Zum CDU-Richtungsstreit

Zum CDU-Richtungsstreit

Am letzten Donnerstag, 31. Oktober, führte ich mit Patrick Mayer von web.de/GMX.net ein Interview zur Führungslage in der CDU. Am Sonntag, 3. November erschien es online (https://web.de/magazine/politik/prof-dr-werner-patzelt-cdu-akk-merkels-abwaertskurs-34148990). Nachstehend mache ich es auch hier und über Facebook nachlesbar.

In der CDU sind nach der Wahlschlappe in Thüringen Machtkämpfe entbrannt. Was das für die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer bedeutet und welche Teile der Union Friedrich Merz als Widersacher von AKK unterstützen, haben wir mit dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner J. Patzelt besprochen.

Herr Patzelt, nach der Wahlschlappe in Thüringen wird in der CDU eifrig über die künftige Ausrichtung gestritten.

Prof. Dr. Patzelt: Nicht mehr nur die Basis der Partei fragt sich, ob der bisherige Kurs der Kanzlerin und langjährigen Parteivorsitzenden Angela Merkel die CDU doch noch voranbringen kann oder sie in der Wählergunst weiter absacken lässt. Vielmehr erörtern nun auch die Führungskreise der Union diese Frage. Man kann ja allmählich nicht mehr sehenden Auges eine Wahl nach der anderen verlieren und dann auf die kommende Bundestagswahl zugehen, ohne eine verlässliche Analyse gemacht zu haben, ob der bisherige Parteikurs wohl eher richtig oder eher falsch war – und im letzteren Fall eben korrigiert werden müsste. Genau darüber wird gestritten, und das hat Friedrich Merz auch mit etwas anderen Worten ausgedrückt.

Weil verschiedenen Kräften in der Union der Kurs der Bundeskanzlerin nicht mehr konservativ genug ist?

Das „Konservative“ an Merkels Kurs besteht inzwischen im „Weiter so“. Das betrifft vor allem die Aufstellung der CDU als zweite sozialdemokratische Partei. Außerdem war für den Abstieg der CDU in der Wählergunst eindeutig jene Migrationspolitik von 2015/16 entscheidend, die unser Land so stark und wider vielerlei Wünsche verändert hat. Dieser Kurs ist mittlerweile zwar durch die sogenannten Asylpakete stark korrigiert worden. Es wurde aber von der CDU-Führung nicht eingestanden, dass diese Kurskorrekturen genau wegen der Fehlerhaftigkeit der zuvor betriebenen Migrationspolitik nötig wurden.

Auch wurden die inzwischen getroffenen Neuregelungen ehedem, und oft mit Nachdruck, als unseren Werten ganz widersprechend hingestellt – vor allem dann, wenn sie auch von der AfD gefordert wurden. Ausreichend, oder anders als verlegen, wurde auch noch nicht kommuniziert, dass Deutschland nun eine sehr andere Migrationspolitik zu praktizieren versucht als damals. Also sitzt die Partei der Kanzlerin weiterhin in der Unglaubwürdigkeitsfalle.

Sie selbst gehören der sogenannten Werteunion an, einem konservativen Flügel der CDU. Was sagen denn die Parteikollegen?

Viele Leute, die sich selbst als konservativ empfinden, fühlen sich in der CDU nicht mehr willkommen oder von ihr nicht mehr vertreten. Deshalb will die Werteunion im Grunde nur, dass die CDU wieder solche Positionen vertritt, wie sie die Partei zur Zeit von Helmut Kohl wirklich wählerstark gemacht haben. Geschwächt aber wurde die Union bei der eher konservativen Wählerschaft insbesondere durch die allzu brüske Energiewende oder durch die handstreichartige Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht bzw. Einführung der Ehe für alle, und insbesondere Merkels neue Migrationspolitik.

Im Wahlprogramm von 2002 – Parteivorsitzende war damals schon Merkel – steht beispielsweise noch klar, dass die Migration nach Deutschland „gesteuert und begrenzt“ werden muss. Von dieser – und manch anderer – sehr plausiblen Position aber hat sich die CDU nicht erst seit 2015 wählerabschreckend entfernt. Deshalb machen nun viele Wähler, die früher der CDU anhingen, ihr Wahlkreuz bei der AfD. Das kann einen CDUler nicht freuen. Um diesen Gesamtzustand zu ändern, engagiert sich nun eine veränderungswillige Minderheit bei der Werteunion. Den Merkel-Anhängern in der CDU missfällt das natürlich sehr.

Würden Sie, als Politikwissenschaftler, nicht als Parteimitglied, die jüngsten Niederlagen eher an Kanzlerin Merkel festmachen? Oder an ihrer Nachfolgerin im Parteivorsitz, Annegret Kramp-Karrenbauer, kurz AKK?

Die Lagebeurteilungen des Parteimitglieds folgen in meinem Fall stets denen des Politikwissenschaftlers! Hier lautet meine Lagebeurteilung so: Die Serie der Wahlmisserfolge fing schon bei der Bundestagswahl von 2017 an. Mit Ausnahme der Bremen-Wahl musste die CDU seither besonders heftige Verluste hinnehmen. Merkel trat als Vorsitzende ab, als sich der begonnene Niedergang ihrer Partei nicht mehr gesundbeten ließ. Anschließend enttäuschte AKK große Hoffnungen, sie werde die CDU auf einen nachweislichen Erfolgskurs zurückführen und zu diesem Zweck erneuern. Vielleicht fehlte ihr die Durchsetzungskraft, vielleicht aber ohnehin ein entsprechender Wille. Jedenfalls ist die CDU auch unter AKK immer noch auf Merkels Abwärtskurs.

Ist nun eine Reaktion der Kanzlerin zu erwarten? Anders gefragt: Müsste jetzt nicht eine Reaktion von Frau Merkel kommen?

Wenn Angela Merkel noch eine weitere Wahlperiode vor sich hätte, müsste sie etwas tun. Da aber klar ist, dass ihre letzte Wahlperiode läuft und diese vielleicht – durch Ausstieg der SPD – schon in wenigen Monaten endet, steht sie unter keinerlei Druck, sich nochmals in den Dienst ihrer Partei zu stellen. Nur zum Vergleich: Helmut Schmidt tat das bis zum Tag seiner Abwahl, obwohl er niemals Parteivorsitzender war.

Doch nachdem klar ist, dass genau Merkels Politik ursächlich für die Stimmenverluste der CDU war, wäre es wohl auch parteipolitisch nutzlos, würde sich die Kanzlerin wieder in innenpolitische Niederungen begeben. Also nimmt sie mit Vorliebe außenpolitische Termine und zeremonielle Anlässe wahr. Doch ihr Amt verdankt sie in unserer Demokratie nun einmal der Zustimmungsbereitschaft der Bevölkerung; also müsste sie eigentlich um den Fortbestand von Zustimmung werben. Auf den letzten Metern ihrer vor der Energiewende erfolgreichen Kanzlerschaft kann man Merkel ihr durchaus plausibles Meideverhalten aber wohl nachsehen.

Widersacher formieren sich nun, etwa der ehemalige Bundestagsfraktionsvorsitzende Friedrich Merz oder der Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn.

Jetzt gibt es zum ersten Mal die Chance, Merkel im Staatsamt zu beerben. Auf dem Papier stünde der Zugriff AKK zu. Sie wird sicher um dieses Vorrecht des Parteichefs auch kämpfen. Doch Friedrich Merz hat mit Merkel noch eine saftige Rechnung offen, und die will er gern beglichen haben. Jens Spahn wiederum hat im letzten Jahr seinen Hut in den Ring geworfen. Würde er jetzt so tun, als ginge ihn das aktuelle Kräftemessem nichts an, verlöre er an Ansehen und Autorität. Armin Laschet hält sich lauernd im Hintergrund sowie in Reserve für den Fall der Fälle. Und manche bringen den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder von der CSU ins Spiel, um die taktischen Optionen zu vermehren. Vor allem die Junge Union will um eigener Karrierechancen willen eine Kursänderung – und setzt ihre Hoffnungen, wegen seiner guten Performance im Ringen mit AKK und Spahn, auf Merz.

Sind die Machtkämpfe in der CDU schon mit dem Ringen innerhalb der SPD zu vergleichen?

Die SPD hat seit den Zeiten von Hans-Jochen Vogel einen Vorsitzenden nach dem anderen verschlissen, weil sie seit der Ära Kohl auf der Suche nach einem zur immer linkeren Parteiseele passenden Kurs ist. Sogar ein Schwergewicht wie Gerhard Schröder fiel dem zum Opfer.

Die CDU ist dagegen ein wirklich gern folgewilliger Kanzler-Wahlverein – aber nur so lange, wie das Alpha-Tier Wahlsiege und somit auch Mandate garantiert. Das ist mit Merkel nicht mehr der Fall, und mit AKK wahrscheinlich auch nicht. Also sind nach schmerzlichen Wahlniederlagen gerade in der CDU Führungsdebatten angesagt. Die Union muss sie aber redlich als Richtungsdebatten führen und dann mit einer klaren Kursentscheidung beenden. Verhält sie sich nicht so, wird sie das Schicksal der SPD ereilen.

Abschließend: In den letzten Jahren war erkennbar, dass es in der Politik mittlerweile mehr um Personen als um Themen geht. AKK hat in kurzer Zeit schwere Niederlagen erlebt. Kann sie für die CDU überhaupt noch eine Kanzlerkandidatin sein?

Ihre bei Amtsantritt gegebene Chance, für einen neuen Kurs zu stehen, hat AKK verstreichen lassen. Niemand weiß, ob sich ihr eine solche Chance noch einmal bietet. Außerdem ist das von AKK leichtfertig übernommene Verteidigungsministerium so geartet, dass es noch jeden Amtsinhaber seit Volker Rühe politisch beschädigt hat. Zumindest dürften jene Probleme, die auf AKK im neuen Regierungsamt zukommen, keine Aura einer künftigen Siegerin entstehen lassen.

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