Noch ein Verleumdungsraunen

Noch ein Verleumdungsraunen

Unlängst meinte ein mir unbekannter Dominik Bartels, die Helmstedter CDU – sie hatte mich zu einer Rede beim diesjährigen Politischen Aschermittwoch eingeladen – vor mir warnen zu müssen (siehe seinen Facebook-Kommentar vom 9. Februar 2020 auf der FB-Seite der CDU Helmstedt). Der Text von Herrn Bartels ist so voll von Ahnungslosigkeit und zugleich so überzeugungsgewiss hinsichtlich von als Tatsachen unterstellten Vorurteilen, dass er als beispielhaft für jenes Verleumdungsraunen gelten kann, das meine öffentliche Tätigkeit seit etwa 2014 begleitet.

Üblicherweise ignoriere ich derlei Äußerungen. Weil aber in Helmstedt neulich sehr viele persönlich hören konnten, wofür ich wirklich stehe, mache ich mir ausnahmsweise den Spaß, die einzelnen Aussagen von Herrn Bartels systematisch durchzugehen.

Erstens wäre ich ein „Mann, der eine Koalition von CDU und AfD im sächsischen Landtag fordert“. Nicht nur habe ich das nie getan. Sondern außerdem habe ich schon vor dem letzten sächsischen Landtagswahlkampf eine solche Koalition öffentlich für unmöglich erklärt, wie sich leicht ergoogeln lässt. Im Übrigen findet sich meine reale, seit 2014 eingenommene Position zur AfD umfangreich dokumentiert in meinem Buch „CDU, AfD und die politische Torheit“, Dresden 2019 (Weltbuch), desgleichen auf meinem Blog https://wjpatzelt.de.

Zweitens habe ich – wie von Herrn Bartels erwähnt – tatsächlich für die AfD Gutachten geschrieben und Vorträge gehalten. Doch es ist schon wichtig, auf deren Inhalte zu achten. Denn in insgesamt drei Gutachten für AfD-Mitglieder habe ich den AfD-Politikern Bernd Höcke Rassismus und Wolfgang Gedeon Antijudaismus nachgewiesen sowie der sächsischen Landtagsfraktion der AfD 2015 aufgeschrieben, auf welche Weise sie – gerade auch in Auseinandersetzung mit dem Koalitionsvertrag der damaligen Großen Koalition Sachsens – die ihr zugefallene Rolle als parlamentarische Opposition systemkonform ausüben sollte; letzteres war auch Gegenstand eines internen Seminars, das ich im Frühsommer 2015 auf Bitten der damaligen Fraktionsvorsitzenden Petry für die wenige Monate zuvor neu gewählte AfD-Landtagsfraktion durchführte. Ferner habe ich in drei Vorträgen der AfD vor Augen geführt, was sinnvolle Instrumente direkter Demokratie wären, welches aber die abzulehnenden; dass die AfD sich von Radikalismus und Extremismus fernhalten und diesbezüglich auch eine ganz besondere Verantwortung am rechten Rand unseres politischen Systems erfüllen müsse; und was eine angemessene Vorstellung von Populismus sowie eine unserem politischen System angemessene eigene Umgangsweise mit dem gerade für die AfD typischen Rechtspopulismus wäre. Keine dieser Tätigkeiten ist normativ oder sachlich kritikwürdig. Im Übrigen sind alle meine Gutachten und Vorträge für die AfD teils seit Jahren veröffentlicht, so dass sich jeder selbst ein Bild machen kann (die entsprechenden Links finden sich allesamt hier: https://wjpatzelt.de/2020/02/01/patzelt-geheimgutachten-fuer-die-afd/).

Völlig falsch ist – drittens – die Behauptung, ich sei ein „Mann, der maßgeblich das Parteiprogramm der AfD in Sachsen zu verantworten hat“. In Wirklichkeit war ich Ko-Vorsitzender der Wahlprogrammkommission der sächsischen CDU (!); mit der Programmarbeit der AfD hatte ich niemals etwas zu schaffen. Woher nur nimmt Herr Bartels solchen Unsinn?

Viertens sei ich jemand, „der den Begriff ‚Umvolkung‘ nur als ‚unverblümten Begriff‘ für den drohenden ‚Übergang zur Multiethnizität‘ bezeichnet hat“. Tatsächlich habe ich mich so am 3. November 2015 in einem öffentlichen Vortrag zum Thema „Was ist ein Volk?“ geäußert (veröffentlicht in Joachim Klose / Rüdiger Voigt, Hrsg.: Grenzen in Zeiten der Entgrenzung, Dresden 2017, S. 29-40). Es lohnt allerdings sehr, den Zusammenhang dieser Aussage zur Kenntnis zu nehmen: „Gegen diesen [in den vorangehenden Passagen eerörterten] demokratieanalytischen Hintergrund ist nun leicht zu erkennen, wie fahrlässig es ist, Grenzen für unwichtig, ihre Sicherung für überholt zu erklären – oder das Zuwandern wie eine Naturtatsache zu nehmen, gegen die man so wenig tun sollte wie gegen die Abfolge der Jahreszeiten. Leichtfertig ist es auch, mit politischen Zielen wie dem ‚Übergang zu Multikulturalität und Multiethnizität‘ bloß zu spielen – gleich ob ein solches Spiel intellektuell, selbstdarstellerisch oder auch nur aus taktischen Gründen erfolgt. Die politische und ideologische Brisanz des hier in Aussicht Gestellten wird nämlich sofort sichtbar, wenn man die Rede vom ‚Übergang zur Multiethnizität‘ durch den unverblümten Begriff der ‚Umvolkung‘ ersetzt.“ Und verändert die Entstehung einer multiethnischen Gesellschaft denn wirklich nicht die Zusammensetzung des vor ihrer Entstehung ein Staatsgebiet bewohnenden Staatsvolks?

Fünftens sei ich ein „Mann, der ganz offen den Rücktritt Merkels forderte, damit die CDU in Sachsen überhaupt noch eine Überlebenschance habe“. Da bäte ich doch sehr um die Angabe der Zitierstelle, denn eine solche Aussage von mir erinnere ich überhaupt nicht. Was ich hingegen oft genug öffentlich erklärt habe, ist Folgendes: Die Politik Angela Merkels hat die Entstehung und das Großwerden der AfD gefördert; ihre Kanzlerschaft ist ein Problem für die Wahlkämpfe der ostdeutschen Landesverbände der CDU; und die sächsische CDU täte sich deshalb viel leichter mit einer anderen Regierungspolitik oder mit einer anderen Person an der Spitze der Bundes-CDU. An dieser Einschätzung ist nachweislich nicht das mindeste falsch; und als Parteivorsitzende ist Angela Merkel ja auch aufgrund von andauernden CDU-Wahlniederlagen dankenswerterweise schon vor längerer Zeit zurückgetreten.

Sechstens sei ich ein „Mann, der die PEGIDA-Bewegung als eine Ansammlung besorgter Bürger relativierte“. Tatsache ist nur, dass ich im Rahmen eines von mir geleiteten Forschungsprojekts zwischen Anfang Dezember 2014 und Ende Januar 2015 sämtliche Pegida-Demonstrationen als wissenschaftlicher Beobachter besuchte (freilich nicht im Demonstrationszug mitlief, sondern diesen von verschiedenen Positionen aus beobachtete) sowie in vier Teilnehmerbefragungen zwischen dem Januar 2015 und dem Januar 2016 mit Hilfe studentischer Hilfskräfte insgesamt rund 1000 Pegida-Demonstranten nach einem Quasi-Stichprobenverfahren anhand standardisierter Fragebögen befragte. Auf diese Weise machte ich mir ganz aus der Nähe ein viel differenzierteres Bild von Pegida als jene, die sich auf gelegentliches Beobachten jener Demonstrationen oder die mediale Berichterstattung verließen. Es zeigte sich dabei: Keineswegs waren bis zum Januar 2016 sämtliche Pegida-Demonstranten zweifelsfreie Rassisten, Faschisten und Nazis, sondern unter ihnen waren sehr viele Leute, die sich über die Zukunft unseres Landes Sorgen machten und deshalb über die deutsche Politik empört waren. Diese Aussage relativiert nichts, sondern beschreibt nur tatsachengetreu, wer wirklich die Pegida-Demonstranten zwischen dem Januar 2015 und dem Januar 2016 waren. Sämtliche Befunde der Pegida-Studien der von mir geleiteten Forschungsgruppe finden sich übrigens in meinem folgenden, 667 Seiten umfassenden Buch: „PEGIDA. Warnsignale aus Dresden“, Dresden (Thelem) 2016. Auch hinsichtlich meiner Positionen zu Pegida gibt es somit keinen guten Grund mehr zum ahnungslos-verleumderischen Raunen.

Siebtens wäre ich ein „Mann, der sich in der rechtsradikalen Zeitschrift ‚Junge Freiheit‘ ganz unverhohlen über den Wahlerfolg der AfD gefreut hat“. Einesteils scheint die Einstufung der Jungen Freiheit als „rechtsradikal“ nicht auf eigener, wenigstens fallweiser oder querschnittsartiger Lektüre dieser Zeitung zu beruhen, ist also wohl nichts weiter als die glaubensfeste Weitergabe von Formeln aus dem Hörensagen. Andernteils bäte ich da ebenfalls um die Angabe einer Zitierstelle. Denn Wahlerfolge der AfD haben mich als Mitglied der CDU noch nie gefreut, sondern mich allenfalls als Analytiker zufrieden mit meinen Vorhersagen über die – mir politisch ganz unwillkommenen – Folgen des seit jeher falschen Umgangs mit der AfD gemacht. Von meinen tatsächlichen, nicht verleumderisch zugeschriebenen Aussagen über AfD-Wahlerfolge kann sich im Übrigen jeder selbst ein Bild machen, nämlich durch Lektüre der unter „AfD“ kategorisierten Beiträge auf meinem Blog https://wjpatzelt.de.

Achtens sei ich jemand, „der dem Thüringer Kurzzeit-Ministerpräsidenten riet, mit der AfD zusammenzuarbeiten“. In Wirklichkeit habe ich gleich nach dessen Wahl am 5. Februar 2020 um 14:20 auf meiner Facebook-Seite die folgende Stellungnahme abgegeben:

Zur überraschenden Wahl eines FDP-Politikers zum Thüringer Ministerpräsidenten meine ich:

An der Wahl des FDP-Landtagsabgeordneten Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten erkennt man, wie töricht es vom CDU-Vorsitzenden Mohring war, nicht gleich am Wahlabend dreierlei erklärt zu haben: die bisherige Thüringer Regierung ist abgewählt; die beste Lösung wäre es, nun in Thüringen eine Minderheitsregierung mit klarem Politikangebot ins Amt zu bringen; und deshalb werde er oder ein anderer CDU-Politiker als Gegenkandidat antreten, wann immer sich Ramelow zur Wiederwahl als Ministerpräsident stelle.

Wie die heutige Wahl eines FDP-Abgeordneten zum Ministerpräsidenten zeigt, hätten die Chancen auch für einen CDU-Politiker nicht schlecht gestanden; und plausibler als eine Regierungsführung durch die kleine FDP wäre es allemal gewesen, einen Politiker der größeren CDU als Ministerpräsidenten zu haben.

Wie nun weiter?

Sarkastisch formuliert: Der Ministerpräsident Kemmerich muss sofort zurücktreten und sich öffentlich dafür entschuldigen, überhaupt der AfD die Chance gegeben zu haben, für jemand anderen als Ramelow zu stimmen! In Japan wäre außerdem Harakiri geboten, um diesen politischen Tabubruch zu sühnen.

Analytisch formuliert: Kemmerich sollte an die Spitze der Ministerien FDP- und CDU-Politiker stellen; er sollte mit ihnen im Rahmen des ja beschlossenen Haushaltes eine möglichst unkontroverse Politik weiterführen; und zur unvermeidlichen Frage, wie er es denn nun mit der AfD-Unterstützung halte, sollte er erklären:

„Es ist das Recht eines jeden Abgeordneten, für mich zu stimmen. Und nun ist es die Pflicht meiner Regierung, in den Ausschüssen des Landtages mit den Abgeordneten aller Fraktionen so redlich zusammenzuarbeiten, dass eine unserem Gemeinwohl dienliche Politik zustande kommt. Meine Regierung wird sich dabei allein von sachlichen Überlegungen leiten lassen, also auf jede unnötige Schärfe oder Polemik in der politischen Auseinandersetzung verzichten. Wer es unter den Thüringer Landtagsfraktionen ebenso halten will, dem biete ich die Hand zur Zusammenarbeit. Dass auch zu einer von grundsätzlicher Kooperationsbereitschaft getragenen Politik der Streit um das Richtige gehört, versteht sich von selbst. Nutzen wir jetzt aber alle die Chance, uns von früherer Polemik abzukehren und zu einer Debattenkultur zu finden, die unserer freiheitlichen Demokratie und einem pluralistischen Parlamentarismus wirklich angemessen ist!“

Das ist ein ziemlich anderer Ratschlag als der, den Herr Bartels mit zuschreibt. Doch vermutlich wusste er – wie bei seinen anderen Vorwürfen – auch gar nicht, welche Position ich wirklich vertrete, sondern phantasierte im Rahmen seiner Vorurteile. Milde kann man seine – eindeutig herabsetzend gemeinten – Äußerungen also „leichtfertig“ nennen, streng aber auch „niederträchtig“.

Neuntens sei ich ein „Mann, dem die TU Dresden die Seniorprofessur verweigert hat“. Das ist richtig, weshalb ich ordnungsgemäß mit knapp 66 Jahren pensioniert wurde und meine Arbeitskraft nun nicht länger der TU Dresden zur Verfügung stelle. Grundlage dieser Verweigerung waren ganz wesentlich jene Verleumdungen, die Leute wie Bartels seit Jahren in die Welt setzen und von denen sich etliche Kollegen der Philosophischen Fakultät gemeinsam mit dem Rektor der TU Dresden beeindrucken ließen.

Zehntens werden von Bartels wie Tatsachen die – allerdings mit den Tatsachen in keiner Weise übereinstimmenden – Behauptungen des Dekans der Philosophischen Fakultät zitiert, ich pflegte eine „nicht hinnehmbare Nähe zur AfD und zu PEGIDA“ und hätte – wohl dadurch – „auf unzulässige Weise die wissenschaftliche und die politische Rolle vermengt“. Erstens bin ich Pegida allein als empirisch forschender Politikwissenschaftler nahegekommen, was freilich auch der Urteilskraft von vielen „Ferndiagnostikern“ aufgeholfen hätte. Zweitens bin ich der AfD ausschließlich als Politiklehrer in die Nähe gekommen, als welcher ich – ausweislich der realen Entwicklung der AfD – aber nicht sonderlich erfolgreich war. Doch immerhin habe ich, anders als so viele andere, wenigstens versucht, der AfD den – im Sinn unserer pluralistischen Demokratie – richtigen Weg persönlich aufzuweisen. Drittens ist auch ein Politikwissenschaftler ein Bürger, der sich politisch betätigen darf. Allerdings ist ein Politikwissenschaftler ein Bürger, der – idealerweise – zusätzliche politikanalytische Kompetenz aufzuweisen hat. Wenn er dann gerade deshalb auch medial einige Wirksamkeit entfalten kann und dabei die eine oder andere politische Wirkung erzielt: Was ist daran wohl zu kritisieren – außer, dass der eine oder andere aus meinem Mund bisweilen Dinge hört, welche die eigene politische Meinung gerade nicht bestätigen? Doch über die Tatsachen von Politik und deren Deutung zu streiten, ist nun einmal der Kern pluralistischer Demokratie; und deshalb ist es besonders schwach, aus der Verschiedenheit von Positionen einen Vorwurf zu machen.

Was also bleibt von der Kritik von Herrn Bartels? So gut wie nichts. Es ist halt nicht wirklich zuverlässig, anstelle von Originalexten vor allem die Überschriften von – nicht selten tendenziösen – Medienberichten für bare Münze zu nehmen …

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