Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt: das Originalprojekt von 2014

Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt: das Originalprojekt von 2014

Joachim Klose / Werner J. Patzelt

Das ursprüngliche Konzept eines „Zentrums für Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt“
(Stand: 18. Dezember 2014, Adressat: Rektor der TU Dresden) 

 

I. Die Herausforderung: Deutschland verändert sich

(1) Aus einem Nationalstaat mit fühlbaren Grenzen ist ein attraktiver Gliedstaat einer Europäischen Union geworden, in der es für alle Unionsbürger überall Niederlassungsfreiheit und politische Partizipationsrechte gibt.

(2) Aus einem Land mit einem ethnisch und kulturell recht klar zu umreißenden Volk ist ein Staat geworden, in dem eine multiethnische und multikulturelle Gesellschaft lebt, mehr oder minder zusammengehalten durch eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsam akzeptierte politische Ordnung sowie Teilhabe am gemeinsamen Wohlstand. Allerdings haben die neuen Bundesländer eine von den alten Bundesländern deutlich abweichende Migrationsgeschichte. Sie führte dazu, dass in den neuen Bundesländern Zuwanderung von vielen weniger als eine gesellschaftliche Bereicherung, sondern eher als eine Bedrohung empfunden wird.

(3) Wegen des langjährigen Geburtenrückgangs ist aus einer sich selbst in der Generationenfolge reproduzierenden Gesellschaft ist eine Bevölkerung geworden, welche die für ihre Stabilität nötige Arbeitskraft und Innovationsfähigkeit wesentlich auch durch Zuwanderung sichern will, ja muss. Dieser Wandel vollzieht sich aufgrund von national kaum steuerbaren Migrationsprozessen sprunghaft und ungleichmäßig. Etwa wachsen Zentren, während sich ländliche Regionen entvölkern, und müssen manchenorts Strukturen zügig neu aufgebaut, andernorts schrittweise rückgebaut werden. Das stellt erhebliche politische Integrations- und Legitimationsaufgaben. Zu ihnen gehört auch, dass die Innovationsgeschwindigkeit moderner Gesellschaften leicht zu einer gesellschaftlichen Teilung entlang von – auch sprachlich bewirkten – Bildungschancen führt. In einer Einwanderungsgesellschaft verursacht das leicht eine Verbindung von Bildungs- und Wohlstandsspannungen mit ethnisch-kulturellen Konfliktlinien.

(4) Aus einer Nation, die selbst bestimmte, wer zu ihr gehören sollte, ist eine geworden, die sich als Zufluchtsstätte für im Grunde alle versteht, die auf der Erde politisch verfolgt werden oder lebensbedrohlicher Not ausgesetzt sind, und die innerhalb der EU auch kaum praktische Möglichkeiten hat, jene Veränderung ihrer Bevölkerungsstrukturen nach eigenem Ermessen zu gestalten, die durch Zuwanderung als Asylbewerber, Bürgerkriegs- oder Armutsflüchtling sowie EU-Migrant erfolgt.

(5) Aus einer Bevölkerung, in der Ideologie nur noch im Rahmen pluralistischer Parteienkonkurrenz eine Rolle spielte, und in der Religion entweder mit der politischen Ordnung gut vereinbar oder eine politisch nicht ins Gewicht fallende Privatsache war, ist eine Gesellschaft geworden, in der Religion neue politische Brisanz entfaltet und anscheinend nahtlos in solche politische Ideologie überzugehen vermag, die mit unserer politischen Ordnung in große Spannungen gerät. Denn aus einem Land, das seine kulturellen Grundlagen und früheren religiösen Prägungen kaum thematisierte, weil derlei selbstverständlich war und allenfalls als weiter zu liberalisieren galt, ist eines geworden, dessen Bevölkerung die Bewahrung eigener Kulturmuster durch Migranten vielfach bedroht sieht. Weil gerade für Menschen, die –  weshalb auch immer – ihre Heimat verloren haben, Religion eine besondere Rolle als letzter Ort von Beheimatung spielt, verbinden sich in einer Einwanderungsgesellschaft nun aber die religiösen Dimensionen sozialer und politischer Integration besonders leicht mit allen übrigen Integrationsherausforderungen. Nicht nur in Deutschland ist das von besonderer Sprengkraft, da hierzulande aus einer Gesellschaft, die durch auch religiös grundierten Gemeinsinn geprägt war, eine solche geworden ist, deren zentraler Konsens sich um Wohlfahrt und soziale Sicherheit lagert.

Sobald es aber – wie in einer Einwanderungsgesellschaft mit Integrationsproblemen zu erwarten – dahin kommt, dass sich Eindrücke materieller Ungerechtigkeit mit Empfindungen religiöser Zurückweisung verbinden, bekommen die unter Migrationsdruck unvermeidlichen Verteilungskonflikte auch noch eine existenzielle und religiöse Dimension. Die auf diese Weise unmittelbar politisch werdende Rolle von Religion erhält in den neuen Bundesländern besondere Brisanz, weil dort der militante Atheismus des real existierenden Sozialismus Religion als Rest einer überwundenen Zeit ausgab. Doch zumal die Religion der Einwanderer vergeht gerade nicht, sondern grundiert folgenreich deren Integrationserfahrungen. Und aufgrund der Veränderung der Migrationsursprünge ist es dabei nicht länger das hierzulande kulturell unproblematische Christentum, das Aufmerksamkeit erregt, sondern der auf andere Kultur-, Sozial- und Politikmuster ausgerichtete Islam. Deshalb erscheint gerade der Islam, der sich obendrein auch durch Konversion ausbreitet, als Bedrohung. Das zwingt dazu, gerade die religiöse Dimension unserer Integrationsherausforderungen ernstzunehmen.

(6) Aus einem Gemeinwesen, das sich seiner demokratischen Legitimität sicher war, ist eine politische Ordnung geworden, aus der sich ein Teil des Volks durch Politikverdrossenheit, Wahlabstinenz und Protest gegen „die da oben“ zurückgezogen hat, und zwar nicht zuletzt aufgrund von Vorbehalten gegen den oben beschriebenen Wandel unseres Landes. Zum Problem wird in diesem Zusammenhang, dass Deutschlands Parteien nicht länger als die zentralen Instrumente politischer Teilhabe oder als plausible Repräsentanten der realen Meinungs- und Interessenverteilung im Volk angesehen werden. Das legt die Suche nach zusätzlichen Formen demokratischer Partizipation nahe.

 

II. Reaktionen auf diese Herausforderung – und ihre Folgen

Mehrerlei Reaktionen gibt es auf alle diese Veränderungen. Sie reichen von Appellen, sich keine Sorgen zu machen, über Demonstrationen zu politischen Forderungen, die jene Veränderungen betreffen, bis zum Streit darüber, ob – und wie – man welche dieser Sorgen überhaupt zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen machen dürfe. Dabei verbinden sich Tatsachenfeststellungen und Lagebeurteilungen, Zusammenhangsbehauptungen und Werturteile, konkrete Zielsetzungen und deren Begründungen in teils schwer zu entwirrender, teils politisch funktionalisierter Weise. Mitunter hat es den Anschein, als sprächen einfache Leute und Diskurseliten von recht unterschiedlichen Dingen und Erfahrungen, wenn sie sich über die Lage in unserer sich stark verändernden Gesellschaft äußern, und als bestünden zwischen ihnen sehr verschiedene Vorstellungen von der Art jenes Grundkonsenses, den unsere pluralistische Ordnung braucht. Das alles ist für unser Land nachteilig, ja gefährlich.

Erstens misslingt die für freiheitliche Demokratie unabdingbare „Legitimation durch Kommunikation“, wenn allein schon das Reden über die öffentlichen Dinge zum Sprengsatz im Miteinander wird. Sie misslingt erst recht, wenn solches Reden nicht herausgelangt aus der Kluft zwischen einerseits politisch korrekten, doch praktisch nicht einlösbaren öffentlichen Bekundungen, und andererseits solchen persönlichen Ansichten, die aus Sorge um Stigmatisierung oder Ausgrenzung lieber nur im kleinen Kreis geäußert werden. Es gibt nun aber ernstzunehmende Anzeichen dafür, dass der politische Diskurs in unserer Gesellschaft gerade an solchen Schwierigkeiten leidet.

Zweitens sehen wir in fast allen EU-Staaten eine – durch freie Wahlen bewerkstelligte – Erosion langjährig eingespielter Parteiensysteme. Gerade diesen verdankt sich aber jene jahrzehntelange politische Stabilität, sie allein aus dem Zusammenwirken von pluralistischem  Streit und interessenausgleichender Kompromissfindung entstehen kann. Doch inzwischen zeigt sich allenthalben scharfe Polarisierung zwischen den „Altparteien“ und jenen „Alternativen“, die ihre Attraktivität stark dem folgenden Eindruck vieler Bürger verdanken: die etablierte politische Klasse habe tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungsprozesse zwar herbeigeführt, drücke sich aber um die Pflicht, solchen Wandel nun auch so zu gestalten, dass die Interessen der vom Wandel Betroffenen in einer diesen selbst als fair erscheinenden Weise berücksichtigt würden. Außerdem antwortet ein großer Teil der Bürgerschaft auf diese Lage entweder mit der Wahl von Protestparteien oder durch „innere Kündigung“, geht also nicht mehr wählen, sondern allenfalls demonstrieren. Auch das trägt zur Erosion freiheitlicher Demokratie bei.

Auf diese Weise tun sich nicht nur neue Spannungslinien in unserer Gesellschaft auf, sondern verschleißt auch unser politisches System durch Mängel im Prozess öffentlicher Kommunikation, Information und Diskussion. Funktioniert aber eine politische Ordnung nicht mehr gut, so können Spannungen zu Spaltungen werden, die ihrerseits das Fundament freiheitlicher Demokratie aufsprengen. Jeder Blick in Geschichte und Gegenwart zeigt, dass zumal die Verbindung von ethnischen Problemen mit Religionsfragen und von kulturellem Streit mit sozialen Ungerechtigkeiten die allergrößte Zerstörungskraft besitzt. Das macht das Ringen um Integration zur Pflicht jener, die zwar Vielfalt wünschen, doch längst Gelungenes nicht aufs Spiel setzen wollen. Einheit in Vielfalt entsteht jedenfalls nicht von selbst, sondern braucht Engagement. Auf dieses Ziel hin den Wandel unserer Gesellschaft zu gestalten, ist zwar zunächst einmal die Aufgabe derer, die öffentlicher Ämter innehaben. Doch die Behebung grundlegender Störungen in politisch wichtigen Kommunikations-, Informations- und Diskussionsprozessen geht alle an, gerade auch zivilgesellschaftliche und akademische Institutionen. Eben dieser Aufgabe soll sich das zu gründende „Zentrum für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ stellen.

 

III. Ziel und Profil eines „Zentrums für Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt“

Das zu gründende „Zentrum für Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt“ soll an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, zivilgesellschaftlichem Engagement und politisch-administrativer Praxis die folgenden Aufgaben erfüllen:

(1) Es sind relevante Informationen über Deutschlands multikulturelle Integrationsherausforderungen sowie über einschlägige, zumal über erfolgreiche Bewältigungsstrategien zu sammeln und zur öffentlichen Weiternutzung (z.B. „empowerment“) bereitzustellen.

(2) Der Beschaffung relevanter Informationen dienen …

  1. die Begleitung von laufenden praktischen Projekten multikultureller Integration
  2. die Anregung bzw. Durchführung drittmittelfinanzierter Forschungsprojekte
  3. der Aufbau einer entsprechenden Materialsammlung.

(3) Der Überprüfung, Mehrung, Verbreitung und Weiternutzung so zusammengetragenen Wissens dienen Arbeitstagungen, Gesprächskreise, Fortbildungsseminare und öffentliche Veranstaltungen zu den Herausforderungen, Maßnahmen und Zwischenergebnissen multikultureller Integration in Deutschland. Dabei kommt es insbesondere darauf an, gelungene Projekte bekanntmachten und aus ihnen praktisch nutzbare Lehren zu ziehen („positive deviance approach“, „best practice-Orientierung“).

(4) Das Zentrum soll Praktiker aus Verwaltung und Politik, Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, Wissenschaftler sowie an einer inhaltlichen Mitarbeit interessierte Einzelne teils themenbezogen, teils projektbezogen miteinander vernetzen, einen kontinuierlichen, themenbezogenen Erfahrungsaustausch zwischen ihnen organisieren und auf diese Weise ganz praktische Wirkungen entfalten.

(5) Das Zentrum soll im Vollzug seiner Arbeit auch eigene Vorschläge zur besseren Integration unserer multikulturellen Zuwanderergesellschaft erarbeiten, zur Diskussion stellen, popularisieren und in konkrete Projekte einbringen.

(6) Das Zentrum soll sich im Lauf der Zeit zu einer weithin bekannten und kompetenten Anlaufstelle für alle Nachfragen nach praktischer und wissenschaftlicher Kompetenz beim Umgang mit den Chancen und Herausforderungen einer Integration unserer multikulturellen Gesellschaft entwickeln.

(7) Das Zentrum soll durch seine ganz besondere Verbindung von wissenschaftlicher Qualitätssicherung, Praxisrelevanz und Öffentlichkeitsorientierung einen nachhaltig wirksamen Beitrag zur Behebung der Störungen in jenen Kommunikations-, Informations- und Diskussionsprozessen erbringen, die mit dem Wandel Deutschlands zu einer multikulturellen Zuwanderungsgesellschaft und mit der Entwicklung einer wirkungsvollen Integrationspolitik einhergehen.

(8) Das Zentrum soll mit anderen Einrichtungen gleicher Zielrichtung im In- und Ausland kooperieren.

Im Übrigen soll sich das „Zentrum für Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt“ nicht mit allen Herausforderungen jenes Wandels gleichermaßen befassen, sondern sich zunächst auf jene Integrationsprobleme und deren Lösungsmöglichkeiten konzentrieren, die sich derzeit aus religiös akzentuierter Multikulturalität ergeben. Diese Profilbildung ist sinnvoll, weil Religion – wider manches Erwarten – in Deutschland an politischer Bedeutung nicht etwa eingebüßt hat, sondern sich gerade unter den realen Bedingungen unserer Zuwanderungsgesellschaft als ein höchst wichtiger Bedingungsfaktor kultureller Eigenart, rechtlicher Ansprüche und politischer Gestaltungsaufgaben erwiesen hat.

Das betrifft einesteils die Herausforderungen, welche die – vermutlich anhaltende –  Zuwanderung von Muslimen für gerade unser Gemeinwesen stellt. Die rechtlichen und institutionellen Formen der Integration von Religion in unseren weltanschaulich neutralen Staat passen nämlich bislang schlecht auf jene Besonderheiten des Islam, die sich aus dem Fehlen einer zentralen Autorität und einer hinsichtlich ihrer politisch-praktischen Konsequenzen unumstrittenen Lehre ergeben.

Andererseits ergeben sich erhebliche Herausforderungen aus jener Veränderung von  Letztbegründungen der Normen unseres Zusammenlebens, welche durch einen – insgesamt ja willkommenen – jahrzehntelangen Prozess von Liberalisierung und Säkularisierung verursacht wurden. Nicht nur treten jetzt Spannungen auf zwischen post-christlich säkularen und höchst lebendigen islamisch-religiösen Begründungen der Wichtigkeit vieler Wertvorstellungen und Verhaltensnormen. Sondern es wird auch fraglich, wie zentrale Inhalte unserer politischen Kultur – etwa „Menschenwürde“ oder „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ – in einer multikulturellen Gesellschaft jeweils konkret zu verstehen oder anzuwenden sind, oder wie – bislang unproblematische – Grundrechte wie jenes auf Meinungsfreiheit in Abwägung mit anderen, neuen Inhalten unserer politischen Kultur zu veranschlagen sind, etwa mit dem Recht auf Schutz vor einer „Beleidigung religiöser Gefühle“ oder der „Familienehre“. Im Kern geht es um nichts weniger als darum, in welcher Umgestaltung und Form die zwar gewachsene, doch nur selten bewusst kultivierte  bundesdeutsche „Zivilreligion“ weiterhin integrierend wirken kann. Wie brisant dieses Thema ist, zeigt sich immer dann, wenn muslimischer Protest gegen israelische Politik sich mit Judenfeindlichkeit verbindet, oder wenn „nicht-ethnische Deutsche“ es ablehnen, die Hypotheken des Nationalsozialismus mitzutragen.

 

IV. Gestalt und Finanzierung und Gestalt des „Zentrums für Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt“

[….]

 

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Um zu zeigen wie es mit diesem Originalprojekt weiterging, findet sich die „Verhinderungsgeschichte“ des Instituts sowie die Weiterentwicklung des Gesamtvorhabens dokumentiert in den folgenden, verlinkten Texten:

 

Bildquelle: http://menschen-in-dresden.de/wp-content/uploads/2016/06/Patzelt-Pegida-1406-2016-klose.jpg

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