherheit von Handels-, Nachschub- und Verkehrswegen (konkret: der gesicherten, nicht von Piraterie oder Terroranschlägen gestörten Verschiffung von Erdöl und von Containern), setzt sich fort in der Gewährleistung jener Nachrichtenverbindungen, ohne welche die global vernetzten Finanzmärkte nicht funktionieren können, und endet noch lange nicht mit der Bereitstellung von Rechtsnormen und Gerichten, die verlässliche Spielregeln globalen Austauschs schaffen und in Geltung halten. Also gilt es durch politische Bildung zu vermitteln, dass gerade globale Märkte moderner Art nur wegen sehr komplexer, politisch erzeugter und von machtvollen Staaten getragener Rahmenbedingungen bestehen können – und umgekehrt, dass auf internationalen Handel angewiesene Staaten wie der unsere eben solche globalen Märkte auch brauchen, wenn sie ihren gesellschaftlichen Reichtum und die von ihm eröffneten Chancen auf gesicherte Sozialstaatlichkeit aufrechterhalten wollen.

Obendrein werden dauerhafte Anliegen zwischenstaatlicher Politik und klassische Themen politischer Bildung wie das zwischenstaatliche Sicherheitsdilemma, oder wie Gleichgewichtspolitik und Rüstungskontrolle als dessen Lösungsmöglichkeiten, auch im Zeitalter der Globalisierung nicht obsolet. Das alles steht vielmehr – und zwar als gelingende Politik – im Hintergrund des Prozesses der Globalisierung. Käme es hingegen zum weitgehenden Versagen auf diesen klassischen Politikfeldern, dann würde Globalisierungsgegnern rasch der Gegenstand ihrer Gegnerschaft abhanden kommen – und vermutlich, ohne dass das wie die Befreiung von einem Alptraum wirkte, sondern eher wie dessen Beginn. Ferner ist gerade im Wechselspiel abnehmender innergesellschaftlicher Steuerungsfähigkeit von Staaten und zunehmender wirtschaftlicher Globalisierung eine der nun wirklich ganz klassischen Denkfiguren politischer Bildung von größter Aktualität: nämlich das marxistische Denken in den Begriffen von technisch-ökonomischer Basis und soziokulturell-institutionellem Überbau. Beider Dialektik wird ja gleichsam nur in neue Kleider gesteckt mit der Formel von der ‚Asymmetrie‘ zwischen Kapitalkräften und Politik. Allenfalls wird diese Dialektik, gekennzeichnet seit jeher durch ein Wirkungsübergewicht der technisch-ökonomischen Basis, nun wieder einmal neu entdeckt. Dann freilich wird zur Herausforderung politischen Bildung eher die Frage danach, warum man derlei solange hat verdunkeln lassen.

Auch ein anderes, letztlich altes ‚staatenkundliche‘ Thema politischer Bildung hat die Globalisierung aufs neue ins Helle gerückt, ohne dass allerdings die schulische und außerschulische politische Bildungsarbeit schon wirklich erfolgreiche Ansätze gefunden hätte, es zu vermitteln. Es handelt sich um die Tatsache, dass Staatlichkeit gerade nicht ein Normalfall politischer Ordnung ist, sondern dass Staaten Ausnahmeerscheinungen institutioneller Entwicklungsprozesse und als solche ein hohes Gut sind. Anders, als das die Lieblingsthemen einer sich als Demokratieerziehung verstehenden politischen Bildung vermuten lassen, besteht das allerwichtigste politische Anliegen nämlich nicht im – an sich höchst attraktiven und unterstützenwerten – Ziel, die Staatsgewalt zu mäßigen und zu demokratisieren, sondern darin, sie überhaupt erst einmal aufzurichten und zu stabilisieren. Erst wenn das gelungen ist, finden nämlich Projekte wie die Einführung von Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Pluralismus und Demokratie ihren ‚Sitz im Leben‘.

Am dramatischsten tritt das derzeit in Gestalt jener ‚scheiternden Staaten‘ zutage, in die von außen stabilisierend einzugreifen allen jenen als existentielle Notwendigkeit erscheint, welche etwa die Sicherheit auch Deutschlands am Hindukusch verteidigt sehen. In der Tat ist es genau die Globalisierung, und hier zumal die von der Globalisierung eröffnete Dauerchance terroristischer Machtprojektion, welche die in scheiternden Staaten entstehenden ‚Slums der Weltpolitik‘ auch für ganz anderswo gelegene und eigentlich ganz gut geordnete Weltteile relevant macht und jeden Gedanken daran verbietet, man könne sich – wie Faustens beschränkter Famulus – einfach in der Beobachterrolle daran ergötzen, „wie fern in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen“. Doch schon die – oben erörterte – Überlagerung staatlicher Eigensteuerungsfähigkeit durch die Wirkungszusammenhänge der Globalisierung ist Teil des hier zu erkennenden und durch politische Bildung zu vermittelnden Sachverhalts: Im Zeitalter der Globalisierung erodiert überhaupt die – ohnehin nicht selbstverständliche – Staatlichkeit, und zwar mit Erosionsfolgen selbst in ihrerseits noch kaum von solcher Erosion betroffenen Staaten. Dass hier wirklich die Globalisierung der Schlüsselfaktor staatlicher Entwicklungsprozesse ist, erkennt man unschwer daran, dass das Phänomen scheiternder Staaten sich so recht erst nach dem Ende des Ost/West-Konflikts ausbreitete: Seither entfällt nämlich die zuvor von den Hegemonialmächten UdSSR und USA geleistete Außenstabilisierung vieler schwacher Staaten durch Finanz-, Wirtschafts- und Militärunterstützung, während zugleich – in den entscheidenden Jahren durch den entschieden neoliberalen Kurs der Weltbank noch verstärkt – harter Druck des sich immer weiter globalisierenden Wirtschafts- und Finanzsystems so manche Staatsfassade ins Wanken oder zum Einsturz bringt.

Im Hintergrund all dessen stehen freilich noch grundlegendere Probleme mit deutlich sogar viel weiter reichenden Folgen. Sie gilt es, ebenso wie die beschriebenen Zusammenhänge, durch politische Bildung zu vermitteln. Faktisch ist moderne Staatlichkeit, und zumal in ihrer Ausprägung als demokratischer Verfassungsstaat, ja eine europäische, später auch US-amerikanische Errungenschaft sowie ein Exportartikel des europäisch-amerikanischen Kolonialismus und Imperialismus. Die westlichen Mächte schufen sich gleichsam eine Welt nach ihrem Bilde. Dieser aber fehlt nun, im Spätnachmittag globaler westlicher Dominanz, mehr und mehr ihre machtpolitische Grundlage. Dann aber braucht nicht zu wundern, dass Staatlichkeit westlicher Prägung überall dort verfällt, wo die Macht der transatlantischen Staatengemeinschaft eben an ihre Grenzen gelangt. Dies wiederum ist Folge nicht nur der in den letzten Jahren sichtbar gewordenen Überspannung der US-amerikanischen Kräfte und des Agierens der EU als einer bloß ‚sanften Macht’, sondern in ganz besonderer Weise auch Konsequenz des Machtaufstiegs Indiens und zumal Chinas. Beide profitieren von genau jener Globalisierung, welche die westlichen Staaten – offenkundig im Vertrauen auf ihre weiterhin bestehende Überlegenheit oder wenigstens Konkurrenzfähigkeit – ins Werk gesetzt haben.

Es setzen die Ordnungsstrukturen der nunmehr globalisierten Staatenwelt nun aber wirklich effektive Staaten voraus: Nur solche können sich innerstaatlich folgenreich an jene von ihnen eingegangenen internationalen Verpflichtungen halten, die insgesamt die Spielregeln unserer globalisierten Welt darstellen. Wo immer solche effektiven Staaten aber zu fehlen beginnen, während völkerrechtlich weiterhin von der Fiktion ihrer Existenz oder gar Autorität ausgegangen wird, entstehen notwendigerweise ziemlich rechtsfreie Räume. In sie kann von nichtstaatlichen transnationalen Akteuren in jenem großen Umfang hineinregiert werden, in dem es gelingt, die internen Machtstreitigkeiten innerhalb eines schwachen, gar zerfallenden Staates auszunutzen. Die Bildung einesteils von Protektoraten, andernteils von neuen Reichsstrukturen mit gleichsam staatenlosen Regionen als Basen eigener Vormacht sind die derzeit leicht zu beobachtenden Konsequenzen all dessen. Letztlich erleben wir hier als sowohl Folge wie auch als alles verschärfende Begleiterscheinung von Globalisierung die Erosion eben jener einst westlich geprägten Staatenwelt, auf deren Weiterbestand nun freilich jene Steuerungssysteme adaptiert sind, mit denen Staaten einen womöglich auch demokratisch kontrollierbaren Einfluss auf die Erscheinungsweisen und Wirkungen von Globalisierung ausüben könnten.

Das alles stellt schon auf der Faktenebene neuen Stoff für die politische Bildungsarbeit dar. Ohne zentrale Konzepte der vergleichenden Systemforschung wird er sich ebensowenig fassen und formen lassen, wie er ohne neue analytische Bündelungen und Vergleiche komplexer historischer Prozesse anschaulich gemacht werden kann. Sowohl hinsichtlich ihrer erforderlichen Interdisziplinarität als auch ihrer Didaktik entstehen hieraus sehr große, auch durchaus neue Herausforderungen für die politische Bildungsarbeit – und zwar solche, die im Rahmen derzeit modischer demokratiepädagogischer Ansätze gerade nicht bestanden werden können.

3. Aufklärung über die realen Ursachen von ‚Politikverdrossenheit‘

Gewöhnt an die Ausnahmezeit des langanhaltenden westlichen Wirtschaftsaufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, der – über reichlich sprudelnde Steuer- und Abgabequellen – auch den Staaten gewaltige Steuerungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bescherte, kultivierte man jahrzehntelang in den westlichen Gesellschaft eine Art ‚Verantwortungsimperialismus‘. Der wurzelt in der Vermutung, Politik könne im Grunde alle gesellschaftlichen Probleme lösen, wenn sie sich nur anstrenge oder ‚von den Richtigen‘ betrieben würde. Ergebnis war kein geringerer Anspruch als der, durch Politik denn auch wirklich alle nicht nur politisch-institutionellen, sondern obendrein gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Zumal bei der Ausgestaltung des Sozialstaats gelang hier ja wirklich vieles. Das aber nährte erst recht eine Art ‚Politikillusion‘: den Glauben nämlich, die Perfektionierung zunächst unserer eigenen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme, und alsbald auch – über sie hinaus – der Institutionen-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung möglichst vieler weiterer Staaten, sei eine durchaus lösbare Aufgabe ganz normaler Politik.

Ethisch ist gegen eine solche Sichtweise recht wenig einzuwenden, praktisch hingegen umso mehr. Getragen von der anscheinend endlos wachsenden Steuer- und Abgabenleistung westlicher Gesellschaften schienen nämlich viel mehr politische Wirkungsmöglichkeiten zu bestehen, als nun einmal nachhaltig gegeben waren. Eben auf die Nutzung solcher Wirkungsmöglichkeiten richteten sich aber die politischen Erwartungen der westlichen Gesellschaften sowie jene Maßstäbe, nach denen Öffentlichkeit, intellektuelle Eliten und politisierende Bürger die Attraktivität, Akzeptabilität oder gar Legitimität von Politik beurteilen. Je schlechter die reale Politik dann bei Anlegung solcher Maßstäbe abschneidet, um so plausibler erscheinen natürlich Grundsatzkritik am Tun und Denken der politischen Klasse sowie eigene, gar demonstrative, Politikabstinenz oder Politikferne. Politiker- und Politikverdrossenheit sind seit den frühen 1990er Jahren die gängigen und sogar recht gerne akzeptierten Kurzformeln für diese Folgen jener Zusammenhänge.

Zum letztlich für Politikverdrossenheit ursächlichen einstigen Verantwortungsimperialismus samt der mit ihm einhergehenden Politikillusion haben gewiss nicht nur der Zeitgeist im Allgemeinen sowie immer wieder die politische Wahlkampfrhetorik im Besonderen beigetragen. Das tat sehr wohl auch eine politische Bildung, die den normativen Gehalt von Politik eher als das – unterstellt erfolgreiche – Ringen um das Gute denn als einen – stets vom Scheitern bedrohten – Versuch einer Abwehr des Schlechten ausgab. Solche politische Bildung brachte sich von ihrem Leitbild her selbst in eine Sackgasse: Auf politische Partizipation als Ziel politischer Bildung auszugehen wirkt ja vor allem dann überzeugend, wenn sich dank politischer Partizipation wirklich etwas gestalten lässt; hingegen kann die bloße Verwaltung von Mangel schwerlich als individuell attraktiver politischer Lebensinhalt ausgegeben werden. Angesichts derartiger Aufgaben wären viel eher Kategorien wie ‚Dienst an der Gemeinschaft‘ oder ‚Pflicht im Rahmen eines größeren Ganzen‘ ins politisch-ethische Empfinden einzupflanzen. Doch von solchen Kategorien wollte eine politische Bildung eher wenig wissen, die – wirklich demokratischer Teilhabe willen – auf die Weckung persönlicher Interessen ausging sowie in deren Dienst gestellte Handlungskompetenz zu vermitteln suchte.

All diesen ganz selbstverständlich auf ergebnisorientierte Partizipation im nationalen Rahmen ausgehenden politischen Bildungsbemühungen kommt nun die Globalisierung mit großer Durchschlagskraft in die Quere. Sie zwingt zu akzeptieren, dass es die Eigenlogik des Wirtschaftlichen und Ökologischen nicht nur gibt und dass aus ihr – selbst für einen reichen, demokratischen Staat – nicht folgenlos ignorierbare Sachzwänge entstehen. Sie zwingt sogar die Einsicht auf, dass solche Sachzwänge gerade aus Verflechtungs- und Machtstrukturen jenseits des Nationalstaates erwachsen und insgesamt um so stärker werden, je mehr Lebensbereiche von der Globalisierung erfasst werden. Was von dorther entsteht, überlagert dann die staatlichen Gestaltungsmöglichkeiten, etwa im Bereich der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Steuerpolitik, kann aber seinerseits besonders schlecht vom einzelnen Staat her beeinflusst werden – während zugleich ein demokratisches Instrumentarium internationaler Mitsteuerung noch überhaupt nicht verfügbar ist.

Auf diese Weise verstärkt die Globalisierung die Politikverdrossenheit und erzeugt dort, wo es beim Kontakt mit Politik nicht zum Rückzug, sondern zur – an sich ja wünschenswerten – Politisierung kommt, eher eine über Schlagworte psychisch stabilisierte Globalisierungsgegnerschaft als den Wunsch, die hier erörterten Zusammenhänge sorgsam zu durchdenken und so gründlich zu verstehen, dass konstruktive Gestaltungsmöglichkeiten der Globalisierung erkennbar werden. Hier als Korrektiv – und nicht als Verstärker – des gerade im Habitus des Politisierens politikverdrossenen Zeitgeistes tätig zu werden, ist eine besonders schwierige Herausforderung politischer Bildung im Zeitalter der Globalisierung.

4. Möglichkeiten der Ausgestaltung globaler Steuerungsstrukturen

Im Zug der Globalisierung sind oberhalb der nationalstaatlichen Ebene und außerhalb von institutionalisierten Einwirkungsmöglichkeiten der Betroffenen wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Handlungsmöglichkeiten neuer transnationaler Elitegruppen entstanden. Muss man das nun einfach hinnehmen oder rundum bekämpfen? Oder ist es so, dass es oberhalb von nationalen bzw. – wie im Fall der EU – kontinentalen politischen Steuerungsstrukturen nun eben auch solche auf globaler Ebene aufzubauen gilt? Im letzteren Fall wäre der Prozess der politischen Strukturbildung – gleichsam ‚nur‘ – nach ‚oben‘ hin fortzusetzen, wofür historische Erfahrungen – etwa Deutschlands und Europas – mit der Schaffung politischer Steuerungsstrukturen auf jeweils höherer Systemebene inspirierend wirken könnten. Tatsächlich vermöchte man, als Ergebnis globaler politischer Strukturbildung, von einer neuen politischen Steuerungsebene her verlässlich Einfluss auf nicht nur – wie bislang – die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Globalisierung zu nehmen, sondern auch auf deren konkrete Prozesse globaler Finanz- und Realwirtschaft. Diese können ja bislang im Zuständigkeitsbereich von Einzelstaaten nur marginal beeinflusst werden, obschon sie oft genug gewaltige innerstaatliche Folgen zeitigen. In der Tat lassen sich vom institutionellen Überbau her der sozio-ökonomischen Basis stets folgenreich Rahmenbedingungen setzen, was etwa die realsozialistischen Staaten bis hin zur Strangulierung ihrer Volkswirtschaften vor Augen führten. Doch ein machtvoller Überbau muss dann eben auf einer angemessenen Wirkungsebene errichtet werden, und die ist im Fall der Globalisierung nun einmal nichts anderes als der Globus.

Entsprechende globale politische Steuerungsstrukturen existieren derzeit nur in Ansätzen oder Frühformen, etwa in Gestalt der Welthandelsorganisation, des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank oder internationaler Klima-, Rohstoff- oder Sicherheitsregime. Aber es gibt sie immerhin, und vielfach funktionieren in ihrem Aufgabenbereich auch sehr effektiv. Darum müssen sie eigentlich nur, im Verfahrensweg von Versuch, Irrtum, Bewährung und Weiterentwicklung des Bewährten, so ausgebaut und ausgedehnt werden, dass von ihnen her zu einer halbwegs konsistenten Gesamtpolitik gelangt werden kann – und nicht etwa die Weltbank mit ihren Kreditvergaberichtlinien dasjenige wieder einreißt, was zuvor durch multilaterale Entwicklungszusammenarbeit aufgebaut wurde. Obendrein müssten die rudimentär schon vorhandenen globalen politischen Steuerungsstrukturen so ausgebaut werden, dass nicht allein Regierungen in internationalen Institutionen zusammenwirken, sondern es dort auch wirksame Organe zur Repräsentation der globalen Gesellschaft und ihrer Interessengruppen gibt. Im innerstaatlichen Bereich waren es Ständeversammlungen und später Parlamente, aus denen sich machtvolle und legitimitätsstiftende Institutionen zur responsivitätssichernden Kommunikation zwischen politischen Eliten und Bevölkerung entwickelten. Ähnliches wäre fortan im supranationalen Bereich des aufzubauenden globalen politischen Systems herbeizuführen. Bislang gibt es zwar noch keine institutionalisierten gesellschaftlichen Einflussstrukturen auf globaler Ebene, wie wir sie innerstaatlich in Gestalt von – an machtvollen Parlamenten ansetzenden – Parteien und Interessengruppen längst vorfinden, um die sich dann wiederum solche Medienberichterstattung aufranken könnte, die ihrerseits zum Kontrollinstrument globaler politischer Entscheidungen würde. Das alles findet sich auf globaler Ebene offenbar nur in allerersten Ansätzen, etwa in Gestalt jener medienträchtigen ‚Gegengipfel‘ zu bereits institutionalisierten Entscheidungsstrukturen, in denen sich eine kleine, in ihren Themen und Aktionsformen hochgradig selektive Vorhut globaler Interessengruppen – wie Attac, Greenpeace, Amnesty International … – vorwiegend im Modus des Protestierens in die Steuerung des Globalisierungsprozesses einbringt. Noch hat derlei aber nicht den Status des Provokatorischen, Fallweisen oder Partiellen überwunden, ist noch kein wirklicher globaler Interessengruppenpluralismus mit wechselseitig akzeptierten Arenen und Regeln der Konfliktaustragung entstanden, natürlich auch noch kein nach politischen – d.h.: nach parteipolitischen – Gesichtspunkten zusammengesetztes und wirkendes Repräsentationsorgan der global vernetzten Gesellschaften, und ebenfalls fehlt es noch an einer globalen Öffentlichkeit, in der kohärente und nachhaltig folgenreiche Debatten über die globalen Gestaltungsaufgaben geführt werden könnten.

Gewiss ist es Aufgabe der Politik, nicht aber der politischen Bildung, auf ein Entstehen all dessen hinzuwirken. Doch politische Bildung kann der Politik dabei helfen: Sie kann politisch Interessierten jene fruchtbaren Möglichkeiten supranationaler politischer Systembildung vor Augen führen und auf diese Weise einen konstruktiven Mittelweg zwischen fatalistischer Globalisierungsakzeptanz und wütender Globalisierungsgegnerschaft weisen; und sie kann obendrein Diskussionsprozesse initiieren, in deren Verlauf aus ersten Ideen solchen Institutionendesigns auch schrittweise realisierbare Projekte entstünden. Derlei wäre zwar eine in der Tat neue Herausforderung für die politische Bildung. Doch wiederum könnte sie mit bewährten Konzepten weiterarbeiten: Seit langem schon hat sich die politische Bildung mit Föderalismus und Inter-Gouvernementalismus, mit internationalen Regimen und Parlamentarismus beschäftigt. Was dabei an systemkonstruktiven Einsichten gewonnen wurde, das könnte – angereichert mit politikwissenschaftlichen Ideen zum neuartigen ‚political engineering‘ auf globaler Ebene – in derartige Bildungsanstrengungen eingebracht werden. Freilich stellte das der politischen Bildung noch eine weitere Herausforderung. Nicht exemplarisch nämlich, sondern nur im Blick auf die Gesamtgestalt der Probleme und institutionellen Möglichkeiten lässt sich ja in solchen Zusammenhängen Tragfähiges erkennen; doch das eingebürgerte fachdidaktische Know-how begünstigt eher die Arbeit am interessierenden Detail, nicht aber die Vermittlung einer – notwendigerweise dann auch in gewisser Weise abstrakten – Gesamtschau. Auf diese Weise schürt politische Bildung bislang aber eher das Leiden an den anscheinend gar nicht mitzugestaltenden Prozessen der Globalisierung sowie Versuche, die Globalisierung selbst zurückzudrängen, und weckt allzu wenig die Neugier auf taugliche Lösungen eines zunächst einmal sogar als wünschenswert (!) akzeptierten Problems.

5. Aufklärung über die prärevolutionäre Situation der Weltgesellschaft und über angemessene Reaktionen auf sie

Gewiss ist die Ungerechtigkeit globaler Reichtums- und Chancenverteilung ebenso wie der Nord/Süd-Konflikt seit langem schon Gegenstand politischer Bildungsarbeit. Diese hat hier auch schon fruchtbare Beiträge für die Motivation problemlösenden Handelns erbracht. Gleichwohl scheint der wirkliche Ernst der Lage im größten Teil des Programmangebots politischer Bildung noch nicht angemessen vermittelt zu werden – mit der Folge, dass weithin noch Illusionen über einen sehr folgenreichen Teil der Globalisierung bestehen. Im Kern geht es hier darum, dass eben die Globalisierung eine Art ‚prärevolutionäre Lage‘ der Weltgesellschaft weiter verschärft und die Gesellschaften der reichen westlichen Staaten gleichsam in die Lage von französischen Aristokraten im Vorfeld der sich abzeichnenden Revolution geraten sind.

Eine gerade in der politischen Bildungsarbeit weit verbreitete ‚Standardtheorie‘ der Globalisierung lässt sich so zusammenfassen: An der Spitze der weltweiten Macht- und Reichtumspyramide stehen, nachgerade unverrückbar, die westlichen Staaten; die Globalisierung schadet zwar auch Teilen von deren Gesellschaften, vor allem aber den ‚Entwicklungsländern‘; und somit, obendrein aufgrund der moralischen Erblasten aus Kolonialismus und Imperialismus, tragen die westlichen Staaten des ‚Nordens‘ ganz besondere Verantwortung für die an der Globalisierung besonders leidenden Staaten des ‚Südens‘. Hieran ist zwar wenig falsch. Doch wichtige weitere Dinge werden von dieser Theorie durchaus ausgespart, was sie gleichsam nur halbwahr sein lässt.

Zur Globalisierung gehört nämlich auch: Sie löst jene ‚Verwestlichung‘ der Welt ab, als die allein man sich lange Zeit die ‚Modernisierung‘ von ‚Entwicklungsländern‘ vorstellte; mit ihr geht das Ende westlicher wirtschaftlicher, kultureller, auch militärischer Dominanz einher; und obendrein wird die Dynamik der weiteren Entwicklung von einer dramatischen Verquickung von demographischer Situation und gesellschaftlicher Wohlfahrt geprägt: Die Bevölkerungen der reichen Staaten sind alt und werden sowohl älter als auch weniger, die Bevölkerungen der armen Staaten sind hingegen jung und werden in vielen Fällen immer noch zahlreicher – wobei gerade ihren jungen Leuten sowohl die Ungerechtigkeit globaler Reichtums- und Chancenverteilung als auch die eigene faktische Übermacht immer klarer wird, zumal deshalb, weil doch Fernsehen und Internet die Diskrepanz zwischen ‚denen im Norden‘ und ‚uns im Süden‘ täglich recht schmerzhaft vor Augen führen.

Beiderlei Ungleichgewichte – einesteils das an Bevölkerungsalter und Bevölkerungszahl, andernteils jenes an Wohlstand und Lebenschancen – tendierten in der Geschichte noch immer zum Ausgleich – komme er als Ergebnis von Verhandlungen und Verträgen oder als Resultat von Revolutionen oder von Eroberungs- und Vernichtungskriegen. Also nicht ohne Grund richtet sich mit der Zunahme von in Lampedusa anlandenden oder Einlass nach Melilla und Ceuta begehrenden Afrikanern die historische Aufmerksamkeit auf die germanische Zuwanderung ins Römische Reich, auf dessen nur scheinbar paradoxe Lage zur Zeit der Völkerwanderung, dass nämlich oft Germanen im römischen Dienst den ins Land drängenden germanischen Völkern entgegenzutreten hatten, und auf das Ende dieser Entwicklung: auf den Niedergang (west-) römischer Vormacht, auf das vergehende Eingehen römischer Kultur in jene der das römische Reich beerbenden Germanenreiche, und auf die Entstehung einer im davon betroffenen Erdteil ganz neuen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung.

Gewiss wiederholt sich nicht ‚die Geschichte‘. Doch sehr wohl vergehen nicht alle Problemlagen mitsamt jenen Zeiten, in denen sie einmal schon bestanden. Dann lehrt freilich das auch Schicksal des Römischen Reiches im ‚globalen Umbruch‘ des 4.-7. Jahrhunderts mancherlei über die uns vermutlich in den kommenden Jahrzehnten gestellten Herausforderungen. Wir sehen doch viele ihrer Vorboten: den – noch recht sanften – Migrationsdruck an den Südgrenzen der EU und der USA; den gezielten Terrorismus, getragen von jungen Leuten und entzündet von kulturellen sowie machtpolitischen Differenzen zwischen der westlichen Zivilisation und – derzeit – der islamischen Welt; sowie das Verlangen nach ‚südlicher‘ Teilhabe an westlichem Reichtum in Klimakonferenzen (‚Warum sollen wir nicht dürfen, was der Westen einst tat?‘), in Handelskonferenzen (‚Fairer Anteil am Welthandel bei fairen Konditionen‘) und generell bei Debatten um die Ursachen, Erscheinungsformen, Überwindungsmöglichkeiten und Erblasten des Nord/Süd-Konflikts. Auch tun wir gut daran, die sich jetzt schon abzeichnenden Druck- bzw. Erpressungspotentiale ernstzunehmen, die man gewiss eines Tages gegen uns einsetzen wird: von der – auch angesichts des nordkoreanischen Beispiels – gewiss kommenden ‚islamischen Atombombe‘ über die jetzt schon sich ausbreitende, freilich noch gleichsam ‚private‘ Piraterie auf so manchen Meeren bis hin zur vermutlich zweckbezogen genutzten Störung weltweiter elektronischer Netze und Schifffahrsverbindungen durch Banden im verdeckten Staatsauftrag.

Das alles ist ein wichtiger Teil, eine maßgebliche Erscheinungsform und ein wirkungsvoller Beschleunigungsfaktor von Globalisierung. Ihm muss – will man es nicht auf terroristisch oder kriegerisch ausgetragene Verteilungskonflikte ankommen lassen – mit dem Hinarbeiten auf friedlichen Interessenausgleich zwischen ‚uns Reichen‘ und ‚den anderen‘ begegnet werden. Dem kann sehr wohl jener Einfluss dienen, den die politische Bildung bei der Vermittlung von Wissen über die beschriebenen Zusammenhänge sowie bei der Prägung von Gefühlen, Überzeugungen und Anspruchshaltungen der Betroffenen zu nehmen vermag. Sie wird aber gut daran tun, dabei nicht mehr von der oben umrissenen, eher paternalistischen ‚Standardtheorie‘ unserer Verantwortung im Zeitalter der Globalisierung auszugehen, sondern von deren Erweiterung durch die umrissenen, recht hart aufstoßenden Tatsachen.

Zu diesen gehört natürlich auch die abzusehende Verdichtung und Verschärfung des weltweiten Wettbewerbs um Ressourcen aller Art: von Energieträgern über Rohstoffe und Nahrungsmitteln bis hin zu Menschen, die sich in den Dienst eines Landes oder seiner Wirtschaft stellen lassen. Lange nahm sich dieser Wettbewerb zwar in Analysen recht beeindruckend aus, war aber nicht so recht im eigenen Alltag fühlbar und darum auch nicht gleichsam ‚intuitiv beglaubigt‘. Hier hat in den westlichen Staaten die starke Erhöhung von Energie- und Nahrungsmittelpreisen vieles verändert – und das, obwohl jene Preissteigerungen gar nicht allein auf eine erhöhte Nachfrage nach Energie und Nahrungsmitteln in einigen sowohl bevölkerungsstarken als auch wirtschaftlich immer bessere entwickelten ehemaligen ‚Entwicklungsländern‘ zurückgingen, sondern in erheblichem Umfang auch auf spekulatives Handeln auf den Märkten. Die jetzt schon große Hebelwirkung solcher Spekulation wird mit zunehmendem Vorauseilen der Nachfrage gegenüber dem Angebot natürlich noch folgenreicher werden.

In diesem Zusammenhang ist die – lange schon auch von der politischen Bildung vorgetragene – Forderung nach einer Veränderung unserer westlichen Lebensweisen, nach einer Verringerung unseres ‚ökologischen Fußabdrucks‘ und nach einem Übergang zum ‚einfachen Leben‘ von einem eher akademischen Thema zu einem durchaus praktischen Anliegen geworden. ‚Alternative‘ Lebensweisen müssen nun nicht länger durch Überzeugungs- und Bildungsversuche erst einmal als wünschenswert vermittelt werden, sondern drängen sich gleichsam von selbst mit wirtschaftlicher Wucht bereits dem ökonomischen Eigeninteresse als sinnvoll auf. Allerdings wird dergleichen trotz aller seit langem modischen Kritik am ‚Konsumterror‘ und am ‚Verblendungscharakter’ unserer Warenwelt nicht wie eine ‚Befreiung zum Eigentlichen‘ empfunden, sondern eher als Deprivation, Abstieg oder gar Verarmung.

Das gilt erst recht für jenen Bereich, mit dem die Globalisierung im populären Diskurs am engsten verkoppelt wird: nämlich mit dem Rückbau des Sozialstaates. Dass sich ein hoher Lebensstandard zu erschwinglichen Kosten für jedermann realisieren ließe, galt – unter dem Eindruck des jahrzehntelangen Wirtschaftsaufschwungs und Technikfortschritts nach dem Zweiten Weltkrieg – als blanke Selbstverständlichkeit. Als nicht minder selbstverständlich wurde erachtet, dass der – zumindest ‚westliche‘ – Staat in jedem Fall ausreichende Ressourcen besitze, um soziale Sicherheit und sozialen Ausgleich all jenen zu gewährleisten, die Schwierigkeiten mit Früchten eigener Arbeit hätten. Allerdings müsse der Staat schon ‚von den Richtigen regiert‘ werden, die solche Ressourcen nicht den Reichen überließen, sondern zur Gesellschaft hin umverteilten. Doch sehr im Hintergrund der Aufmerksamkeit blieb, dass genau die Grundlagen solcher ‚Selbstverständlichkeiten‘ eben auch auf Kosten anderer Länder und Gesellschaften geschaffen wurden: In ihnen gab es routinemäßig besiegbare wirtschaftliche Konkurrenten, aus ihnen allzeit billige Importe von Massenwaren. In ihrer ersten Phase hat die Globalisierung genau deshalb vielfach zugunsten reicher westlicher Staaten gewirkt, was natürlich mannigfache Illusionen darüber nährte, in eine wie bedrohte Lage die Globalisierung auch einem anpassungs- und reformunwilligen Westen bringen könnte. Seit einigen Jahren ist nun freilich bekannt, dass Globalisierung und sozial- wie wirtschaftspolitischer Reformdruck zwei Seiten derselben Medaille sind. Soll sich in dieser Lage nicht sozial- und wirtschaftspolitischer Konservatismus mit Globalisierungsgegnerschaft verbinden, so ist gerade auch die politische Bildung gefordert, Licht in diese Zusammenhänge sowie Klarheit über eine wünschenswerte Ausgestaltung des Globalisierungsprozesses zu bringen.

6. Werben für aufgeklärten Patriotismus – gerade in Zeiten akzeptierter Globalisierung!

Werben für Patriotismus war jahrzehntelang gerade kein Thema der politischen Bildungsarbeit in Deutschland. Eher befasste man sich mit dessen kritischer Hinterfragung und legte viel lieber dar, auf eine wie schiefe Ebene sich unser Volk schon einmal mit seinem – zwischen Befreiungskriegen und nationalsozialistischer Diktatur ganz selbstverständlichem – Patriotismus begeben habe. Auch leuchtet es nicht gleich auf den ersten Blick ein, weshalb gerade das Zeitalter der Globalisierung Anlass für eine (Re-) Kultivierung von Patriotismus geben sollte.[4]

Doch schon auf den zweiten Blick wird das klar. Patriotismus meint den Wunsch, dem Heimatland möge es gut gehen, verbunden mit der Bereitschaft, dazu auch Eigenes beizutragen. Das ist gerade unter dem Druck der Globalisierung eine höchst plausible Haltung, bedroht diese doch stark auch solche Dinge, die einem recht wertvoll sein mögen. Noch deutlicher aber macht den Wert von Patriotismus angesichts der Globalisierung ein zweiter Gedanke. Wenn zu dieser – wie gezeigt – die Doppelwirkung von immer schärferen Verteilungskonflikten in den westlichen Staaten sowie das absehbaren Ende der wohlstandsbewirkenden westlichen Vormachtstellung in der Welt gehört: Was befähigt dann wohl unsere westlichen Staaten, die auf sie zukommenden Konflikte – von den Spannungen im Sozialstaat bis zur (obendrein wirtschaftlich nötigen!) Integration von Zuwanderern in ohnehin auseinanderdriftende Gesellschaften – solidarisch zu durchstehen und die mit den dabei auftretenden Schwierigkeiten gewiss einhergehenden Legitimationsprobleme zu bewältigen? Vermutlich gerade Patriotismus im gerade definierten Sinn!

Doch auf welche territoriale Einheit sollte sich Patriotismus im Zeitalter der Globalisierung beziehen? Die deutsche Vision bestand lange darin, man könne die als so belastend empfundene deutsche Nationalität doch wieder loswerden: einesteils werde Deutschland in einem vereinigten Europa aufgehen – und andernteils werde reiner Verfassungspatriotismus eine multikulturelle und eben nicht mehr unangenehmerweise ‚deutsche‘ Gesellschaft in höchst moderner, nämlich postnationaler Weise integrieren. Solches Denken wurde auch mittels politischer Bildung lange Zeit gefördert, insbesondere in Form einer systematischen Nationalismuskritik, die mit dem – niemals akzeptablen – Überborden von Nationalismus in Chauvinismus und Rassismus auch den höchst schätzenswerten patriotischen Kern nationalen Empfindens zu beseitigen versuchte.

Es zeigte sich nun aber, dass ‚postnationaler Patriotismus‘ allenfalls deutscher Sonderweg sein mag, nicht aber etwas, das sich auch andere große Staaten der Erde zu eigen machen werden. Obendrein ist sogar in Deutschland, zumal nach dem Ende jener Teilung des Landes, deren Schmerz man durch Verzicht auf nationales Empfinden zu lindern versuchte, ein auf die Nation bezogener Patriotismus wieder zu einem guten Gewissens empfundenen, gefahrlos bekundeten und auch nicht länger als politisch unkorrekt gebrandmarkten Gefühl geworden. Obendrein erwies die Wirklichkeit der Globalisierung, dass gerade in solchen Zeiten eben doch der (National‑)Staat der einzige halbwegs verlässliche Schutzschild gegen die Fährnisse von Globalisierung und das einzige zielführende Mittel zur Schaffung jener supranationalen Steuerungsstrukturen ist, die es zur politischen Mitgestaltung der ins Werk gesetzten Globalisierung nun einmal braucht.

Entsprechender Patriotismus, der ein Binde- und Integrationsmittel auch unseres, unter den Druck der Globalisierung geratenen Landes sein kann, wächst aber gerade in Deutschland nicht einfach von selbst, und er wächst schon gar nicht von selbst in jenen kultivierten, aufgeklärten Typ von Patriotismus hinein, den wir uns als einzige Erscheinungsweise von Patriotismus wünschen sollten. Also ergibt sich gerade für die politische Bildung die Aufgabe, zwar nicht nur, sehr wohl aber auch der Globalisierung wegen an der Schaffung und Verbreitung eines solchen kultivierten Patriotismus mitzuwirken.

Doch was wären seine – durch politische Bildung zu vermittelnden – Inhalte? Erstens muss er ein auf die freiheitliche demokratische Grundordnung bezogener Verfassungspatriotismus sein: eine offen bekundete und allem politischen Handeln zugrunde gelegte Zuneigung zu jener politischen Ordnungsform, die Deutschland unter allen Staatsformen, mit denen es unser Land je versucht hat, nun wirklich am besten bekommen ist. Zweitens äußert sich deutscher Patriotismus im politischen Handeln und Sprechen aus einem Gesamtverständnis der deutschen Geschichte und Kultur heraus. Also ist es Zeit, wieder jenes Ganze in den Blick zu nehmen: das sächsisch-salisch-staufische Deutschland ebenso wie das auf eine friedliche Streitbeilegung ausgerichtete System des nachwestfälischen Reiches, den Kosmopolitismus der deutschen Klassik nicht minder als die Leistungskraft deutscher Wissenschaft und Technik. Und dann natürlich auch die Katastrophe der nationalsozialistischen Diktatur – und desgleichen, was in Deutschland nach Abkehr von der Verführungskraft des Totalitären eben auch wieder an Gutem gewachsen ist.

Drittens gehört zum Patriotismus der Deutschen die Verbundenheit mit ihrer jeweiligen Heimatregion, die innere Bindung an deren Mundart, Landschaft und Bräuche. Unter den Zuwanderern wird das auf lange Zeit die innere Bindung an ihre Herkunftsländer einschließen. Viertens gehört zu deutschem Patriotismus eine nicht nur tatkräftig ins Werk gesetzte, sondern immer wieder auch in ganz selbstverständlicher Weise bekundete Zuneigung zum eigenen Land und zu dessen Leuten. Dem gesellschaftlichen Zusammenhalt wäre in der Tat viel geholfen, würde Vaterlandsliebe dieser Art nicht nur empfunden, sondern auch immer wieder zum Ausdruck gebracht. Besonders wichtig ist das in Zeiten, da längst nicht alle Probleme gesellschaftlichen Zusammenhalts und sozialer Gerechtigkeit gelöst oder wenigstens im Griff sind – und somit im Normalfall und zumal unter den Bedingungen der Globalisierung.

Warum also sollte solcher Patriotismus nicht auch in Zeiten der Globalisierung passen? Womöglich ist zwar die freiheitliche demokratische Grundordnung, auf die sich unser Verfassungspatriotismus bezieht, nicht wirklich universalisierbar, jedenfalls nicht unter allen denkbaren Umständen. Doch mindert das ihren Wert als normative Vision von einer guten politischen Ordnung auf der ganzen Erde? Und bringen die deutsche Kultur und Geschichte nicht ins globale Konzert der Völkerschaften und Kulturen ganz eigene, wertvolle Klänge ein, für deren weiteres Erklingen es schon lohnen mag, gerne ein Deutscher und ein Träger deutscher Kultur zu sein? Und warum sollte Heimatliebe sich nicht mit Globalisierung vertragen? Wünschen wir uns denn nicht immer gerade dann besonders stark eine patriotische Gesinnung, wenn deutsche Wirtschaftsführer sich hart an Lohnstückkosten und an der Kapitalrendite orientieren, nicht aber daran, wie sehr ihre unternehmerischen Entscheidungen so manchem deutschen Landstrich schaden? Und wieso sollte freiweg bekundete Zuneigung zu unserem Land und seiner Kultur andere an sich schon verletzen und ausgrenzen? Kann es denn nicht auch innerhalb einer Gesellschaft und zwischen Staaten solche einenden Gemeinsamkeiten geben, zu denen man andere einfach deshalb einlädt, weil man sie selbst als so gut und schön empfindet, dass man sie gerne teilen möchte? Vermutlich fassen aber noch allzu viele Bürger und politische Bildner Multikulturalität vor allem als eine Bereicherung des eigenen Landes auf, nicht aber auch als ein solches Reichermachen von Zuwanderern oder von anderen Nationen, das sich eben durch Teilen und Mitteilen unserer eigenen Kultur vollzieht. Wahrscheinlich sind es auch vor allem sie, denen Patriotismus und Globalisierung nicht recht zusammenzupassen scheinen.

III. Was kann an bisherigen Themen und Konzepten politischer Bildung gleich bleiben, was sollte sich ändern?

Sehr wohl hält die Globalisierung politische Bildner dazu an, sich neuen Themen zu widmen und auch Wohlvertrautes in veränderten Zusammenhängen zu bedenken. Von alledem wurde oben gehandelt. Doch was bleibt sinnvollerweise gleich? Gemäß meiner Ausgangsthese sollte das recht viel sein. So ist es auch, wie die folgende Übersicht zeigt. Ihr findet sich gleichsam ‚hinter die Klammer gezogen‘, was die neu aufzugreifenden Themen und Zusammenhänge verbindet.[5]

Zunächst sind das die zentralen Einsichten politischer Systemlehre: die Funktionslogik und der Wert von politischen Systemerfindungen wie Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, wie Repräsentation und Demokratie, wie Pluralismus und Opposition. Hinzu kommt die Vermittlung von Kenntnissen über das Zusammenwirken der mannigfaltigen Bestandteile politischer Systeme sowie über zentrale institutionelle Mechanismen, die sich in politischen Systemen implementieren lassen und dann zu deutlich geringen Transaktionskosten gelingender Politik führen: etwa der Wiederwahlmechanismus, der das Demokratieprinzip sichert, oder der Verantwortlichkeitsmechanismus, der wirksame ‚Kontrollschleifen‘ schafft. Einen Neuansatz braucht es freilich bei der Beschäftigung mit scheiternden Staaten sowie bei der Vermittlung des Wertes von politischer Ordnung und Stabilität bereits als solcher, also weit im Vorfeld jener demokratischen Verfassungsstaatlichkeit, um die unsere politischen Bildungsanstrengungen normativ zu kreisen pflegen.

Mehr noch als in der Vergangenheit, aber ganz in Fortführung schon vorhandener Ansätze, gilt es ferner, Wirtschaftswissen zu vermitteln: Wie lassen sich leistungsfähige Wirtschaftssysteme überhaupt aufbauen? Wie funktionieren sie, und unter welchen Rahmenbedingungen? Was bedroht sie? – In diesem Zusammenhang wäre dann auch die oben angesprochene Dialektik von sozioökonomischer Basis und politisch-institutionellem Überbau zu behandeln und ließe sich der Marxismus, welcher in Gestalt des ‚Kommunistischen Manifests‘ doch die erste Theorie der Globalisierung formulierte, in des Wortes dreifacher Bedeutung ‚aufheben‘: elevare – auf ein höhere Kenntnis- und Reflexionsniveau heben; tollere – an ihm das nur Zeitspezifische oder gar Übertriebene aussondern; und conservare – die bleibenden Einsichten (und es gibt sie!) an die jeweils nächste Generation weitergeben.

Ferner sind Lehren aus der Geschichte zu ziehen bzw. zu vermitteln, und zwar aus der deutschen Geschichte ebenso wie aus der internationalen. Zu solchen Lehren gehört im Zeitalter der Globalisierung einesteils, was aus gelungenen Einigungsprozessen wie dem US-amerikanischen, dem deutschen oder dem europäischen über den Wert überwölbender Steuerungsstrukturen zu lernen ist. Andernteils sind sowohl aus der Spätzeit des (west-) römischen Reiches als auch des französischen Ancien régime mannigfaltige Lehren zu ziehen – vor allem die: Die Spannungen von Verteilungskonflikten und kulturellen Niveauunterschieden entladen sich revolutionär oder durch erzwungene Immigration, falls sie nicht über Reformen, auf faire Weise sowie durch mit beidem einhergehenden sicherheitspolitischen Maßnahmen gestalterisch ausgeglichen werden.

Nach wie vor, und gerade in Zeiten relativierender Globalisierung, gilt es außerdem Wissen um politische Werte und um deren plausible Begründungen zu vermitteln – etwa: Warum sind Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und Sozialstaatlichkeit überhaupt und somit auch weiterhin wichtige politische Werte, und zwar selbst dann, wenn wir praktisch Abstriche vom Universalitätsanspruch der westlichen politischen Kultur zu machen bereit sind?

Weiterhin sind von politischer Bildung natürlich auch persönliche Kompetenzen zu vermitteln. An erster Stelle steht hier die Wertschätzung von, und die Fähigkeit zur, Rationalität bei der Auseinandersetzung mit Politik – und zwar gerade bei Debatten um die Vorzüge und Begleitprobleme der Globalisierung. Politische Bildung darf sich nämlich nicht damit abfinden, dass – wie bislang so oft – die rein emotionale Bekundung von ‚Globalisierungsgegnerschaft‘ nachgeschobenen Argumenten gleichsam die Autorität ‚heißer Herzen‘ verleihen kann. Weil nun freilich Globalisierungsgegner sich nicht selten das Recht nehmen, mitsamt der Globalisierung auch noch jene liberalen und kapitalistischen Staaten zu bekämpfen, welche die Globalisierung faktisch herbeigeführt haben und weiter in Kraft halten wollen, geht die Vermittlung von Rationalität als Ziel politischer Bildung hier über in die Weiterführung des traditionellen Kampfs freiheitlicher politischer Bildung gegen jegliche Form von Extremismus. Zweitens, und von nicht minderer Bedeutung, geht es politischer Bildung weiterhin um die Vermittlung von politischer Partizipationsbereitschaft und von Handlungskompetenz. Beides wird allerdings für die meisten Bürger lange Zeit noch auf den nationalstaatlichen Ordnungsrahmen beschränkt sein. Herankommen müsste man mit Anstrengungen politischer Bildung vor allem freilich an jene internationalen Eliten, die das globalisierte Wirtschafts- und Kultursystem betreiben bzw. dessen rudimentären politischen Steuerungsstrukturen weiterentwickeln sollten. Vor dieser Herausforderung wird die politische Bildung aber wohl ebenso versagen wie weiland Platon bei der politischen Bildung des Tyrannen von Syrakus.

 

 

[1] An aktueller Literatur zu unserer Thematik siehe etwa Gerd Steffens, Politische und ökonomische Bildung in Zeiten der Globalisierung. Eine kritische Einführung, Münster 2007 und Christoph Butterwegge / Gudrun Hentges, Hrsg., Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002.

[2] Vgl. hierzu Werner J. Patzelt, Demokratieerziehung oder politische Bildung? Eine Auseinandersetzung mit Peter Fauser, in: Kursiv. Journal für politische Bildung, Heft 4/2005, S. 66-76.

[3] Als Erläuterung aller im Folgenden verwendeten politikwissenschaftlichen Begriffe sowie als ‚Landkarte‘ ihres Zusammenhangs siehe Werner J. Patzelt, Einführung in die Politikwissenschaft. Grundriss des Faches und studiumbeglei­tende Orientierung, 6., erneut überarbeitete Aufl. Passau 2007.

[4] Die nachstehende Argumentation findet sich ausführlich entwickelt in Werner J. Patzelt, Patriotismus in Zeiten der Globalisierung, in: Bernhard Vogel, Hrsg.: Was eint uns? Verständigung der Gesellschaft über gemeinsame Grundlagen, Freiburg u.a. (Herder) 2008, S. 140-157, weswegen nachstehend eine knappe Skizze genügen mag.

[5] Siehe hierzu Werner J. Patzelt, Ein Bildungskanon für die politische Systemlehre, in: Georg Weißeno, Hrsg.: Politikkompetenz. Was Unterricht zu leisten hat, Bonn (Bundeszentrale für politische Bildung) 2008, S. 108-121.

 

Bildquelle: https://modernekommunikation.files.wordpress.com/2012/05/facebook-verbindungen.png

 

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