Zum Abschied von Helmut Kohl

Zum Abschied von Helmut Kohl

Es war schon ein großes Ereignis, das heute im Plenarsaal des Europäischen Parlaments stattfand. Knapp ein Jahrhundert nach dem Ersten Weltkrieg, der – auch wegen gegnerischer Propaganda – Deutschland in Europa sehr verhasst machte, und über siebzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sowie der ihn führenden Nazi-Diktatur, was zusammen Deutschland vollends ächtete, sprachen über einen toten deutschen Kanzler ehemalige und amtierende Staats- und Regierungschefs Polens und Frankreichs, Spaniens, ja auch Russlands sowie der USA voller Bewunderung und Dankbarkeit.

Sie taten das, im Kreis vieler emeritierter oder aktiver Staats- und Regierungschefs, an der Versammlungsstätte des Parlaments eines – vielleicht ja noch werdenden – europäischen Volks. Vor ihnen lag in seinem Sarg, unter Europas Flagge, einer der Baumeister jener Europäischen Union, die um das wiedervereinigte Deutschland herum errichtet wurde. Die Präsidenten aller drei politischen Institutionen Europas – Parlament, Rat, Kommission – reihten sich mit bewegenden Worten in den Kreis derer ein, die über den Erneuerer einer gutwilligen Führungsrolle Deutschlands in Europa nur Lobendes zu sagen hatten. Und die jetzige Kanzlerin Deutschlands, dem großen Toten gleich an Machtwillen und politischem Geschick, schloss sich alledem in Demut an.

Dazu erklang Musik von vier zur Weltgeltung gelangten Komponisten aus einem noch nicht nationalistisch auftrumpfenden Deutschland: von Händel, Schubert, Haydn, Beethoven. Auf die deutsche Nationalhymne, gesungen mitten im Europäischen Parlament auf Haydns Melodie, folgte Europas Hymne, nämlich Beethovens Freudenmusik auf Schillers nationenverbindende Verse. Aufs Schönste zeigte sich so jenes europäische Deutschland, von dem kein weiterer Germanisierungsversuch Europa zu befürchten ist, ja dem so oft aufrichtige Freundschaft entgegenschlägt.

Es ist außerdem ein gutes Zeichen, dass nach diesen zwei Stunden im Europäischen Parlament kaum jemand mehr einen besonderen deutschen Staatsakt vermissen wird. Helmut Kohl, der heimatverbundene Pfälzer und deutsche Patriot, fand seinen politischen Frieden nämlich ebenso stimmig inmitten der Politiker Europas, wie das jahrhundertelang so unruhige Deutschland seinen Frieden genau mitten im europäischen Politik- und Kulturverbund gefunden hat. Es kommt nur noch darauf an, dieses große Erbe der Kanzler Adenauer, Brandt und Kohl nicht zu mindern oder gar zu gefährden.

Angefügt sei diesen Bemerkungen jene Kolumne, die ich unter der Überschrift „Ein Pfälzer für Europa“ am 23. Juni in der „Sächsischen Zeitung“ veröffentlicht habe. Sie kreist um die Frage, warum viele in Deutschland den Menschen und Politiker Kohl so gerne verkannt haben, auch oft kleinlich verkannt haben, ja nachgerade grotesk verkannt haben, wie sich das im Vergleich ihrer Aussagen mit denen von der Straßburger Trauerfeier zeigt. Eine der möglichen Antworten gebe ich am Ende meiner Kolumne. Und wie um meine Vermutung zu bestätigen, wollte aus ihr doch tatsächlich jemand herauslesen, ich bezeichnete Kohls Kritiker als „Feinde des Volks“ – und nicht als ziemlich kleinkariert oder flachsinnig germanophob.

Hier ist nun der Text:

Es wundert nicht, dass nach Helmut Kohls Tod allenthalben Rühmliches über den Altkanzler zu lesen ist. Sogar der TAZ bekam es nicht gut, seiner im alten Kampf- und Verachtungsmodus zu gedenken. Wahrscheinlich wirkt da nicht allein der Grundsatz, vor allem Gutes über Tote zu sagen. Sondern viele werden inzwischen bemerkt haben, wie groß Kohls Verdienste um Europa und um Deutschland sind.

Gut hätte es dem alten Kanzler gewiss getan, wäre noch zu seinen Lebzeiten vernehmbar geworden, wie anerkennend ihn auch frühere Gegner einschätzen. Und dem für Friedensnobelpreise zuständigen Komitee hätte es noch besser angestanden, nicht nur die Europäische Union, sondern auch Helmut Kohl als einen ihrer großen, erfolgreichen Baumeister auszuzeichnen – zumal nach der Würdigung eines gerade erst ins Amt gekommenen US-Präsidenten für nichts weiter als sein Charisma. Solche Blindheit, ja Lust am demonstrativen Verweigern angemessenen Respekts darf alle besorgt machen, die redliche Urteile und guten Willen für unersetzliche Ressourcen freiheitlicher Demokratie halten.

Wie war es eigentlich möglich, den Modernisierer von Rheinland-Pfalz glaubhaft als rückständigen Trottel auszugeben? Den seit Menschengedenken erfolgreichsten Vorsitzenden einer deutschen Partei als politischen Nichtskönner? Den jahrzehntelang allen hämetrunkenen Medienangriffen trotzenden Leitwolf als kaum mehr denn einen vollgefressenen Saumagenfreund? Den auf internationaler Bühne geachteten, nachhaltiges Vertrauen stiftenden Kanzler als peinlichen Provinzler? Den Einiger nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas als nationalistischen Revisionisten? Den Staatsmann als bloßen Gorbatschow-Profiteur, obendrein als üblen „Don Kohleone“? Den kundigen Leser historischer Literatur als intellektuellen Versager?

Das so lange zum guten Ton gehörende verächtliche Reden über Helmut Kohl lehrt wohl mehr über das juste milieu unseres Landes als über jenen Pfälzer, für den Heimatverwurzelung und Weltläufigkeit eng zusammengehörten. Der auch noch – zum Leidwesen nicht nur Margaret Thatchers, sondern auch vieler Landsleute – so ganz und gar deutsch war. Es litt wohl mancher gerade am eigenen Land und an dessen Kultur, wenn er an Kohl zu leiden glaubte. Möge das nun ebenfalls zur Geschichte werden!

 

Bildquelle: https://www.google.de/search?q=Kohl+Trauerfeier+stra%C3%9Fburg&rlz=1C1NIKB_deDE570DE570&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=0ahUKEwjS5bK-pOjUAhVMJ1AKHXpGDHoQ_AUICygC&biw=1218&bih=738&dpr=1.25#q=Kohl+Trauerfeier+stra%C3%9Fburg&tbm=isch&tbs=isz:l&imgrc=5dVmfvaxcWsFcM:

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