Gute Wünsche für Thüringens Minderheitsregierung

Gute Wünsche für Thüringens Minderheitsregierung

Auch eine „Projektregierung“, wie sie für Thüringen inzwischen ins Gespräch gebracht wird, ist eine Minderheitsregierung – nur eben eine solche, die diesen Namen scheut. Sie hat nämlich keine Mehrheit im Parlament, die sich auch gegen parlamentarisches Widerstreben stabil halten ließe.

Vielmehr kann – falls medial oder innerparteilich dafür stark genug geworden – der ohne Mehrheit regierende Ministerpräsident sich an andere Projekte als die vorab vereinbarten mit anderen Partnern machen, und zwar ganz ohne dass der anfängliche ‚Projektpartner‘ die Macht hätte, den Regierungschef daran zu hindern. Umgekehrt lässt sich alles, was an ‚Projektregierungen‘ sinnvoll sein kann, auch über eine ‚typenreine‘ Minderheitsregierung anstreben: Sobald man Vertrauen zu nicht an der Regierung beteiligten Führungspolitikern anderer Parteien gefasst hat, kann man mit ihnen konkrete Projekte vereinbaren und politisch durchsetzen.

Im Grunde zeugt das Verlangen nach einer ‚Projektregierung‘ oder nach einer ‚Regierung mit festem Tolerierungspartner‘ nur von abzulehnendem Denk- und Strukturkonservatismus: Letztlich wünscht man unverändert wie in jenen Mehrheitsregierungen arbeiten zu können, die Deutschland gewohnt war, bevor die politische Klasse unser Parteiensystem durch ihre mangelnde Bereitschaft zersplittern ließ, auf entstehende Repräsentationslücken durch innerparteiliche Positionsreformen zu reagieren. Dafür bezahlen wir heute durch die Einführung von Minderheitsregierungen, wie sie allerdings Skandinavien – dank anderer Geschichte seiner Parteiensysteme – längst kennt. Und Thüringen wird zeigen, dass man diese Entwicklung von der Mehrheitsregierung als Standardform parlamentarischer Regierungsweise hin zur Minderheitsregierung als deren Ausnahmeform zwar zu Recht bedauern kann, dass es aber keinen Grund zum Alarmismus dahingehend gibt, fortan werde ein Land unregierbar.

Der nachstehende Artikel erschien vor Weihnachten 2019 in der Wahlkreiszeitung eines Thüringer CDU-Landtagsabgeordneten und sei hier einer weiteren Leserschaft zugänglich gemacht.

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Die Thüringer Landtagswahl brachte der Linken die Amtszeitverlängerung ihres Ministerpräsidenten und eine Parlamentspräsidentin, hält die CDU mit erneut drastischen Verlusten für weitere Jahre von landespolitischer Macht fern, versetzte der SPD eine neue Niederlage, ließ grüne Träume platzen – und bescherte der AfD einen großen Wahlsieg. Ansonsten gab es geringe Gewinne von regierender Linker und knapp ins Parlament gelangter FDP.

Thüringens Linksregierung wurde zwar nicht abgewählt. Dazu gehörte nämlich ein Wahlsieger, der eine alternative Mehrheitsregierung anführen kann. Den aber gibt es nicht. Dramatisch ist am Wahlergebnis vor allem, dass nun – erstmals zu bundesdeutsche Zeiten – keinerlei „politisch natürliche“ Koalition mehr eine Landtagsmehrheit errang. Der sich gut zusammenfügende „Linksblock“ aus Linker, SPD und Grünen, wohl bald auch auf Bundesebene koalitionsbereit und wählbar, errang gerade keine Zustimmung, die seine Politik bestätigt hätte. Und nicht einmal mehr eine rechnerische Mehrheit hat jener von der Linken so sehr gefürchtete, ja abgrundtief gehasste „Rechtsblock“ aus CDU und AfD, der auf absehbare Zeit ohnehin politisch nicht zustande kommen kann. Denn viel zu gärig ist immer noch die AfD, und weiterhin lebt sie in der allzeit skandalträchtigen Versuchung, mit rechtsdemagogischen Tönen Beifall zu erheischen. Durchaus ist offen, ob ihr letzter Bundesparteitag wirklich eine Wendung zum bundesdeutschen Normalverhalten brachte.

In dieser Lage wollten manche die Thüringer CDU in die Pflicht nehmen, sich als Mehrheitsbeschafferin an die Seite der Linken zu begeben. Zwar ist es grundsätzlich erstrebenswert, dass alle Parteien, die unsere Demokratie tragen wollen, untereinander koalitionsfähig und koalitionsbereit sind. Doch Bündnisse müssen auch einen politischen Sinn haben. Der aber fehlt nicht nur bei allzu geringen Schnittmengen der Partner, sondern auch dann, wenn schon anfangs klar ist, dass eine Partei sich durch Regierungsbeteiligung unglaubwürdig machen, ja nachhaltig schädigen würde. Der SPD sind solche Überlegungen inzwischen zur zweiten Natur geworden. Und gerade für Thüringens CDU, einst besonders eifrig in „Rote-Socken-Kampagnen“ gegen die PDS, würde ein Bündnis mit der Linken zum Auslöser des endgültigen Absturzes. Niemand könnte dann mehr an eine klare, vernünftige Linie dieser Partei glauben. Also gingen noch viel mehr ihrer früheren Mitglieder, Wähler und Anhänger an die AfD verloren. Im Grunde büßt Thüringens Union nun für jene politischen Fehler der Bundes-CDU, die den Aufstieg der AfD überhaupt erst möglich gemacht haben.

Wird aber Thüringen jetzt unregierbar? Nein. Dieses Land wird einfach das erste Beispiel für eine wirkliche Minderheitsregierung in Deutschland geben, nämlich für eine solche, die – anders als einst beim „Magdeburger Modell“ – ohne einen festen, mehrheitssichernden „Tolerierungspartner“ auskommt. In Brandenburg und Sachsen glaubten die dortigen Ministerpräsidenten, derlei wäre zu gefährlich – entweder für ihr Land oder für sie selbst. Also schufen sie, wie zuvor schon in Sachsen-Anhalt, ein Anti-AfD-Bündnis aus CDU, SPD und Grünen. In Brandenburg wollte sich dafür auch die SPD, anders als in Thüringen, nicht mehr mit der Linken verbünden. Das Ergebnis dürfte trotzdem in allen drei Ländern ein weiterer Aufstieg der AfD als „Anti-Linksblock-Partei“ sein.

Indessen ist das Risiko von Minderheitsregierungen auf Landesebene überschaubar, auch aufgrund der stark ausgedünnten Landeskompetenzen. Ins Amt kommt der Ministerpräsident beim dritten Wahlgang durch einfache Mehrheit. Die hat in Thüringen die Linke – erst recht, wenn SPD und Grüne den linken Kandidaten mitwählen. Auch ist der Haushalt für das kommende Jahr schon beschlossen; später kann man das Land immer noch nach den Grundsätzen vorläufiger Haushaltsführung verwalten. Vor allem darf (!) eine echte Minderheitsregierung mit allen politischen Kräften im Land zusammenwirken: In den Ausschüssen des Landtags debattieren dann Minister, Ministerialbeamte und Abgeordnete aller (!) Fraktionen über das Tun und Lassen der Regierung, und zwar ohne jede legitime Möglichkeit institutioneller Ausschließeritis. So muss es eine Minderheitsregierung erst recht halten, sobald sie für Gesetzgebung und Haushalt eine Parlamentsmehrheit braucht. Dann aber wird sich unabwendbar zeigen, mit wem eine pragmatische Regierung politisch arbeiten kann, mit wem aber nicht – etwa: weil von ihm viel Polemik, doch wenig Sachkunde eingebracht wird. Unter derlei Umständen könnte in Ländern wie Sachsen und Sachsen-Anhalt eine CDU-Minderheitsregierung die AfD an ihrer „Sollbruchstelle“ spalten, nämlich zwischen verbitterten Ex-CDUlern und in die Partei gelangten Rechtsradikalen. Einer linken Minderheitsregierung wie in Thüringen mag es hingegen gelingen, die CDU zu spalten: zwischen solchen, für die seit einigen Jahren eine Mitte-Links-Politik zum einzig vorstellbar vernünftigen Kurs geworden ist – und denen, welche die Dauerpräsenz der AfD nicht wie eine Naturtatsache hinnehmen wollen, sondern jene Positionen erneut zu besetzen wünschen, welche die Union inzwischen, ganz zum Nachteil von Partei und Land, der AfD überlässt.

Vielleicht also zeigt sich bald in Erfurt, wie man viel geschickter, auch für die AfD unangenehmer, mit der unser politisches Leben so sehr belastenden Polarisierung unseres Parteiensystems umgehen kann. Diese hat ganz wesentlich die nach links gerückte CDU verschuldet, wenn auch unter dem Druck und der Verführungskunst von Medien und linken Parteien. Jedenfalls wollte die Union nicht mehr ihre frühere Integrationsaufgabe bis hin an den rechten Rand erfüllen, sondern ließ ihren Führungswillen aufs Mitschwimmen „in der politischen Mitte“ verzwergen. „Schwarz-grün“ wurde zum Leitmotiv dieses Unternehmens ohne dauerhafte Rendite. Nun aber wird – zunächst in Thüringen – die CDU gezwungen, einen weniger bequemen, dafür aber wohl langfristig erfolgreicheren Weg zu gehen: den einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der AfD als Schicksalsgenossin in der Opposition.

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