Gedanken über Angela Merkel

Gedanken über Angela Merkel

ursprünglich erschienen als https://www.hallo-meinung.de/gedanken-ueber-angela-merkel/, als podcast auch errreichbar über https://www.youtube.com/watch?v=zpjP2tnlt2Y&feature=youtu.be

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Nein, ich glaube nicht, dass Angela Merkel ein Reptiloid ist. Ich glaube auch nicht, dass sie sich als „IM Erika“ daran gemacht hat, Deutschland zu ruinieren. Ich glaube aber, dass man ihre Regierungszeit in zwanzig Jahren sehr viel kritischer sehen wird, als es derzeit die Mehrheit im Lande tut. Ich glaube zwar kein bisschen, dass es angemessen ist, Angela Merkel als eine politische Verbrecherin hinzustellen. Doch ebenso wenig halte ich es für richtig, bei ihr stets alternativlose politische Klugheit zu vermuten. Und weil Angela Merkel noch im Amt und weiterhin mächtig ist, stehen noch keine Pflichten an, über eine von uns Gegangene möglichst nur Gutes zu sagen.

Also sage ich aus freien Stücken gar nicht wenig wirklich Gutes über sie. Es ist keine geringe außenpolitische und menschliche Leistung, das wiedervereinigte Deutschland, den aufs Neue großen Machtblock in Europas Mitte, gerade nicht zum billigen Schreckgespenst deutschlandkritischer Nachbarn gemacht zu haben. Es ist lobenswert, dass Angela Merkel stets ohne das Alpha-Tier-Gehabe eines Gerhard Schröder auftritt, weshalb man ihr gern das Fehlen von Charisma nach Art Willy Brandts nachsieht. Nachgerade bewundernswert ist, mit welchem Gespür für den richtigen Augenblick eigenen Machtzugriffs sie ihren Förderer Helmut Kohl und ihren Rivalen Friedrich Merz abserviert hat. Unbedingt nachahmenswert ist ihre Selbstdisziplin, die sie schon jahrzehntelang vor Politikerskandalen und Lächerlichkeit bewahrt. Und ohne wirklich großes politisches Können bleibt man nicht 18 Jahre lang Parteivorsitzende und 16 Jahre lang Bundeskanzlerin.

Dennoch überwiegt in Angela Merkels Partei- und Regierungsbilanz der von ihr angerichtete Schaden. Hinsichtlich ihrer Außenpolitik muss ein faires Urteil zwar berücksichtigen, dass man für internationale Beziehungen Mitspieler braucht, die man sich aber – wie Trump oder Putin – nicht aussuchen kann. Indessen hat Angela Merkel aus eigenem Entschluss das Nordstream II-Projekt unterstützt, es auch ganz realitätsfern der deutschen Öffentlichkeit als „rein wirtschaftlich“ verkauft – und auf diese Weise einen weiteren Riss zwischen Deutschland und seinen Verbündeten geschaffen. Obendrein hat die Kanzlerin mit diesem Projekt bewirkt, dass sich die geopolitische Lage der Balten, Polen und – vor allem – der Ukrainer drastisch verschlechtert hat. Zugleich hat sie sichergestellt, dass ausgerechnet wir Russland auf lange Zeit verlässliche Milliardeneinnahmen für seine weitere Aufrüstung beschaffen werden. Im Übrigen hat Angela Merkel mit ihrem Unverständnis für die Auseinandersetzung polnischer und ungarischer Nicht-Kommunisten mit dem Erbe des Realsozialismus unser Land vom verlässlichen Freund der ostmitteleuropäischen Staaten zum Anführer von deren europäischen Gegnern gemacht. Das beeinträchtigt Deutschlands moderierende Führungsrolle in Europa.

Zudem hat die Kanzlerin mit ihrer nachgiebigen Politik gegenüber routinemäßig schuldenseligen Euro-Ländern unserer Finanz- und Versicherungswirtschaft große Risiken beschert. Deutschlands Industrie hat sie durch Vernachlässigung infrastruktureller Innovationen sowie durch die

 Aufbürdung von immer mehr sozialstaatlichen und bürokratischen Pflichten geschwächt. Und der von Angela Merkel veranlasste, klar stimmungsgeleitete und letztlich grünpopulistische Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie hat unserem Land hohe Strompreise, Netzwerkinstabilität und die Abhängigkeit von Energieimporten gebracht – und das auch noch mit der Pointe, dass die importierte Energie von Kernkraftwerken stammt oder aus russischem Erdgas besteht, also gerade nicht erneuerbar ist.

Am schlimmsten aber sind die gesellschaftspolitischen Verheerungen. Die Migrationspolitik der Kanzlerin war gekennzeichnet durch eine 180 Grad-Wende, durch wirklichkeitsblinden Moralismus sowie durch Unredlichkeit. Vor sechs Jahren ließen sich unsere Grenzen angeblich nicht gegen unerwünschte Zuwanderung sichern – bei der Abwehr eines Virus dann aber doch. Europapolitisch isolierte Merkels Migrationspolitik unser Land gegenüber unseren nicht ganz so migationseuphorischen Nachbarn. Und sozialpolitisch führte sie zur Schaffung einer neuen, von Sozialtransfers lebenden und kulturell nicht integrierten Unterschicht. Das hat uns den explosiven französischen Verhältnissen nähergebracht. Zudem wurde unser innenpolitisches Klima vergiftet, als die medialen und politischen Claqueure Angela Merkels ohne erkennbares Widerstreben der Kanzlerin als zentralen politischen Glaubenssatz durchsetzten: „Nur wer Merkels alternativlose Politik vertritt, ist anständig oder klug genug, um ernstgenommen zu werden“. 

Sehr üble Folgen hatten auch die parteipolitischen Fehler Angela Merkels. Als CDU-Vorsitzende besaß sie wohl nie ein Gespür für jenes stets neu auszugleichende Zusammenwirken von zukunftsoffener Liberalität, von realistischer Sozialität und von vertrauenssicherndem Konservatismus, das einst der westdeutschen CDU ihren Erfolgsweg wies. Vielmehr ging Angela Merkel nach ihrem fast verpatzten ersten Bundestagswahlkampf in der Konkurrenz zwischen Deutschlands Parteien stets den Weg des geringsten Widerstands. Zur Daumenregel ihrer Parteiführung wurde: Was immer an CDU-Positionen einer grün-linken Journalistenmehrheit missfällt, muss abgeräumt werden. Gerade so verfuhr sie mit der allgemeinen Wehrpflicht, bei der Energiepolitik, bei der Stabilitätspolitik in der Eurozone, bei der Migrationspolitik und auch bei der Familienpolitik. 

Für alle diese Veränderungen früherer CDU-Positionen mochten ja durchaus erwägenswerte Gründe sprechen. Außerdem ist nichts allein schon deshalb falsch, weil Grüne oder Sozialdemokraten es fordern. Doch es macht einen wirklich großen Unterschied, ob man sich einer neuen Mehrheit mit neuen Wünschen irgendwann fügt, oder ob man gar nicht erst die Abwehr solcher Neuerungen versucht, die man bislang mit guten Gründen abgelehnt hat. Die Führung der Merkel-CDU hat jedenfalls bei allen diesen parteipolitischen Umorientierungen die öffentlichen Debatten einfach laufen lassen und sich mit der Rolle eines trudelnden Korkens auf modischen Stromschnellen begnügt.

Das ist der CDU wirklich schlecht bekommen. Vergönnt sei dieser Partei, dass sie sich so ein Wählerpotential bei den allzeit modischen Grünen erschlossen hat. Ob die Deutschen dann aber nicht lieber das Original als die Kopie wählen werden? Und als die „pragmatischste SPD, die Bundesdeutschland je hatte“, trug die CDU wirklich viel dazu bei, dass die Sozialdemokratie inzwischen einen Großteil ihrer Wählerschaft verloren hat. Das ist – scheint mir – nicht gut für unser Land. Vor allem aber hat die Merkel-CDU durch ihre inhaltliche Neuaufstellung als Partei ausschließlich der politischen Mitte bereitwillig Platz für die AfD gemacht, und zwar wider viele Warnungen. An diese neue Konkurrenzpartei verlor die CDU inzwischen viele Mitglieder, und noch viel mehr Wählerinnen und Wähler. Obendrein erklärte die CDU-Führung – teils aus Furcht vor linker Kritik, teils aus Arroganz –, all den zur AfD abgewanderten Wählern weine man auch keine Träne nach. Vielmehr grenze man sich fortan strikt selbst dann gegen die AfD ab, wenn diese Partei frühere CDU-Positionen vertreten sollte. Auf genau diese Weise brachte Angela Merkel die CDU um ihre einst fraglose Dominanz auf dem gesamten politischen Spielfeld zwischen der Mitte und dem rechten Rand. Stattdessen begab sich die CDU in eine strategische Abhängigkeit von den Grünen. Das wird dieser Partei womöglich das traurige Schicksal der SPD bescheren.

Weshalb aber verhielt sich Angela Merkel so? 

Es stimmt einfach nicht, dass sie stets „alle Probleme vom Ende her bedenkt“. Vielmehr achtete sie seit Beginn ihrer Kanzlerschaft grundsätzlich darauf, in Übereinstimmung mit der jeweiligen öffentlichen Meinung zu handeln. Nichts scheute sie mehr, als bei den – überwiegend grün-links sympathisierenden – Journalistinnen und Journalisten gleichsam in Ungnade zu fallen. Wer gutwillig ist, kann das ein Streben nach demokratischer Dauerlegitimierung nennen. Wer kritisch blieb, der nennt das Opportunismus. 

Auch bei ihm lässt sich Angela Merkel zweifellos von Grundwerten unserer Verfassung leiten. Sie orientiert sich aber offensichtlich nicht an dem, was man einst die „Werte der CDU“ genannt hätte – abgesehen davon, dass für diese Partei weiterhin die Ausübung von Regierungsmacht der oberste Wert ist. Tatsächlich passt Angela Merkel vor allem deshalb so gut zur CDU, weil sie vom grundsätzlichen Pragmatismus dieser Partei sowie von deren großer Loyalität zu Wahlsiegern profitiert. Doch inhaltlich könnte Angela Merkel auch eine Sozialdemokratin oder eine Grüne sein. 

Genau deshalb mochte der stark grün-links geprägte Medienbetrieb sie auch so sehr. Er ermöglichte es ihr, dass sie – wie keiner ihrer Vorgänger – stets Spitzenplätze demoskopisch ermittelter Beliebtheit erreichte. Doch die Ursachen aktuellen Politikeransehens sind nun einmal nicht die gleichen wie die eines nachhaltigenpolitischen Erfolgs. Deshalb ist Angela Merkels politische Bilanz bestenfalls durchwachsen.

Inzwischen befremdet auch immer mehr ihre offensichtliche Lust am „Durchregieren“. Der aufgeklärte Absolutismus scheint unserer Kanzlerin jedenfalls nicht wesensfremd zu sein. Natürlich bedarf gerade ein solcher Regierungsstil einer überzeugenden moralischen Ausrichtung. An der muss man bei Angela Merkel zwar nicht zweifeln. Doch die von ihr – durchaus auch eigennützig – zugelassene Moralisierung der Gegenstände auch von Sachdebatten mindert klar die Vorteile unserer eigentlich auf praktizierten Pluralismus gegründeten Demokratie. Deren Nutzen besteht nämlich im nötigenfalls auch aufgezwungenen Lernen aus einem fairen Streit über Ziele, Mittel und Prioritäten in der Politik.Alles in allem wurde für Angela Merkel ihre Zeit als Spitzenpolitikerin zum persönlichen Triumph. Doch unser Land nahm während jener Jahre etlichen Schaden. Deutschland hat freilich noch viel Schlimmeres auch schon überstanden.

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