Was zum Berliner Anschlag zu sagen ist

Was zum Berliner Anschlag zu sagen ist

(veröffentlicht zunächst auf meiner FB-Seite am 20. 12. 2016 um 19:50)

 

Noch – d.h. am 20. 12. 2016 um 19:50 – wissen wir nicht, wer den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt verübt hat. Auch falls es kein nach Deutschland Geflüchteter gewesen sein sollte, zeigt doch die bislang auf genau diese Annahme gegründete öffentliche Diskussion: Wir sollten angesichts von Übergriffigkeiten durch Migranten wie zum letzten Jahreswechsel am Kölner Hauptbahnhof, Messerangriffen wie im letzten Juli in einer Regionalbahn bei Würzburg oder einem Mord nach Vergewaltigung im Oktober 2016 in Freiburg uns systematische, nachhaltig richtungsweisende Gedanken darüber machen, wie mit solchen Gefährdungen gesellschaftlichen Zusammenhalts in unserem „Einwanderungsland wider Willen“ umzugehen ist.

Natürlich wissen wir nicht, ob sich solche durch Migranten vollzogene Anschläge wiederholen werden. Beim Denken an derartige Möglichkeiten dürfte das, was unsere Hoffnung wünscht, leicht dasjenige überlagern, was unsere Lebenserfahrung voraussieht. Zwar hat es guten Sinn und ist im Grunde auch lobenswert, wenn man sich eher von Hoffnungen als von Sorgen leiten lässt. Doch es tut sich keinen Gefallen, wer allzu oft gutgläubig von Erfahrungstatsachen absieht. So aber war es, als unsere Politik folgenreich jenen Weg einschlug, der zur unkontrollierten Einwanderung von außerhalb der EU nach Deutschland führte.

Es ist schon verständlich, dass man Unternehmungen, die guten Willens begonnen wurden, nicht gleich dann wieder aufgibt, wenn andere lautstark deren möglicherweise übles Ende beklagen. Doch es ist schon auch töricht, Warnungen bloß deshalb in den Wind zu schlagen, weil sie ungelegen kommen oder weil die Warnenden missfallen. So aber haben es viele in Deutschland mit jenen gehalten, die über Ereignisse wie in Berlin, Köln oder Freiburg nun durchaus nicht verwundert sind, weil sie vor dergleichen schon vor langem gewarnt haben.

Solche Warnungen kamen im Übrigen nicht nur von verachteten Demonstranten oder den Anhängern einer neuen Protestpartei, sondern auch von Deutschlands Sicherheitsbehörden. Doch sehr viele wollten sie gar nicht hören, geschweige denn glauben. Eine Ursache war, dass es ganz außerhalb weithin geteilter Erwartungen lag, dass manche Geflüchtete – obwohl doch redlich bewillkommnet und nicht allzu schlecht versorgt – sich recht anders verhalten könnten, als sich das für Gäste gehört. Freilich hatte sich schon an den Erstaufnahmestellen gezeigt, dass längst nicht alle Geflüchteten Frauen mit kleinen Kindern waren, also „die Schwächsten der Schwachen“, sondern ein großer Teil in jungen, leistungsfähigen Männern bestand.

Privatleuten kann man gutwillige Naivität durchaus nachsehen – vor allem dann, wenn sie noch so jung sind, dass ihnen Hoffnung die mangelnde Erfahrung ersetzen muss. Doch für politisch Verantwortliche gilt eine solche Entschuldigung nicht. Die nämlich können – und sollen – größeren Weitblick haben, als ihn junge Leute oder zivilgesellschaftliche Vereinigungen besitzen, die sich eher von gutem Willen als von Umsicht leiten lassen. Auch haben Politiker, so ihr Amtseid, den Nutzen der hier lebenden Bevölkerung möglichst zu mehren, zumindest aber Schaden von ihr abzuwenden.

Genau darin war die Bundesregierung bei ihrer Zuwanderungspolitik nicht wirklich erfolgreich. Allerdings war den jüngsten Fehlentscheidungen schon jahrzehntelang durch eine migrationspolitische Programmatik und Rhetorik der Weg bereitet worden, die eher vom Wunschdenken und von germanophoben Gefühlen geprägt war als von der Lust auf Erfahrungstatsachen und auf Pragmatismus. Über solche Versäumnisse und Fehler darf die Bürgerschaft nun zweifellos Rechenschaft verlangen. Wie überzeugend diese von wem abgelegt wird, wird die kommenden Wahlergebnisse stark prägen.

Dabei es wäre gut, wenn zum Zweck einer realistischen Urteilsbildung über die bei uns nötige Einwanderungs- und Integrationspolitik die folgenden vier Gedanken beherzigt würden.

(1) So wenig, wie wir Deutschen oder Europäer allesamt an jenen Umständen schuld sind, die inzwischen viele so viele zum Verlassen ihrer Länder und zum Versuch einer Ansiedlung in Deutschland veranlasst haben, so wenig sind alle Zugewanderten in Haftung zu nehmen für jene Verbrechen, die in womöglich in Berlin und bekanntlich in Köln, Würzburg oder Freiburg von Geflüchteten begangen wurden. Deshalb führt es gewiss zu nichts Gutem, wenn wir uns da nicht differenziert und gerecht in Gedanken, Worten und Handlungen verhalten. Ebenso wenig führte es zu einem guten Ende, wenn wir die Herausforderungen unserer entstandenen Einwanderungsgesellschaft nicht mit gutem Willen angehen. Letzteres gilt gerade dann, wenn manch tiefe Enttäuschung die in Deutschland so gern gelebte Willkommenskultur nun verdrießlich machen sollte.

(2) Es wird allmählich Zeit für ein Eingeständnis der Bundesregierung und ihrer damaligen Unterstützer dahingehend, dass es einfach töricht war, im Jahr 2015 nicht allein die in Ungarn Festsitzenden nach Deutschland zu holen, sondern wochenlang in einer Pose zu verharren, die auf gar nicht wenige wie eine Dauereinladung aller Migrationswilligen nach Deutschland wirkte. Zeit wird es ferner für das Eingeständnis, ein wirkungsvolles Abraten vom Einwandern schlicht über das Asyl- und Flüchtlingsrecht samt Familiennachzug wäre für unser Land wünschenswert; und Zeit wird es auch für die Einsicht, dass sich gerade das durch eine rasche Prüfung des Bleiberechts samt verlässlicher Abschiebung bei festgestellter Ausreisepflicht bewerkstelligen lässt. Ebenso wäre es Zeit für ein allgemeines Eingeständnis, dass einfach nicht jede beliebig hohe Zahl von Zuwanderern pro Jahr konfliktabwendend integriert werden kann – und dass gelingende Integration in unsere Gesellschaft nun einmal höhere Anforderungen stellt als nur die, halbwegs Deutsch zu lernen und sich an die Gesetze zu halten. Denn man muss schon auch den in einer je konkreten Kultur geborgenen „Geist der Gesetze“ empfinden und akzeptieren wollen, wenn man eine Rechtsordnung als sinnvoll erkennen und sie deshalb nicht nur wegen äußeren Zwangs befolgen will, sondern auch durch Einsicht und innere Zustimmung. Nur so aber gelingt nachhaltige Integration.

(3) Es nützt in dieser Lage, in die uns eine bislang durchaus von einer Bevölkerungsmehrheit getragene Politik gebracht hat, das wechselseitige Polemisieren und Schimpfen wenig. Lautstark auf üble Fälle des Missbrauchs deutscher Gastfreundschaft hinzuweisen, bringt allmählich keinen Erkenntnisgewinn mehr, denn die mediale Vermittlungsschranke scheint weitgehend gefallen zu sein. Ebenso wenig Mehrwert an Erkenntnis oder politischer Durchsetzungskraft bringt es, wenn man solche Leute, die sich hinsichtlich mancher Migrantengruppen skeptisch oder gar abweisend verhalten, grundsätzlich als rassistisch herabsetzt – und nicht erst einmal nach ihren Argumenten fragt und dann anhand ihrer prüft, wer wirklich als Rassist auszugrenzen, welch anderer aber als aus plausiblen Gründen besorgter Bürger ernstzunehmen ist. Verwenden wir unsere Kräfte also lieber auf einen faktenorientierten Streit in der Sache!

(4) Es braucht einerseits die strenge Durchsetzung klarer Spielregeln: Migranten haben nicht gegen unsere Rechtsordnung zu verstoßen – und deutsche Einwanderungsgegner eben auch nicht. Wer sich – aus welchen Motiven auch – kriminell vergeht, der wird verlässlich und zeitnah bestraft. Auf genau solche Gleichheit vor dem Gesetz muss sich die ganze Bürgerschaft verlassen können. Andererseits braucht es eben eine klare Einwanderungs- und Integrationspolitik, wenn wir die mit dem Einwanderungsgeschehen zusammenhängenden Probleme – einschließlich der Gewalttätigkeit von grundsätzlichen Einwanderungsgegnern – nachhaltig lösen wollen. Die Grundzüge beider Politiken habe ich an anderer Stelle bereits dargelegt (siehe „Was für eine Flüchtlingspolitik braucht Deutschland?“ vom 29. November 20116 [https://wjpatzelt.de/?p=1127] sowie den „Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur vom 2. Dezember 2016 [https://wjpatzelt.de/?p=1142]).

Bevor wir uns nun bald wieder in den notwendigen politischen Streit um eine endlich sinnvolle Einwanderungs- und Integrationspolitik begeben, sollten wir aber voll Mitleid an jene denken, die wegen des Zusammenwirkens der Verbrechen Einzelner mit der Fahrlässigkeit vieler zu Schaden oder gar Tode gekommen sind. Und wir sollten auch das Leid derer mitfühlen, die da Verwandte, Freunde oder Bekannte verloren haben. Beiderlei innere Verbundenheit muss auch unser Reden über die Herausforderungen von Einwanderungs- und Integrationspolitik prägen. Eingeschlossen sollten obendrein stets die Schicksale derer sein, die aus guten Gründen aus ihrer Heimat fliehen und zu uns kommen wollen. Es geht nämlich auf allen Seiten um Wichtiges.

Doch das bloß festzustellen, reicht eben nicht. Wir müssen schon auch darauf hinwirken, dass sich Schlimmes wie in Berlin, Köln, Würzburg oder Freiburg nicht mehr wiederholt – oder wenigstens nicht mehr allzu oft. Und dabei haben wir sicherzustellen, dass die Grundsätze unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht auch noch Schaden nehmen. Also sollten unsere gesellschaftlichen Diskussionen sich endlich an der Größe der zu bewältigenden Aufgaben orientieren – und nicht länger an der Kleinkariertheit des Motivs, dem anderen argumentativ oder auch bloß rhetorisch eines auszuwischen.

 

Bildquelle: https://www.webnachrichten.de/kino-tv/anschlag-auf-weihnachtsmarkt-in-berlin-warum-ard-und-zdf-so-langsam-reagierten-zr-7155214.html

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