Zur politischen Auseinandersetzung mit der AfD

Zur politischen Auseinandersetzung mit der AfD

I. Zweck und Mittel

Ist bei der Auseinandersetzung mit einem Gegner alles erlaubt? – Nicht einmal im Krieg ist das so. Verletzungen seiner Regeln nennt man Kriegsverbrechen und bestraft sie nach Möglichkeit. Auch im Sport ist nicht alles zulässig, was beim Bezwingen eines Gegners helfen kann. Etwa ahndet man beim Fußball Regelverletzungen mit Frei- und Strafstößen, mit gelben und mit roten Karten.

Ebenso sollten wir es in der Politik halten. Wir müssen das auch tun, wenn wir einen Staat als pluralistische Demokratie betreiben wollen, also im fairen Wettkampf um Wählerstimmen und Macht. Dann nämlich gilt: Bei politischen Auseinandersetzungen ist nicht wirklich alles gut, was der eigenen Sache nutzen mag. Zwar gibt es kein Gebot, ausgerechnet dem politischen Gegner freie Bahn zu schaffen. Sehr wohl aber sollten wir alle die Demokratie mitsamt jenen Regeln mögen, deren Befolgung ein demokratisches Spiel überhaupt erst ermöglicht.

Bloß in sehr wenigen Fällen darf ein guter Zweck auch schlechte Mittel nahelegen. Selbst dann bleibt aber fraglich, ob ein guter Zweck den Einsatz eines schlechten Mittel wirklich rechtfertigen kann. Viel öfter ist es ohnehin so, dass der Einsatz übler Mittel den verfolgten Zweck entwürdigt – und den Anwender solcher Mittel erst recht. So gehört es sich auch, wenn wir nicht Bösartigkeit und Niedertracht wie Tugenden behandeln wollen.

Glücklicherweise wollen wir das meistens wirklich nicht. Sogar in einer Nebensache wie dem Sport verurteilen wir „Schwalben“ oder Doping als unfaires Ausgehen auf einen Vorteil selbst dann, wenn wir uns zutiefst wünschen, den Rivalen zu bezwingen. Doch in einer Hauptsache wie der Politik empfinden leider viele durchaus Freude, wenn unfaires Verhalten – und gerade nicht ein erhoffter Fehler des Gegners – ihnen erwünschte Vorteile beschert.

 

II.Schlechtes beim Umgang mit der AfD

Leider ist es so in der politischen Auseinandersetzung mit der AfD gekommen. Gewiss ist es beim politischen Spiel ganz in Ordnung, viele Inhalte, Personen und Aktionen der AfD nicht zu mögen. Umgekehrt ist es ebenso in Ordnung, dass die Anhänger der AfD viele Inhalte, Personen und Aktionen anderer Parteien nicht mögen. Hieraus entstehendes Ringen um öffentliche Aufmerksamkeit, Deutungsmacht und Wählerstimmen ist nichts weiter als die konkrete Erscheinungsform von pluralistischer, auf Vielfalt und auf fairem Streit beruhender Demokratie.

Diese ist, neben der Sicherung der Menschenwürde, der zweite Brennpunkt unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Wer sie – wie ich – für etwas Gutes hält, muss dann aber auch die folgenden Kunstgriffe des politischen Kampfs gegen die AfD unterlassen (und, entsprechend abgeändert, ebenso gegen jede andere Partei). Außerdem sollte er es öffentlich kritisieren, wenn derlei üble Mittel – aus wie guten Absichten auch immer – gegen die AfD eingesetzt werden (oder, inhaltlich abgewandelt, gegen irgend eine andere politische Konkurrenzpartei):

  • Die Gleichsetzung von „AfD-nahe“ mit „menschlich fragwürdig“, „intellektuell verwerflich“ oder „politisch rechtsextrem“. Denn sehr wohl kann jemand auch noch die heutige AfD aus politischen Gründen mögen und unterstützen, ohne allein schon deswegen ein „schlechter Mensch“, ein „Gedankenverbrecher“ oder ein Feind unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu sein. Aus der Tatsache, dass es in den Reihen der AfD eben auch üble Typen mit törichten Ansichten und ohne Sympathie für unsere Demokratie gibt, folgt nämlich keineswegs, das verhalte sich mit jedem so, der diese Partei unterstützt.
  • Die Befürwortung von Gewalt bei der streitigen Auseinandersetzung mit der AfD. Gewaltanwendung beginnt schon mit dem Anschreien von AfD-Anhängern und dem Niederschreien von AfD-Rednern. Sie setzt sich fort im Verfertigen und Verwenden verleumderischer Behauptungen über die AfD und ihre Anhänger. Gewaltanwendung wird offensichtlich bei Versuchen einer Verhinderung von AfD-Veranstaltungen. Und sie nimmt klar kriminelle Formen an bei Übergriffen auf das Eigentum oder auf Leib und Leben von (mutmaßlichen) AfD-Anhängern oder von AfD-Politikern. Das alles wird auch nicht dadurch besser, wenn solches von „Tätern mit gutem Gewissen“ begangen wird, die sich vom politischen Konsens einer im „Kampf gegen rechts“ vereinten Mehrheitsgesellschaft getragen wissen. Es stimmt nämlich nicht, dass richtig und gut schlicht das wäre, was eine Mehrheit es will.
  • Der Einsatz von Institutionen unserer Demokratie gegen politische Gruppierungen aus anderen Gründen als dem Schutz unserer Demokratie. Natürlich haben wir aus der Geschichte gelernt, dass der Kampf gegen die Demokratie oft genug im Gewand der Demokratie geführt wird. Also gibt es keine gute Rechtfertigung für politische Naivität beim Umgang mit solchen politischen Gegnern, die man als demokratiefeindlich einschätzt. Doch gerade ein liberaler Staat wie der unsere tut gut daran, sich an bewährte Regeln zu halten wie „Im Zweifel für die Freiheit!“ oder „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“. Außerdem sollten sich gerade jene zwei Institutionen stets nur demokratiepolitisch, nie aber parteipolitisch in den Dienst nehmen lassen, die ihrerseits wichtige Voraussetzungen praktizierter pluralistischer Demokratie schaffen bzw. sichern. Das sind die Massenmedien und die Verfassungsschutzbehörden.

Die Massenmedien werden ihrer Rolle nicht gerecht, wenn sie das „Eintreten für die Demokratie“ gleichsetzen mit dem „Kampf gegen die AfD“. Zum Eintreten für die Demokratie gehört nämlich auch die vorbildliche Befolgung jener Regeln, von deren fragloser Geltung das Funktionieren von Demokratie abhängt. Es befolgt diese Regeln aber gerade nicht, wer Berichterstattung und Kommentierung vermengt – oder wer solche Journalisten mit Preisen auszeichnet, deren Reportagen sich mehr an politisch erwünschten Aussagen als an den Tatsachen orientieren.

Und Ämter für Verfassungsschutz werden ihrer demokratiepolitischen Rolle nicht gerecht, wenn sie die AfD aufgrund rein politischer Wünsche im öffentlichen Diskurs so hinstellen, als hätten sie im Grunde schon erkannt, dass diese Partei auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausginge, weshalb es zu diesem „Prüffall“ nur noch die abschließenden Beweise zu liefern gelte. Erfreulicherweise hat das Verwaltungsgericht Köln dem Entstehen einer solchen semantischen Grauzone unlängst zu wehren versucht. Durchschlagener Erfolg wird aber wohl ausbleiben, weil die Denkfigur „Die AfD wird vom Verfassungsschutz beobachtet, ist also ein Prüffall für den Verfassungsschutz“ sich inzwischen allgemein verbreitet hat und von jeder Privatperson im Rahmen der politischen Meinungs- und Kommunikationsfreiheit verwendet werden darf.

 

III. Einige Ratschläge für alle

Entlang der umrissenen Prinzipien habe ich stets als Beobachter und Kommentator politischen Geschehens argumentiert oder geurteilt. Obwohl ich nun vom Beobachterplatz aufs politische Spielfeld gegangen bin, werde ich das weiterhin so halten. Denn wie im Sport sind Regeln auch in der Politik zunächst einmal bindende Verhaltensanweisungen für die Akteure – und erst in zweiter Linie unterhaltsamer Debattenstoff für die Zuschauer.

Also werde ich eine von mir jüngst mehrfach in Interviews verwendete, allzu bequeme Formulierung nicht mehr wiederholen. Sie lautete: Mit der AfD lässt sich deshalb nicht zusammenwirken, weil sie für den Verfassungsschutz „ein Prüffall ist“. Diese Redewendung nutzt einfach nur effektvoll die „Hermeneutik des Verdachts“, während in einem rationalen Diskurs vor allem die folgenden grundsätzlichen Hindernisse für ein Zusammenwirken mit der AfD zu erörtern wären: Will die AfD eine Partei sein, die unser politisches System zu beseitigen wünscht, oder eine solche, die es reformierend mitzutragen beabsichtigt? Kann eine mit den etablierten Parteien zusammenarbeitende AfD-Führung überhaupt auf Rückhalt aus den eigenen Reihen zählen? Befindet sich ein nennenswerter Teil der Mitglieder und Wähler der AfD womöglich in einem solchen Radikalisierungsprozess, dass Zweifel an der Verfassungstreue der AfD, einzelner AfD-Gliederungen oder maßgeblicher AfD-Politiker nicht länger zu zerstreuen sind, weshalb sich eine Zusammenarbeit mit der AfD schon aus konkreten inhaltlichen Gründen verbietet?

Im Rahmen des mir Möglichen werde ich weiterhin dazu beitragen, dass die Auseinandersetzung mit der AfD entlang genau der Spielregeln pluralistischer Demokratie geführt wird. Das heißt: einesteils ohne Diffamierungsliturgien, ohne Gewaltsamkeit, ohne die parteipolitische Verzweckung von Institutionen, die allein unserer pluralistischen Demokratie verpflichtet sein sollten; und andernteils: in konkreter, tatsachen- und vernunftgeleiteter Auseinandersetzung mit den Schwächen von Positionen, welche die AfD vertritt, sowie mit den Unzulänglichkeiten von Personen, welche für die AfD stehen.

Wenn umgekehrt die AfD mit ihren Gegnern ebenso verführe, könnten wir gemeinsam unsere pluralistische Demokratie besser machen, als sie derzeit funktioniert. Wer sich aber nicht an solche Spielregeln hält, der schadet unserer pluralistischen Demokratie – ganz gleich, ob er sich für oder gegen die AfD engagiert. Am besten orientieren wir alle uns am einstigen „Tennis-Baron“ Gottfried v. Cramm (1909-1974), der nicht nur sehr erfolgreich als Sportler war, sondern der seiner Lust am Gewinnen nie die Freude am schönen Spiel opferte – und sein Ethos der Fairness schon gar nicht.

 

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