Die „Methode Jennerjahn“ und die „Methode Patzelt“

Die „Methode Jennerjahn“ und die „Methode Patzelt“

 

Anmerkungen zu einem Patzelt-Philologen

 

Miro Jennerjahn – geboren 1979, Diplom-Politologe, Mitglied der Grünen seit 2007 und sächsischer Landtagsabgeordneter zwischen 2009 und 2014 – widmet sich hobbymäßig der Patzelt-Philologie. Unlängst versuchte er, die „Methode Patzelt“ zu ergründen (http://www.miro-jennerjahn.eu/480/die-methode-patzelt-anmerkungen-zu-patzelts-auseinandersetzung-mit-pegida/). Im Januar schon hatte er als Patzelts Spezialität die „faktenfreie PEGIDA-Deutung“ ausfindig gemacht (http://www.miro-jennerjahn.eu/377/ist-los-mit-der-saechsischen-politikwissenschaft/). Mit beiden Texten entzückte er eine Art „Anti-Patzelt-Fanclub“ – und zwar so sehr, dass dem Gegenstand solcher Studien eine Replik nachgerade abgerungen wurde. Mehrfach wurde Jennerjahns „Methoden-Text“ an Patzelts offizielle Facebook-Seite gepostet, und am 1. Juni erging – aus Jennerjahns Schlusspassage zitierend – dann auch eine direkte Aufforderung unter dem Namen Alechandro Pastinakis: „Was sagen Sie dazu Herr Patzelt, interessante Punkte wie ich finde: …“ Nun, wie enden Friedrich Schillers „Räuber“? – „Dem Manne kann geholfen werden!“

 

I. Ein wenig Kontext zu Jennerjahns Patzelt-Philologie

Patzelt-Philologe Miro Jennerjahn verkündete im Januar seinen ersten intellektuellen Durchbruch. Er glaubte nämlich, ausgerechnet jenem Politikwissenschaftler eine „faktenfreie PEGIDA-Deutung“ nachweisen zu können, der Studierende eines Methodenseminars zur „Fallstudienmethode“ so ziemlich von Anfang an die Dresdner PEGIDA-Demonstrationen hatte beobachten lassen, und der sich zwischen Anfang Dezember und Ende Januar von allen PEGIDA-Demonstrationen auch durch persönliche Präsenz ein Bild verschafft hatte. Teilnehmende Beobachtung, explorative Interviews, viele Gespräche mit Pegidianern ergänzten in diesem Methodenseminar das, was in den Medien über PEGIDA berichtet wurde sowie sich in Internetbeiträgen von PEGIDA-Anhängern sowie PEGIDA-Gegnern zeigte. Einen breiteren Erfahrungs- und Kenntnisfundus hatte schon Ende Dezember kein anderer Beobachter von PEGIDA und kein anderer Kommentator über PEGIDA.

Deshalb wusste Patzelt – ganz anders, als so mancher Ferndiagnostiker – eben auch wirklich, wovon er redete, wenn er öffentlich über PEGIDA sprach. Er war also nicht darauf angewiesen, mangels eigener Kenntnisse einfach ins allgemeine Gerede einzustimmen. Zum Verdruss anderer blieben seine Einschätzungen auch nicht ohne weites öffentliches Echo. Sie hatten ja auch den Vorzug, mit den in Dresden beobachtbaren Tatsachen übereinzustimmen. Und als besonderen Nachrichtenwert wiesen sie auf, dass Patzelts Aussagen sich von denen anderer Kommentatoren doch sehr unterschieden.

Die im Januar durchgeführten empirischen Studien seiner Kollegen Hans Vorländer, Dieter Rucht und Franz Walter bestätigten dann ja auch Patzelts schon vorher von Journalisten wochenlang verbreitete Beobachtungen. Ebenso taten dies eine Buchpublikation zu PEGIDA von Franz Walter sowie eine Analyse des Soziologen Hartmut Rosa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. April. Und es ist wenig erstaunlich, dass zu alledem auch jene empirischen Befunde passen, die sich in zwei von Patzelt selbst durchgeführten empirischen Studien zu den Dresdner PEGIDA-Demonstranten im Januar bzw. April/Mai zeigten (http://www.docdroid.net/qsmf/analyse-pegida-januar-2015-fertig-2.pdf.html; http://www.docdroid.net/1123f/patzelt-pegida-studie-mai-2015-forschungsbericht.pdf.html).

Über die Merkmale von Untersuchungen wie der letzteren schrieb Meister Jennerjahn denn auch Rühmendes:

„Glücklicherweise gibt es mittlerweile noch eine … Studie zu den Teilnehmern der PEGIDA-Demonstrationen und deren Einstellungen. … [Zweifellos] sind die vom Forscherteam um Prof. Patzelt vorgestellten Ergebnisse verwertbar. Das liegt in erster Linie daran, dass dieses Team bei der Präsentation auf mediale Effekthascherei verzichtet hat und vor allem ein Höchstmaß an Transparenz über das methodische Vorgehen hergestellt hat. … Während Prof. XY neben der PM [= Pressemitteilung] lediglich seine Präsentation online stellt, die er während der Pressekonferenz benutzt hat, ist Prof. Patzelt um maximale Transparenz bemüht. Neben der Pressemitteilung stellt er … die PowerPoint-Präsentation zur Pressekonferenz, genauso wie den Fragebogen … sowie einen … Mittschnitt der Pressekonferenz [zur Verfügung]. … Während also Prof. XY lediglich die Ergebnisse verkündet, legt Prof. Patzelt auch offen, mit welchem konkreten Instrumentarium die Ergebnisse ermittelt wurden. Für die Überprüfbarkeit und Bewertung der der Ergebnisse ist das ungeheuer wichtig und an und für sich ist dieses Vorgehen von ernsthaft betriebener Politikwissenschaft auch zu erwarten.

Spannend ist an dem Vorgehen des Teams um Prof. Patzelt vor allem auch, dass weitergehende politische Einstellungen erfasst wurden, um bspw. Aussagen über chauvinistische, ausländerfeindliche oder islamfeindliche Einstellungen unter PEGIDA-Demonstranten treffen zu können. … Das ist insofern relevant, weil dadurch ein Abgleich der Ergebnisse der unter den befragten PEGIDA-Demonstranten mit den Befragungsergebnissen [u.a.] der Mitte-Studien möglich wird. … Erwähnenswert ist auch das durch das Forscherteam um Prof. Patzelt ermittelte Wahlverhalten der befragten PEGIDA-Demonstranten.“

Recht hat Jennerjahn mit alledem. Zwar wurde im vorstehenden Textauszug der Name „Prof. Patzelt“ überall dort vom Verfasser dieser Replik eingesetzt, wo ursprünglich „Prof. Rucht“ gestanden hatte. Mit dieser kleinen Änderung trifft der Text aber bestens zentrale Merkmale der im Mai vorgelegte Studie zu den Dresdner PEGIDA-Demonstranten eines Forschungsteams am Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich der TU Dresden. Der Patzelt-Philologe Jennerjahn hat also eigentlich die Voraussetzungen dafür, die „Methode Patzelt“ zu verstehen. Doch will er das auch?

Offenbar passt, aus welchen Gründen auch immer, nicht ins Welt- und Patzelt-Bild dieses grünen Diplom-Politologen, was tatsächlich in jener Studie steht, deren Präsentation und Ansatz er so zutreffend lobt. Wie so mancher Philologe, der in den von ihm untersuchten Texten leider das nicht finden kann, wonach er sucht, investiert er deshalb heftig in Interpretationskünste. Die können in der Tat weit führen. Immerhin bewies man einst auch den rundum demokratischen Charakter der Deutschen Demokratischen Republik durch Verweis auf das dem SED-Staat beigelegte staatstypologische Eigenschaftswort und fand – freilich eher auf Seiten von Linken und Grünen – dafür auch Glauben. Warum sollten liebenswerte Menschen, die eben gerne das Richtige glauben wollen, dann nicht auch neuen Interpretationskünstlern folgen?

Jennerjahn versucht, bei seiner Patzelt-Forschung ein solcher zu sei. Ausweislich mindestens eines Kommentars zu seinem Text ist ihm das auch gelungen. Köstlich, wie dieser Beitrag ist, sei er mitsamt seiner Orthographie zur breiteren Kenntnis gegeben:

„Lieber Miro Jennerjahn, da haben sie Sich aber eine menge Mühe gemacht die Schrift des Herr Patzelt auseinander zu nehmen. Vielen Dank dafür. Die Argumentation ist für mich sehr schlüssig. Die Troller und “Antifaschisten”, die anderen Vorwerfen sie hätten keine Argumente bringen nur ein verächtliches Blaffen zu Stande wie bei einigen Vorkommentaren gesehen. So ist er der “wahre” Antifaschismus von Rechts. Das Phänomen, dass wissenschaftlich unsaubere Arbeit den Diskurs bestimmt ist nichts Neues. Siehe auch Extremismus-Debatte. … Ich mag es lieber polemisch und werfe hier einfach mal die Frage in die Runde. Was unterscheidet Patzelt von Heidegger? – Grüße, Gallendieter“

Na, eine so hellsichtige Frage sollte nicht ohne klare Antwort bleiben! Hier kommt sie: Von Heidegger unterscheidet Patzelt zumindest, dass des letzteren Aussagen klar sind – und dass Patzelt sich mit keiner anderen Sache gemein macht als mit dem Anliegen, fiktive Wirklichkeitsbilder mit dem zu konfrontieren, was sich beim methodisch gekonnten Forscherblick „auf die Welt da draußen“ tatsächlich zeigt.

Und nun wollen wir sehen, wer da wirklich „nur ein verächtliches Blaffen zustande bringt“.

 

 

II. Jennerjahns Methode beim Ergründen der „Methode Patzelt“

1. Zur Rolle der Wirklichkeit in Jennerjahns Methode

Die Überschrift zu Jennerjahns Text lautet: „Systematische PEGIDA-Verharmlosung – die Methode Patzelt“. Der vorangestellte Tenor des Textes liest sich so (wobei, der Klarheit willen, alle Jennerjahn-Zitate jeweils durch eigenen Absatz, Anführungszeichen und Kursivdruck hervorgehoben sind):

Prof. Patzelt von der TU Dresden hat kürzlich eine neue Studie über PEGIDA vorgelegt. In der Vergangenheit war Patzelt insbesondere durch seine Distanzlosigkeit gegenüber PEGIDA aufgefallen. Auch seine nun vorgelegte Studie weist massive inhaltliche Defizite auf.“

Der erste dieser drei Sätze stimmt: Der „faktenfreie PEGIDA-Versteher“ Patzelt hat doch, ei der Daus, schon wieder eine empirische Studie über die PEGIDA-Demonstranten vorgelegt! Kann der das überhaupt? Nein, sagt Jennerjahn im dritten dieser Sätze – der im Folgenden sehr systematisch auf seine Richtigkeit hin überprüft wird.

Der zweite Satz ist ohnehin nichts anderes als eine von Jennerjahn & Co. in die Welt gesetzte Deutung von Patzelts Interview-Aussagen zu PEGIDA. Denn statt in jede Kamera und in jedes Mikrophon hinein mit bebender Stimme vor jenen Hexern und Hexen zu warnen, die da in Dresden allmontäglich ihre Schwarzen Messen feierten, wagte es dieser – wie man glauben mochte: wirklichkeitsvergessene Ignorant – doch glatt, nicht von Hexern und Hexen zu sprechen, sondern von empörten Leuten, die sich – um durchaus ernstzunehmende Anliegen herum – zusammenfanden und anderen Leuten damit auf die Nerven gingen, ja dem einen oder anderen wohl auch Angst machten. Und fügte dann immer wieder hinzu: So viel Angst wie vor echten Hexern und Hexen müsse man nicht haben, denn es wäre zweifelhaft, ob da überhaupt Hexerei nennenswerten Umfangs im Spiel sei! Wer aber auf diese Weise Hexerei verharmlost, der muss wohl seine Gründe dafür haben – und der wahrscheinlichste ist dann: Er selbst ist ein Hexer – oder sympathisiert zumindest mit Hexen. Also ab ins Feuer – auch mit ihm!

Nun sind freilich alle Patzelt-Aussagen über PEGIDA in dessen – seither weitestgehend aktuell gehaltenem – Beitrag vom 17. Januar auf dessen offizieller Facebook-Seite zugänglich (https://www.facebook.com/WJPatzelt/posts/1586768964886577). Darüber hinaus wird auf Patzelts offizieller Facebook-Seite regelmäßig auf dessen jeweils neueren Vorträge, Interviews sowie Artikel über PEGIDA hingewiesen. Deren wichtigere sind auch auf dem Blog wjpatzelt.de nachlesbar. Es lässt sich also leicht von jedem durch Vergleich von Patzelts tatsächlichen Aussagen mit Jennerjahns Bericht über diese Aussagen feststellen, was von Jennerjahns Behauptungen stimmen mag – was anderes aber schlechterdings falsch und irgendwo zwischen „übler Nachrede“ und „Verleumdung“ angesiedelt ist.

Dort liegen übrigens auch die – von Jennerjahn mit freudiger Zustimmung erwähnten – „distanzierenden Äußerungen“ von Nachwuchswissenschaftlern an den Professuren für Politische Theorie und für Didaktik der politischen Bildung am Dresdner Institut für Politikwissenschaft sowie von Studierendengruppen der Universitäten Dresden, Leipzig und Halle (siehe dazu mit allen erforderlichen Verlinkungen http://www.docdroid.net/r38l/reaktion-auf-flugblatt-usw-.pdf.html, desgleichen auf Patzelts Facebookseite die Beitrage vom 27. Mai, 1. Juni und 2. Juni 2015). Bezeichnenderweise wussten alle diese Gruppen ziemlich selbstgerechter, ja selbstgefälliger „Patzelt-Kritiker“ rein gar nichts zu antworten, als Patzelt sich ausführlich mit den von ihnen vorgebrachten Aussagen auseinandergesetzt hatte. Gelegenheit wäre dazu reichlich gewesen; siehe hierzu auf dessen Blog wjpatzelt.de etwa die folgenden Beiträge: „Zu einigen kritischen Kommentaren“ (23. Januar); „Auseinandersetzung mit einem Kritiker“ (24. Januar); „Antwort auf meine Kritiker“ (6. Februar); „Wo bleibt die Antwort der Patzelt-Kritiker?“ (11. Februar); „Patzelt-Kritiker sprachlos“ (7. März).

Nicht anders war es mit jenen, die über Patzelts Facebook-Seite Erklärungen oder Antworten auf konkrete Fragen ihrerseits haben wollten – und sie allesamt auch bekamen. Exemplarisch seien nur genannt „Tom Fate“ (siehe Patzelts Facebook-Beitrag vom 11. Mai) und „Roberta Hanke“, die Patzelts ausführliche Antwort auf ihre Fragen (auffindbar in dessen Facebook-Beitrag vom 10. März) sogar in recht heftiger Weise eingefordert hatte:

„Ich als eine ihrer KritikerInnen, schrieb auf sehr viele ihrer FacebookPosts mehrere Fragen und sie antworteten nicht einmal? Obwohl sie doch so tun, als hätte man hier die Möglichkeit mit ihen, als Studentin in Diskurs zu treten. Soviel zur Auseinandersetzung mit ihren Kritikern, ich hätte ihnen gerne auf ihre Antworten geantwortet!“

Freundlicherweise meldete sie sich noch am gleichen Tag mit folgenden zwei Sätzen:

„Großen Dank – dass Sie sich die Zeit genommen haben! Ich werde ihre Antworten später noch ausführlich lesen und reflektieren.“

Seither aber ward aber auch von ihr nichts mehr darüber vernommen, welchen Aufschluss sie aus Patzelts Antworten gewonnen hat. Dabei wäre doch genau das der Zweck eines Diskurses.

So bleiben als lobenswerte Ausnahmen vom üblichen Kritikerverhalten („Erst mal – möglichst öffentlichkeitswirksam – heiße Luft ablassen, dann auf Tauchstation gehen!“) allein Patzelts Historiker-Kollege Gerd Schwerhoff (siehe, samt Schwerhoffs Replik auf Patzelts Antwort und Patzelts abschließenden Bemerkungen, auf dem Blog wjpatzelt.de den Beitrag „‘Patzelts Pegida‘. Eine Antwort auf Gerd Schwerhoff“ vom 10. April) sowie Michael Bittner (siehe auf wjpatzelt.de den Beitrag „Michael Bittner und unsere PEGIDA-Studie“ vom 28. Mai, desgleichen Patzelts Beitrag vom gleichen Tag auf seiner Facebook-Seite). Auf Bittners konstruktive Auseinandersetzung mit Patzelts Antwort wird unten noch ausführlich eingegangen. Ansatzweise – wenn auch erst nach einem „Anstupser“ – reagierte ebenfalls Maik Kretzschmar auf Patzelts Antworten im Facebook-Beitrag vom 24. März auf von ihm gestellte Fragen.

Vermutlich wird der Patzelt-Philologe Jennerjahn es im Anschluss an diesen Text ähnlich halten wie so viele Patzelt-Kritiker. Gerade hinsichtlich ihrer hatte der oben zitierte „Gallendieter“ offenbar recht: Mehr als ein „verächtliches Blaffen“ – das Beiwort jetzt im doppelten Wortsinn verstanden – bringt mancher wohl wirklich nicht zustande.

Angesichts von derlei Unfähigkeit und Unwillen, Patzelts tatsächliche Position überhaupt ausfindig zu machen und dann auch korrekt wiederzugeben, geschweige denn irgendwie substanziiert zu kritisieren, muss überhaupt nicht wundern, wie fern abseits der Wirklichkeit Jennerjahns Text schon beim rein Faktischen liegt, also nicht erst dort, wo man sich über konkurrierende Interpretationen fruchtbar streiten könnte. Denn gleich am Anfang dürfen wir lesen:

„Nachdem im Januar verschiedene Studien über PEGIDA erschienen, z. B. von Prof. Vorländer und Prof. Rucht, schwenkte er [= Patzelt] um und legte eine eigene Studie vor.“

Unser Patzelt-Experte behauptet hier also ernsthaft: Den ganzen Dezember über hat Patzelt „faktenfrei“ über PEGIDA schwadroniert; und als dann endlich „richtige Wissenschaftler“ etwas vorgelegt hatten, da „schwenkte er um“ – nämlich dergestalt, dass er nun auch so tat, als würde er eine Studie erarbeiten. Aufs deutlichste zeigt sich hier ein erstes Mal, wie borniert – ganz im Wortsinn: wie beschränkt in seinem Wissen über Patzelt – Jennerjahn ist. Er hat nämlich immer noch nicht begriffen, dass Patzelt seit November (!) mit seinen Studierenden Feldforschung unter den PEGIDA-Demonstranten betrieb. In Wirklichkeit war es also gerade nicht so, dass Patzelt nach Veröffentlichung der Studien von Vorländer, Rucht und Walter „umschwenkte“. Vielmehr setzte er nun einfach fort, was er an empirischer Sachstandsaufklärung von Beginn an unternommen hatte. Wäre der gute Jennerjahn wirklich ein seriöser Patzelt-Philologe, so hätte er vermutlich im Forschungsbericht von Patzelts Januar-Studie (http://www.docdroid.net/qsmf/analyse-pegida-januar-2015-fertig-2.pdf.html) auf S. 2 die folgenden Absätze gelesen und auch verstanden:

„Diese Studie entstammt im Grunde einer akademischen Pflichtübung: einem Seminar des Verfassers aus dem Wintersemester 2014/15 über die Fallstudienmethode. Jeder Studierende hatte sich einen „Fall“ auszusuchen, an dem praktisch zu erproben war, was im Methodenseminar vermittelt wurde. Und es begab sich, dass kurz nach Semesterbeginn PEGIDA seinen Anfang nahm und mithin als möglicher Gegenstand einer Fallstudie in Frage kam.[1]

Drei Master-Studenten – die Mitarbeiter dieser Studie – beschäftigten sich eingehend mit PEGIDA: teilnehmend an den „Abendspaziergängen“; mit anderen Teilnehmern redend; die Internetkommunikation der „Pegidianer“ auf sozialen Netzwerken studierend; und auch im Versuch, mit den fast inflationär über PEGIDA veröffentlichten Texten in Zeitungen und Zeitschriften, in verschiedenen Online-Angeboten bzw. Blogs auswertend zurechtzukommen. Insgesamt legten sie ihre Projekt in drei Ebenen an: Analyse des Orga-Teams, der Internet-Kommunikation, und der Demonstranten selbst.

Bei der stationären Demonstration auf dem Theaterplatz am 22. Dezember 2014 sowie beim „Abendspaziergang“ am 5. Januar 2015 wurde eine erste Befragung der „Pegidianer“ mit einem offenen Fragebogen unternommen, deren Befunde später zur Grundlage für jenen standardisierten Fragebogen wurden, welcher der hier vorgestellten Studie zugrunde liegt. Am Ende so vieler Forschungsaktivitäten stand nämlich die Idee, die inzwischen zu einer Art „Gestalterkenntnis“ verfestigten Eindrücke zu überprüfen und zu diesem Zweck eine quantitative und annähernd repräsentative Studie durchzuführen.

Zu ihr kam es am Nachmittag des 25. Januar 2015, der – wie es scheint: letzten großen – „Stehdemonstration“ PEGIDAs auf dem Dresdner Theaterplatz. Dort ließ sich überprüfen, ob jene Eindrücke und Vermutungen, die wochenlange Beobachtung und Kommunikation mit „Pegidianern“ gezeitigt hatten, wohl stimmten. In kurzer Zeit wurde eine erste Version des Fragebogens von den drei mit PEGIDA befassten Seminarteilnehmern des „Case Study“-Seminars entworfen, vom Verfasser dieses Forschungsberichts redigiert, einigen Pretests unterzogen, und dann von insgesamt 15 Studierenden – studentischen Hilfskräften und Tutoren am Lehrstuhl des Verfassers, Freiwilligen aus dem Freundeskreis der „PEGIDA-Spezialisten“, von denen zwölf erstmals bei dieser Umfrage eine PEGIDA-Demonstration erlebten – in 492 Interviewversuchen und letztlich 242 Interviews zur Datenerhebung eingesetzt.“

Wer aber wird sich seine vorgefassten Meinungen schon durch Lesen und Recherchieren zerstören lassen! Jennerjahn jedenfalls nicht. Und so zeigt sich ein weiterer Teil der grundsätzlichen Borniertheit unseres grünen Diplom-Politologen: Bis heute hat er nicht zu erkennen vermocht, dass die Ergebnisse der Studien von Vorländer, Rucht, Walter und Patzelt – natürlich im Rahmen unvermeidlicher Stichprobenfehler – bestens zusammenpassen! Seriöse empirische Forschung kommt nun einmal am gleichen Gegenstand auch zu ziemlich gleichen Befunden – ob sie einem passen oder nicht. Jennerjahn hingegen tut so, als unterschieden sich Patzelts Ergebnisse – soweit die gleichen Merkmale untersucht wurden – von denen der PEGIDA-Studien von Vorländer, Rucht und Walter. Dabei hätte er sowohl im Text als auch in den Fußnoten beider Patzelt-Studien alle Nachweise dafür finden können, wie gut die Befunde zusammenpassen. Vielleicht sollte sich besser nicht als Ergründer der „Methode Patzelt“ aufspielen, wer über ein flüchtiges Erhaschen dessen nicht hinausgelangt, was in seine eigene, begrenzte Vorstellungswelt hineinpassen kann.

Und damit weiter mit Jennerjahns Text:

„Nunmehr legt Prof. Patzelt eine zweite, mit Anhängen 110 Seiten starke, Studie über PEGIDA vor mit dem Titel “Drei Monate nach dem Knall: Was wurde aus PEGIDA?“. Und die hat es in sich.“

Schön, dass es da im letzten Satz eine Jennerjahn und Patzelt verbindende Einschätzung gibt! Doch Jennerjahn meint offensichtlich Anderes als Patzelt. Und gleich schon zeigt sich auch wieder die Borniertheit des selbsternannten Patzelt-Spezialisten:

Michael Bittner hat – wie so oft – treffsicher eine Reihe von Kritikpunkten ausgemacht, insbesondere den, dass die Interpretationen der erhobenen Daten durch Patzelt durchaus problembehaftet sind. Neben den – zutreffenden – Kritikpunkten von Michael Bittner lohnt dennoch ein tiefergehender Blick auf die Studie, die zahlreiche Mängel aufweist.“

Zunächst einmal hätte sich – zumal für den Großgeist Jennerjahn – ein Blick auf Patzelts Kritik an Bittners Einwendungen gelohnt (https://wjpatzelt.de/?p=402), und dann erst recht einer auf Bittners Erwiderung auf jene Replik (http://michaelbittner.info/2015/05/28/noch-einige-bemerkungen-zur-kritik-von-professor-patzelt/) – sowie auf Patzelts diesen Gedankenaustausch (einstweilen) abschließende Feststellung auf dessen offizieller Facebook-Seite vom 28. Mai. Dann hätte er nämlich gefunden:

„Es ist schön, wenn sich eine Sache gut zu Ende bringen lässt – wie die kleine Auseinandersetzung zwischen Michael Bittner und mir. Eben las ich seine Bemerkungen zu meiner heutigen Antwort an ihn – und sehe, dass er mich verstanden hat. Meinerseits darf ich versichern, dass auch ich ihn verstanden habe. Mir scheint, dass uns in der verhandelten Sache nun nicht mehr trennt als einige wenige, völlig normale Akzentuierungsunterschiede“.

Vor allem hinsichtlich der folgenden Interpretationen von PEGIDA und des Umgangs mit PEGIDA scheint Bittner und Patzelt kaum etwas zu trennen, wobei das nachstehende Zitat aus Bittners oben zitierter Antwort auf Patzelts Replik stammt:

„Prof. Patzelt hat immer sowohl PEGIDA-Gegner als auch -anhänger kritisch analysiert. Aber er hat PEGIDA weniger häufig und weniger scharf kritisiert als die PEGIDA-Gegner – was sein gutes Recht ist. Nichts anderes meine ich mit „einseitig“. ..

Ich will versuchen, weniger missverständlich zu formulieren: „Der Therapievorschlag von Prof. Patzelt: Man müsse mit Menschen auf der rechten Seite des politischen Spektrums auf der Straße und in der Gesellschaft in einen Dialog treten, ihre Sorgen ernst nehmen und die von ihnen angesprochenen Probleme wenn möglich einer politischen Lösung durch Gesetzgebung zuführen.“ Der Satz ist nicht als Vorwurf zu verstehen. Ich begreife nicht, warum Prof. Patzelt der Meinung ist, ich verstünde sein Anliegen überhaupt nicht. Er möchte Menschen auf der rechten Seite des politischen Spektrums für die Demokratie erhalten und gewinnen, damit sie nicht in den Radikalismus oder die Politikverdrossenheit abdriften. Ich habe dagegen nichts einzuwenden. …

Prof. Patzelt bringt mich mit jenen linken Gegendemonstranten in Verbindung, die ihre eigenen pluralistischen Grundsätze verraten, indem sie das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit der PEGIDA-Anhänger infrage stellen. Um meine eigene Position klarzumachen, erlaube ich mir, aus einem schon 2013 von mir veröffentlichten Buch zu zitieren: „Jedenfalls scheint es mir, als sollte man die Grenzen der Redefreiheit lieber zu weit als zu eng fassen. Das gleiche Prinzip scheint mir auch für den Umgang mit Nazis richtig. […] ich möchte denen, die fordern, man solle Naziaufmärsche verbieten, widersprechen. Ich bin dafür, dass die Nazis marschieren, denn dann kann man sie sehen und nachzählen.“ Was für Nazis gilt, gilt natürlich noch weit mehr für die nur teilweise rechtsradikale PEGIDA. …

Prof. Patzelt erläutert die von ihm diagnostizierte und mir geleugnete „Repräsentationslücke“ dahin, es gehe nicht nur um Repräsentation überhaupt, sondern um „staatstragende“. Mit dieser für mich neuen Information verstehe ich nun besser, was er meint.“

Genau so könnte das (Zwischen-) Ergebnis einer konstruktiv geführten Kontroverse aussehen: Man hat herausgefunden, was einen – wider den ersten Anschein – eben doch verbindet; und man begreift, welche guten Gründe der Diskurspartner dafür hat, selbst ähnlich Gesehenes eben doch anders zu akzentuieren. Vielleicht hat Miro Jennerjahn ja die Statur zu ähnlicher Konstruktivität, wie sie der von ihm als „Anti-Patzelt-Zeuge“ angerufene Michael Bittner an den Tag gelegt hat …

 

2. Jennerjahns Methode und das „kleine Karo“

Dazu müsste Meister Jennerjahn allerdings über die folgenden Kleinkariertheiten hinausgelangen, bei denen er jeweils seinen eigenen beschränkten Horizont als den Horizont dessen ausgibt, den er kritisiert:

„Die Mängelliste beginnt damit, dass der Text von Patzelt durch die Aufmachung vermitteln soll, es handele sich dabei um eine wissenschaftliche Studie, wissenschaftliche Standards hält Patzelt gleichwohl nicht ein.“

Wir bekommen also gesagt: Dieser Patzelt ist ein Blender, der von wirklicher Wissenschaft keine Ahnung hat!

Vermutlich kann man auch von einem Diplom-Politologen inzwischen nicht mehr erwarten, dass er Texte kennt wie die Seiten 69-225 in Patzelts in 7. Auflage im Jahr 2013 erschienenen „Einführung in die Politikwissenschaft“, wo das von einem Politikwissenschaftler zu beherrschende Minimum an Wissen über „Wissenschaftstheoretische Grundlagen“ sowie über „Methoden und Formen politikwissenschaftlicher Forschung“ dargelegt wird. Doch warum übersieht unser Patzelt-Philologe ausgerechnet bei seiner Suche nach der „Methode Patzelt“ auch noch in der Patzelt-Studie zu PEGIDA-Demonstranten vom Januar 2015 die Seiten 3-5, und in dessen Studie zum gleichen Thema vom Mai 2015 die Seiten 3-8 sowie 99-103, Anhänge I und II? Dort wird nämlich genau jenes „Höchstmaß an Transparenz über das methodische Vorgehen“ hergestellt, das Jennerjahn in seiner oben zitierten Lobrede auf Dieter Ruchts Studie als – im Vergleich zu Hans Vorländers Untersuchung – so großen Mehrwert an Einhaltung wissenschaftlicher Standards rühmt.

Lesen also kann unser Philologe. Doch will er diese Fähigkeit auch dort nutzen, wo ihm Lesefrüchte seine Vorurteile erschüttern könnten? Oder misst er vielleicht auch bloß mit zweierlei Maß, auf dass sich – je nach Lob- oder Schimpfabsicht – verlässlich das erwünschte Urteil einstellen kann?

Für Letzteres spricht das wahrhaft kleine Karo, in dem des Patzelt-Experten Text nun weitergeht:

„So verzichtet er [= Patzet] beispielsweise an vielen Stellen auf vernünftige Quellenangaben, etwa wenn er auf die Studien von Prof. Vorländer und Prof. Rucht Bezug nimmt.“

Ob er wohl wirklich in der Mai-Studie die Fußnote 2 zur Kenntnis genommen hat, wo alle diese Studien quellengenau zitiert werden? Ob ihm während seines Studiums wohl je ein akademischer Lehrer die in vielen kontinentaleuropäischen Publikationen verwendete Zitierweise beigebracht hat, wonach bei der ersten Erwähnung eine Publikation vollständig, bei den folgenden Erwähnungen aber in einer für den Nachweiszweck ausreichenden Kurzform zitiert wird? Und ob dem guten Mann womöglich aufgefallen ist, dass ein ins Internet gestellter Forschungsbericht sinnvollerweise – wann immer möglich – mit Quellenangaben gerade so verfährt, dass Links auf leicht zugängliche Internetressourcen gesetzt werden? Nun ja, der Landtagsabgeordnete Jennerjahn mag dergleichen wissenschaftliches Handwerkszeug verlernt haben …

Anscheinend aber – auch jetzt noch – ganz Politiker, rückt er nun mit der „Dicken Berta“ an:

„Auch bezieht er [= Patzelt] sich mehrfach auf die Ergebnisse der “Mitte-Studien” von Elmar Brähler und Oliver Decker, ohne diese jedoch direkt zu zitieren. Stattdessen beruft er sich auf die Ergebnisse der Mitte-Studien so wie sie von Prof. Rucht präsentiert werden. Zwar hat Prof. Rucht diesbezüglich sauber gearbeitet, es stellt sich aber schon die Frage, warum Prof. Patzelt nicht die (geringe) Mühe auf sich genommen hat, die Ergebnisse in den Mitte-Studien noch einmal selbst nachzuschlagen und wiederzugeben. Eigentlich könnte ich noch weiter gehen. Mir stellt sich schon die Frage, warum Prof. Patzelt so zentrale Studien zur Einstellungsforschung, wie es die Mitte-Studien nun einmal sind, offenbar nicht kennt.“

Tja, lesen kann unser Großphilologe wirklich nicht mit jener Sorgfalt, die er – ausgerechnet! – bei Patzelt vermisst. Sonst wäre ihm, vorgeblich auf kopfschüttelnder Suche nach der Zitierstelle der „Mitte-Studie“, doch nicht die Fußnote 63 entgangen, die da lautet: „Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler: Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014, Leipzig 2014; http://www.uni-leipzig.de/~kredo/Mitte_Leipzig_Internet.pdf.“

Und wäre unser Patzelt-Forscher geneigt gewesen, den kritisierten Text halbwegs gründlich zur Kenntnis zu nehmen, so wäre er wohl auch von selbst auf die richtige Antwort auf seine Frage gekommen, „warum Prof. Patzelt … die Mitte-Studien … nicht kennt“. Unschwer sieht man nämlich: Die ganze Frage ist unsinnig, denn natürlich kennt Patzelt diese Studie! Und warum zitiert er sie nach Rucht? Wieder hätte ein auf Sinnverständnis ausgehendes Lesen unserem so peniblen Kritiker weitergeholfen: Weil es nämlich auf S. 51 und S. 71, den einzigen Zitierstellen zur Mitte-Studie, gerade um Ruchts Befunde geht, die dieser selbst mit Befunden aus der Mitte-Studie verglichen hat – und weil es, wie das Jennerjahn ja auch selbst einschätzt, durchaus keinen Grund zur Vermutung gab, Rucht habe an diesen Stellen unsauber gearbeitet.

Aus Jennerjahns so dramatisch einherkommendem „Nachweis“ der „Unwissenschaftlichkeit von Patzelts“ Studie geht somit nur hervor, dass sich hier jemand in die Pose eines wissenschaftlichen Schwergewichts geworfen hat – und dabei eine eher lächerliche Figur abgibt.

 

3. Erkundungen zum Kern von Jennerjahns Methode, Patzelts Methode zu ergründen

a. „Links“ und „rechts“

Nicht besser sieht unser Methodologe dort aus, wo er sich mit den „linken Themen des Prof. Patzelt“ befasst. Das fängt nämlich so an:

„Professor Patzelt gesteht zu, dass in seiner Studie einige inhaltliche Lücken in Kauf genommen werden mussten. “Sie betreffen genau die ‘linken’ Themen von PEGIDA: die Kapitalismus- und Globalisierungskritik; die ‘Gesellschaftskritik aus der Warte des kleinen Mannes’, den Anti-Amerikanismus sowie die ‘westliche Kriegspolitik’ gegenüber Russland” (S. 4). Die Themen treten bei PEGIDA auf, aber was ist daran “links”? Weiß Prof. Patzelt nicht, dass es eine lange Tradition des Anti-Amerikanismus und damit verbunden von Kapitalismus- und Globalisierungskritik in der extremen Rechten gibt? Weiß Prof. Patzelt nicht, dass Kritik an der ‘westlichen Kriegspolitik’ massiv auch von der AfD geübt wird, also einer rechtspopulistischen Partei? Oder unterschlägt er es? Beides wirft Fragen auf.“

Tja, und diese Fragen lassen sich doch kindisch leicht beantworten! Erstens: Natürlich weiß Patzelt das. Zweitens: „Links“ – ausdrücklich von Patzelt in Anführungsstriche gesetzt – ist daran nur, dass auch (also: nicht nur) Linke diese Themen ansprechen!

Und tatsächlich wird sich Patzelt nun darüber freuen, dass auch Jennerjahn nachfolgend mit langen Zitaten unter Beweis stellt, dass ebenfalls ihm jemand wie Alain de Benoist bekannt ist, ja dass er sogar selbst bemerkt hat, was im 17. Jh. der französische Moralist Jean de La Bruyère auf die Formel gegebracht hat: „Les extremes se touchent“ – also: die Extreme berühren einander, ja mögen bisweilen gar ineinander übergehen.

Welch ein unerwarteter Schulterschluss zeigt sich hier zwischen Miro Jennerjahn und dem Chemnitzer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse, für den genau das die Zentralaussage seiner „Hufeisentheorie des Extremismus“ ist: Les extremes se touchent! Da wird sich Jesse aber freuen, dass sogar Leute wie Jennerjahn (zumindest, wenn sie im Wesentlichen füreinander schreiben) nunmehr zugeben, dass sich „links“ und „rechts“ mitunter nicht säuberlich trennen lassen! Und eben deshalb stellt es wirklich eine bedauerliche empirische Forschungslücke dar, wenn man bei Rechten „das Linke“, bei Linken aber „das Rechte“ nicht ausreichend aufklärt – wie immer man beides im konkreten Fall auch begrifflich fassen und insgesamt einordnen will. Das ist durchaus möglich, geschähe hier aber am falschen Ort.

Im Übrigen ist doch offensichtlich, was unseren grünen Diplom-Politologen an dieser Stelle stört: dass überhaupt Aufhebens davon gemacht wird, bei PEGIDA würden Positionen vertreten, die auch Linken am Herzen liegen! Diese reichen von der Kritik an der US-Aggressionspolitik im Mittleren Osten über die Kritik am globalen Kapitalismus bis hin zum Einfordern plebiszitärer Instrumente zur Verbesserung unserer – auf Bundesebene: so gut wie rein – repräsentativen Demokratie. Weil aber Pegidianer in den Augen von Leuten wie Jennerjahn nichts anderes sein können als rechtsextremistische Rassisten, die – Lichtjahre entfernt vom politischen Denken eines jeden anständigen (d.h.: links oder grün eingestellten) Menschen – ihren (gewiss ganz dumpfen) Wahnvorstellungen nachhängen, schließen solchermaßen überzeugte Denker messerscharf: Es kann nicht sein, was nicht sein darf! Schande also über Patzelt, dass der sich ausgerechnet dafür kritisiert, „Linkes“ an PEGIDA nicht ausreichend beachtet zu haben!

 

b. Ein „Flaggenstreit“

Und nun kommt in Jennerjahns Text die hübsche Sache mit der „Wirmer-Fahne“. Auch da meint er, aufzeigen zu können:

Diese inhaltlichen Wissenslücken ziehen sich wie ein roter Faden durch Prof. Patzelts Text.“

Welch eine skurrile Situation, wie da – wieder einmal – ein intellektueller Gernegroß von den Grenzen seines Wissens über Patzelt auf Grenzen des Wissens von Patzelt schließt! Die „Wirmer-Flagge“ taucht nämlich in Patzelts Studie nur an einer einzigen Stelle auf, und zwar so:

„Insgesamt wird auch hier sichtbar, warum das bewusste Deutschsein der PEGIDA-Demonstranten, symbolisch ausgedrückt durch die so zahlreich gezeigten und gerade nicht als „rechts“ oder gar „faschistisch“ ausdeutbaren Bundesfahnen oder „Wirmer-Flaggen“– für viele Linke zum Angriffspunkt wird: Deutschsein finden deutsche Linke (und auch viele Grüne) nicht für wirklich gut – und eben aus deren Reihen kommt, nach den Befunden von Franz Walter, ein Großteil der Gegendemonstranten.“ [S. 70]

In der Fußnote zur „Wirmer-Flagge“, gesetzt gleich nach deren Erwähnung, steht folgende Erläuterung:

„Name und Gestaltung dieser Flagge (schwarz-goldenes Kreuz auf rotem Grund) geht zurück auf den katholischen Zentrumspolitiker Josef Wirmer, im Widerstand um Carl Friedrich Goerdeler gegen Hitler tätig und 1944 hingerichtet. Er entwarf diese Flagge 1944 als ein neues Nationalsymbol für ein nach-nazistisches Deutschland. Attraktiv für PEGIDA-Teilnehmer ist diese Flagge anscheinend als klar nicht-nazistische Alternative zur Bundesfahne, welche die – von PEGIDA heftig kritisierte – bestehende deutsche Demokratie symbolisiert.“

Das sind die zwei einzigen, aufs engste miteinander verkoppelten Passagen in einer mehr als hundert Seiten umfassenden Studie, an denen es um die „Wirmer-Flagge“ geht. Die spielt für das Gesamtargument auch gar keine andere Rolle als die, dass eben festgestellt wird: Mit dieser Flagge wird von den PEGIDA-Demonstranten einesteils Abwendung vom bundesdeutschen System, andernteils Distanz zum Nazi-System symbolisiert. Daraus macht unser Großphilologe Folgendes:

„Das ist zwar eine korrekte Beschreibung des historischen Hintergrunds, den aktuellen politischen Kontext und die Vereinnahmung dieses Symbols durch die extreme Rechte vergisst Patzelt hingegen zu erwähnen, oder er weiß es schlichtweg nicht. So war die Wirmer-Flagge bereits Symbol des Deutschen Kollegs rund um den Antisemiten und Holocaust-Leugner Horst Mahler und wurde intensiv von Politically Incorrect als Alternative zur Deutschlandfahne beworben.“

Offen gesagt: Das alles sind durchaus keine Privatwissensbestände von wackeren Antifaschisten, sondern ist weit verbreitetes Fachmannswissen – und als solches natürlich auch Patzelt bekannt. Der muss nun aber seinerseits submissest als ertappter Schlamper bekennen, dass er sogar noch beim Redaktionsdurchgang übersehen hat, den ersten Strich der Parenthese bei der Passage zur Wirmer-Flagge zu setzen. Denn so hätte es tatsächlich heißen müssen:

„Insgesamt wird auch hier sichtbar, warum das bewusste Deutschsein der PEGIDA-Demonstranten, symbolisch ausgedrückt durch die so zahlreich gezeigten und gerade nicht als „rechts“ oder gar „faschistisch“ ausdeutbaren Bundesfahnen – oder „Wirmer-Flaggen“– für viele Linke zum Angriffspunkt wird: …“

Gelobt und gebenedeit, auch gepriesen mit Flöten- und Zimbelspiel, sei also Miro Jennerjahn dafür, dass ihm jetzt – obendrein zur der eingangs erwähnten Vermutung, Patzelt argumentiere zu PEGIDA „faktenfrei“ – sogar noch ein zweiter Durchbruch auf dem Gebiet der Patzelt-Philologie gelungen ist. Denn tatsächlich hat Jennerjahn nachgewiesen, dass Patzelt nicht in der Lage war, den erforderlichen zweiten Parenthese-Strich zu setzen, nachdem er in die Aussage zur Bundesfahne noch eine ergänzende Bemerkung zur bei PEGIDA-Demonstrationen unübersehbaren Wirmer-Flagge eingefügt hatte!

Und vielleicht freut Jennerjahn neben solchem Lob auch noch die Zustimmung Patzelts zur seiner sachlichen Feststellung:

„Damit bekommt die Verwendung dieser Flagge … eine sehr einschlägige Konnotierung und ist sehr wohl strukturell mit der extremen Rechten verbunden, die sehr flexibel ist, wenn es darum geht, historische Symboliken in die eigene Ideologie einzupassen.“

 

c. Demokratie

Nach dem gerade erörterten philologischen Meisterstück scheint Jennerjahn die Brust vor Stolz geschwollen zu sein. Ganz Großkritiker, macht er sich nun an Patzelts Befunde und Interpretationen zum Demokratieverständnis der Pegidianer. Nicht mehr als zwei Fragen, doch eben deutlich mehr als zu allen „linken“ PEGIDA-Inhalten, hatte Patzelt diesem Einstellungskomplex gewidmet. Und weil Jennerjahn hier zunächst nichts anderes vorbringt als früher schon Michael Bittner, sei – als erster Schritt einer Auseinandersetzung in der Sache – einfach die entsprechende Passage aus Patzelts Antwort an Bittner zitiert:

„Erneut als großer Fragebogenexperte inszeniert sich Bittner bei den zwei Fragen, die wir zum Demokratieverständnis der Demonstranten stellten. Ex cathedra verkündet er:

‚Ähnlich unzureichend ist die Fragestellung in Sachen Demokratie.‘

Worum geht es hier aber konkret? Wir hatten – und zwar gerade so, wie das in der Interviewforschung üblich ist – zunächst grob nach der Grundhaltung zur Demokratie gefragt: Wäre sie „eher etwas Vorteilhaftes“ – oder „etwas Problematisches“? Und dann fragten wir, exakt wie in der – inzwischen in Buchform publizierten – Göttinger Studie des Kollegen Franz Walter nach einer konkrete Einschätzung der bundesdeutschen Demokratie gefragt: Wäre der Interviewpartner mit ihr „zufrieden“, „teils/teils“ oder „unzufrieden“? Natürlich wäre es kein grundsätzliches Problem gewesen, aus den vielen bewährten Fragebatterien der empirischen Demokratieforschung zehn und mehr Fragen zu verwenden, mit denen sich das Demokratieverständnis der Pegidianer hätte detailliert vermessen lassen. Doch in praktischer Hinsicht kann man einen Fragebogen für eine Straßenbefragung nun einmal nicht beliebig vollstopfen, wenn man nicht nach etlichen Minuten Interviewabbrüche riskieren will. Mit ihnen wäre aber erst recht nicht viel gewonnen. Im Übrigen ging es uns ohnehin allein um den Generalverdacht, Pegidianer seien schon im Ansatz Anti-Demokraten.

Befragungsexperte Bittner aber wischt das alles rasch beiseite:

‚Ja, wenn man nur wüsste, was die PEGIDA-Anhänger unter “Demokratie” verstehen! Man müsste sie glatt mal fragen! Aber vielleicht erführe man dann Dinge, die man lieber gar nicht wissen will.‘

Wow & touché – da hat er es diesem PEGIDA-Verharmloser aber doch wieder einmal so richtig gegeben: Beschönigungsabsicht nachgewiesen; ab in die Ecke, und schämen möge er sich, aber sowas von …! Und wenn sich dann obendrein zeigt, dass zwar 71% der Pegidianer die Demokratie insgesamt für etwas Vorteilhaftes halten, drei Viertel der Pegidianer aber – wie schon in der Studie Franz Walters – mit der in Deutschland funktionierenden Demokratie nicht zufrieden sind, dann ist für jemanden mit Bittners Grundverdacht erst recht alles klar:

‚… die Demokratie funktioniert eben nicht so, wie die “Pegidianer” es gerne hätten! Das montägliche Völkchen, das sich so gerne verbal zum Volk aufschwingt, es verlangt nach einer Demokratie, die nach seiner Pfeife tanzt.‘

Zwar hätte Bittner auf den Seiten 75 und 77 unserer Studie (bequem herunterladbar über meinen Blog wjpatzelt.de …) präzise Befunde darüber nachlesen können, welche Merkmale und Einstellungen von Pegidianern tatsächlich mit ihrer grundsätzlichen Einstellung zur Demokratie sowie mit ihrer Bewertung unserer konkreten Demokratie zusammenhängen. Doch warum sollte er das tun? Er weiß doch alles Wichtige schon vorab!“

Es hat sich gezeigt, dass dieser letzte Satz Michael Bittner Unrecht tat. Doch wie steht es um den Patzelt-Experten Jennerjahn? Der beginnt sein Argument an der gleichen Stelle wie Bittner:

„Mittels der gestellten Fragen lässt sich überhaupt nicht darauf schließen, was PEGIDA-Demonstranten unter Demokratie verstehen.“

Gerade so ist es. Es wurde aber ja auch gar nicht in Aussicht gestellt, „das Demokratieverständnis“ von Pegidianern im Einzelnen aufzuklären! Dafür wären qualitative Interviews und Gruppendiskussionen mit PEGIDA-Anhängern die bestmögliche Methode – und sonstige Gespräche mit Pegidianern über Demokratie eine brauchbare Annäherung. Tatsächlich hat Patzelt viele solcher Gespräche geführt und könnte ziemlich detailliert das Demokratieverständnis von PEGIDA-Demonstranten nachzeichnen. Vermutlich wird er das bei einer kommenden Buchpublikation zu PEGIDA auch tun.

Bei dieser Studie aber ging es wirklich um nicht mehr als um eine simple Aufklärung dessen, ob Pegidianer von „der Demokratie“ – was immer sie sich darunter im Einzelnen vorstellen wollen – ganz allgemein Schlechtes reden, oder ob sie eher die konkret in Deutschland etablierte Demokratie verdrießt. Das herauszufinden, stellt gewiss nicht den Endpunkt von Studien zum Demokratieverständnis von Pegidianern dar. Doch ohne einen solchen Zwischenschritt kommt man eben auch nicht weiter. Gerade dieser Zwischenschritt war also nötig, zumal es die Vermutung gab, dass sich PEGIDA radikalisiert habe. Und will man das herausfinden, muss man nun einmal Fragen aus vorherigen Studien wiederholen.

Rucht hatte als zu beurteilende These vorgegeben: „Was würden Sie, im Vergleich zu anderen Staatsideen, zur Idee der Demokratie sagen?“, wobei die Antworten auf einer fünfstufigen Skala von „sehr dafür“ bis „sehr dagegen“ reichten. 86% der von Rucht im Januar befragten Pegidianer gaben an, beim Blick auf die Idee der Demokratie „sehr dafür“ oder „ziemlich dafür“ zu sein. Patzelt versuchte, ein so sehr nach „sozialer Erwünschtheit“ klingendes Bekenntnis zur Demokratie dadurch zu unterlaufen, dass er die Befragten dazu anhielt, zwischen zwei technisch formulierten Alternativantworten auszuwählen: „Ist Demokratie, alles in allem, eher etwas Vorteilhaftes oder etwas Problematisches?“

Deutlich weniger Pegidianer als bei der Studie von Rucht gaben sich dann auch – gerade unter den, so die allgemeine Vermutung, inzwischen radikalisierten PEGIDA-Demonstranten – als Demokraten: 70% gaben an, Demokratie als etwas eher „Vorteilhaftes“ anzusehen, während 30% Demokratie für etwas „Problematisches“ erklärten. Und das führt zur Frage an den – anscheinend auch – PEGIDA-Experten Jennerjahn: Wer „verharmlost“ da eigentlich mit seinen Befunden und Fragemodellen die Pegidianer – tut das Rucht oder Patzelt, oder vielleicht keiner von beiden? Ebenso wurde eine sowohl von Rucht als auch von Walter gestellte Frage in der Patzelt-Studie wiederholt, nämlich die nach der Einschätzung der konkret in Deutschland funktionierenden Demokratie. Auch hier bestätigten sich an den „inzwischen doch wohl radikalisierten Pegidianern“ die früheren Befunde: Man hat sehr viel gegen das konkrete Funktionieren unserer Demokratie. Doch wer schon bringt täglich ein Hoch auf sie aus?

Das alles entspricht dem gerade nicht, was viele Verfechter der Radikalisierungsthese gerne läsen. Patzelt – von seinem Exegeten zitiert – formulierte denn auch: „Grundsätzliche Gegnerschaft zur Demokratie lässt sich den PEGIDA-Demonstranten also nicht mit nachvollziehbaren Gründen zuschreiben”. Eben dass verdrießt offensichtlich auch Jennerjahn. Solchen Verdruss ausagierend, plustert sich unser Experte nun auf:

„Als Professor der Politikwissenschaft sollte Patzelt wissen, dass es in der extremen Rechten seit jeher Versuche gibt, den Demokratie-Begriff anzueignen und vom aus ihrer Sicht ideologischen Übel wie den Menschenrechten oder auch dem Rechtsstaatsprinzip zu befreien. Anders ausgedrückt, in der extremen Rechten wird massiv versucht, die Werteorientierung wie sie im Modell der liberalen Demokratie ideengeschichtlich angelegt ist, zu beseitigen.“

Wieder einmal meint hier der grüne Diplom-Politologe Jennerjahn, mit angeblich nur von seinesgleichen besessenen – und angeblich bei Patzelt fehlenden – Wissensbeständen prunken zu sollen. Nun ja, er hat die Pose des „Herr-Lehrer-ich-weiß-was“ anscheinend nötig. Wäre es dann aber nicht weniger riskant, bloß im Kindergarten aufzutreten, wo jemand – obwohl doch nur verkleidet – durchaus als ein „echter Weihnachtsmann“ durchgehen kann? Unser Scharfsinnsverwalter aber tritt doch tatsächlich in der Erwachsenenwelt auf und zückt dabei – endlich! – auch den Nazi-Stock. Er kommt nämlich auf die NPD zu sprechen, und zwar mit der trefflichen Feststellung, dass diese …

„… ja auch in ihrem Namen für sich in Anspruch nimmt, eine demokratische Partei zu sein. In der Logik Patzelts wäre damit bewiesen, dass sich die NPD nicht in grundsätzlicher Gegnerschaft zur Demokratie befindet.“

O heilige Einfalt und gesinnungsschlichte Narretei! Als ob – außerhalb von linken Kreisen – jemand je die DDR für eine Demokratie gehalten hätte, nur weil sie sich doch auch eine Demokratie nannte! „Intellektueller Dreikäsehoch“ ist vielleicht eine halbwegs passende Bezeichnung für jemanden, der ernsthaft einem gestandenen Politikwissenschaftler gegenüber ein solches Argument vorbringt. Und nicht viel besser wird das Urteil über den guten Jennerjahn, wenn anschließend die folgende, nachgerade kindisch aufgeblasene Passage zu lesen ist:

„Kennt Patzelt die Demokratiediskurse in der extremen Rechten und speziell der Neuen Rechten nicht, oder unterschlägt er sie?“

Wie schön, dass der Diplom-Politologe Jennerjahn anschließend – nämlich durch fleißiges Zitieren – zu erkennen gibt, dass er diese Diskurse auch kennt!

Recht hat unser Experte freilich mit der Feststellung, wir sollten dafür sorgen, dass …

„der genaue Demokratiebegriff (oder vermutlich eher die Demokratiebegriffe) der Demonstranten von PEGIDA greifbar wird“.

Das sollten wir wirklich. Aber warum trägt dann Jennerjahn nicht selbst durch entsprechende Analysen zur Verwirklichung dieses Zieles bei, wo er sich doch als ein so kundiger Kritiker aufspielt? Oder warum fordert er zu solchen Untersuchungen nicht jene anderen Dresdner Politikwissenschaftler auf, die zwar ebenfalls PEGIDA gleichsam „vor der Nase“ haben, es über das Verfassen dünngeistiger Pamphlete über tatsächliche PEGIDA-Forscher aber nicht hinausbringen – und auch nicht mehr schaffen, als abendliche, von PEGIDAS mystischem Fortwirken befreienden Putzaktionen durchzuführen? Muss dieser Patzelt denn wirklich – nach dem Erlahmen der Erkenntnislust anderer Autoren von PEGIDA-Studien – alles selbst durch empirische Forschungsarbeit zusammentragen, was wir zur Erklärung des PEGIDA-Phänomens wissen sollten? Wie bequem sitzt es sich doch in den Zuschauerrängen – und, ohnehin, auf dem hohen Ross schnöseliger Arroganz!

 

d. Patriotismus

Auch vom Patzelt-Forscher Jennerjahn lässt sich da wohl nichts Brauchbares mehr erwarten. Zu viel mehr als zum Schimpfen scheint es jedenfalls nicht zu reichten. Das klingt dann so:

„Ähnlich absurd sind in Patzelts Studie die Ausführungen zum Thema Patriotismus.“

Irgendwelche Argumente liefert Meister Jennerjahn nach dieser Feststellung aber nicht, sondern badet bloß in eigenen Vorurteilen – und das auch noch ziemlich lau. Er beklagt sich, dass Patzelt – wie bei „der Demokratie“ – nicht im Detail ausfindig mache, was Pegidianer unter „Patriotismus“ verstünden, und fügt dem hinzu, nicht einmal sein eigenes Verständnis von Patriotismus kläre dieser Patzelt. Dass auf S. 71f ausführlich steht, was bei den PEGIDA-Demonstranten zum Einstellungskomplex „Patriotismus“ gehört, ignoriert unser Philologe ebenso, wie er Patzelts längst publizierte, doch eben nicht in jenen Forschungsbericht gehörende Klärung dessen übersieht, was man heute sinnvollerweise unter Patriotismus verstehen könnte. Vielleicht mag Jennerjahn aber eines Tages doch noch dessen Beitrag „Deutscher Patriotismus und sein Wert“ lesen, leicht erreichbar unter dem Datum 27. April 2015 auf dem Blog wjpatzelt.de (https://wjpatzelt.de/?p=367).

 

e. Zuwanderung

Nicht besser wird Jennerjahns Text, wo er sich mit dem Thema „Zuwanderung“ befasst. Patzelt – von Jennerjahn zitiert – hatte formuliert:

„Drittens ist es tatsächlich gerade die von Deutschland passiv hingenommene Zuwanderung, zumal über die Nutzung des Asylrechts, die zur wiederholten Demonstrationsteilnahme motiviert. …. Dabei scheint gerade der freie Zustrom von Asylbewerbern die Willkommenschancen für Bürgerkriegsflüchtlinge zu beeinträchtigen, und dürfte die nicht abreißende Kette von nicht enden wollenden Bürgerkriegen und Missständen in anderen Teilen der Welt mitsamt ihren Folgen für die Einwanderung nach Deutschland bald erst recht ein Gefühl von ‘genug ist genug!’ auslösen.“

Dem Patzelt-Experten Jennerjahn fällt dazu im Wesentlichen nicht mehr als Folgendes ein:

„Die Frage allerdings, wo es denn in Deutschland einen “freien Zustrom von Asylbewerbern” gibt, dürfte Patzelt nicht beantworten können.“

Und so merkt man: Ganz von dieser Welt ist unser Großintellektueller wohl nicht! Vielleicht erzählt ihm ja gelegentlich jemand etwas von denen, die aus Afrika und dem Nahen Osten, ja auch aus Afghanistan und selbst vom Balkan her tatsächlich ins Gebiet der EU gelangen, das also nicht nur ergebnislos versuchen, und sich dann weitgehend der Freizügigkeit im Schengen-Raum erfreuen. Wer sich am Aufbessern derart „faktenfreier Refugee-Forschung“ Jennerjahns versucht, möge aber Geduld und Empathie mitbringen: Die einschlägigen Fakten könnten unseren Patzelt-Philologen überraschen, vielleicht verwirren, ja sogar beunruhigen. Dergleichen sollten wir ihm wohl doch nicht antun, zumal er – getragen vom hohen Mut eines reinen Herzens – gleich anschließend zu noch größerer Kritiker-Form aufläuft und feststellt:

„Interessanter allerdings ist, dass diese Interpretationen Patzelts überhaupt keine Grundlage finden in dem von ihm eingesetzten Fragebogen.“

Glaubt unser Großgeist wohl wirklich, dass alles, was man über PEGIDA und seine Ursachen wissen kann, erst durch Patzelts Fragebogen zutage gefördert werden muss? Falls ja: Warum tut er selbst dann so, als wisse er Dinge, in deren Licht er das im Fragebogen Erfragte seinerseits hinterfragen könne? Und falls nein: Wieso legt er nahe, es sei irgendetwas Falsches daran, Umfrageergebnisse durch solche Kenntnisse zu kontextualisieren, die nicht in derselben Umfrage gewonnen wurden?

War bislang vor allem an der Interpretationsfähigkeit unseres Philologen zu zweifeln, so beginnen die Zweifel inzwischen auch dessen Fähigkeit zum klaren Denken zu erreichen. Die zerstreut dann auch nicht seine – völlig zutreffende – Aussage, Patzelt habe den Befragten vier Aussagesätze zur Bewertung vorgelegt,

“die auf ihr [= der Befragten] Einstellungspotential schließen lassen, aber keinerlei Auseinandersetzung mit der realen Asylsituation in Deutschland beinhalten“.

Hallo? Was meint er damit wohl? Dass Patzelt sich ausgerechnet im Fragenbogen „mit der realen Asylsituation“ hätte auseinandersetzen sollen? Wo es doch bei einer Befragungsstudie um nichts anderes geht als um die Einstellungen von Befragten – ganz gleich, wie richtig oder falsch diese sind?

Wenn unser Philologe aber vorbringen will, es hätte danach gefragt werden sollen, wie Pegidianer die reale Asylsituation in Deutschland einschätzen: Was wäre dann auszusetzen an den vier folgenden, von den Befragten zu bewertenden und von Jennerjahn ja auch höchstderoselbst zitierten Aussagesätzen:

  • “Deutschland nimmt zu viele Asylbewerber auf!”
  • “Deutschland nimmt zu viele Bürgerkriegsflüchtlinge auf!”
  • “Ganz abgesehen von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen: Es sollte einfach überhaupt weniger Ausländer in Deutschland geben!”
  • “Deutschland soll weiterhin politisch verfolgte Asylbewerber sowie Bürgerkriegsflüchtlinge aufnehmen!”

Das alles vor Augen, wird manchem wohl scheinen: Wer nicht mit der Gabe klaren Denkens gesegnet ist, sollte einen anderen nicht leichtfertig herausfordern, der sehr wohl klar zu denken vermag!

 

f. Rassismus

Nein, das war wohl deutlich zu scharf; also Rücknahme des Satzes! Denn kurz darauf beweist Jennerjahn, dass er manches eben doch völlig zutreffend erkannt hat:

„Wie ein roter Faden zieht sich durch Patzelts Studie die Forderung PEGIDA als Bewegung differenziert zu betrachten und nicht pauschal als rassistisch zu bezeichnen.“

In der Tat. Sind Pegidianer allesamt Rassisten, dann würde ein Empiriker wie Patzelt sie allesamt als Rassisten bezeichnen, selbst wenn sie ihn dafür heftig beschimpften. Sind sie aber nicht allesamt Rassisten, dann wird ein Empiriker darauf bestehen, dass man sie nicht pauschal mit einem falschen Begriff bezeichnen soll. Anders formuliert: Ist Jennerjahn voreingenommen, dann wird ein Empiriker ihn als voreingenommen bezeichnen, selbst wenn das Jennerjahn überhaupt nicht gefiele. Ist Jennerjahn aber nicht voreingenommen, dann wird ihn gerade ein Empiriker gegen einen dann eben ungerechtfertigten Vorwurf in Schutz nehmen, er sei voreingenommen. Es hängt also alles davon ab, ob Jennerjahn tatsächlich voreingenommen ist. Und deshalb muss man den Begriff der Voreingenommenheit klären und in einer systematisch konsistenten Weise anwenden.

Das gleiche gilt hinsichtlich des Rassismus-Begriffs. Ihn braucht man bei jeder Antwort auf die Frage, ob Pegidianer allesamt Rassisten sind. Während bei der Haltung der Pegidianer zur Demokratie und zum Patriotismus zwei in der politischen Alltagssprache sowohl zur Selbst- wie auch zur Fremdbezeichnung als „Demokrat“ oder „Patriot“ benutzte Begriffe im jeweils von den Befragten individuell gemeinten Sinn angeboten und anschließend dann – über Korrelationsanalysen – als Indikatoren für deren eigene Einstellungskomplexe benutzt wurden, hielt Patzelt das mit dem Rassismus-Begriff anders. In der Regel bezeichnet sich nämlich kaum einer selbst als Rassisten, sondern verwendet diesen Begriff meist, um eine abgelehnte Einstellung oder einen – eben deshalb abgelehnten – Träger einer solchen Einstellung zu bezeichnen. Also verwendete Patzelt in keiner der gestellten Fragen den Rassismusbegriff selbst, sondern nutzte ihn allein als einen analytischen Begriff, mit dem ein Beobachter das – anhand von Indikatorfragen – Beobachtete nach seinen eigenen (und nicht notwendigerweise des Beobachteten) Ausdeutungen ordnet.

An dieser Stelle aber traute sich unser Philologe – trotz aller sonstigen Angriffslust beim Demokratie- und Patriotismusbegriff – eine Attacke auf Patzelt bezeichnenderweise nicht zu. Es hätte sich dann nämlich mit Passagen wie den folgenden auseinandersetzen müssen:

„Es ist populär geworden, eine solche [ablehnende] Haltung zu einer ganzen Gruppe von Menschen auch dann als „Rassismus“ zu bezeichnen, wenn gar nicht deren „Natur“, sondern nur deren „Kultur“ zum sie problematisierenden Distinktionsmerkmal gemacht wird. Vermutlich wird es einem frontenaufweichenden Diskurs aber besser bekommen, wenn man kulturell begründete Sorgen erst einmal als eben solche akzeptiert und erörtert, statt dem diesbezüglich Andersdenkenden von vornherein durch Etikettierung als (kulturalistischer) „Rassist“ seinen legitimen Status als ernstzunehmender Gesprächspartner zu entziehen (S. 56 ) … „Kulturalistischer Rassismus“ meint [dabei], dass andere nicht wegen ihrer Abstammung (und somit vielfach Hautfarbe), sondern wegen kultureller Besonderheiten (etwa ihrer Religion) abgelehnt werden. So blickerweiternd es ist, den Rassismusbegriff aus seiner Fixierung auf Biologisches zu lösen, weil „Rasse“ – verstanden als „biologische Verschiedenheit“ – unter Angehörigen der Spezies homo sapiens sapiens tatsächlich nur eine kulturelle Konstruktion ist, so ungriffig und irgendwann nutzlos wird er allerdings, wenn er jeden gesellschaftlich folgenreichen und dabei geächteten Umgang mit jeglicher Art von Differenz bezeichnen soll. Dann nämlich erfüllt alsbald die Abwehr von katholischem Fundamentalismus den Tatbestand des kulturalistischen „Rassismus“ ebenso wie der Kampf gegen PEGIDA selbst“ (Fußnote 68, S. 57).

Da aber verstummte Großkritiker Jennerjahn, weil hier seine übliche methodische Masche nicht verfangen hätte: die Grenzen des eigenen Wissens über Patzelt als Grenzen von Patzelts Wissen auszugeben.

 

g. Die Rolle der Gegendemonstranten

Stattdessen lenkt Freund Jennerjahn alsbald von einer intellektuellen Kernaufgabe der Analyse von PEGIDA auf eine Art „Nebenkriegschauplatz“ ab:

„Auf der anderen Seite scheut er [= Patzelt] sich nicht, pauschal alle PEGIDA-Gegner in einen Topf zu werfen und ebenso pauschal Medien und Politik einen falschen – das meint aus Patzelts Sicht ausgrenzenden – Umgang mit PEGIDA vorzuwerfen.“

Da übertreibt unser Patzelt-Philologe es aber durchaus selbst mit der Pauschalisierung. In seiner „Virtuellen Gerichtsverhandlung im Fall ‚Junge Akademiker‘ gegen ‚faktenfreien PEGIDA-Versteher‘, publiziert im Blog wjpatzelt.de schon am 6. Februar 2015 (https://wjpatzelt.de/?p=128), hatte nämlich Patzelt selbst bereits auf S. 2 eingeräumt:

„Lange Zeit habe ich, ebenso wie die Medien, von jenen als von „Gegendemonstranten“ gesprochen, welche mit der Absicht auf öffentliche Plätze und Straßen gingen, ein Zeichen gegen Pegida zu setzen, oder für Ziele und Werte einzutreten, die sie als von Pegida angegriffen empfinden. Ich habe aus manchen Gesprächen gelernt, dass es dem Selbstverständnis von vielen Demonstranten besser entspricht, wenn man sie als „Pro-Demonstranten“ bezeichnet. Sie wollen nämlich weniger ihre Gegnerschaft zu Pegida als vielmehr ihre Parteinahme für Gutes und Richtiges hervorgehoben wissen. Diesem Wunsch will ich gerne folgen.

Offen bleiben dann freilich Fragen danach, warum so viele Pro-Demonstranten so lange Zeit nichts dagegen gehabt haben, dass ihre Mahnwachen, Musikveranstaltungen, sonstigen Zusammenkünfte und gemeinsamen Umzüge in den Medien als „Gegendemonstrationen“ bezeichnet wurden; und offen bleibt, wie Pro-Demonstranten ihr Verhältnis zu jenen „Gegendemonstranten“ sehen, welche auf Plätzen und Straßen das direkte Gegenüber mit Pegida-Demonstranten gesucht und bei ihm ihr Ablehnung sowohl von Pegida allgemein als auch der ihnen konkret gegenüberstehenden – oder an ihnen vorüberziehenden – Pegida-Demonstranten in mancherlei häufig zu hörenden Sprechchören zum Ausdruck gebracht haben. Ist ein Pro-Demonstrant nie ein Gegendemonstrant? Sind unter Gegendemonstranten überhaupt keine Pro-Demonstranten? Mit welchem Wort soll, nach Ansicht der Pro-Demonstranten, eine – womöglich in der Wirklichkeit vorkommende – Gemengelage zwischen Pro- und Gegendemonstranten erfasst werden?“

Wollte Jennerjahn wirklich das sein, was zu sein er vorgibt, nämlich ein intimer Kenner der „Methode Patzelt“, so hätte ihm diese Passage besser nicht entgehen sollen. Dann hätte er auch nicht zur so flachen Metapher greifen müssen, Patzelt „werfe alle PEGIDA-Gegner in einen Topf“.

Nicht entgangen ist ihm allerdings der folgende Satz Patzelts, den er freilich – gerade hier den „blinden Fleck“ im eigenen Beobachterauge vorweisend – für empirisch ganz unbegründet hält:

„Das mündet in der durch nichts unterlegten Behauptung: “Vermutlich hofften sie nachgerade darauf, dass sich PEGIDA zum Rechtsextremismus hin radikalisieren würde.” (S. 22)

Oho, und ob der Ärger darüber groß war, dass von Patzelt gerade nicht herausgefunden wurde, dass sich die Pegidianer zum Rechtsextremismus hin radikalisiert hätten! Man muss nur ins Medien-Echo auf die im Mai vorgestellte PEGIDA-Studie und auf die Facebook-Kommentierungen dieser Studie sowie ihres Echos blicken, um zu erkennen, wie wenig der Befund geschätzt wurde, nicht die weiterhin zu den Demonstrationen kommenden Pegidianer hätten sich selbst radikalisiert, sondern es wären eben in besonderem Umfang jene von vornherein besonders Rechten Lutz Bachmann treu geblieben, während die „eher Gemäßigten“ jetzt aus mehrerlei Gründen nicht mehr kämen! Und weil man durch ein wenig Recherchieren und Lesen jenen Ärger sich leicht vor Augen führen kann, muss hier kein weiterer Nachweisaufwand mehr betrieben werden. Vielmehr reicht die Feststellung, dass Freund Jennerjahn – wie auch beim angeblich gar nicht gegebenen „freien Zustrom von Asylbewerbern“ – einfach in einer anderen, viel schöneren Welt lebt als unsereins. Vielleicht sollte man ihn schon aus menschlichem Mitgefühl aus dieser Welt auch nicht vertreiben.

Und aus den Höhen jener Welt mag Jennerjahn dann weiterhin auf Patzelts Text blicken und zu ihm anmerken:

„…mit Blick auf die Parteien links der Mitte folgert er [Patzelt]: “Die aber konnten ihrerseits die PEGIDA-Anhänger ohnehin nicht in nennenswertem Umfang erreichen, so dass für sie – freilich nicht für das Gemeinwesen – ihre scharfe Anti-PEGIDA-Rhetorik recht unschädlich war.” … Also, nochmal zum Mitschreiben: Nicht die aggressive Rhetorik von PEGIDA ist schädlich für das Gemeinwesen, sondern diejenigen sind es, die den aus allen Poren quellenden PEGIDA-Rassismus zurückweisen.“

Tja, wer weder präzis lesen noch klar denken mag, der darf das schon mitschreiben! Doch richtiger wird das Notat auch nicht durch gutgläubige Hinnahme eines bizarren Missverständnisses. Denn was Patzelt wirklich behauptet, steht auch schon in seiner „Virtuellen Gerichtsverhandlung“ vom 6. Februar, diesmal auf S. 17f:

„Ein wichtiger Teil meiner Erklärung, warum PEGIDA zeitweise derart groß wurde, geht so: Was klein begann und anfangs nicht mehr Aufmerksamkeit auf sich zog als jene der Lokalpresse, wurde groß aufgrund von Gegenreaktionen, bei denen gleichsam mit Kanonen auf Spatzen geschossen wurde; und der dabei entstehende Gefechtslärm und Pulverdampf erregten dann die Aufmerksamkeit der bundesweiten und später europaweiten Medien, ja alsbald gar von Journalisten, die bis aus dem Mittleren Osten, den USA, Japan und Australien kamen. … Im Einzelnen geht mein Argument dann so weiter: … ohne rhetorisch-symbolisch überschießende Gegendemonstrationen kein Medienhype. Daraus ergibt sich dann die Anschlussfrage, ob eine weniger aufgeregte Gegenwehr PEGIDA wohl nicht auf eine Dresdner Angelegenheit beschränkt gehalten … hätte. … Nichts anderes als eben diese Frage zu bedenken, habe ich in zwei, drei Interviews nahegelegt, nämlich so: „Alle jene, die durch Feindbildpflege dazu beigetragen haben, dass eine zugespitzte Situation entsteht, müssen sich tatsächlich fragen, ob ihre Weise, PEGIDA zu bekämpfen, in jeder Hinsicht die beste gewesen ist“. … Gewiss verstehe ich, dass man über meine Frage böse sein kann. Ich glaube aber nicht, dass irgendetwas Falsches daran ist, diese Frage aufzuwerfen und anschließend zu versuchen, eine mit den Tatsachen übereinstimmende Antwort auf diese Frage zu erarbeiten. Gerne kann das auch im Dialog zwischen mir und Pro- bzw. Gegendemonstranten geschehen.“

Unser großer Patzelt-Kenner hat von dieser differenzierten Argumentation aber keine Ahnung – und deshalb kommt er auch zu keiner stichhaltigen Patzelt-Kritik.

 

h. Der „herzlose Patzelt“

Jedenfalls begibt sich Jennerjahn gleich wieder auf einen Nebenschauplatz – und verhaspelt sich dort sofort:

Dass sich seit PEGIDA die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte vervielfacht hat, scheint für Patzelt keinerlei Relevanz zu haben. Für eine tragfähige Analyse des Phänomens PEGIDA ist dies allerdings schon eine relevante Rahmenbedingung.“

Erstens spricht überhaupt nichts für die Richtigkeit der Behauptung, Aggressionen gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte „hätten für Patzelt keine Relevanz“. Ganz im Gegenteil hat dieser in einem Schreiben an den Rektor der TU Dresden vom 13. Februar sowie durch einen Beitrag auf seiner offiziellen Facebook-Seite vom 24. April konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen die TU Dresden sich besser als bislang in den Aufbau und das Leben einer nachhaltigen Dresdner Willkommenskultur für Flüchtlinge einbringen könnte (https://www.facebook.com/WJPatzelt/posts/1627318834164923). Doch anscheinend geht es Jennerjahn ohnehin weniger um eine Klärung dessen, was Patzelt wirklich will, als vielmehr um üble Nachrede.

Und zweitens behauptet Jennerjahn doch eindeutig, die steigende Anzahl von Übergriffen auf Flüchtlinge sei eine FOLGE des Aufkommens von PEGIDA. Wenn es Patzelt aber um die URSACHEN des Aufkommens von PEGIDA geht: Welche Rolle sollen in DIESEM Zusammenhang die Übergriffe auf Flüchtlinge spielen? Wieder einmal wäre klares Denken hilfreich gewesen, falls denn wirklich solche Argumente vorgetragen werden sollen, mit denen man sich dann auch vernünftig auseinandersetzen kann.

 

i. Keine Ausgrenzung von PEGIDA!

Leider wird Jennerjahns Text im Folgenden auch nicht besser. Unser Wolkenkuckucksheimbewohner befindet nämlich:

„Abgesehen davon entbehrt die Aussage Patzelts, PEGIDA sei von Anfang an durch die Politik ausgegrenzt worden, jeglicher Grundlage. Gerade in Sachsen hat von CDU bis AfD ein regelrechter Wettlauf stattgefunden, um mit PEGIDA ins Gespräch zu kommen. Der sächsische Innenminister Markus Ulbig traf sich mit Führungspersonen von PEGIDA und auch diverse andere sächsische CDU-Abgeordnete hatten Kontakte zu PEGIDA-Sympathisanten. Selbst der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nahm an einer Diskussionsrunde in Dresden mit PEGIDA-Anhängern teil. Wo da die vollständige Ausgrenzung PEGIDAs durch “die” Politik zu finden sein soll, bleibt Patzelts Geheimnis.“

Wer seit Dezember bis heute die Medienberichterstattung über PEGIDA sowie über den anzuratenden Umgang mit PEGIDA verfolgt hat, der kann dieses angebliche „Gemeimnis Patzelts“ nun wirklich leicht lüften. Für ihn wird eher ein Geheimnis sein, wo Jennerjahn wohl seit Dezember geweilt haben mag, ja ob er zu PEGIDA etwas in den Zeitungen gelesen, in Fernsehsendungen verfolgt oder über Internetdiskussionen zur Kenntnis genommen hat.

Anscheinend sieht die Welt, in der er unser Philologe lebt, so aus: Es wurde Sigmar Gabriel ein Ruhmesdenkmal gesetzt zum Dank für seinen ständigen, von der gesamten deutschen Sozialdemokratie unterstützten Dialog mit Pegidianern; man hat dem Innenmister Ulbich einen Triumphbogen errichtet ob seiner Diskursbereitschaft mit PEGIDA-Organisatoren; allenthalben klangen Lobeshymnen auf, als die AfD endlich auch mit PEGIDA zu sprechen bereit war; und Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung, wurde zum Ehrenbürger Dresdens gemacht, als endlich auch er ins allgemeine Drängen einstimmte, doch bitte Begegnungsmöglicheiten zwischen Pegidianern und PEGIDA-Gegnern zu schaffen. Sicher, auch in Jennerjahns Welt fragten sich ein paar wenige, ob man mit den „Schmuddelkindern“ von PEGIDA wirklich Umgang pflegen dürfe. Doch derer waren so wenige, dass sie – ob des ihnen entgegenbrandenden Dialogwillens verschüchtert – alsbald verstummten. Jetzt sind sie peinlich berührt, wenn sie daran erinnert werden, wie dumme Verhaltensweisen gegenüber PEGIDA sie einst anrieten …

Tja, diese Welt Jennerjahns unterscheidet sich doch sehr von jener, in der sich jene aufhielten, die in unserer realen Welt den Aufstieg und Fall von PEGIDA analytisch sowie politisch begleitet haben. Möge Zarathustra weiterhin auf seinen Höhen weilen!

 

j. Patzelts Pegidianer-Typologie

Gegen Ende seines Textes befasst sich unser Exeget dann auch noch mit Patzelts „Typisierung der PEGIDA-Demonstranten“ und meint:

„Keine dieser drei Typisierungen wird von Patzelt sauber definiert.“

Nachdem freilich auf S. 84-89 von Patzelts Studie nichts anderes geschieht, als dass die Leitgedanken dieser Typenbildung vor Augen gestellt, die Typenbildung Schritt für Schritt durchgeführt wird und es anschließend auch noch eine quantifizierende Überprüfung der Trennschärfe der entwickelten Typologie gibt, zeugt ein solcher Satz schlichtweg von purer Ignoranz in Sachen empirischer Typenbildung. Falls unser Diplom-Politologe die entsprechenden Teile seiner Methodenausbildung einfach versäumt haben sollte, macht ihn das gewiss zu keinem schlechteren Menschen. Doch peinlich ist es trotzdem, wenn da jemand zwar intellektuell nicht nachvollziehen kann, was er abhandelt, doch bei alledem so auftritt, als folge aus der eigenen Unfähigkeit, Sinn zu erkennen, dass da eben auch kein Sinn sei. Und so bastelt Freund Jennerjahn in seinen Passagen zur Typenbildung denn auch nur Einzelflicken zusammen, und zwar ganz ohne dass irgendein soweit tragfähiges Ganzes entstünde, mit dem man sich argumentativ auseinandersetzen könnte.

 

k. „Was ich nicht gelesen habe, das gibt es auch nicht!“

Am Ende dieses ganzen intellektuellen Trauerspiels kommt unser Möchtegern-Meister dann auch noch einmal an jenen Punkt, wo er die Grenzen seines Wissens über Patzelt für die Grenzen Patzelts nimmt, ja als eben solche ausgibt:

„Dass es gerade die fehlenden lebensweltlichen Erfahrungen im Umgang mit als fremd wahrgenommenen Menschen sind, die zu einem höheren Maß an Rassismus und Fremdenfeindlichkeit führt, ist empirisch vielfach gezeigt worden (so zum Beispiel auch, durch die schon mehrfach in diesem Text genannten “Mitte-Studien”). Auch hier blendet Patzelt also wieder einmal einen relevanten gesellschaftspolitischen Rahmen aus, der aber für die Interpretation seiner ermittelten Daten unabdingbar ist.“

Tatsächlich aber blendet Patzelt überhaupt keinen „relevanten gesellschaftspolitischen Rahmen aus“, sondern zieht ihn zur Interpretation immer dort heran, wo es nicht einfach um Typenbildung anhand von Befragungsdaten geht, sondern um die Erklärung von PEGIDA als gesellschaftliches Phänomen. Vielleicht wirft Freund Jennerjahn ja eines Tages einen Blick in die von Patzelt gemeinsam mit Joachim Klose in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 13. Mai 2015 publizierte Analyse über „Die Ursachen des PEGIDA-Phänomens“ (Langfassung auf dem Blog wjpatzelt.de, 13. Mai 2015; https://wjpatzelt.de/?p=375). Dort nämlich fände er gerade das, was er zu vermissen meint.


 III. Jennerjahns Methode und Patzelts Methode

Unschwer lässt sich erkennen: Philologie ohne ausreichende Textgrundlage liefert auch keine zutreffenden Ergebnisse. Insgesamt erweist sich der selbsternannte Kenner der „Methode Patzelt“ wenn schon nicht als Scharlatan, so doch als Stümper. Doch ob jemandem überhaupt eine umfangreichere Lektüre von Patzelt-Texten hätte helfen können, der den Unterschied zwischen Individual- und Aggregatmerkmalen nicht versteht, wird erst recht bezweifeln, wer im Fazit Jennerjahns gar noch die folgende Kinderei lesen darf:

„Mit der Methode Patzelt wäre es sogar möglich, den völkisch-rassistischen Charakter des Nationalsozialismus wegzudiskutieren, indem argumentiert wird, wenn nicht jede Person, die in der NSDAP war oder an einer NSDAP-Veranstaltung teilgenommen hat, über ein geschlossen völkisch-rassistisches Weltbild verfügt, kann auch die Gesamtbewegung nicht diese Eigenschaft haben.“

Wollen wir hoffen, dass der traditionelle Geburtstagswunsch – auszubringen am nächsten 31. März – dann auch Jennerjahns analytischem Vermögen aufhelfe: vivat – crescat – floreat! Denn da ist noch viel Luft nach oben. Wie viel das am Ende ist, das zeigt der letzte noch zu zitierende Satz:

„Patzelt hätte sich das aufwändige Befragungsdesign eigentlich sparen können. Zentrale Aussagen von ihm sind reine Interpretationen und Unterstellungen, die durch die erhobenen Daten in keiner Weise gedeckt sind.“

Und so lernen wir abschließend aus Jennerjahns hochlöblichem Mund:

  • Im Dezember war Patzelt ein „FAKTENFREIER Pegidaversteher“, weil er – angeblich – gar nicht empirisch untersuchte, wovon er sprach. Jetzt hat er zwar Fakten gesammelt, VERSTEHT aber PEGIDA immer noch nicht, weil nämlich seine Interpretationen – Fakten hin, Fakten her – einfach nichts taugen. Zwar mögen sie mit Patzelts Theorie über PEGIDA übereinstimmen. Entscheidend aber ist allein, ob sie zur Theorie von Jennerjahn & Co. über PEGIDA passen. Die nämlich, das weiß unser Großanalytiker nun einmal, stimmt wirklich!
  • Daraus aber folgt: Es braucht gar keine empirische Forschung zu PEGIDA! Wenn sie etwas taugen soll, dann wird sie ja gar nicht umhin können, gerade das zu bestätigen, was Jennerjahn & Co. bereits wissen. Auch deshalb hätte Patzelt schon im Dezember besser daran getan, sich einfach den Aussagen von Jennerjahn & Co. anzuschließen. Denn wenn seine Befunde nicht zu dem passen, was Jennerjahn & Co. für richtig halten, dann sind die Befunde eben falsch – oder zumindest jene Interpretationen, die zu anderen Aussagen führen, als sie Jennerjahn & Co. mögen.

Und so zeigt sich: Von Anfang an war nie das angeblich „Faktenfreie“ von Patzelts Aussagen ein Problem – sondern allein, dass sich Patzelt nicht in die von Leuten wie Jennerjahn verlangte „Akademikereinheitsfront“ hat einreihen wollen, und obendrein die Tatsachen nur so darstellen mochte, wie sie nun einmal sind. Damit aber kam er den politischen Absichten der Jennerjahns & Co. in die Quere. Wie böse von ihm – und deshalb auf ihn mit Gebrüll!

 

 

[1] Semesterbeginn war am 13. Oktober, die erste PEGIDA-Demonstration am 20. Oktober.

 

 

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