Wünschenswert: das „gesetzesaufhebende Referendum“

Wünschenswert: das „gesetzesaufhebende Referendum“

Immer lauter werden Forderungen nach „mehr Volksabstimmungen“. Das lädt dann sofort zu folgenden Gedanken ein: Wie sollte denn die Frage genau lauten? Lässt sich so ein komplexes Thema wie etwa unsere Einwanderungspolitik auf eine einzige Frage reduzieren? Können „mehr Volksabstimmungen“ unsere Demokratie also wirklich verbessern?

Eine ausführliche Antwort auf solche Fragen samt deren sorgfältiger Begründung findet sich – unter anderem – in einer meiner Publikationen: „Welche plebiszitären Instrumente könnten wir brauchen? Einige systematische Überlegungen“, in: Jahrbuch für direkte Demokratie 2010, Baden-Baden (Nomos) 2011, S. 63-106. Hier ist der Link: http://docdro.id/HUj0B9T

Die Kurzfassung meiner Antwort auf diese Frage lautet so – und kann auch nicht kürzer formuliert werden, falls diese Antwort wirklich nachvollziehbar sein soll:

Erstens: Es wäre ganz falsch, plebiszitäre Instrumente in der Art einzuführen, dass eine Regierung, ein Staatsoberhaupt oder eine Parlamentsmehrheit / Parlamentsminderheit dem Volk immer dann eine Entscheidungsfrage vorlegen könnte, wenn man nicht mehr weiter weiß. Also stellt sich in einem richtigen gebauten politischen System mit plebiszitären Instrumenten die Frage gar nicht, wie „die Sachfrage“ bei der Volksabstimmung lauten soll. Und warum das wirklich nicht sein sollte, ergibt sich aus zwei Gründen. Einerseits erlaubt die Formulierung der Frage reichliche Manipulationsmöglichkeiten. Andererseits werden solche Volksabstimmungen meistens zu taktischen Zwecken eingesetzt, so dass viele Abstimmende – freilich nicht die politisch wenig Informierten – wissen, dass die Frage auf dem Abstimmungszettel gar nicht jene Frage ist, um die es „eigentlich“ geht.

Zweitens: Wenig ist vom Volksgesetzgebungsverfahren als alleinigem plebiszitären Instrument zu halten, wie es alle deutsche Landesverfassungen kennen. Dieses Instrument ist nämlich meist nur doch immerhin! indirekt nützlich, um nämlich die Regierungsmehrheit zu zwingen, sich mit einem gesetzlich zu regelnden Problem zu befassen. Der Grund: Eine Volksinitiative zur Volksgesetzgebung entfaltet politische Thematisierungswirkung. Ansonsten aber ist die Volksgesetzgebung unfair insofern, als wir ja die Ministerialbürokratie und die Parlamentarier dafür bezahlen, ihrerseits brauchbare Gesetzentwürfe zu formulieren; warum also soll eine Antragsinitiative aus der Mitte des Volkes hier – mit schlechten Konkurrenzaussichten – sich an die Gesetzgebungsarbeit machen?

Drittens: Im Grunde braucht es die Volksgesetzgebung nur als Sprungbrett für das wirkungsvollste aller plebiszitären Instrumente: das gesetzesaufhebende Referendum. Dieses Instrument funktioniert so: Die Parlamentsmehrheit beschließt ein Gesetz, wie es ihres Amtes ist; dann kann binnen verfassungsmäßiger Frist (sagen wir: 100 Tage) eine „Referendumsinitiative“ eine verfassungsmäßig vorgesehene Anzahl von Unterschriften sammeln (sagen wir: von 2,5 % der Wahlberechtigten); und anschließend findet eine Volksabstimmung mit jener einfachen, unmanipulierbaren, jedem verständlichen Fragestellung statt, die sinngemäß auch in der Schlussabstimmung des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens gestellt wird: Soll das vom Parlament beschlossene Gesetz in Kraft treten – ja oder nein? (Selbstverständlich besteht die abstrakte Normenkontrolle vor dem Verfassungsgericht fort!)

Viertens: Man versteht die Wucht dieses Instruments dann, wenn man sich folgende Wirkungszusammenhänge klarmacht.

a) Laut deutscher Verfasssungsrechtsprechung müssen alle „wesentlichen“ staatlichen Aufgaben durch Gesetz geregelt werden der Umgang mit Asylbewerbern also durch ein Asylverfahrensgesetz, die Einwanderung durch ein Einwanderungsgesetz (unter welchem Namen auch immer).

b) An dieser Stelle wäre das praktisch nutzbare Instrument eines Volksgesetzgebungsverfahrens höchst nützlich. Es könnte nämlich eine Antragsinitiative aus der Mitte der Bevölkerung einen – natürlich vorab grob und im Nachhinein auf dem üblichen Weg der abstrakten Normenkontrolle verfassungsrechtlich überprüfbaren – Gesetzentwurf ausarbeiten, womit (so die üblichen Regelungen unserer Landesverfassungen) die Regierungsmehrheit gezwungen wäre, ihn entweder anzunehmen oder einen Alternativentwurf auszuarbeiten und beide dann dem Volk zur Annahme oder Ablehnung vorzulegen. Im Fall unserer Einwanderungs- und Integrationspolitik hätten wird dann eine sehr veränderte politische Machtlage.

c) Für die Politikgestaltung auf gesetzlicher Grundlage reichten allein Parlamentsmehrheiten fortan nicht mehr aus, weil ein Gesetz nun auch „referendumssicher“ sein müsste. Das verhinderte, dass eine Parlamentsmehrheit „gegen das Volk anregiert“ – und stärkte auf diese Weise die Demokratie. In der jetzigen Lage würde sich die Große Koalition sehr sorgfältig überlegen, was sie in ein novelliertes Asylverfahrensgesetz oder in ein Einwanderungsgesetz hineinschriebe. Sie riskierte nämlich ihren Sturz samt Neuwahlen (mit anschließender Umverteilung von Macht), falls ihr Gesetz ein solches Referendum nicht „überlebte“.

d) Die Rolle der Opposition – sowohl der innerparlamentarischen als auch der außerparlamentarischen – würde sowohl schwieriger als auch leichter. Sie würde leichter, weil die Opposition nun ein scharfes Schwert gegen die Regierung schwingen könnte, falls deren Politik wirklich beim Volk unpopulär wäre. Die Opposition – beispielsweise außerparlamentarisch: die AfD – könnte nämlich ein solches gesetzesaufhebendes Referendum einleiten, falls etwa ein parlamentarisch beschlossenes Einwanderungsgesetz unpopulär wäre, also die nötige Anzahl von Unterschriften für ein gesetzesaufhebendes Referendum zustande käme. Die Rolle der Opposition würde aber zugleich schwieriger, weil Opposition sich unter solchen Umständen unglaubwürdig machte, wenn sie zwar im Parlament ein Gesetz als sachlich falsch oder von der Bevölkerungsmehrheit ungewollt bezeichnete, sich aber nicht traute, das Risiko einer – aus ihrer Sicht – scheiternden Unterschriftensammlung oder eines scheiternden Referendums einzugehen. Etwa wären die GRÜNEN in der Zwickmühle, entweder gegen ein zuwanderungsbeschränkendes Gesetz der Großen Koalition ein gesetzesaufhebendes Referendum einleiten zu müssen und bei der Volksabstimmung anschließend zu verlieren – oder sie müssten Argumente dahingehend unterlassen, die Regierungsmehrheit führe ein vom Volk ungewolltes Gesetz herbei.

Im Endeffekt könnte sich die Regierungsmehrheit, ja die politische Klasse überhaupt, viel weniger vom mehrheitlichen Bevölkerungswillen entfernen, als sie das in Sachen Einwanderungs- und Integrationspolitik in den letzten Monaten oder Jahren allem Anschein nach getan hat. Umgekehrt hätten wir eine Einwanderungs- und Integrationspolitik, die nicht auf einer brüchigen Willkommenskultur gründete, sondern auf der nachgewiesenen, jederzeit überprüfbaren und somit auch belastbaren Zustimmung (eines Großteils) der Bevölkerung. Und es müssten Regierung und Öffentlichkeit die Bevölkerung dann auch nicht länger durch sorgsam dosierte Informationen sozusagen bei Laune halten, sondern es könnte jener tatsachenorientierte politische Diskurs ablaufen, in dessen Verlauf allein „Legitimation durch Kommunikation“ entsteht und den viele derzeit vermissen.

Man sieht: Bei der Forderung nach „mehr direkter Demokratie“ darf man es nicht mit Schlagworten oder Kurzformeln bewenden lassen, wenn man unsere repräsentative Demokratie wirklich verbessern will  – und nicht einfach nur aufs Geratewohl verändern.

 

 

Bildquelle: http://www.badische-zeitung.de/suedwest-1/viele-briefwaehler-bei-der-s21-volksabstimmung–51862591.html

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