Hundert Tage Regierung Kretschmer

Hundert Tage Regierung Kretschmer

Heute, am 21. März 2018, veröffentlichte die Leipziger Volkszeitung (Nr. 68, S. 4) das nachstehende Interview mit mir über die ersten hundert Regierungstage des neuen sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer. Die Fragen stellte Roland Herold. Das vollständige Interview findet sich im Internet unter http://www.lvz.de/Leipzig/Lokales/Schulnote-2-fuer-das-Kabinett-Kretschmer sowie auf nachstehend. (Die beiden in der – räumlich beengten – Druckfassung entfallenen Frage/Antwort-Sequenzen habe ich durch Unterstreichung hervorgehoben.)

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Wenn Sie dem neuen Kabinett nach nun fast 100 Tagen eine Schulnote geben müssten. Wie fiele diese aus?

Ich gäbe eine Zwei.

Also sind Sie zufrieden mit der Arbeit des Kabinetts Kretschmer?

Zufrieden bin ich nur, wenn ich eine Eins geben kann!

Aber eine Zwei ist dann zumindest gut?

Gut gelaufen ist, dass der neue Ministerpräsident Präsenz zeigt, dass er auf die Leute zugeht, sich nicht kommunikativ abschottet. Gut ist auch, dass zum Lehrermangel klare Entscheidungen getroffen wurden, die immerhin in Aussicht stellen, dass sich dieses Problem mittelfristig lösen lässt.

Nun gibt es aber auch genügend Kritiker, die sagen, jetzt würden die Gräben in den Lehrerzimmern noch tiefer?

Was wäre denn die Alternative gewesen? Nichts zu tun? Lehrer auch kurz vor der Pensionierung zu verbeamten? Nichts davon wäre weise. Es geht einfach um den Versuch, aus einer selbstverschuldeten, politisch verfahrenen Situation wieder herauszukommen. Perfekte Lösungen gibt es dafür nicht.

Werden da zu viele Maßnahmen angekündigt?

Weil sich Entscheidungen allenfalls mittelfristig auswirken, muss kurzfristig das Ankündigen genügen. Das geschah in den Regierungserklärungen der Koalitionspartner. Aus dem einst angekündigten 100-Punkte-Maßnahmeplan ist trotzdem nichts geworden. Also warten wir weiter, ob das Anfangsschwierigkeiten sind – oder die Obergrenze auch der neuen Regierungskunst.

Was ist mit den Schwerpunkten Innere Sicherheit und ländlicher Raum?

Wir wissen, dass Innere Sicherheit, ländlicher Raum und digitale Infrastruktur Hauptherausforderungen sind. Die Stellenaufstockung bei der Polizei wurde längst beschlossen. Doch Polizisten einzustellen und auszubilden, dauert eben; doch die Reviere ließen sich jetzt schon verkleinern. Auch braucht gerade die Entwicklung des ländlichen Raums Zeit. Beeilen sollte man sich aber mit dem Aufbau eines schnellen Internet, damit sich mehr Wirtschaft im ländlichen Raum ansiedeln kann. Weiterhin braucht es Zuversicht schaffende politische Signale, denn auch Stimmung ist ein politischer Wirkfaktor.

Hat Michael Kretschmer aus seinen Erfahrungen als Bundestagsabgeordneter möglicherweise das Tempo falsch eingeschätzt, mit dem der sächsische Beamten-Apparat arbeitet?

Das kann schon sein. Insbesondere hat die neue Regierung den Kampf gegen ein alles dominierendes und sich sogar fachpolitische Gestaltungsaufgaben zuschreibendes Finanzministerium noch lange nicht gewonnen. Bis hinein in die Staatskanzlei reicht ja die Macht von Finanzministerialen, den Fachressorts auch inhaltlich vorzuschreiben, was sein darf und was nicht. Ökonomischer Realitätssinn ist zwar gut und bescherte dem System Milbradt-Tillich solide Staatsfinanzen. Doch das Sparen zum Selbstzweck zu machen, hat uns die Probleme bei der Polizei und bei den Lehrern beschert.

Seither hat sich nichts verändert?

Noch ist der Regierungsapparat nicht zum Werkzeug einer wirklich neuen Regierung geworden. Vielmehr ist diese Regierung das neue Gesicht eines alten Systems, das freilich mit sich selbst zu hadern begonnen hat.

Nun hat sich Michael Kretschmer mit Matthias Haß aber einen Finanzminister nach seiner Fasson ausgewählt.

Einer allein prägt noch kein Ministerium. Es müssen schon auch die Abteilungsleiter und Referatsleiter mitziehen. Sie zum innerlich motivierten Mittragen eines neuen Politikansatzes zu gewinnen, ist nicht einfach. Es geht die Vorstellung schlicht an der Wirklichkeit vorbei, ein Ministerium funktioniere nach dem militärischen Prinzip von Befehl und Gehorsam.

Warum ist das so?

Die fiskalische Untersetzung konkreter Politik ist so komplex, dass nur langjährige Ministerialbeamte ein solches System voll durchschauen. Sie können einzelnen Ministern also durchaus nahelegen, dass mancherlei nicht geht – obwohl es durchaus ginge, wenn man nur an verschiedenen Schräubchen drehte, die einem Politiker aber nicht wie von selbst ins Blickfeld geraten.

Die Opposition – allen voran der Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt – hat dem neuen Kabinett die übliche 100-Tage-Schonfrist mit der Begründung verweigert, dass Kretschmer als CDU-Generalsekretär Einfluss auf die Landespolitik hatte.

Es ist ja wirklich keine neue Regierung voller heuriger Hasen. Außerdem ist es nicht die Aufgabe der Opposition, eine Regierung zu unterstützen; vielmehr sind Kritik und Kontrolle die zentralen Oppositionspflichten. Werden sie nicht erfüllt, wie im letzten Bundestag bei der Migrationspolitik, dann stärkt das die außerparlamentarische Opposition. Damals unterstützte die Linke die Bundesregierung und mästete so die Rechte, die in Migrationsfragen ziemlich konkurrenzlos opponierte.

Also wird die Rechte profitieren?

Es gibt derzeit in der Bevölkerung keine Mehrheit für linkes Gedankengut. Die wirkungsvollste Macht von Opposition als parlamentarischer Minderheit entsteht aber daraus, dass man gerade in der Öffentlichkeit jenen Rückhalt findet, den man im Parlament eben nicht hat. Nur so kann man „die Regierung jagen“, wie das AfD-Parteichef Alexander Gauland ausgedrückt hat. Die Linke aber kann derzeit schlecht auf Jagd gehen, weil für viele unserer aktuellen Probleme die bekannten linken Lösungsvorschläge nur eine Minderheit überzeugen.

Stichwort AfD. Kretschmers CDU hat nicht viel Zeit, um der AfD Stimmen abzujagen und wieder stärkste Kraft zu werden. Schafft er das?

Das lässt sich noch nicht absehen. Zweifellos ist die AfD der schwierigste Rivale der CDU. Allerdings vertrauen die Gegner der AfD immer noch einer ganz untauglichen Strategie. Geraten wird nämlich: Die Union muss sich von der AfD abgrenzen! Doch was wird das dort nutzen, wo die AfD frühere CDU-Positionen besetzt? Gar nichts! Im Gegenteil signalisiert die Union durch eine panische Abgrenzeritis nur, dass ihr jene Wähler egal geworden sind, die ihr einst deshalb große Mehrheiten bescherten, weil sie von der CDU inhaltlich überzeugende Positionen vertreten sahen.

Zum Beispiel?

Das Einstehen für Recht und Ordnung, für eine nachhaltige Demographiepolitik, für die Bewahrung der länger schon im Land bestehenden Kultur.

Die AfD rechnet mit einer Machtübernahme zur nächsten Landtagswahl.

Da ist die AfD dem Größenwahn verfallen. Viele glauben ja wirklich, es sei eine Art Selbstläufer, dass die AfD im nächsten Jahr die relative Mehrheit erreicht oder zum unverzichtbaren Koalitionspartner wird, weshalb man sich jegliche Rechtsdemagogie leisten könne. Direkte Gestaltungsmacht erlangte aber nur eine AfD, der man so viel Staatstreue und politische Vernunft zutraute, dass sie als Tolerierungspartner einer CDU-Minderheitsregierung in Frage käme. Von einem solchen Weg ist die AfD in den letzten Monaten aber klar abgerückt. Ihre neue Führung besteht aus Leuten, die zu einem vernünftigen politischen Diskurs unfähig zu sein scheinen, und die ihre Partei zu einer rechtsdemagogischen Sammlungsbewegung machen. Eine solche AfD wäre durchaus keine Gefahr für eine Union, die sich ihrerseits als Sachwalterin konservativer Politikvernunft aufstellte.

Das wird in der Öffentlichkeit nicht so gesehen.

Ich habe schon öfters Sachverhalte anders gesehen als die Öffentlichkeit – und bin in meinen Analysen meist von der realen Entwicklung bestätigt worden.

Der Politik-Stil in Dresden hat sich gewandelt, aber Michael Kretschmer würde man mit seinen 42 Jahren wahrscheinlich auch kaum den „Landesvater“ abnehmen?

Nein. Statt den schweigend-besorgten Landesvater zu spielen, geht Kretschmer altersangemessen in den kommunikativen Nahkampf. Das ist auch gut so. Er sollte aber mehr auf die sozialen Medien setzen. Das tut bislang vor allem die AfD, die ihre ganz reale Anhängerschaft vor allem im virtuellen Raum anspricht. Wie viel man etwa durch Tweets erreichen kann, zeigt – wenn auch in blamabler Weise – der jetzige amerikanische Präsident.

Und inhaltlich?

Tillich sagte lieber gar nichts oder versuchte, es allen recht zu machen. Und indem er die blanke Selbstverständlichkeit einforderte, alle Vernünftigen müssten sich gegen rechte Gewalt einsetzen, ersparte er sich bequem jede inhaltliche Auseinandersetzung mit den Motiven des neuen Systemprotests von rechts. Dadurch wurde er mitursächlich für den Aufstieg der AfD. Kretschmer versucht da Besseres. Wäre er bei der jüngsten Migrationsdebatte  nicht Uwe Tellkamp zur Seite gesprungen, so hätte dessen einsetzende Stigmatisierung der AfD nur weiteren Zulauf verschafft. Im Sinn seiner Partei verhielt sich Kretschmer also richtig, und sei es nur aus opportunistischem Kalkül.

 

 

Bildquelle: https://www.google.de/search?q=100+Tage+kretschmer&tbm=isch&source=lnt&tbs=isz:l&sa=X&ved=0ahUKEwjNgomLlf3ZAhVUyqYKHVXDCBUQpwUIHg&biw=1536&bih=735&dpr=1.25#imgrc=OYe7yLkflzmtaM:

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